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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger,Auswahlkriterium, Ortsnähe

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 21.09.2010 - 2 Ws 594/10

Fundstellen:

Leitsatz: Die Ortsnähe des Verteidigers gehört nach wie vor zu den Gesichtspunkten, die das Gericht bei der Auswahl eines Pflichtverteidigers zu berücksichtigen hat. Fehlt ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und dem weit entfernt ansässigen Verteidiger, ist es nicht gerechtfertigt, die Staatskasse mit den sich dadurch ergebenden Mehrkosten zu belasten.


OLG Köln, Beschl. v. 21.09.2010 - 2 Ws 594/10
Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.
Gründe
I.
Gegen den Angeschuldigten, der am 30.5.2010 vorläufig festgenommen worden ist und sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts L. vom 31.5.2010 seit diesem Tag in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt K. befindet, hat die Staatsanwaltschaft K. unter dem 22.7.2010 Anklage wegen des Vorwurfs des versuchten Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung erhoben.
Im Termin zur Verkündung des Haftbefehls ist dem Angeschuldigten Gelegenheit gegeben worden, binnen 3 Tagen einen Verteidiger zu benennen, der ihm als Pflichtverteidiger beigeordnet werden solle. Mit Schriftsatz vom 8.6.2010, der per Fax um 15.35 Uhr bei der Staatsanwaltschaft eingegangen ist, hat Rechtsanwalt K. unter Vorlage einer Vollmacht des Angeschuldigten vom 4.6.2010 um Akteneinsicht nachgesucht. Mit Beschluss des Amtsgerichts L. vom 9.6.2010 ist dem Angeschuldigten Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Unter dem 22.6.2010 hat Rechtsanwalt K. seine Beiordnung und die Entpflichtung von Rechtsanwalt S. beantragt. Er habe am 21.6.2010 mit dem Angeschuldigten in der Justizvollzugsanstalt ein 90-minütiges Gespräch in russischer Sprache geführt; es bestehe nunmehr auch ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Mandanten. Rechtsanwalt S. sei mit der Entpflichtung einverstanden. Mit Beschluss vom 5.7.2010 hat das Amtsgericht L. den Antrag auf Entpflichtung von Rechtsanwalt S. und Beiordnung von Rechtsanwalt K. zurückgewiesen. Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde vom 20.7.2010, mit der Rechtsanwalt K. auf die Geltendmachung der Grundgebühr verzichtet hat, hat die nach Anklageerhebung zuständig gewordenen 11. große Hilfsstrafkammer des Landgerichts K. in einen neuen Antrag an das erstinstanzliche Gericht umgedeutet und durch Beschluss vom 18.8.2010 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat Rechtsanwalt K. mit Schriftsatz vom 30.8.2010 erneut Beschwerde eingelegt, der das Landgericht mit Beschluss vom 1.9.2010 nicht abgeholfen hat. Mit Schriftsätzen vom 3.9.2010, 4.9.2010 und 7.9.2010 hat er das Rechtsmittel weiter begründet. Zwischenzeitlich hatte Rechtsanwalt G. unter dem 22.6.2010 unter Vorlage einer undatierten Vollmacht des Angeschuldigten Akteneinsicht beantragt. Er hat das Mandat mit Schriftsatz vom 27.8.2010 niedergelegt.
II.
1.
Die Beschwerde ist nach § 304 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Der Senat geht davon aus, dass Rechtsanwalt K. die Beschwerde nicht - unzulässigerweise - in eigenem Namen, sondern im Namen des Verurteilten eingelegt hat. Zwar ist die Einlegung des Rechtsmittels nicht ausdrücklich in dessen Namen erfolgt. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Verteidiger entsprechend seiner Befugnis gemäß § 297 StPO Rechtsmittel für den Beschuldigten einlegt, sofern nicht gegenteilige Anhaltspunkte bestehen (SenE vom 25.5.2009 – 2 Ws 257/09 –; OLG Hamm NJW 2006, 2712).
2.
Die Beschwerde ist aber in der Sache unbegründet.
a.
