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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Subjektiver Tatbestand bei exhibitionistischer Handlung und Erregung öffentlichen Ärgernisses

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Urt. v. 22. 2. 2011 - 3 Ss 136/10

Fundstellen:

Leitsatz: 1. Für die Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes exhibitionistischer Hand-lungen ist die Feststellung der sexuellen Motivation des Täters allein nicht aus-reichend. Während für den Belästigungserfolg ein bedingt vorsätzliches Handeln ausreichend ist, muss der Täter hinsichtlich der konkreten Wahrnehmung der sexuellen Handlung durch eine andere Person mit direktem Vorsatz handeln, weil ohne die tatsächliche Herstellung einer optischen Beziehung zu dem Tatopfer und ohne das sichere Wissen des Täters um die konkrete Existenz dieser Beziehung von einer absichtsvollen ‚Exhibition’ im Sinne der von § 183 I StGB voraus-gesetzten Zurschaustellung der Entblößung in der Absicht sexueller Erregung schon begrifflich nicht ausgegangen werden kann (u.a. Anschluss an BGH StraFo 2007, 471 = NStZ-RR 2007, 374 und OLG Düsseldorf NStZ 1998, 412 f. = StraFo 1998, 277 f.).

2. Der Tatbestand der Erregung öffentlichen Ärgernisses nach § 183 a StGB setzt in subjektiver Hinsicht hinsichtlich des sexuellen Charakters der Handlung und ihrer Erheblichkeit zwar nur bedingten Vorsatz voraus, der auch die Öffentlichkeit der Begehung umfassen muss. Bezüglich der Erregung des Ärgernisses muss der Täter jedoch in der Absicht handeln, Ärgernis zu erregen, d.h. es muss ihm entweder gerade darauf ankommen, dass er Ärgernis erregt, oder er muss wissen, nämlich als sicher voraussehen, dass dies geschieht, weshalb es nicht aus-reichend ist, wenn der Täter die Möglichkeit des Zusehens durch andere lediglich in Kauf nimmt.


