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Entscheidungen

StPO

Rechtsmittelrücknahme, Teilrücknahme, Wirksamkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.10.2010 - 2 Ss 618/10

Fundstellen:

Leitsatz: Für die Wirksamkeit einer nachträglichen Berufungsbeschränkung bedarf es einer ausdrücklichen Ermächtigung des Verteidigers.


In pp.
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Heilbronn vom 28. April 2010 mit den zugrundeliegenden Feststellungen a u f g e h o b e n.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Heilbronn z u r ü c k v e r w i e s e n.
G r ü n d e :
I.
Der Angeklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 25. Januar 2010 der Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung schuldig gesprochen und hierwegen zu der Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Strafaussetzung wurde versagt. Gegen dieses Urteil hat der Wahlverteidiger des Angeklagten am 29. Januar 2010 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 02. März 2010, bei dem Landgericht eingegangen am 04. März 2010, beschränkte er die Berufung namens des Angeklagten auf das Strafmaß. In der Folge wurde ein Antrag des Verteidigers auf Bestellung abgelehnt. In der Berufungshauptverhandlung am 28. April 2010 erschien der Angeklagte ohne Verteidiger.
Das Landgericht hielt die Beschränkung des Rechtsmittels für wirksam und verwarf es als unbegründet.
Mit seiner Revision, die er zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet hat, erhebt der Angeklagte die Sachrüge und wendet sich dagegen, dass nur „Teilberufung“ eingelegt worden sei, obwohl dies nicht seinem Willen entsprochen habe. Bereits mit einem Schreiben vom 3. Mai 2010 hatte er vorgebracht, dass der Verteidiger die Beschränkung der Berufung „über seinen Kopf hinweg“ erklärt habe. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige Revision ist begründet (§ 349 Abs. 4 StPO).
Auf die zulässig erhobene Sachrüge hat der Senat von Amts wegen zu prüfen, ob das Berufungsgericht über alle Bestandteile des ersten Urteils entschieden hat, die von der Berufung erfasst wurden. Vorliegend hat die Kammer zu Unrecht eine wirksame Berufungsbeschränkung auf den Strafausspruch angenommen. Es fehlt für die Wirksamkeit der nachträglichen Berufungsbeschränkung an der ausdrücklichen Ermächtigung des Verteidigers im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO.
1.
Ob und wann in der späteren Beschränkung eines zunächst unbeschränkt eingelegten Rechtsmittels eine Teilrücknahme im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO zu sehen ist, wird unterschiedlich beantwortet.
(1)
Der Bundesgerichtshof judiziert für das Rechtsmittel der Revision seit 1991 in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung, dass nach unbeschränkter Revisionseinlegung die Beschränkung des Rechtsmittels im Rahmen der Revisionsbegründung nach § 344 StPO keine Teilrücknahme sei. Vielmehr werde damit lediglich der Umfang der Anfechtung konkretisiert und erstmalig der Wille bekundet, inwieweit eine Anfechtung des Urteils erfolgen solle (BGHSt 38, 7; BGH NStZ 1992, 126). Ein Teil der Literatur folgert hieraus verallgemeinernd, dass in der späteren Beschränkung eines zunächst unbeschränkt eingelegten Rechtsmittels grundsätzlich keine Teilrücknahme, sondern eine Konkretisierung des Umfanges desselben zu sehen sei (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 302 RN 29; KK-Paul, StPO, 6. Aufl., § 302 RN 20a; offen gelassen von OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 1997, 45), ohne nach Art des Rechtsmittels zu differenzieren.
(2)
Auf den Bereich der Berufung übertragen Teile der Literatur und der ober-gerichtlichen Rechtsprechung diese Judikatur des Bundesgerichtshofes dergestalt, dass an die Stelle der Revisionsbegründungsfrist die der Berufungsbegründungsfrist nach § 317 StPO tritt, so dass nur Beschränkungen, die nach Ablauf dieser Frist erklärt werden, als Teilrücknahme im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO zu betrachten seien, die einer besonderen Ermächtigung bedürften (OLG Koblenz NStZ-RR 2001, 247; KK-Paul, § 318 RN 3; Graf, StPO, § 318 RN 6; KMR, StPO, § 318 RN 7).
