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Entscheidungen

StPO

Stalking, Nachstellung, Beweiswürdigung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Potsdam, Beschl. v. 15.09.2010 - 24 Qs 94/10

Fundstellen:

Leitsatz: Allein die bloße Verwendung einer Mobilfunknummer reicht nicht aus, um den Verdacht wegen Nachstellung zu begründen; sprechen jedoch auch andere gewichtige Umstände für eine Täterschaft (hier: Aussagen von Freunden des Beschuldigten, Offenbarung von Insiderwissen in den Nachrichten), so besteht eine zur Eröffnung der Hauptverhandlung hinreichender Tatverdacht.


In pp.
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Potsdam vom 30. März 2010 wird der Beschluss des Amtsgerichts Rathenow vom 11. März 2010 – Az.: 2 Ds 490 Js 67595/09 (18/10) – aufgehoben, die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 6. Januar 2010 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht Rathenow – Strafrichter – eröffnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Angeschuldigte zu tragen.
Gründe:
I.
1.
Der Angeschuldigten wird mit der vorgenannten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Potsdam vorgeworfen, in B. zwischen dem 4. September 2009 und dem 21. September 2009 einem Menschen unbefugt nachgestellt zu haben, indem sie beharrlich unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln versuchte, Kontakt zu ihm herzustellen und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigte.
Im Einzelnen wird ihr zur Last gelegt, ihrer früheren Freundin Sabine A. im vorgenannten Zeitraum eine Vielzahl von Kurzmitteilungen mit teils verunglimpfenden Inhalt per SMS übersandt zu haben, obwohl ihr bewusst war, dass diese keinerlei Kontakt mehr zu ihr haben wollte und sich auch jede weitere Kontaktaufnahme mit ihr verbeten hatte.
Wegen der Einzelheiten der 21 SMS, die die Angeschuldigte versandt haben soll, wird auf den Inhalt der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Potsdam vom 6. Januar 2010 Bezug genommen.
Die Staatsanwaltschaft hat diesen von ihr festgestellten Lebenssachverhalt als Vergehen der Nachstellung im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 2 und 5 des Strafgesetzbuches (StGB) gewertet, wobei sie eine „schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung“ im Hinblick auf die ständige Angst der Betroffenen und deren Schlafstörungen angenommen hat, die durch die Nachrichten der Angeschuldigten, sie werde das Leben der Betroffenen genauer verfolgen und sich – meist ungesehen – in ihrer Nähe aufhalten, eingetreten seien.
Am 18. Januar 2010 hat die Staatsanwaltschaft Anklage beim Amtsgericht Rathenow – Amtsrichter – erhoben.
2.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Rathenow vom 11. März 2010 wurde das Hauptverfahren aus tatsächlichen Gründen nicht eröffnet. Zur Begründung wird ausgeführt, die in der Anklageschrift aufgeführten Beweismittel reichten nicht aus, einen hinreichenden Tatverdacht gegen die Angeschuldigte zu begründen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des amtsgerichtlichen Beschlusses verwiesen.
3.
Gegen den ihr am 29. März 2010 zugestellten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft am 1. April 2010 sofortige Beschwerde eingelegt.
Sie meint, es bestehe ein hinreichender Tatverdacht gegen die Angeschuldigte. Dieser ergebe sich u.a. aus den Übereinstimmungen zwischen dem Inhalt der SMS und den von der Anzeigeerstatterin geschilderten Sachverhalte. Wegen des weiteren Vorbringens der Staatsanwaltschaft wird auf den Inhalt der Beschwerdebegründung vom 10. Mai 2010 Bezug genommen.
II.
1.
Gemäß § 210 Abs. 2 StPO steht der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt worden ist, sofortige Beschwerde zu. Die sofortige Beschwerde wurde rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt und ist auch ansonsten zulässig.
