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Entscheidungen

Haftfragen

Pflichtverteidiger, inhaftierter Mandant, Verfahrensbezogenheit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 22.04.2010 - 3 Ws 351/10

Fundstellen:

Leitsatz: Wird die Untersuchungshaft nicht in demjenigen Verfahren vollzogen, für welches sich ein Verteidiger bestellt hat, ist dieser dem Beschuldigten gleichwohl zum Pflichtverteidiger zu bestellen.


In pp.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Rechtsanwalt Dr. …, Stadt1, wird dem Angeklagten für das weitere Verfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Durch Urteil des Amtsgerichts – Jugendrichter – Limburg vom 23.1. 2008 wurde der Angeklagte des Betruges und der Unterschlagung schuldig gesprochen und die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Mit Urteil vom 02.09.2009 verhängte der Jugendrichter eine Jugendstrafe von 8 Monaten, deren Vollstreckung er zur Bewährung aussetzte. Auf die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft erkannte die 1. kleine Jugendkammer des Landgerichts Limburg am 07.12.2009 auf eine (unbedingte) Jugendstrafe von 6 Monaten. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte über seinen Wahlverteidiger Revision eingelegt, die inzwischen auch begründet wurde.
Mit der Revisionseinlegung hat der Angeklagte zugleich um Bestellung seines Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger für das Revisionsverfahren nachgesucht, weil sich der Angeklagte – was zutreffend ist (vgl. Vermerk des Berichterstatters vom 21.04.2010, Bl. 369 II d.A.) – in anderer Sache, nämlich im Verfahren 3 Js 15211/09 – StA Limburg auf Grund des Haftbefehls vom 03.11.2009 (Bl. 307 II d.A.) in Untersuchungshaft befinde.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Kammervorsitzende die Bestellung abgelehnt, weil § 140 I Nr. 5 StPO einen dreimonatigen Freiheitsentzug vor der letzten tatrichterlichen Hauptverhandlung voraussetze. Hiergegen richtete sich die Beschwerde des Angeklagten, mit der geltend gemacht wird, es liege ein Fall des § 140 II StPO vor.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 304 I StPO), namentlich ist die Beschwerde nicht dadurch prozessual überholt, dass die Revision bereits begründet ist und über die Bestellung eines Pflichtverteidigers für eine eventuelle Revisionshauptverhandlung gem. § 350 III 1 StPO gesondert zu entscheiden wäre. Denn die Tätigkeit des vom Tatrichter bestellten Pflichtverteidigers umfasst auch eine gegebenenfalls erforderliche Gegenerklärung und Erwiderung auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verwerfung der Revision nach § 349 II StPO bzw. die Verteidigung in einem weiteren Rechtszug nach einer Aufhebung und Zurückverweisung (vgl. Senat , Beschl. v. 11.02.2010 – 3 Ws 117/10).
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Es liegt bereits ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 68 Nr. 1 JGG i.V. mit § 140 I Nr. 4 StPO in der seit dem 01.01.2010 geltenden Fassung vor. Danach ist dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger schon dann zu bestellen, wenn gegen ihn Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112a StPO vollstreckt wird, was hier seit dem 03.11.2009 der Fall ist. Dass die Untersuchungshaft nicht im vorliegenden Verfahren sondern in einem anderen, oben näheren bezeichneten Verfahren vollzogen wird, ist ohne Bedeutung.
Bereits der Wortlaut der Regelung spricht für diese Auslegung: Es wird ausschließlich die Vollstreckung von Untersuchungshaft als Anknüpfungspunkt für die Erforderlichkeit der Pflichtverteidigung genannt. Aber auch Entstehungsgeschichte, Gesetzessystematik und Sinn und Zweck der Neuregelung sprechen für die genannte Auslegung.
Die durch das Gesetz zur Änderung der Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009 getroffene Neuregelung wurde eingeführt, weil die bisherige Regelung in § 117 IV StPO a.F. und § 140 I Nr. 5 StPO, die eine Pflichtverteidigerbestellung erst nach dreimonatiger Haftdauer vorsahen, mit Blick auf das Gewicht der mit der Untersuchungshaft verbundenen Grundrechtsbeeinträchtigung für unzureichend erachtet wurde (BT-Dr. 16/13097, S. 18, vgl. auch Wohlers, StV 2010, 151, 152). Die damit angesprochene, mit der Freiheitsentziehung notwendig verbundene Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten (vgl. hierzu im Einzelnen Lüderssen/Jahn, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl. § 140 Rn 32) gilt aber nicht nur für das Verfahren, in dem sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet, sondern gleichermaßen auch für weitere anhängige Verfahren.