(3)
Der Senat ist der Auffassung, dass die spätere Beschränkung einer zunächst unbeschränkt eingelegten Berufung eine Teilrücknahme im Sinne des § 302 Abs. 1 StPO ist; der Verteidiger benötigt hierfür - auch während des Laufs der Berufungsbegründungsfrist - eine ausdrückliche Ermächtigung im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO.
(a)
Das Erfordernis der ausdrücklichen Ermächtigung trägt dem Gewicht der Erklärung Rechnung und bezweckt ebenso Rechtsklarheit wie den Schutz des Angeklagten vor den Folgen einer etwa unerwünschten Rücknahme. Dieser die Auslegung und Anwendung der Vorschrift tragende Grundgedanke trifft nicht nur auf die Rücknahme überhaupt, sondern auch auf die Teilrücknahme zu (SK-Frisch, StPO, § 302 RN 67 m. w. N.). Mit der Einlegung der Berufung alleine erlangt der Angeklagte bereits eine ihm günstige Rechtsposition: Ohne jede weitere Begründung, insbesondere ohne die Benennung seines Angriffszieles hat er aufgrund dieser Erklärung Anspruch auf eine weitere Tatsacheninstanz. Die Teilrücknahme nimmt dem Angeklagten mithin eine bereits uneingeschränkt erlangte Rechtsposition und führt im Umfang der Rücknahmeerklärung zu einem Verlust seines Rechtsmittels (BGHR StPO § 302 Abs. 1 Rücknahme 2; BGH NStZ 1995, 356).
Zu solch weitreichenden, die Rechtsposition des Angeklagten verschlechternden Prozesserklärungen soll der Verteidiger nach dem Willen des Gesetzgebers deshalb alleine durch die allgemeine Prozessvollmacht nicht befugt sein (BGH NStZ 2000, 665; Graf, § 302 RN 25; insoweit abweichend OLG Koblenz, a.a.O.). Vielmehr ist eine Ermächtigung erforderlich, die sich auf die Rücknahme des bestimmten, eingelegten Rechtsmittels bezieht (BGH a.a.O.; KK-Paul, § 302 RN 22). Nur hierdurch ist der Angeklagte wirksam vor überraschenden Rechtsmittelerklärungen geschützt.
(b)
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Beschränkung der Revision innerhalb der Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen. Sie lässt sich schon aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung und Zielrichtung der beiden Rechtsmittel Berufung und Revision nicht auf die Beschränkung der Berufung übertragen.
Das Rechtsmittel der Revision ist zweiaktig ausgestaltet: Mit der Erklärung der Revisionseinlegung muss sich der Angeklagte zunächst entscheiden, ob er gegen das Urteil überhaupt vorgehen will oder nicht. Eine Aussage, in welchem Umfang eine Überprüfung des Urteils erstrebt wird, enthält diese Erklärung noch nicht, sie führt lediglich zu einer Hemmung des Eintritts der Rechtskraft des Urteils, § 343 StPO. Erst mit der Revisionsbegründung nach § 344 Abs. 1 StPO, in der der Angeklagte erklären muss, in welchem Umfang er das Urteil mit seiner Revision angreifen will, wird der Umfang des Rechtsmittels bindend festgestellt (BGHSt 38, 4). Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung ist dabei alleine die rechtliche Überprüfung des schriftlich abgefassten Urteils, sie dient nur der Kontrolle, ob „das Recht" auf den vom Tatrichter festgestellten Sachverhalt zutreffend angewendet worden ist. Um zu gewährleisten, dass der Inhalt der Begründung von sachkundiger Seite stammt und daher gesetzmäßig und sachgerecht ist (Meyer-Goßner, § 345 RN 10 m. w. N.), kann diese Begründung formwirksam nur durch einen Rechtsanwalt oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen, § 345 Abs. 2 StPO. Erst diese Erklärung bindet den Angeklagten, erst jetzt erlangt er eine Rechtsposition, die durch eine (Teil-)Rücknahme wieder preisgegeben werden kann.