Das Amtsgericht hat bei der Auswahl von Rechtsanwalt S. zum Pflichtverteidiger nicht das ihm zustehende Auswahlermessen verletzt. Das gilt auch, wenn man unterstellt, dass dem Amtsgericht zu diesem Zeitpunkt bereits die Bevollmächtigung von Rechtsanwalt K. durch den Angeschuldigten bekannt gewesen wäre. Das Gericht, das über die Bestellung eines Pflichtverteidigers zu entscheiden hat, hat sowohl in dem Fall der eigenen Auswahl als auch im Falle der Benennung eines Verteidigers durch den Beschuldigten eine Reihe von Gesichtspunkten zu berücksichtigen, zu denen auch die Ortsnähe des Verteidigers gehört. Durch die Streichung von § 142 S. 1 StPO a.F. („Der zu bestellende Verteidiger wird durch den Vorsitzenden des Gerichts möglichst aus der Zahl der bei einem Gericht des Gerichtsbezirks zugelassenen Rechtsanwälte ausgewählt.“) in § 142 Abs. 1 StPO i.d.F. des Gesetzes vom 29.7.2009 sollte nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass dem Gesichtspunkt der Ortsnähe des Verteidigers keine Bedeutung mehr zukommt, sondern es sollte eine Überbetonung dieses einzelnen Kriteriums durch die Benennung im Gesetz vermieden werden, da weitere ebenso gewichtige Umstände wie ein besonderes Vertrauensverhältnis zu dem Beschuldigten bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind (vgl. BT-Drucksache 16/12098 S. 20, 21). Ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt K. und dem Angeschuldigten bestand zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Amtsgericht aber nicht. Der Angeschuldigte kannte Rechtsanwalt K. nicht. Dieser hatte sich vielmehr seinerseits an den Angeschuldigten gewandt, nachdem er über Dritte von dem Vorfall erfahren hatte, und ihm ein Vollmachtsformular zugeschickt. Dieses hatte der Angeschuldigte an den Verteidiger zurückgeschickt. Dem Gericht hat er davon keine Mitteilung gemacht. Es kann dahingestellt bleiben, ob er überhaupt zu diesem Zeitpunkt Rechtsanwalt K. als ihm beizuordnenden Verteidiger wählen wollte. Zweifel ergeben sich schon daraus, dass er auch Rechtsanwalt G. eine Vollmacht erteilt hat. Jedenfalls fehlt unter diesem Umständen ein sachlicher Grund dafür, dem Angeschuldigten einen weit entfernt ansässigen Verteidiger beizuordnen und die Staatskasse dadurch mit erheblichen Mehrkosten zu belasten.
Der Senat verkennt dabei nicht, dass nachträglich durch das Gespräch zwischen Rechtsanwalt K. und seinem Mandanten am 21.6.2010 ein besonders Vertrauensverhältnis begründet worden sein mag, wobei allerdings den Sprachkenntnissen kein erhebliches Gewicht zukommen dürfte, denn der Beschuldigte hat bei seiner umfangreichen polizeilichen Vernehmung, die ohne Dolmetscher durchgeführt worden ist, erklärt, er könne deutsch sprechen und lesen. Bis zu diesem rund 3 Wochen nach der Inhaftierung liegenden Gespräch zwischen dem Angeschuldigten und Rechtsanwalt K. konnte das Amtsgericht mit der Bestellung des Pflichtverteidigers jedenfalls nicht zuwarten, denn für einen in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten muss die Bestellung gemäß § 141 Abs. 3 S. 4 StPO unverzüglich nach der Vollstreckung erfolgen.
b.
Eine nachträgliche Auswechselung des Pflichtverteidigers ist nicht veranlasst. Der im Gesetz nicht vorgesehene Widerruf der Bestellung kommt nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in Betracht. Ein solcher Grund, der etwa in einer Störung des Vertrauensverhältnisses zu dem beigeordneten Verteidiger liegen kann, ist vorliegend nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Das Einverständnis des Pflichtverteidigers und der Verzicht des Wahlverteidigers auf die Grundgebühr rechtfertigen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. nur SenE vom 11.2.2008 2 Ws 54/08 = StraFo 2008, 348) keine andere Beurteilung.


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