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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 523/16 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Aus einem etwaigen Folgenbeseitigungsanspruch eines Strafgefangenen ergibt sich angesichts des Grundsatzes der Aktenvollständigkeit und Aktenklarheit grundsätzlich keine Verpflichtung der Justizvollzugsbehörde zur Löschung von Bestandteilen der Gefangenenpersonalakte.

2. Angesichts der unterschiedlichen Art des Datenträgers und dem unterschiedlichen Informationsgehalt von automatisierten Dateien und Akten kommt dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit und Aktenklarheit bei der Löschung von Daten aus automatisierten Dateien (hier: von Einträgen in dem von der Justizvollzugsanstalt zur Unterstützung von Verwaltungs- und Vollzugsaufgaben eingesetzten Computerprogramm BASIS-Web) nicht notwendig dieselbe Bedeutung zu wie bei der Löschung von Aktenbestandteilen.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Löschung von Daten und Aktenbestandteilen, Anspruch des Gefangenen

Normen: StVollzG 115; StVollzG 116; StVollzG NRW 114; DSG NRW 19StVollzG 115 Abs. 1, 116;; StVollzG NRW § 114 Abs. 6; DSG NRW § 19

Beschluss:

Strafvollzugssache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02.02.2017 beschlossen:

Dem Betroffenen wird kostenfrei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Bochum vom 08.09.2016 gewährt.

Soweit mit dem angefochtenen Beschluss der Antrag des Betroffenen zurückgewiesen worden ist, den Antragsgegner zu verpflichten, „sämtliche Vermerke und Eintragungen zu löschen, die im Zusammenhang mit den Beschlüssen des Landgerichts Bochum - StVK - vom 25.09.2014 (V StVK 70/14) und vom 27.11.2014 (V StVK 107/14) stehen“ und die im vom Antragsgegner genutzten BASIS-Web noch nicht gelöscht sind, wird die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen und der angefochtene Beschluss aufgehoben. In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bochum zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen.

Dem Betroffenen wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren bewilligt, soweit sich der Betroffene gegen die Ablehnung der Löschung der vorbezeichneten Vermerke und Einträge im BASIS-Web wendet. Der Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt N in Essen sowie auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Übrigen wird zurückgewiesen.

Gründe:
I.
Der Betroffene verbüßt derzeit zwei Freiheitsstrafen wegen sexueller Nötigung und Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln.

Der Antragsgegner hatte im Juli und September 2014 besondere Sicherungs- und Beobachtungsmaßnahmen gegenüber dem Betroffenen angeordnet, die von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum mit - in der angefochtenen Entscheidung nicht näher dargestellten - Beschlüssen vom 25.09.2014 - V StVK 70/14 - und vom 27.11.2014 - V StVK 107/14 - aufgehoben wurden. Unter Berufung auf die mit den vorgenannten Beschlüssen überdies erfolgte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnungen des Antragsgegners hat der Betroffene mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 09.11.2015 die Löschung sämtlicher diesbezüglicher Vermerke und Eintragungen in der Gefangenenpersonalakte sowie in dem in nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten zur Unterstützung von Verwaltungs- und Vollzugsaufgaben eingesetzten Computerprogramm BASIS-Web (Buchhaltungs- und Abrechnungssystem im Strafvollzug) verlangt.

Diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet zurückgewiesen, da kein Anspruch des Betroffenen auf Löschung der fraglichen Einträge bestehe. § 114 StVollzG NRW regele die Löschung von Daten nur für den Fall der Entlassung eines Gefangenen. Ein Folgenbeseitigungsanspruch sei lediglich auf die Beseitigung unmittelbarer Folgen eines rechtswidrigen Eingriffs, hier also die direkten Beeinträchtigungen der besonderen Sicherungsmaßnahmen gerichtet, nicht aber auf die Speicherung der diesbezüglichen Einträge.

Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 114 Abs. 6 StVollzG NRW i.V.m. § 19 Abs. 3 DSG NRW. Danach komme eine Löschung personenbezogener Daten in Betracht, wenn ihre Speicherung unzulässig oder ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sei. Vorliegend sei hingegen die Speicherung personenbezogener Daten zur Erfüllung der dem Antragsgegner obliegenden Aufgaben grundsätzlich zulässig und deren Kenntnis weiterhin erforderlich. Auch sei die Rechtswidrigkeit der Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen, durch deren Feststellung nicht automatisch die Erforderlichkeit der Kenntnis dieser Daten für die weiteren im Rahmen des Vollzugs anfallenden Aufgaben und Entscheidungen entfalle, dem Akteninhalt zu entnehmen. Zudem sei das Gebot der Aktenvollständigkeit zu berücksichtigen, um etwa nachvollziehen zu können, wie es zu den früheren Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer gekommen ist und mit welchen Maßnahmen der Betroffene in diesem Zusammenhang belastet wurde.

Schließlich stehe der Betroffene auch der Gefahr nicht schutzlos gegenüber, dass aufgrund der fraglichen Einträge zukünftig negative Entscheidungen getroffen würden, da die Erkenntnisse aus rechtswidrigen Anordnungen und die damit verbundenen Einträge bei weiteren Entscheidungen nicht zur Begründung herangezogen werden dürften und der Betroffene dies gegebenenfalls mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung geltend machen könne.

Gegen diesen ihm am 13.09.2016 zugestellten Beschluss richtet sich die am 04.11.2016 protokollierte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, der bereits zuvor mit einem am 21.09.2016 bei dem Landgericht Bochum eingegangenen Schreiben vom 16.09.2016 „Rechtsbeschwerde“ eingelegt und um die Vorführung bei dem insofern zuständigen Rechtspfleger gebeten hat.

Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hält die Rechtsbeschwerde mangels Zulassungsgrundes für unzulässig.

II.
Dem Betroffenen war gemäß § 120 StVollzG i. V. m. §§ 44, 45 StPO auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Bochum vom 08.09.2016 zu gewähren, da er diese Frist ohne sein Verschulden versäumt hat.

III.
1. Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages vom 09.11.2015 hinsichtlich der Löschung von Vermerken und Einträgen in der Gefangenenpersonalakte richtet, erweist sie sich schon deshalb als unzulässig, weil es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 3 StVollzG). Insbesondere ist es allgemein anerkannt, dass sich aus dem Folgenbeseitigungsanspruch eines Betroffenen angesichts des Grundsatzes der Aktenvollständigkeit und Aktenklarheit grundsätzlich keine Verpflichtung der Justizvollzugsbehörde zur Löschung von Aktenbestandteilen ergibt (vgl. Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 184 Rn. 3; Koranyi in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschn. O Rn. 153; Schmid in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 6. Aufl., § 184 Rn. 10, jew. m.w.N.). Die hierzu entwickelten Grundsätze sind von der Strafvollstreckungskammer hinsichtlich der Einträge in der Gefangenenpersonalakte auch rechtsfehlerfrei angewendet worden.

Soweit der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde erstmals eine - von einer Löschung zu unterscheidende - Sperrung (§ 114 Abs. 6 StVollzG NRW i.V.m. § 19 Abs. 2 DSG NRW) der hier maßgeblichen Daten verlangt, ist dies zuvor weder gegenüber dem Antragsgegner noch im gerichtlichen Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer geltend gemacht worden.

2. Im Übrigen, also hinsichtlich der vom Betroffenen verlangten Löschung von Vermerken und Einträgen im von Antragsgegner genutzten BASIS-Web, war die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde (§ 118 StVollzG) zuzulassen.

Über die in § 116 StVollzG ausdrücklich geregelten Zulassungsgründe hinaus ist die Rechtsbeschwerde nach allgemeiner Auffassung auch dann zuzulassen, wenn die tatsächlichen Feststellungen oder rechtlichen Erwägungen der angefochtenen Entscheidung so unzureichend sind, dass das Rechtsbeschwerdegericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG nicht überprüfen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 28.10.2014 - III-1 Vollz(Ws) 497/14 -, Beschluss vom 12.11.2013 - III-1 Vollz(Ws) 517/13-, jew. zit. n. juris; Arloth, a.a.O., § 116 Rn. 4 m. w. N.; Bachmann in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, a.a.O., Abschnitt P, § 116 Rn. 95). Um eine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, müssen die entscheidungserheblichen Tatsachen und die tragenden rechtlichen Erwägungen wiedergegeben werden. § 115 Abs. 1 S. 2 StVollzG bestimmt deshalb, dass der Sach- und Streitstand im Beschluss jedenfalls seinem wesentlichen Inhalt nach in gedrängter Form darzustellen ist. Auch die Verweisung auf bei den Akten befindliche Schriftstücke darf gemäß § 115 Abs. 1 S. 3 StVollzG lediglich wegen der Einzelheiten erfolgen, d. h. der Inhalt eines in Bezug genommenen Schriftstücks muss jedenfalls in groben Zügen im Beschluss selbst dargelegt werden.

