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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 527/16 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Die gerichtliche Überprüfung der auf den Verdacht einer erneuten Straftat gestützten Rückverlegung eines Strafgefangenen in den geschlossenen Vollzug erstreckt sich in tatsächlicher Hinsicht grundsätzlich allein darauf, ob die Vollzugsbehörde ihrer Entscheidung einen vollständig und zutreffend ermittelten Sachverhalt zugrunde gelegt hat.

2. Um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der Zulassungsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG zu ermöglichen, müssen jedoch in der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer die entscheidungserheblichen Tatsachen und die tragenden rechtlichen Erwägungen wiedergegeben werden. Erforderlich ist hierbei die Prüfung und Darlegung, dass sich der Tatverdacht auf ein ausreichendes Maß an konkreten und genügend belegten Tatsachen stützt, wozu neben Erkenntnissen zum Verfahrensstand auch ein Mindestmaß an Informationen über den Gegenstand des Verfahrens, nämlich den Sachverhalt im Groben, Tatzeit, Tatort und gegebenenfalls Tatfolgen gehört.


Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Verlegung, geschlossener Vollzug, Verdacht einer neuen Straftat

Normen: StVollzG 115; StVollzG NW 12

Beschluss:

Strafvollzugssache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12.01.2017 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Dortmund zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Betroffene verbüßt seit dem 27.06.2014 wegen Betruges eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Am 01.06.2016 wurde er in die Justizvollzugsanstalt D-S und von dort am 17.06.2016 in den geschlossenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt X verlegt.

Der zweiten Verlegung lag nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses Folgendes zugrunde:

„Am 16.06.2016 erschien Frau N an der Pforte der JVA, um dem Antragsteller einen Autoschlüssel zu übergeben. Bei dieser Gelegenheit teilte sie den Bediensteten der JVA mit, dass sie den Antragsteller wegen Vergewaltigung angezeigt habe. Sie schildert, dass sie den Antragsteller über Facebook kennengelernt habe, er sie, ihre Freunde und Angehörigen persönlich und per SMS bedroht habe. Sie teilte dem Antragsgegner außerdem das Geschäftszeichen der anzeigenaufnehmenden Polizeidienststelle mit.

Der Antragsgegner ließ sich von dort die Niederschriften der Vernehmung der Frau N zusenden. Sodann wurde der Antragsteller mit dem Sachverhalt konfrontiert und erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme. Er äußerte sich dahingehend, dass er die Frau N gar nicht kenne und man zwei Mal einvernehmlich Sex gehabt habe. Sodann wurde der Antragsgegner im gesicherten Bereich der JVA untergebracht.“

Mit seinem gegen die Verlegung in die Justizvollzugsanstalt X gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30.06.2016 hat der Betroffene insbesondere geltend gemacht, dass er - unzulässigerweise - allein aufgrund der vorgenannten Strafanzeige in den geschlossenen Vollzug verlegt worden sei, ohne dass der Antragsgegner, also der Leiter der Justizvollzugsanstalt D-S, Kenntnis von dem der Polizei vorliegenden Beweismaterial gehabt habe, und ohne dass er selbst zu dem diesbezüglichen Tatvorwurf angehört bzw. befragt worden sei.

Diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet zurückgewiesen.

Die gerichtliche Kontrolle einer Entscheidung über die Zurückverlegung in den geschlossenen Vollzug gemäß § 12 Abs. 4 S. 2 StVollzG NRW erfolge entsprechend der für die Überprüfung von Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätze des § 115 Abs. 5 StVollzG. Erfolge die Ablösung aus dem offenen Vollzug wegen des Verdachts einer neuen Straftat, könne das Gericht lediglich prüfen, ob die Vollzugsbehörde einen vollständigen und zutreffenden Sachverhalt ermittelt habe - weshalb die Strafvollstreckungskammer nicht zu den vom Betroffenen angeregten Ermittlungen befugt sei -, und ob die Entscheidung zumindest vertretbar sei.

Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Der Sachverhalt sei unter Hinzuziehung der - im angefochtenen Beschluss nicht näher bezeichneten - Vernehmungsschriften der Polizei, die substantiierte Angaben der Zeugin N und nach Einschätzung der Strafvollstreckungskammer „Anhaltspunkte für diverse Straftaten des Antragstellers“ enthielten, umfassend ermittelt und dem Betroffenen hierzu auch rechtliches Gehör gewährt worden. Aus den vorgenannten Tatsachen habe der Antragsgegner in vertretbarer Weise abgeleitet, dass der Betroffene nicht mehr die Gewähr dafür biete, dass er den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges gewachsen und entsprechend absprachefähig sei.

Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und eine Neubescheidung seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung beantragt, der auf eine Aufhebung der Maßnahme des Antragsgegners und dessen Verpflichtung zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Strafvollstreckungskammer gerichtet war.

Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hält die Rechtsbeschwerde mangels Zulassungsgrundes für unzulässig.

