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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ws 27/17 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Gegen die Entscheidung eines Gerichts, das gem. § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellte Verfahren nicht wiederaufzunehmen, steht der Staatsanwaltschaft grundsätzlich ein Beschwerderecht zu.
2. Die Frist des § 154 Abs. 4 StPO gilt auch - zumindest in entsprechender Anwendung - wenn das Bezugsverfahren gem. § 153a StPO eingestellt worden ist.

Senat: 4

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Wiederaufnahme des Verfahrens, Ablehnung, Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft

Normen: StPO 154

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 31.03.2017 beschlossen:

1. Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Münster (32 Cs ###/##) hat den Angeklagten durch Urteil vom 30.01.2015 wegen „einer strafbaren Verletzung von Schutzvorschriften nach dem Sprengstoffgesetz“ zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30,00 Euro verurteilt. In der Hauptverhandlung über die gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Münster das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft Münster durch Beschluss vom 16.02.2016 gem. § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf die in dem Verfahren 730 Js #####/#### StA Osnabrück zu erwartende Strafe vorläufig eingestellt. Das Amtsgericht Osnabrück seinerseits hat das dort geführte Bezugsverfahren mit Beschluss vom 29.09.2016 gem. § 153a StPO endgültig eingestellt, nachdem der Angeklagte eine ihm erteilte Zahlungsauflage in Höhe von 300,00 Euro vollständig erfüllt hatte.

Unter dem 22.12.2016 hat die Staatsanwaltschaft Münster bei dem Landgericht Münster angeregt, das vorläufig eingestellte Verfahren gem. § 154 Abs. 5 StPO wieder aufzunehmen.

Das Landgericht Münster hat diesen Antrag mit Beschluss vom 28.12.2016 zurückgewiesen.

Der hiergegen unter dem 02.01.2017 eingelegten Beschwerde der Staatsanwaltschaft Münster hat das Landgericht Münster nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Münster beigetreten.

II.
Die Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Sie ist zulässig, jedoch nicht begründet.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts, das gem. § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellte Verfahren nicht wiederaufzunehmen, steht der Staatsanwaltschaft grundsätzlich ein Beschwerderecht zu.

a) Nach § 304 Abs. 1 StPO ist gegen alle von den Gerichten erlassene Beschlüsse die Beschwerde zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. § 154 Abs. 4 und § 154 Abs. 5 StPO sehen einen solchen Ausschluss der Beschwerde, anders als § 153 Abs. 2 S. 4 StPO und § 153a Abs. 2 S. 4 StPO, nicht vor.

Ein Fall des § 305 StPO liegt ebenfalls nicht vor, denn die Frage der Wiederaufnahme des Verfahrens geht der Urteilsfällung nur zeitlich, nicht aber im Sinne dieser Bestimmung vor, sondern ermöglicht erst, dass überhaupt durch ein Urteil entschieden wird (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 14.06.1996 - Ws 277/96; OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.09.2006 - 1 Ws 465/06, jeweils zitiert nach juris; Beulke, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 154 Rn. 79; Weßlau/Deiters, in: SK-StPO, 5. Aufl., § 154 Rn. 54; Rieß, NStZ 1985, 40).

b) Die Gegenansicht, die eine Anfechtungsbefugnis für die Staatsanwaltschaft gleichwohl verneint, überzeugt nicht.

Sie stützt sich in erster Linie darauf, dass die Wiederaufnahmeentscheidung eine solche sei, die nach pflichtgemäßem Ermessen von dem Gericht zu treffen sei, das zuvor das Verfahren eingestellt habe. Da das Gesetz dem entscheidenden Richter aber keinerlei Vorgaben mache, unter welchen Voraussetzungen er das Verfahren wiederaufzunehmen habe, sei es nicht möglich, dass das Beschwerdegericht sein Ermessen an dessen Stelle setze. Nur das Tatgericht vermöge sachgerecht zu beurteilen, ob die Annahme verhältnismäßiger Unwesentlichkeit in einem späteren Verfahrensstadium noch Bestand haben könne oder nicht (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 1983, 252; OLG Frankfurt, NStZ 1985, 39; OLG Stuttgart, MDR 1984, 73; Meyer-Goßner, NStZ 2007, 421).