Diesen formalen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluss nicht, soweit die Löschung von Vermerken und Einträgen im BASIS-Web abgelehnt worden ist:

Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Art des Datenträgers und dem unterschiedlichen Informationsgehalt von automatisierten Dateien und Akten kommt dem von der Strafvollstreckungskammer bezüglich der Gefangenenpersonalakte zutreffend angeführten Grundsatz der Aktenvollständigkeit und Aktenklarheit bei der Löschung von Daten aus automatisierten Dateien ersichtlich nicht notwendig dieselbe Bedeutung zu wie bei der Löschung von Aktenbestandteilen. Diese Differenzierung hat z.B. ihren Niederschlag in der Regelung § 19 Abs. 3 S. 2 DSG NRW gefunden, nach der die Löschung personenbezogener Daten gemäß § 19 Abs. 3 S. 1 DSG NRW bei einer Speicherung in Akten im Grundsatz nur dann erfolgen soll, wenn die gesamte Akte zur Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist (vgl. Schäfer/Schmitt, Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl., § 19 Rdn. 11, 22; allg. Eßer in: Auernhammer, BDSG, 4. Aufl., § 30 Rdn. 12 ff.; Gola/Schumerus, BDSG, 12. Aufl., § 20 Rdn. 7f., 25; Mallmann in: Simitis, BDSG, 8. Aufl., § 20 Rdn. 31 ff.).

Diese Unterscheidung entspricht - ausgehend von den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses - anscheinend auch der Handhabung des Antragsgegners, der nämlich nach dem unbestrittenen und durch Vorlage eines mit entsprechenden farblichen Markierungen versehenen EDV-Ausdrucks (Bl. 4 f. d.A.) hinreichend konkretisierten Vorbringen des Betroffenen in seiner Antragsschrift vom 09.11.2015 auf dessen Ersuchen verschiedene Einträge im BASIS-Web gelöscht, der Vollständigkeit der dortigen Dokumentation also gerade keine allein entscheidende Bedeutung beigemessen hat. Die bisherigen Feststellungen erlauben jedoch keine Überprüfung, ob der Antragsgegner bei der Entscheidung, andere Einträge im BASIS-Web zu belassen, so dass z.B. der Hinweis „ACHTUNG! Suicid/Selbstbeschädigungsgefahr“ vom 26.09.2014, nicht aber der Vermerk „ACHTUNG! Fluchtgefahr“ vom 30.07.2014 gelöscht worden ist, von zutreffenden Voraussetzungen ausgegangen ist. Insbesondere der konkrete Gegenstand und Inhalt der Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer vom 25.09.2014 - V StVK 70/14 - und vom 27.11.2014 - V StVK 107/14 -, die Anlass für den Löschungsantrag des Betroffenen und anscheinend auch für die vom Antragsgegner teilweise tatsächlich vorgenommenen Löschungen gewesen sind, lässt sich den - für den Senat allein maßgeblichen - Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht entnehmen. Daher vermag der Senat nicht zu entscheiden, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG gegeben sind.

III.
Da dem Senat eine hinreichende Überprüfung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich der Einträge im BASIS-Web schon mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen nicht möglich ist, war der angefochtene Beschluss insofern aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 4 S. 3 StVollzG).

IV.
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Rechtsbeschwerdeverfahren schied schon deshalb aus, da sie nicht im Sinne der §§ 120 Abs. 2 StVollzG, 121 Abs. 2 ZPO erforderlich ist. Bereits die vom Betroffenen selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Soweit sich der Betroffene gegen die Einträge in der Gefangenenpersonalakte wendet, ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren unbegründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung insofern keine Aussicht auf Erfolg hat (§§ 120 Abs. 2 StVollzG, 114 ZPO).


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