2.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat auch in der Sache Erfolg, denn die rechtlichen Voraussetzungen für eine Eröffnung des Hauptverfahrens liegen nach Ansicht der Kammer vor. Gemäß § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. „Hinreichender Verdacht“ im Sinne dieser Vorschrift besteht bei vorläufiger Tatbewertung in der Wahrscheinlichkeit der späteren Verurteilung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 203 Rn. 2 m.w.N.). Die gleich hohe Wahrscheinlichkeit wie beim dringenden Tatverdacht im Sinne der §§ 112 Abs. 1 S. 1, 126a Abs. 1 StPO wird dabei nicht vorausgesetzt (OLG Koblenz, OLGSt, § 212 StGB Nr. 1; KK-Schneider, StPO, § 203 Rn. 4; a.A.: LR-Stuckenberg, StPO, § 203 Rn. 13).
Es muss also für eine Straftat des Angeschuldigten einschließlich der Rechtswidrigkeit und der Schuld wahrscheinlich genügender Beweis vorliegen, ohne dass ein persönlicher Strafausschließungs- oder -aufhebungsgrund gegeben ist (vgl. OLG Celle NStE Nr. 5).
Dies ist hier der Fall. Die Angeschuldigte ist nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen, wie es sich aus den Akten und den von der Kammer beigezogenen weiteren Ermittlungsakten ergibt, einer Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB hinreichend verdächtig. Die vorhandenen Beweise werden eine gerichtliche Überzeugung vom Vorliegen des objektiven und subjektiven Tatbestandes dieser Vorschrift wahrscheinlich begründen. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass der Bundesgerichtshof (vgl. BGH, NStZ 2010, 277) insbesondere hinsichtlich der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale „beharrliches Handeln“ sowie „schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung“ strenge Anforderungen stellt. Aber auch bei Zugrundelegung strenger Maßstäbe besteht nach Auffassung des Beschwerdegerichts ein hinreichender Tatverdacht, dass die Angeschuldigte eine Nachstellung im Sinne des § 238 StGB begangen hat.
Die Angeschuldigte und die Anzeigeerstatterin verband bis zum November 2006 eine Liebesbeziehung. Dies hat die Anzeigenerstatterin in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 16. April 2009 in dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren 490 Js 26505/09 – Bl. 3 d.A. – nachvollziehbar und glaubhaft angegeben. Sie hat dabei auch glaubhaft ausgesagt, dass sie die Beziehung beendet habe, die Angeschuldigte aber nur schwer damit habe umgehen können und auch nach der Beendigung der Beziehung, immer wieder ihre Nähe gesucht habe. Zu diesem Zeitpunkt habe sie sich noch nicht belästigt gefühlt und habe sich in ihren Lebensgewohnheiten auch nicht einschränken müssen. Als sie im Januar 2008 aber einen Mann kennengelernt und die Angeschuldigte dies mitbekommen habe, habe diese begonnen, ihr per Telefon und auch persönlich Vorwürfe zu machen und habe sie beschimpft. Die Angeschuldigte habe sich zu diesem Zeitpunkt täglich telefonisch oder durch Versendung von SMS bei ihr gemeldet. Sie habe schließlich die Angeschuldigte aufgefordert, sie in Ruhe zu lassen, was diese bis August 2008 auch getan habe. Ab Ende August habe die Angeschuldigte aber wieder viel Zeit mit ihr verbringen wollen, was sie aber abgelehnt habe. Darauf habe sie wieder öfter SMS von der Angeschuldigten erhalten und diese habe auch „Kontrollrunden“ mit ihrem PKW vor ihrem Haus „gedreht“.
Ab Anfang Oktober 2008 sei „das Ganze massiver geworden“. Die Angeschuldigte habe sie öfter angerufen und ihr Texte per SMS geschrieben.
