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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ws 346 und 347/16 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Auch in Verfahren zur Überprüfung der weiteren Maßregelvollstreckung (Erledigung, Maßregelaussetzung zur Bewährung, Fortdauer der Unterbringung), die außerturnusgemäß aufgrund eines Antrages des Untergebrachten erforderlich werden, gilt die Pflicht zu seiner mündlichen Anhörung (§§ 463 Abs. 3 S. 1, 454 Abs. 1 S. 3 StPO) uneingeschränkt.
2. Zur Notwendigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers im Vollstreckungsverfahren (Verfahren zur Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus).

Senat: 4

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Pflichtverteidigerbestellung im Vollstreckungsverfahren, Maßregelvollstreckung, mündliche Anhörung des Verurteilten

Normen: StPO 140, StGB 67d; StGB 67e; StGB 63; StPO 463; StPO 454

Beschluss:

Maßregelvollzugssache
In pp.
hat der 4. Strafsenat des OLG Hamm am 03.11.2016 beschlossen:

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

2. Dem Untergebrachten wird Rechtsanwältin L aus N zur Pflichtverteidigerin für das laufende Vollstreckungsverfahren bestellt.

3. Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Paderborn zurückverwiesen.

Gründe
I.

Das Landgericht Bochum verurteilte den Angeklagten mit Urteil vom 16.09.1999 u.a. wegen Vergewaltigung in vier Fällen und sexueller Nötigung in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und ordnete gegen ihn gleichzeitig die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Nach Verbüßung von Organisationshaft wird die Maßregel seit dem 29.06.1999 ununterbrochen vollzogen. Nahezu durchgängig werden dem Untergebrachten eine (kombinierte) Persönlich-keitsstörung mit vor allem selbstunsicheren Anteile und ein sexueller Sadismus attestiert, wobei letzterer – nach Angaben der Maßregelvollzugseinrichtung - therapeutisch kaum behandelbar sei. Deswegen wurde ihm ebenfalls durchgängig seitens des Maßregelvollzugs bzw. der beauftragten Sachverständigen eine ungünstige Legalprognose gestellt.

Das letzte nach § 16 Abs. 3 MRVG NW eingeholte und von der Strafvollstreckungs-kammer im Rahmen der Überprüfung nach § 67e StGB verwertete Sachver-ständigengutachten stammte vom 15.10.2014. Vor der nunmehr angefochtenen Entscheidung ordnete die Strafvollstreckungskammer zuletzt mit Beschluss vom 19.02.2016 die Fortdauer der Unterbringung an. Am Tag der seinerzeitigen Beschlussfassung fand ein Termin zur mündlichen Anhörung des Untergebrachten statt, welcher von diesem aber nicht wahrgenommen wurde. Erschienen war nur seine Verteidigerin. Entsprechendes galt auch schon für die am 20.02.2015 durchgeführte Anhörung im Rahmen des vorangegangenen Überprüfungsverfahrens.

Unter dem Datum des 22.08.2016 hat der Untergebrachte bei der Strafvollstreckungskammer beantragt, „in Freiheit entlassen zu werden“. Zur Begründung führt er an, dass er alle sich bietenden therapeutischen Angebote durchlaufen habe und es im Hinblick auf den bei ihm bestehenden sexuellen Sadismus keine (weiteren) Behandlungsansätze gäbe, die seine weitere Unterbringung rechtfertigen könnten. Gegen ihn sei schließlich nicht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden.

Mit Verteidigerschriftsatz vom 15.09.2016 hat der Untergebrachte weiter beantragt, ihm Rechtsanwältin L als Pflichtverteidigerin beizuordnen.

Beide Anträge hat die Strafvollstreckungskammer – ohne Durchführung einer mündlichen Anhörung - mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt (bzgl. der Pflichtverteidigerbestellung allein durch den Kammervorsitzenden). Hinsichtlich des Entlassungsantrags führt sie aus, dass der Überprüfungsantrag vorzeitig gestellt sei und der Untergebrachte keine Gründe vorgetragen habe, die die Unverhältnis-mäßigkeit der Fortdauer der Unterbringung begründen würden. Eine Gefahr im Sinne des § 67d Abs. 6 S. 3 i.V.m. Abs. 3 StGB habe die Strafvollstreckungskammer dem Untergebrachten bereits im vorhergehenden Überprüfungsverfahren attestiert. Es sei nichts vorgetragen, was Veranlassung geben könnte, die Entlassung des Unterge-brachten zu erwägen. Deswegen sei auch der Antrag auf Bestellung der Pflichtverteidigerin abzulehnen.

Hiergegen wendet sich der Untergebrachte mit der sofortigen Beschwerde (mit der er u.a. ausdrücklich rügt, dass eine mündliche Anhörung unterblieben ist) bzw. Beschwerde, deren Verwerfung die Generalstaatsanwaltschaft Hamm beantragt hat.

II.

Beide Rechtsmittel des Untergebrachten sind zulässig und begründet.

