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Entscheidungen

OWi

Sachverständigengutachten, Urteilsanforderungen

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 27.08.2010 - 3 Ws (B) 434/10 - 2 Ss 231/10

Fundstellen:

Leitsatz: Hat das Tatgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt und seine Überzeugungsbildung hierauf gestützt, so muss es die Ausführungen des Sachverständigen in einer – gegebenenfalls gestrafften- zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus ge-zogenen Schlussfolgerung insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedank-lichen Schlüssigkeit erforderlich ist, um dem Rechtsbeschwer-degericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
3 Ws (B) 434/10 - 2 Ss 231/10
297 OWi 1191/09


In der Bußgeldsache gegen

x


wegen Verkehrsordnungswidrigkeit


hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts in Berlin am 27. August 2010 beschlossen:

Auf den Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts wird der Beschluss des Amtsge-richts Tiergarten in Berlin vom 5. Juli 2010 aufgehoben.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 30. April 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amts-gericht zurückverwiesen.



G r ü n d e :

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 24a Abs. 2 und Abs. 3 StVO (zutreffend: StVG) zu einer Geldbuße von 500,00 Euro verurteilt und nach § 25 (Abs. 1) StVG ein Fahrverbot von einem Monat gegen ihn verhängt. Die am 28. Juni 2010 bei Gericht eingegangene Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das ihm am 26. Mai 2010 zugestellte Urteil hat das Amtsgericht als unzulässig verwor-fen. Sowohl der hiergegen gerichtete Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, als auch die Rechtsbeschwerde, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, haben Erfolg.

1. Zu Unrecht hat das Amtsgericht die Rechtsbeschwerde als un-zulässig verworfen. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig erhoben. Insbesondere sind die Rechtsbeschwerdeanträge und deren Be-gründung fristgerecht angebracht worden. Gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 345 Abs. 1 S.1 StPO beträgt die Rechtsbeschwerdebegrün-dungsfrist einen Monat. Die Frist begann gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 345 Abs. 1 S. 2 StPO mit der Zustellung des schriftlichen Urteils am 26. Mai 2010 zu laufen. Da das rechnerische Fristende (26. Juni 2010) auf einen Samstag fiel, endete die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist gemäß § 43 Abs. 2 StPO mit dem Ablauf des 28. Juni 2010. Durch den Eingang der formgerechten Rechtsbeschwerdebegründungsschrift an diesem Tage sind die gesetzliche Frist und die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen gewahrt. Der Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten war daher aufzuheben.