Dieser Hintergrund der Beziehung zwischen Anzeigeerstatterin und Angeschuldigten ist für die Beurteilung, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, von erheblicher Bedeutung, denn nach kriminalistischer Erfahrung und kriminologischen sowie forensisch-psychiatrischen Erkenntnissen (vgl. Habermeyer, Stalking, FÜR 06, 196; Hoffmann, Stalking, obsessive Belästigung und Verfolgung, 2006) ist enttäuschte Liebe die Hauptursache, dass ein oft unbescholtener Mitbürger zum „Stalker“ wird. Die Geschädigte hat auch in dem Ermittlungsverfahren 490 Js 67595/09, das dem Beschwerdeverfahren zugrunde liegt, als auch dem Ermittlungsverfahren 490 Js 26505/09 und 490 Js 42536/09 wiederholt und nachvollziehbar angegeben, dass die Angeschuldigte sie persönlich bedrängt, häufig angerufen und dabei beschimpft habe. So hat sie z.B. in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 16. Juni 2009 geschildert, das sie am 13. Juni 2009 einen Anruf mit unterdrückter Nummer erhalten, aber sofort die Stimme der Angeschuldigten erkannt habe. Dabei habe diese zu ihr gesagt: „verzieh dich in dein Eisloch, aus dem du gekommen ist!“ (vgl. Bl. 3 der beigezogenen Ermittlungsakte 490 Js 42536/09). Die Geschädigte schildert dabei auch – wie auch in den übrigen polizeilichen Vernehmungen – wie stark sie unter den Nachstellungen der Angeschuldigten leide: sie habe Angst, die Wohnung zu verlassen, traue sich seit längeren nicht mehr, den Balkon zu betreten und habe starke Schlafstörungen.
Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis, wie es sich aus dem Inhalt der Akten und der Beiakten ergibt, besteht für das Beschwerdegericht kein vernünftiger Zweifel, dass als Urheberin und Versenderin der in der Anklageschrift aufgeführten SMS nur die Angeschuldigte in Frage kommt. Dafür spricht bereits, dass bislang keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass ein Dritter ein Motiv dafür gehabt haben könnte, die Geschädigte auf diese Art zu ängstigen und zu quälen. Auch der Inhalt der verschickten SMS deutet, was die Wortwahl angeht, stark auf die Angeschuldigte als Urheberin hin.
So lautet die am 6. September 2009 versandte SMS: „… hat sich dein naiver pisser eigentlich schon mal gefragt, warum du schiss vor ein aufeinandertreffen hast, wo man ihm vielleicht die Wahrheit erzählen könnte, nein natürlich nicht, weil ihr solch gute Schauspieler seit …“ Der Freund der Geschädigten, Andreas C., hat in seiner polizeilichen Vernehmung vom 29. November 2009 (Bl. 95 der Ermittlungsakte 490 Js 67595/09) glaubhaft angegeben, dass die Angeschuldigte ihn am 8. August 2009 bei einem persönlichen Aufeinandertreffen als „Pisser“ bezeichnet habe. Auch deutet der Inhalt der verschickten SMS teilweise auf eine frühere enge Beziehung zwischen Absender und Empfänger der Nachricht hin, wie z.B. Formulierungen wie „du kleine Muschel“ (SMS vom 5. September 2009, 21:37 Uhr), „hey kleine Maus“ (SMS vom 5. September 2009, 20:57 Uhr), „Na. schöne Frau“, „daumen hoch hübsch siehst du wieder aus … rot ist wohl deine Lieblingsfarbe“ etc.