1. Dem Antrag auf Bestellung von Rechtsanwältin L zur Pflichtverteidigerin für das laufende Vollstreckungsverfahren war stattzugeben. Analog § 140 Abs. 2 StPO kann sich auch in einfach gesetzlich nicht geregelten Konstellationen die Bestellung eines Verteidigers im Vollstreckungsverfahren als erforderlich erweisen. Dies ist der Fall, wenn ein Verfahren außergewöhnliche Schwierigkeiten aufweist oder der Verurteilte aufgrund besonderer, in seiner Person liegender Umstände ersichtlich nicht in der Lage ist, sich selbst angemessen zu äußern. Im Vollstreckungsverfahren besteht im deutlich geringeren Maße ein Bedürfnis für die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers. Für eine analoge Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO ist u.a. entscheidend, in welchem Umfang die vollstreckungsrechtliche Entscheidung in die Rechte des Verurteilten eingreift. Von Teilen der Rechtsprechung wird vertreten, dass "in aller Regel" eine Verteidigerbestellung geboten und erforderlich sein, wenn eine Entscheidung gemäß § 57a StGB oder über den Beginn und die Fortdauer der Vollstreckung einer unbefristeten stationären Maßregel gemäß §§ 63, 66 StGB ansteht. Denn damit ist in aller Regel ein weitreichender Eingriff insbesondere in die durch Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 GG geschützten Rechtspositionen verbunden. Hinzu kommt, dass zur Vorbereitung solcher Entscheidungen zumeist Sachverständige hinzugezogen werden und der Verurteilte häufig schon zum Verständnis entsprechender Gutachten anwaltlicher Hilfe bedarf (KG Berlin, Beschl. v. 03.11.2014 - 2 Ws 356/14 - juris). Ob dem uneingeschränkt zu folgen ist, kann der Senat dahinstehen lassen (vgl. schon: OLG Hamm, Beschl. v 15.09.2016, 4 Ws 299/16 – juris). Hier liegt ein sehr weitreichender Grundrechtseingriff vor, denn die Unterbringung des Beschwerdeführers dauert nunmehr schon seit mehr als 17 Jahren an und ist nicht etwa durch eine fehlende Therapiemotivation des Untergebrachten (mit-)bedingt, sondern beruht im wesentlichen auf den – immer wieder von den Sachverständigen bescheinigten – fehlenden oder geringen Behandlungsmöglichkeiten eines sexuellen Sadismus und der damit verbundenen fehlenden Reduzierung der in den Taten zum Ausdruck gekommenen Gefährlichkeit des Untergebrachten.

Angesichts dieser Umstände war dem Untergebrachten eine Pflichtverteidigerin zu bestellen.

2. Hinsichtlich der Entscheidung in der Hauptsache war – wie die Verteidigung zutreffend vorträgt - der angefochtene Beschluss schon deswegen aufzuheben, weil die Strafvollstreckungskammer die nach §§ 463 Abs. 3 S. 1, 454 Abs. 1 S. 3 StPO vorgeschriebene mündliche Anhörung des Untergebrachten unterlassen hat. Nach § 463 Abs. 3 StPO gilt (u.a.) § 454 Abs. 1 StPO auch für die nach § 67d Abs. 2 StGB zu treffende Entscheidung. Der Antrag des Untergebrachten, ihn in Freiheit zu entlassen, ist jedenfalls auch (neben einem Antrag auf Erledigungserklärung) als Antrag auf eine bedingte Entlassung aus dem Maßregelvollzug auszulegen, da es dem Untergebrachten in erster Linie um eine Entlassung als solche geht und anzunehmen ist, dass er – wenn eine Erledigungserklärung nicht möglich wäre – jedenfalls eine bedingte Entlassung begehrt. Neben dem Ablauf der in § 67e Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 2 StGB genannten Fristen oder dem Vorliegen konkreter Anhaltspunkte (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 67e Rdn. 2) für eine Prüfungsnot-wendigkeit kann auch ein Antrag des Untergebrachten eine solche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer erfordern, wie sich schon aus dem Umkehrschluss zu § 67e Abs. 3 S. 2 StGB ergibt (OLG Hamm, NStZ 1990, 251, 252; OLG Jena, Beschl. v. 04.02.2015 – 1 Ws 37/14BeckRS 2014, 09316; Groß in: MK-StGB, 3. Aufl., § 67e Rdn. 4, m.w.N.).

Der Verweis in § 463 Abs. 3 S. 1 StPO auf § 454 Abs. 1 StPO enthält schon dem Gesetzeswortlaut nach keine Beschränkung der Pflicht zur mündlichen Anhörung, etwa nur auf turnusmäßige Überprüfungen. Dafür dass auch in Überprüfungen, die außerturnusgemäß aufgrund eines Antrages des Untergebrachten erforderlich werden, die Pflicht zu seiner mündlichen Anhörung uneingeschränkt gilt, spricht zudem, dass das Gesetz die drei unterschiedlichen Anlässe für eine Überprüfung (Fristablauf, Vorliegen von Anhaltspunkten für eine Prüfungsnotwendigkeit und Antrag) nicht unterschiedlich gewichtet.