Demgegenüber gibt das Rechtsmittel der Berufung dem Angeklagten bereits mit der Einlegungserklärung nach § 314 StPO eine Rechtsposition in Form eines Anspruchs auf eine neue Tatsacheninstanz, in welcher aufgrund einer neuerlichen Beweisaufnahme zu einer neuen Entscheidung gefunden wird. Der Angeklagte kann sein Rechtsmittel begründen, ist hierzu aber - anders als bei der Revision - formal nicht gezwungen, § 317 StPO. Anders als die Revisionsbegründungsfrist ist die Berufungsbegründungsfrist nämlich keine Ausschlussfrist für das Angriffsvorbringen des Berufungsführers, vielmehr soll sie allein dazu dienen, dass die Verfahrensbeteiligten vorläufig über Ziel und Umfang des Rechtsmittels informiert werden, wozu der Berufungsführer aber nicht verpflichtet ist (Meyer-Goßner, § 317 RN 1; KK-Paul, § 317 RN 2; LR-Gössel, StPO, 25. Aufl., § 317 RN 2, 5). Die Überschreitung der Frist des § 317 StPO ist mithin bedeutungslos (KK-Paul, § 317 RN 4; Graf, § 317 RN 4; OLG Dresden 1 Ws 115/97, zitiert nach 9. Die von Teilen der Rechtsprechung und Literatur vorgenommene Verknüpfung des Begriffs der „nachträglichen“ Beschränkung der Berufung mit dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist (OLG Koblenz a.a.O.; Graf a.a.O.; LR-Hilger, StPO, 26. Aufl, § 473 RN 37) überzeugt deshalb nicht. Soweit dem Senat ersichtlich misst die Praxis der Berufungsbegründungsfrist auch ansonsten keine Bedeutung bei.
(c)
Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass ein Angeklagter seine Berufung innerhalb der Revisionsbegründungsfrist noch als Revision bezeichnen kann und das Rechtsmittel sodann a priori als solche zu behandeln ist (BGHSt 40, 395; Meyer-Goßner, § 335 RN 6). Denn solange das Rechtsmittel als Berufung bezeichnet ist, gilt der geäußerte Wille des Angeklagten und eröffnet ihm ohne weiteres Zutun das Recht auf eine neue Verhandlung und Entscheidung. Ob ein zulässiger Übergang zur Revision innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als Teilrücknahme im Sinne des § 302 StPO zu behandeln ist, braucht der Senat vorliegend nicht zu entscheiden. Hierfür spricht indes, dass die Revision das weniger umfassende Rechtsmittel ist und der Angeklagte mit dieser Erklärung mithin eine durch die Berufungseinlegung bereits erlangte Rechtsposition (teilweise) preisgibt.
2.