Schließlich ist der Staatsanwaltschaft zuzugeben, dass die Angaben des Freundes der Geschädigten, Andreas C., die dieser in seiner polizeilichen Vernehmung vom 15. November 2009 (Bl. 96 f. der Hauptakten) gemacht hat, ein weiteres gewichtiges Indiz dafür sind, dass nach dem gegenwärtigen Erkennungsstand nur die Angeschuldigte als Urheberin und Versenderin der SMS in Frage kommt. Er hat ausgesagt, dass ihm die Geschädigte zum Bahnhof gebracht habe und dann mit ihrem Pkw wieder gefahren sei. Dann sei die Angeschuldigte mit ihrem Pkw gekommen, habe geparkt und ihn beobachtet. Er habe dann noch gute 5 Minuten auf den Zug gewartet und sei dann mit diesem losgefahren. Die am 21. September 2009 um 08:34 Uhr versandte SMS mit dem Inhalt: „brandenburg hbf. steigt diese elvisschwuch, jetzt aus?!“ offenbart vor dem Hintergrund dieser Aussage ein Insiderwissen, dass außer dem Zeugen Andreas C. nur die Angeschuldigte haben kann, denn die Geschädigte war nicht mehr vor Ort, als sich ihr Freund bereits im Zug befand. Dass der Lebensgefährte der Geschädigten diese oder andere in der Anklageschrift aufgeführten SMS versandt haben könnte, ist nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis, wie es sich aus den Akten und Beiakten ergibt, auszuschließen. Gegen einen hinreichenden Tatverdacht spricht nicht, dass die weiteren Ermittlungen, die teilsweise nach Erlass des amtsgerichtlichen Beschlusses durchgeführt wurden, ergeben haben, dass das Mobiltelefon, mit dem die SMS versandt wurden, nicht auf die Angeschuldigte angemeldet wurde.
Abgesehen davon, dass es sehr töricht gewesen wäre, hätte die Angeschuldigte ein auf sie namentlich zugelassenes Handy verwendet, handelt es sich bei dem zur Tat benutzten Mobiltelefon um ein sog. „prepaid“-handy, bei dem naturgemäß keine namentliche Erfassung erfolgt und das erleichtert weiter gegeben werden kann. Derartige Handys werden üblicherweise bei Begehung von Straftaten eingesetzt, wo der Täter als Absender nicht bekannt werden will.
Ein „beharrliches Handeln“ im Sinne des § 238 StGB liegt damit vor, denn die Angeschuldigte ist über einen langen Zeitraum – seit spätestens März 2008 – unter Missachtung des entgegenstehenden Willens des Opfers tätig geworden und hat auch in der Absicht gehandelt, sich in Zukunft entsprechend zu verhalten. Sie hat das Opfer, das bereits vor März 2008 eindeutig erklärt hatte, dass es in Ruhe gelassen werden wolle, bewusst und gewollt in seiner Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt, indem sie es telefonisch und per SMS – aber auch durch persönliche Ansprache und Beschimpfungen – regelrecht „terrorisiert“ hat. Die Beeinträchtigung ist schwerwiegend, weil das Opfer zu einem Verhalten veranlasst wurde, das es ohne Zutun des Täters nicht gezeigt hätte und das zu gravierenden, ernst zu nehmenden Folgen geführt hat, die über eine durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Nov. 2009 – 3 StR 244/09NStZ 2010, 277). Die Geschädigte hat in allen Ermittlungsverfahren wiederholt und nachvollziehbar angegeben, dass sie große Angst habe, ihr Haus kaum noch verlasse, nicht einmal mehr auf den Balkon gehe, die Rollläden nicht mehr hochziehe und starke Schlafstörungen habe. Die Geschädigte hat aufgrund des Verhaltens der Angeschuldigten ihr Sozialverhalten gravierend verändert. Bei der Beurteilung des Gewichts des Taterfolgs ist zudem auf die Sicht der betroffenen Person abzustellen; es kommt nicht darauf an, ob sich ein „vernünftiger“, objektiver Dritter (schwerwiegend) beeinträchtigt fühlen würde (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 238 Rn. 24). Das Opfer hat wiederholt angegeben, dass es in ständiger Angst vor der Angeschuldigten lebe und auch Angst habe, dass diese ihr etwas antun könne (vgl. z.B. Bl. 6 des Ermittlungsverfahrens 490 Js 67595/09).
Ein hinreichender Tatverdacht für eine Nachstellung liegt nach alledem vor.
III.