Die damit grundsätzlich erforderliche mündliche Anhörung des Untergebrachten durfte auch nicht aufgrund eines Ausnahmetatbestands unterbleiben. Die Voraussetzungen des § 454 Abs. 1 S. 4 StPO liegen nicht vor. Anders als die Generalstaatsanwaltschaft meint, greift auch der Ausnahmetatbestand des § 454 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 StPO nicht ein. Dieser greift nicht etwa deswegen ein, weil der Untergebrachte bisher die gegen ihn ebenfalls angeordnete vierzehnjährige Freiheitsstrafe noch gar nicht angetreten und die Strafvollstreckungskammer in den Beschlussgründen auch darauf abgestellt hat, dass der Antrag „verfrüht“ gestellt worden sei. Die Strafvollstreckungskammer hat durchaus zur Sache selbst Erwägungen angestellt und eine Frist nach § 67e Abs. 3 S. 2 StGB war zuvor nicht festgesetzt worden. Auch werden infolge von § 67 Abs. 4 StGB die Zeiten der Maßregelvollstreckung auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind. Zudem erscheint zweifelhaft, ob der Verweis des § 463 Abs. 1 S. 1 StPO überhaupt § 454 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 StPO erfasst, wenn es um die Aussetzung oder Erledigung von zeitlich nicht befristeten Maßregeln der Besserung und Sicherung geht. § 454 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 StPO setzt nämlich eine zeitliche Bestimmbarkeit des Verfrühtseins des Antrages anhand der Dauer verhängten Sanktion voraus.

Auch durfte eine mündliche Anhörung des Verurteilten nicht deswegen unterbleiben, weil etwa die letzte mündliche Anhörung noch nicht lange zurückliegt (diskutiert werden hier Zeiträume von bis zu einigen Monaten) und der persönliche Eindruck von dem Untergebrachten noch fortwirkt (vgl.: Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 454 Rdn. 31 m.w.N.). Hier lag die letzte mündliche Anhörung, bei der sich die Strafvollstreckungskammer einen persönlichen Eindruck vom Untergebrachten verschaffen konnte, schon mehrere Jahre zurück, so dass dieser in der Rechtsprechung anerkannte Ausnahmetatbestand nicht eingreift. Dies gilt umso mehr, als sich der für eine Fortdauer der Maßregel anwendbare Prognosemaßstab durch Einführung des neuen § 67d Abs. 6 S. 3 (i.V.m. Abs. 3) StGB zum 01.08.2016 im Verhältnis zu früheren Rechtslage, welcher dem letzten Fortdauerbeschluss zu Grunde lag, deutlich geändert hat. Konnte sich die Strafvollstreckungskammer seinerzeit noch darauf beschränken, festzustellen, dass dem Untergebrachten „keinesfalls die für eine Entlassung erforderliche positive Kriminalprognose gestellt werden kann“ (S. 3 des Beschlusses vom 19.02.2016) und die Unterbringung auch noch nicht unverhältnismäßig ist, bedarf es nunmehr der positiven Stellung einer ungünstigen Legalprognose, um die Maßregel nicht für erledigt zu erklären (vgl.: OLG Hamm, Beschl. v. 16.09.2010 – 4 Ws 209/10 – juris; Stree/Kinzig in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 67d Rdn. 17 – jeweils zu § 67d Abs. 3 StGB).

Angesichts der allein wegen des Fehlens der mündlichen Anhörung des Untergebrachten notwendigen Aufhebung der angefochtenen Entscheidung kann der Senat dahinstehen lassen, ob im Hinblick auf die geänderte Gesetzeslage (s.o.) die Aufklärungspflicht die Einholung eines aktuellen Sachverständigengutachtens gebietet. Dagegen könnte sprechen, dass in dem Gutachten vom 15.10.2014 eine eindeutig ungünstige Legalprognose gestellt wurde, hier die Begehung schwerster Straftaten zu gewärtigen ist und seit der letzten Begutachtung keine Umstände eingetreten sind, die für eine nachhaltige Minderung der Gefährlichkeit des Untergebrachten sprechen könnten. Der Untergebrachte unterliegt offenbar der Fehlvorstellung, dass er – ähnlich wie bei der Maßregel des § 64 StGB – mangels Therapierbarkeit aus dem Vollzug der Maßregel zu entlassen sei. Dem ist aber nicht so. Ist eine Therapierung nicht möglich, so tritt indes der sichernde Zweck der Maßregel (vgl. § 1 Abs. 1 S. 3 MRVG NW) in den Vordergrund. Auf fehlende Heilungschancen kommt es dann nicht an (BGH NStZ 1990, 122; vgl. auch: BGH, Urt. v. 01.02.2005 – 5 StR 450/04 – juris).




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