Für die Vorschrift des §140 I Nr. 5 StPO und für die im Wortlaut bis auf die altersmäßige Einschränkung gleichlautende Vorschrift des § 68 Nr. 4 JGG a.F. bzw. § 68 Nr. 5 JGG n.F. war und ist denn auch anerkannt, dass es für die Verteidigerbestellung nicht darauf ankommt, in welchem Verfahren die Freiheitsentziehung (§ 140 I Nr. 5 StPO), bzw. Untersuchungshaft (§ 68 Nr. 5 JGG) angeordnet ist. Vielmehr ist ausreichend, wenn sich der Beschuldigte in irgendeinem oder auch in mehreren Verfahren in (Untersuchungs-)Haft befand (Laufhütte, in: KK-StPO, § 140 Rn 12; Lüderssen/Jahn § 140 Rn 36; LG Berlin, NStZ 2007, 47; Eisenberg, JGG, 13. Aufl., § 68 Rn 31,Diemer, in: Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG, 5. Aufl., § 68 Rn 16 - jew. mwN). Es ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber diese Auslegung von § 140 I Nr. 5 StPO und § 68 Nr. 5 JGG bekannt war, zumal er jedenfalls den nach der Neuregelung verbleibenden Anwendungsbereich des § 140 I Nr.5 StPO ausdrücklich thematisiert (BT-Dr. 16/13097, S.19), wenn auch offenbar übersehen wurde, dass § 68 Nr. 5 JGG wegen der Inbezugnahme auch der Neuregelung des § 140 I Nr. 4 StPO durch § 68 Nr. 1 JGG keinen eigenständigen Regelungsgehalt mehr haben dürfte. Es wäre deshalb zu erwarten gewesen, dass es im Wortlaut der Neuregelung zum Ausdruck gekommen wäre, wenn § 140 I Nr. 4 StPO auf das Verfahren, in dem die Untersuchungshaft vollstreckt wird, beschränkt sein soll.
Vor allem hat der Gesetzgeber die Verteidigerbestellung aus Anlass der Vollziehung von Untersuchungshaft, die bisher in § 117 IV StPO und als Teil des § 140 I Nr. StPO geregelt war, aus dem Regelungszusammenhang des §§ 112 ff. StPO herausgelöst, vom Antragserfordernis befreit als Fall der notwendigen Verteidigung ausgestaltet und ausschließlich in § 140 StPO verortet (zum fortbestehenden Regelungsgehalt von § 140 I Nr. 5 StPO bei Vollziehung von Untersuchungshaft vgl. BT-Dr. 13097, S. 19 und Wohlers aaO). Da unter der früheren Regelung anerkannt war, dass die Fälle der notwendigen Verteidigung den Vorrang vor der (nunmehr in Wegfall gekommenen) Regelung des § 117 IV StPO hatten (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 117 Rn 22; Graf, in: KK-StPO, § 117 Rn 17), spricht die systematische Stellung der nunmehrigen Regelung eindeutig dafür, dass diese den gleichen umfassenden Regelungsgehalt haben soll wie die bisherigen in § 140 I Nr. 4 StPO und § 68 Nr. 5 JGG.
Dass § 141 IV 2. HS StPO n.F. im Ermittlungsverfahren dem Haftrichter und nicht dem Vorsitzenden des für das Hauptverfahren zuständigen Gerichts die Zuständigkeit für die Bestellung zuordnet (§ 126 I StPO), spricht nicht gegen die hier getroffene Auslegung der Neuregelung. Zwar wird der Haftrichter ansonsten nicht mit der Sache befasst, in der keine Untersuchungshaft angeordnet wurde. Indessen ist er mit dem Stand der der Haftsache bestens vertraut. Nur von der Frage, dass und wie lange sich der Beschuldigte tatsächlich im Vollzug von Untersuchungshaft oder vorläufige Unterbringung befindet, ist für die Bestellung des Verteidigers und den Fortbestand seiner Beiordnung aber abhängig (vgl. BT-Dr. 16/13097, S. 19).
Mithin trifft die gesetzgeberische Intention, den „am besten mit der Sache vertrauten Richter“ (BT-Dr. 16/13097, S. 19) mit der Bestellung zu betrauen, auch für das Verfahren zu, in dem die Maßnahme nicht vollzogen wird. Nach Anklageerhebung unterscheidet sich die Zuständigkeitsbestimmung des § 141 IV 2. HS i.V. mit § 126 II StPO ohnehin nicht von der Regelung des § 141 IV 1. HS StPO.
Der Senat bestellt den bisherigen Wahlverteidiger, weil Gründe, die dessen Bestellung gem. § 142 I 3 StPO entgegenstehen könnten, nicht ersichtlich sind und eine andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre. Sein Antrag, ihn als Pflichtverteidiger zu bestellen, enthält die Erklärung, die Wahlverteidigung solle mit der Beiordnung enden (Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 142 Rn 7 mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 467 I, 473 III StPO.


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