Zur Frage, wer die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen hat, hat die Kammer sowohl den Verteidiger der Betroffenen als auch die Staatsanwaltschaft gehört – die Verteidigung hat keine Stellungnahme abgegeben, die Staatsanwaltschaft hat angeregt, der Beschuldigten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen –, weil insoweit in Literatur und Rspr. unterschiedliche Ansichten vertreten werden.
a)
Streitig ist bereits, ob Beschwerdeentscheidungen in sogenannten „Zwischenverfahren“ oder „Nebenverfahren“ überhaupt mit einer Kosten- und Auslagenentscheidung zu versehen sind (zum Meinungsstand vgl. Löwe-Rosenberg-Hilger, StPO, 26. Aufl., § 473 Rn. 13 m.w.N.). Die Kammer schließt sich der h.M. (vgl. die Nachweise bei Huber, NStZ 1985, 18, 19 sowie Löwe-Rosenberg-Hilger, a.a.O. Rn. 31) an, die die Notwendigkeit einer Entscheidung über die Kosten auch in diesem Verfahrensabschnitt bejaht. Dafür spricht, dass das Beschwerdeverfahren ein selbständiger Verfahrensabschnitt ist und ein vom Ausgang des Hauptverfahrens unabhängiges Zwischenverfahren (vgl. OLG Stuttgart, JurBüro 1980, 97; OLG Celle, MDR 1970, 349; OLG Hamm, NJW 1975, 2112; LG Krefeld, AnwBl. 1976, 23: JurBüro 1975, 1087; LG Flensburg, JurBüro 1977, 229; LG Mönchengladbach, JurBüro 1978, 1356 mit zust. Anm. Mümmler).
b)
Wenn demnach auch im Beschwerdeverfahren über die Kosten und Auslagen zu entscheiden ist (so auch BGH, NJW 2007, 3652, 3655; BayOblG 04, 118), stellt sich die weitere Frage, wem im vorliegenden Fall die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen sind.
In der Regel hängt die Entscheidung über die Kosten eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft davon ab, ob das Rechtsmittel zugunsten oder zuungunsten des Beschuldigten eingelegt war und ob es den beabsichtigten Erfolg gehabt hat (BGHSt 18, 268, 270 m.w.N.).
Hätte das zuungunsten des Beschuldigten eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Erfolg, so gehören die Rechtsmittelkosten zu den Verfahrenskosten, die der Beschuldigte nach § 465 StPO zu tragen hat; von seinen notwendigen Auslagen wird er nicht befreit (vgl. BGHSt 19, 226, 229; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 473 Rn. 15).
Bei einem Erfolg des zugunsten des Beschuldigten eingelegten Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft wird dieser so gestellt, als habe er das Rechtsmittel selbst eingelegt. Die Kosten fallen dann der Staatskasse zur Last (BGHSt 19, 226); für die notwendigen Auslagen des Beschuldigten gilt § 473 Abs. 2 S. 2 StPO (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 473 Rn. 16).
Wurde das Rechtsmittel weder zugunsten noch zu ungunsten des Beschuldigten eingelegt, hat die Staatsanwaltschaft vielmehr ihre Aufgabe wahrgenommen. Gerichtsentscheidungen ohne Rücksicht darauf, welche Wirkung damit für den Beschuldigten erzielt wird, mit dem Gesetz in Einklang zu bringen, trägt in der Regel die Staatskasse die Kosten und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten (vgl. BGHSt 18, 268; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1998, 159; 2000, 223) .
Im vorliegenden Fall wurde das Rechtsmittel aber zuungunsten der Angeschuldigten eingelegt, denn die Staatsanwaltschaft verfolgte mit ihrer sofortigen Beschwerde das Ziel. dass entgegen der Entscheidung des Amtsgerichts die Anklage vom 6. Januar 2010 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wird. Nach den oben dargelegten Grundsätzen wären demnach der Angeschuldigten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen, denn das zu ihren Ungunsten eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hatte in vollem Umfange Erfolg.