Die somit erforderliche ausdrückliche Ermächtigung des Angeklagten liegt nicht vor. Eines Nachweises der Ermächtigung bedarf es dann, wenn - wie hier - die Wirksamkeit der vorgenommenen Prozesshandlung bestritten wird.Der Verteidiger hat hierzu auf Anfrage des Senats im Wesentlichen folgende Stellungnahme abgegeben:
„Angesichts der von der Verteidigung in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung selbst vorgeschlagenen Bestrafung habe ich dem Mandanten natürlich zur Berufungsbeschränkung geraten. Was der Mandant hierzu meinte, weiß ich heute im einzelnen nicht mehr. Ganz sicher kann ich aber sagen, dass ich jedenfalls den Schriftsatz vom 02.03.2010 mit der Berufungsbeschränkung nicht entgegen dem ausdrücklichen Willen des Angeklagten entworfen und [dem Sozius] zur Unterschrift vorgelegt habe. Zusammenfassend könnte man sagen: Der Angeklagte hat die Berufungsbeschränkung zwar nicht verlangt, war mit ihr aber unter der Bedingung einverstanden, dass die Verteidigung dazu dringend raten würde.“
Die Ermächtigung bedarf einer wirksamen, ausdrücklichen Beauftragung des Verteidigers durch den Mandanten, der zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung in der Lage sein muss, Bedeutung und Tragweite seiner ermächtigenden Erklärung zu erfassen. Der Senat verkennt nicht, dass die Anforderungen an die „ausdrückliche“ Ermächtigung in Rechtsprechung und Literatur nicht streng sind: Zwar muss sie bei Abgabe der Rücknahmeerklärung vorliegen, indes bedarf es keiner Schriftform, auch kann sie erst später nachgewiesen werden (BGH NStZ-RR 2010, 55; KK-Paul, § 302 RN 22). In der Hauptverhandlung soll nach Erklärung der Rücknahme durch den Verteidiger schon ein bloßes Nicken des Angeklagten oder auch fehlender Widerspruch gegen die abgegebene Erklärung ausreichend sein (Meyer-Goßner, § 302 RN 29 m. w. N.; KK-Paul, § 302 RN 22 m. w. N.; kritisch SK-Frisch, § 302 RN 71). Unverzichtbar ist indes stets, dass der Angeklagte seinen Willen selbst in irgendeiner Form zum Ausdruck bringt; über seinen Kopf hinweg wird nicht entschieden. Auch für die Erklärung außerhalb der Hauptverhandlung bedarf es eines Verhaltens des Angeklagten, das als Ermächtigung ausgelegt werden kann. Aus einem reinen Schweigen des Angeklagten auf einen Vorschlag des Verteidigers zur Teilrücknahme kann nicht auf eine ausdrückliche Ermächtigung geschlossen werden (OLG Oldenburg StraFo 2010, 347; SK-Frisch, § 302 RN 69). Es reicht nicht, wenn die Erklärung "„jedenfalls nicht entgegen dem ausdrücklichen Willen des Angeklagten“" abgegeben wird, wie aus der Erklärung des Verteidigers vom 18. Oktober 2010 hervorgeht. Zweifel an der erteilten Ermächtigung und damit an der Wirksamkeit der Prozesserklärung wirken zugunsten des Angeklagten (BGH NStZ 2008, 646; KK-Paul, § 302 RN 11; LR-Hanack, StPO, 25. Aufl., § 302 RN 75).Ausweislich des Sitzungsprotokolles ist die Berufungsbeschränkung auch nicht in der Berufungshauptverhandlung erklärt worden. Es wurde lediglich das Vorliegen der Beschränkung aufgrund des genannten Verteidigerschriftsatzes festgestellt, ohne dass die Nachholung einer billigenden Erklärung des Angeklagten protokolliert wurde (vgl. Bl. 110 d.A.).Nach alledem ist die Berufung des Angeklagten nicht wirksam beschränkt worden. Das Landgericht war deshalb gehalten, auch zur Schuldfrage Feststellungen zu treffen. Da es dies unter Verkennung der Unwirksamkeit der Beschränkungserklärung unterlassen hat, kann das Urteil keinen Bestand haben.
3.
Obschon der Senat der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Koblenz in seiner Entscheidung vom 8. Februar 2000 (NStZ-RR 2001, 247) nicht folgt, ist eine Divergenzvorlage nach § 121 Abs. 2 GVG nicht veranlasst, da die betreffende Divergenz nicht entscheidungserheblich ist. Auch bei Anschluss an die genannte Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Koblenz wäre der Senat zu demselben Ergebnis in der Sache gekommen, da die Berufungsbeschränkung vorliegend nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erklärt wurde.


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