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Zwar hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Betroffene am 20. Juli 2009 um 14.27 Uhr mit seinem Lkw mit Anhänger VW, amtliches Kennzeichen XXXXXX, in 13597 Berlin, Charlottenburger Chaussee, am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl er unter der Wirkung von Cannabis (1,5 ng/ml Tetrahydrocannabinol zum Zeitpunkt der Blutentnahme um 15.55 Uhr) stand, jedoch hält die der Annahme fahrlässigen Handelns zugrunde liegende Beweiswürdigung rechtlicher Nach-prüfung nicht stand, weil sie lückenhaft ist und dadurch dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Überprüfung nicht ermöglicht.
Zwar ist die Würdigung der Beweise grundsätzlich Sache des Tatrichters, jedoch hat das Rechtsbeschwerdegericht auf die Sachrüge zu prüfen, ob dem Tatrichter hierbei Rechtsfehler un-terlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung unter anderem dann, wenn sie lückenhaft ist und deshalb nicht erken-nen lässt, dass sie auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht ge-zogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen - wenn auch möglicherweise schwerwiegenden - Verdacht zu begründen vermag (vgl. Senat DAR 2005, 634; KG, Beschluss vom 18. Dezember 1996 - (4) 1 Ss 199/96 (129/96) - m.w.N.; Senat, Beschluss vom 12. August 2010 - 3 Ws (B) 395/10- ).
Hat das Tatgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt und seine Überzeugungsbildung hierauf gestützt, so muss es die Ausführungen des Sachverständigen in einer – gegebenenfalls gestrafften- zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus ge-zogenen Schlussfolgerung insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedank-lichen Schlüssigkeit erforderlich ist, um dem Rechtsbeschwer-degericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH; Urteil vom 27. Oktober 1999 -3 StR 241/99- juris, Rn. 2; Senat, Beschluss vom 8. Juni 2010 - 3 Ws (B) 124/10-). Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich danach, ob es sich um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt, sowie nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGH NStZ 2000, 106, 107).
Eine im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte Darstellung kann nur in Ausnahmefällen ausreichen, wenn sich das Gutachten auf eine allgemein aner-kannte und standardisierte Untersuchungsmethode gründet und von keiner Seite Einwände gegen die Zuverlässigkeit der Begut-achtung erhoben werden (vgl. BGH NStZ 1991, 596; 1993, 95; 2006, 296; Senat, VRS 111, 449, 451). In anderen Fällen sind neben den wesentlichen tatsächlichen Grundlagen (Anknüpfungs-tatsachen) und den sich daraus vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen (Befundtatsachen) vor allem auch die das Gutachten tragenden fachlichen Begründungen anzuführen (vgl. BGHSt 39, 291, 296; OLG Köln DAR 2005, 699; Göhler, OWiG, 15. Auflage, § 71 Rn. 43 d m.w.N.).
Dies gilt in besonderem Maße, wenn die zur Ermittlung von Be-fundtatsachen zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden wissenschaftlich in Zweifel gezogen oder als wenig zuverlässig betrachtet werden. Will das Tatgericht –wie hier- seine Über-zeugung vom Zeitpunkt des Cannabiskonsums eines Verkehrsteil-nehmers auf ein Sachverständigengutachten stützen, so hat es zu berücksichtigen, dass beachtliche Zweifel angebracht sind, ob nach gegenwärtigem Stand der Wissenschaft überhaupt eine zuverlässige Methode der Rückrechnung existiert, die es er-laubt, den Konsumzeitpunkt oder eine bestimmte THC-Konzentration im Blutserum für einen bestimmten in der Vergan-genheit liegenden Zeitpunkt zu bestimmen (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Januar 2010 – 3 Ws (B) 667/09- unter Darstellung des aktuellen Standes der Wissenschaft; König, in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Auflage, § 316 Rn. 152; Berr/Krause/Sachs, a.a.O. Rn. 547 ff m.w.N.; Krause HRRS 2005, 138, 149 ff m.w.N.; Daldrup/Meininger, Begutachtung unter Cannabis im Strafverfahren, 202). Den Urteilsgründen muss in diesen Fällen nachvollziehbar zu entnehmen sein, welche konkrete Methode der Sachverständige zur Bestimmung des Konsumzeitpunktes angewandt hat und inwieweit gegen die Feststellungsmethode erhobene wissenschaftliche Einwände durch den Sachverständigen entkräftet wurden.
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht ge-recht.
Soweit das Amtsgericht seine Überzeugung vom Gelegenheitskonsum des Betroffenen auf die Angaben des Sachverständigen stützt, die drei beim Betroffenen festgestellten Werte (Tetrahydrocannabinol, THC-Karbonsäure und 11-Hydroxy-THC) seien in Höhe und Relation zueinander geradezu typisch für ei-nen Gelegenheitskonsumenten, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, welche wissenschaftlich erhobenen Vergleichs-werte der Annahme einer typischen Wertekonstellation zugrunde liegen. Weiterhin ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, auf welcher konkreten Berechnungsmethode die vom Amtsgericht geteilte Annahme des Sachverständigen beruht, dass hier nach spätestens sieben Stunden mit einem Unterschreiten der THC-Grenze von 1,0 ng/ml zu rechnen gewesen wäre.
Ob der Sachverständige wissenschaftliche Einwendungen gegen die Zuverlässigkeit einer Rückrechnung bei Cannabiskonsum in seine Überlegungen einbezogen hat und wie er bestehende wis-senschaftliche Bedenken zu zerstreuen vermochte, stellt das Urteil ebenfalls nicht dar.
Auf diesen Darstellungsmängeln beruht das Urteil im Sinne der §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 337 StPO, weil das Amtsgericht seine Überzeugung von einem fahrlässigen Handeln des Angeklagten in Ermangelung weiterer tragfähiger Indizien im Wesentlichen auf die zeitliche Nähe des Cannabiskonsums zur Teilnahme am Stra-ßenverkehr gestützt hat.

3. Danach war das angefochtene Urteil nach § 79 Abs. 6 OWiG aufzuheben.
Gleichwohl kam eine Freisprechung des Betroffenen durch das Rechtsbeschwerdegericht gemäß §§ 79 Abs. 6 OWiG, 354 Abs.1 StPO nicht in Betracht, weil hierfür auszuschließen sein muss, dass eine erneute Hauptverhandlung noch Aufschlüsse zu erbringen vermag (Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage, § 354, Rn. 3 m.w.N.).
Dies setzt in den vorliegenden Konstellationen voraus, dass die im Urteil dargestellten Ausführungen des Sachverständigen den unmittelbaren Rückschluss zulassen, dass nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft durch ein erneutes Sachver-ständigengutachten keine verurteilungstragenden Feststellungen zu treffen sein werden. Angesichts der sich ständig wandelnden und aktualisierenden wissenschaftlichen Erkenntnisse muss aus-zuschließen sein, dass die dem Urteil zugrunde liegenden Sach-verständigenausführungen wissenschaftliche Neuerungen oder sonst beachtliche Änderungen in der Methodik enthalten, die in einem erneuten Sachverständigengutachten ebenfalls Berücksich-tigung finden könnten. Dies kann hier anhand der insoweit lü-ckenhaften Urteilsgründe nicht festgestellt werden.
Die Sache war daher an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

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