II.
Die - auch im Übrigen zulässige - Rechtsbeschwerde war zuzulassen.

Über die in § 116 StVollzG ausdrücklich geregelten Zulassungsgründe hinaus ist die Rechtsbeschwerde nach allgemeiner Auffassung auch dann zuzulassen, wenn die tatsächlichen Feststellungen oder rechtlichen Erwägungen der angefochtenen Entscheidung so unzureichend sind, dass das Rechtsbeschwerdegericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG nicht überprüfen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 28.10.2014 - III-1 Vollz(Ws) 497/14 -, Beschluss vom 12.11.2013 - III-1 Vollz(Ws) 517/13-, jew. zit. n. juris; Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 116 Rn. 4 m. w. N.; Bachmann in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschnitt P, § 116 Rn. 95). Um eine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, müssen die entscheidungserheblichen Tatsachen und die tragenden rechtlichen Erwägungen wiedergegeben werden. § 115 Abs. 1 S. 2 StVollzG bestimmt deshalb, dass der Sach- und Streitstand im Beschluss jedenfalls seinem wesentlichen Inhalt nach in gedrängter Form darzustellen ist. Auch die Verweisung auf bei den Akten befindliche Schriftstücke darf gemäß § 115 Abs. 1 S. 3 StVollzG lediglich wegen der Einzelheiten erfolgen, d. h. der Inhalt eines in Bezug genommenen Schriftstücks muss jedenfalls in groben Zügen im Beschluss selbst dargelegt werden; überdies erfordert ein Verweis im Sinne des § 115 Abs. 1 S. 3 StVollzG grundsätzlich die nach Herkunft und Datum genaue Bezeichnung der in Bezug genommenen Schriftstücke.

Diesen formalen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluss nicht.

Zwar weist die Strafvollstreckungskammer zutreffend darauf hin, dass sich die Überprüfung der auf den Verdacht einer erneuten Straftat gestützten Verlegungsentscheidung in tatsächlicher Hinsicht regelmäßig allein darauf zu erstrecken hat, ob die Behörde ihrer Entscheidung einen vollständig und zutreffend ermittelten Sachverhalt zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 09.10.2008 - 1 Vollz(Ws) 643/08 - m.w.N., juris). Erforderlich ist hierbei jedoch die Prüfung und Darlegung, dass sich der Verdacht auf ein ausreichendes Maß an konkreten und genügend belegten Tatsachen stützt, wozu neben Erkenntnissen zum Verfahrensstand auch ein Mindestmaß an Informationen über den Gegenstand des Verfahrens, nämlich den Sachverhalt im Groben, Tatzeit, Tatort und gegebenenfalls Tatfolgen gehören (vgl. KG, NStZ 2007, 224; OLG Stuttgart, NStZ 1986, 45). Vorliegend ist hingegen den - für den Senat allein maßgeblichen - Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht im Ansatz zu entnehmen, wann, wo und unter welchen Umständen der Verurteilte die ihm von der Anzeigenerstatterin vorgeworfene Vergewaltigung begangen und wann und in welcher zumindest möglicherweise strafrechtlich relevanten Form er sie und - welche? - ihrer Freunde und Angehörigen bedroht haben soll. Auch der allgemeine Hinweis darauf, dass nach Einschätzung der Strafvollstreckungskammer die von dem Antragsgegner seiner Entscheidung zugrunde gelegten polizeilichen Vernehmungsniederschriften „Anhaltspunkte für diverse Straftaten des Antragstellers“ enthielten, erlaubt dem Senat keine Überprüfung, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG gegeben sind oder ob die vorgenannten Grundsätze hinreichend Berücksichtigung gefunden haben.

III.
Da dem Senat eine hinreichende Überprüfung der angefochtenen Entscheidung schon mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen nicht möglich ist, war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 4 S. 3 StVollzG).

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass sich nach seiner Auffassung aus den protokollierten Angaben der Zeugin N im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung vom 16.06.2016 (Bl. 21 ff. d. A.) nicht ohne weiteres ergibt, inwiefern die Zeugin zu den von ihr beschriebenen beiden Sexualkontakten im Mai 2016 vom Verurteilten mit Gewalt, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer Lage, in der die Zeugin der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert war, genötigt worden ist, was gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 2 StGB in seiner bis zum 09.11.2016 geltenden Fassung Voraussetzung für das Vorliegen einer strafbaren sexuellen Nötigung bzw. einer Vergewaltigung wäre.

Im Übrigen dürfte es zumal unter Berücksichtigung des diesbezüglichen Vorbringens des Verurteilten naheliegen, eine dienstliche Äußerung der Ermittlungsbehörde zum gegenwärtigen Stand des Ermittlungsverfahrens und der Stärke des gegen den Verurteilten noch bestehenden Tatverdachts einzuholen (vgl. Senatsbeschluss vom 09.10.2008, a.a.O.; KG, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O.). Auch eine Beiziehung der Ermittlungsakten wäre der Strafvollstreckungskammer nicht verwehrt.


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