Dieser Auffassung ist indes entgegenzuhalten, dass Ermessensentscheidungen nicht per se unanfechtbar sind. Das zeigt sich bereits daran, dass im Grundsatz das Beschwerdegericht auch bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen an die Stelle des Ausgangsgerichts tritt (vgl. §§ 308, 309 StPO) und nur in bestimmten Ausnahmefällen die Überprüfungskompetenz des Beschwerdegerichts eingeschränkt wird, aber auch hier immerhin eine Überprüfung auf Ermessensfehler stattfindet (vgl. bspw. § 453 Abs. 2 S. 2 StPO).

Soweit angeführt wird, dass das Tatgericht sicherlich über die besseren Erkenntnismöglichkeiten verfüge, berührt dies nicht die Frage der Zulässigkeit der Beschwerde, sondern allein die der Begründetheit und des Prüfungsumfangs des Beschwerdegerichts.

Der Zulässigkeit der Beschwerde steht auch nicht die durch die vorläufige Einstellung des Verfahrens geschaffene Verfahrenslage entgegen. Zwar wird der Staatsanwaltschaft durch eine Verfahrenseinstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO - anders als bei einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 1 StPO - die Möglichkeit entzogen, über das Verfahren zu verfügen. Denn die Verfügungsgewalt wird dem Gericht übertragen. Jedoch kann daraus gleichwohl nicht auf eine fehlende Anfechtungsbe-fugnis der Staatsanwaltschaft geschlossen werden. Die Staatsanwaltschaft muss schon angesichts des Legalitätsprinzips (§ 152 StPO) die Möglichkeit haben, gegen eine Entscheidung, mit der das Tatgericht den ihm eingeräumten Ermessens-spielraum missachtet, Rechtsmittel einzulegen. Letzteres wird selbst von den Vertretern der Gegenansicht für die Fälle zugestanden, in denen das Gericht trotz Freispruchs des Angeklagten in dem anderen Verfahren eine Wiederaufnahme ablehnt (vgl. nur Meyer-Goßner, NStZ 2007, 421: „mit § 154 Abs. 4 StPO schlechthin unvereinbar“).

Soweit ausgeführt wird, dass der Staatsanwaltschaft - wegen des Übergangs der Verfügungsgewalt über das Verfahren - auch kein Antragsrecht zustehe, sondern für sie lediglich die Möglichkeit eröffnet sei, die Wiederaufnahme anzuregen, beantwortet dies gerade nicht die Frage, ob der Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel zusteht, wenn ihr Ersuchen um Wiederaufnahme durch das Gericht abgelehnt wird. Denn Antrags- und Anfechtungsbefugnis sind auch in anderen in der Strafprozessordnung geregelten Bereichen nicht immer deckungsgleich. Bei einem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ist die Staatsanwaltschaft vor der Entscheidung des Gerichts lediglich zu hören, § 453 Abs. 1 S. 2 StPO. Ein Antragsrecht steht der Staatsanwaltschaft - wie auch bei der Wiederaufnahmeentscheidung nach § 154 Abs. 5 StPO - nicht zu. Gleichwohl steht der Staatsanwaltschaft gegen die Ablehnung des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung nach einhelliger Meinung ein Anfechtungsrecht zu (vgl. nur Fischer, StGB, 64. Aufl., § 56f Rn. 22 m. w. N.). Gleiches gilt im Hinblick auf eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung. Auch insoweit ist die Staatsanwaltschaft lediglich zu hören, § 454 Abs. 1 S. 2 StPO. Ein Beschwerderecht steht ihr jedoch zu, § 454 Abs. 3 StPO.

Auch lässt sich aus der fehlenden Anfechtungsbefugnis des Angeklagten (vgl. Rieß, a. a. O.; Beulke in Löwe/Rosenberg, a.a.O., § 154 Rn. 7) nicht zugleich die Unanfechtbarkeit für die Staatsanwaltschaft herleiten. Denn für den Angeklagten folgt dies daraus, dass er durch die abgelehnte Wiederaufnahme nicht beschwert ist. Für die Staatsanwaltschaft gilt dies gerade nicht (Rieß, a.a.O.).