Bei dieser Sachlage besteht nur die Möglichkeit, bei unrichtiger Sachbehandlung gemäß § 21 GKG davon abzusehen. Kosten zu erheben. Eine „unrichtige Behandlung“ im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG liegt indes nicht vor, denn das Amtsgericht hat weder offen erkennbar gegen eindeutige Vorschriften verstoßen noch ist ihm offensichtlich ein Versehen unterlaufen (vgl. zu den Voraussetzungen des § 21 GKG Löwe-Rosenberg-Hilger, StPO, 26. Aufl., § 465 Rn 13 ff.). Die Entscheidung des Amtsgerichts, das Verfahren nicht zu eröffnen, war aber bei dem damaligen Stand der Ermittlungen nicht zu beanstanden. Die Beschwerdekammer ist erst durch die Auswertung der beigezogenen Ermittlungsakten und das Ergebnis der durchgeführten Nachermittlungen zu einem abweichenden Ergebnis hinsichtlich des Tatverdachts gelangt. Liegt aber keine unrichtige Sachbehandlung im Sinne des § 21 GKG vor, sind der Angeschuldigten die Kosten der zu ihren Ungunsten eingelegten erfolgreichen sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufzuerlegen.
Dieses Ergebnis ist auch nicht unbillig oder überraschend. Vielmehr ist es Auswirkung des Grundsatzes, dass die Kosten- und Auslagenentscheidung einer Beschwerde endgültig und vom Ausgang der Hauptsache unabhängig ist (vgl. Huber, NStZ 1985, 18, 20 m.w.N.).
Nach h.M. (vgl. Löwe-Rosenberg-Hilger, StPO, 26. Aufl., § 473 Rn. 28 m.w.N.) besteht nach geltendem Recht – abgesehen von § 21 GKG – keine Möglichkeit, Mehrauslagen des Beschuldigten, die aus „Fehlern“ der Justiz oder einer vom vor Vorderrichter abweichenden Beurteilung der Sach- und Rechtslage entstehen, der Staatskasse zu überbürden.
Aus dem das Kostenrecht beherrschende Veranlassungsprinzip folgt, dass der Beschuldige grundsätzlich das Risiko dafür trägt, dass nicht alsbald, schon im ersten Rechtszug die „richtige“, gemeint endgültige Entscheidung getroffen wird. (vgl. BGH, MDR 1963, 69; OLG Stuttgart, Justiz 1970, 95; OLG München, AnwBl. 1973, 366; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 473 Rn. 7 m.w.N.; s. auch BVerfGE 31, 137; BGH, NStZ 1989, 191).
Im Übrigen gibt es im deutschen Strafprozessrecht kein allgemeines Prinzip dahin, einen unverurteilt aus einem Verfahren entlassenen Beschuldigten von allen Auslagen freizustellen (vgl. Huber, NStZ 1985, 18, 20 m.w.N.). Der Grund dafür findet sich in dem Umstand, dass die Teilnahme am sozialen Leben Risiken eröffnet, die auch zur Verstrickung in ein mit Kosten und Auslagen verbundenes Ermittlungsverfahren führen können (so zutreffend Huber, a.a.O.). Dies führt selbst dann nicht zu unbilligen Ergebnissen, wenn die Beschwerde des Beschuldigten erfolglos war, er aber später freigesprochen wird. Zwar hat dünn der Beschuldigte trotz des Freispruchs mit der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die ihm dabei erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen. Aber auch umgekehrt ergibt sich ein ähnliches Bild, wenn eine Beschwerde des Beschuldigten erfolgreich war, er später aber verurteilt wird. Denn dann trägt die Staatskasse die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten dabei entstandenen notwendigen Auslagen, obgleich es zu einer Verurteilung mit der Kostenfolge des § 465 StPO gekommen ist (so zutreffend Huber, a.a.O.).
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren nach alledem der Angeschuldigten aufzuerlegen.


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