Des Weiteren lässt sich die Unzulässigkeit einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft auch nicht aus einem Abgleich zwischen § 154 Abs. 2 StPO sowie § 154 Abs. 4 StPO herleiten. Zwar steht der Staatsanwaltschaft gegen einen Beschluss nach § 154 Abs. 2 StPO kein Beschwerderecht zu, obwohl ihr insoweit sogar ein Antragsrecht zukommt. Aus der fehlenden Antragsbefugnis in § 154 Abs. 4 StPO kann im Umkehrschluss gleichwohl nicht gefolgert werden, der Staatsanwaltschaft stünde im Fall der abgelehnten Wiederaufnahme dann gleichsam erst recht kein Beschwerderecht zu (so aber Meyer-Goßner, a. a. O.). Denn im Fall einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO muss die Staatsanwaltschaft durch eine entsprechende Antragstellung zwangsläufig mitwirken. Es fehlt damit an einer Beschwer der Staatsanwaltschaft, wenn das Gericht dem zuvor durch sie gestellten Antrag entspricht und das Verfahren vorläufig einstellt. Lehnt das Gericht die beantragte Verfahrenseinstellung ab, wird das Verfahren fortgeführt und beschwert die Staats-anwaltschaft ebenfalls nicht. Dass der Staatsanwaltschaft gegen Entscheidungen des Gerichts nach § 154 Abs. 2 StPO kein Beschwerderecht zusteht, ist damit nur folgerichtig. Diese prozessuale Situation lässt sich aber mit der einer ablehnenden Entscheidung nach § 154 Abs. 4 StPO – wie bereits ausgeführt – nicht vergleichen. Hier ist die Staatsanwaltschaft beschwert.

Schließlich spricht auch das Vorhandensein der Dreimonatsfrist des § 154 Abs. 4 StPO nicht gegen die Zulässigkeit einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Innerhalb dieser Frist ist es durchaus möglich, eine zunächst ablehnende Ausgangs-entscheidung im Beschwerdeverfahren anzufechten und hiernach eine neue Entscheidung des Tatgerichts (unter Berücksichtigung der Vorgaben des Beschwerdegerichts) herbeizuführen.

2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Vorliegend kann dahinstehen, ob bei einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO im Bezugsverfahren – vergleichbar dem Fall eines dortigen Freispruchs – eine die Wiederaufnahme ablehnende Entscheidung von vornherein mit § 154 Abs. 4 StPO „schlechthin unvereinbar“ (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.) ist.

Denn im vorliegenden Fall ist die Dreimonatsfrist des § 154 Abs. 4 StPO nicht gewahrt worden.

Die Frist des § 154 Abs. 4 StPO gilt auch - zumindest in entsprechender Anwendung -, wenn das Bezugsverfahren gem. § 153a StPO endgültig durch Beschluss eingestellt worden ist. Sofern der Angeklagte die ihm auferlegte Auflage erfüllt, entsteht ein endgültiges Verfahrenshindernis. Bei der Dreimonatsfrist des § 154 Abs. 4 StPO handelt es sich insoweit um eine Ausschlussfrist zugunsten des Angeklagten. Sie beginnt mit dem rechtskräftigen Abschluss des anderen Verfahrens, gleichviel, ob dieser in Verurteilung, Freispruch oder in Einstellung - durch Urteil oder durch Beschluss - besteht (vgl. etwa Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 154 Rn. 23). Das Gesetz sieht vor, dass die Entscheidung über das endgültige Schicksal des vorläufig eingestellten Verfahrens nicht endlos hinausgezogen wird, sondern im Interesse sowohl des Angeklagten als auch einer geordneten und beschleunigten Rechtspflege getroffen wird, sobald sich zuverlässig beurteilen lässt, ob die Annahme begründet war, die in dem vorläufig eingestellten Verfahren zu erwartende Strafe werde gegenüber der Sanktion, die dem Täter wegen anderer Straftaten bevorstehe, nicht ins Gewicht fallen. Das ist spätestens in dem Zeitpunkt der Fall, in dem das Verfahren wegen der anderen Straftat zum Abschluss gebracht ist. Es würde dem Zweck des Gesetzes widersprechen, zwischen der Erledigung durch Urteil und der Erledigung durch Beschluss zu unterscheiden (vgl. bereits RGSt 73, 308, 309).

Hiernach begann die Dreimonatsfrist des § 154 Abs. 4 StPO mit der endgültigen Einstellung des Bezugsverfahrens (730 Js #####/#### StA Osnabrück) durch Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück am 29.09.2016 zu laufen und ist folglich am 29.12.2016 abgelaufen. Zu diesem Zeitpunkt lag keine die Wiederaufnahme des Verfahrens anordnende Entscheidung des Landgerichts vor. Soweit das Ober-landesgericht Oldenburg (a.a.O.) in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, der Zeitraum zwischen dem Erlass des angefochtenen Beschlusses und der Beschwer-deentscheidung sei bei der Fristberechnung nicht zu berücksichtigen, findet diese Argumentation im Gesetz keine Grundlage.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 2 StPO.


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