In pp.
Zum Sachverhalt:
Dem Angekl. lag zur Last, am Nachmittag des 25.04.2010 den Drang verspürt zu haben, sich vor Frauen zu entblößen, um dadurch seinen Geschlechtstrieb zu befriedigen. Hierzu habe er in seiner Wohnung in der S.-Straße 10 in V. seinen Unterkörper entblößt, sich mit seinem nackten erigierten Glied zum Fenster seiner Wohnung begeben, dieses geöffnet und onaniert, wobei er sich darüber bewusst gewesen sei, dass sich am Fenster des knapp 30 m entfernten und schräg gegenüber der Wohnung des Angekl. auf der anderen Straßenseite liegenden Anwesens S.-Straße 11a die Geschädigten B. und C. befunden hätten, die ihn bei seinem Tun beobachtet hätten. Beim Anblick des Angekl. hätten sich die Geschädigten angeekelt und belästigt gefühlt. Das AG hat den Angekl. aus tatsächlichen Gründen vom Anklagevorwurf exhibitionistischer Handlungen mit der Begründung freigesprochen, dass der für eine Verurteilung nach § 183 I StGB notwendige Tatnachweis für das Vorliegen eines direkten Vorsatzes bezüglich der Wahrnehmung der sexuellen Handlung durch eine andere Person nicht zu führen sei. Soweit subsidiär eine Verurteilung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses nach § 183 a StGB in Betracht komme, scheide eine Strafbarkeit jedenfalls wegen Fehlens des notwendigen subjekti-ven Tatbestandes aus. Die gegen den Freispruch gerichtete Sprungrevision der StA blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen:
Die statthafte (§ 335 StPO) und auch sonst zulässige (§§ 341 I, 344, 345 StPO) Sprungrevision der StA erweist sich als unbegründet. Entgegen der Auffassung der Revision hält das Urteil einer sachlich-rechtlichen Prüfung stand. Insbesondere deckt die allein mit der Sachrüge begründete Revision weder einen durchgreifenden Rechts-fehler im Rahmen der Beweiswürdigung oder ihrer Darstellung im Urteil noch hinsicht-lich der vom AG bei seiner Urteilsfindung angelegten materiell-rechtlichen Voraus-setzungen des subjektiven Tatbestandes der §§ 183 I und 183 a StGB auf.
1. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen hat das Tatgericht gemäß § 267 V 1 StPO zunächst in einer geschlossenen Darstellung grundsätzlich diejenigen Tatsachen festzustellen, die es für erwiesen hält, bevor es in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen es die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzli-chen - Feststellungen nicht hat treffen können. In jedem Fall muss die Begründung so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rspr., vgl. z.B. BGHR StPO § 267 V Freispruch 2 bis 8, 10,13; BGH, Urteile vom 01.02.2007 - 4 StR 474/06; vom 04.02.2010 - 4 StR 487/09 und vom 11.02.2010 - 4 StR 433/09 = wistra 2010, 219 f. sowie zuletzt eingehend OLG Bamberg DAR 2011, 147 ff. = OLGSt StPO § 261 Nr. 19). Spricht das Tatgericht den Angekl. frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hin-zunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist nur dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGH NStZ-RR 2009, 210 ff.; OLG Bamberg aaO.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGHSt 29, 18/19 ff.). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angekl. zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind beim freisprechenden Urteil nicht geringer als im Fall der Verurteilung (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11, 27; BGHR StPO § 267 V Freispruch 15; BGHSt 37, 21/22; BGH, Urteil vom 01.02.2007 - 4 StR 474/06; OLG Bamberg aaO.). Rechtsfehlerhaft in diesem Sinne ist die Beweiswürdigung deshalb auch dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung überspannte bzw. übertriebene Anforderungen gestellt sind (OLG Bamberg aaO.; BGHSt 10, 208/209 ff.; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 7, 22, 25; BGHR StPO § 267 V Freispruch 6, 13; BGH NJW 1988, 3273 f.; BGH NStZ 2004, 35 f.; BGH, Urteil vom 01.02.2007 - 4 StR 474/06; BGH NStZ 2010, 407 ff.; BGH NJW 2010, 1087 ff. = JR 2010, 353 ff. und BGH, Urteil vom 13.01.2010 - 1 StR 247/09, jeweils m.w.N.; vgl. auch KK/Schoreit StPO 6. Aufl. § 261 Rn. 4, 51 sowie Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 261 Rn. 3, 26, 38). Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angekl. von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH NStZ 2004, 35 f.). Die prozessuale Feststellung einer zu erweisenden Tatsa-che erfordert nur den Ausschluss des Zweifels eines besonnenen, gewissenhaften und lebenserfahrenen Beurteilers, nicht aber eine von niemanden anzweifelbare absolute, gewissermaßen mathematische, jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließende Ge-wissheit (BGH VRS 49, 429 f.). Diesen Anforderungen wird das Urteil des AG gerecht.
2. Nach § 183 I StGB macht sich „ein Mann“ strafbar, „der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt“.
a) Bereits aus dieser gesetzlichen Umschreibung des Tatbestandes ergibt sich, dass die exhibitionistische Handlung nicht allein eine sexuelle Handlung (vgl. § 184 g StGB) als einen äußeren Vorgang darstellt, sondern eine Handlung mit sexueller Motivation voraussetzt, weshalb die Handlungsmotivation des Beschuldigten in keinem Fall offen bleiben darf (BGH StraFo 2007, 471 = NStZ-RR 2007, 374; Fischer StGB 58. Aufl. § 183 Rn. 5). Denn eine exhibitionistische Handlung im Sinne von § 183 StGB ist gera-de dadurch gekennzeichnet, dass der Täter einem anderen - regelmäßig einer Frau, einem Kind oder einem Jugendlichen - ohne dessen Einverständnis und häufig überra-schend sein entblößtes Geschlechtsteil in der Absicht vorweist, sich selbst allein dadurch oder zusätzlich durch die beobachtete (und vom Täter erhoffte) Reaktion des Gegenübers sexuell zu erregen, seine Erregung zu steigern oder - in der Regel durch Masturbation - zu befriedigen; unerheblich ist demgegenüber, ob die Handlungsmotiva-tion des Täters (zugleich) auf eine sexuelle Erregung des Opfers abzielt (BayObLGSt 1998, 89 ff. = NJW 1999, 72 f.; BGHR § 183 I StGB Exhibitionistische Handlung 1; Fischer § 183 Rn. 5; Schönke/Schröder-Perron/Eisele StGB 28. Aufl. § 183 Rn. 3; MüKo/Hörnle StGB § 183 Rn. 6; LK-Laufhütte/Roggenbuck StGB 12. Aufl. § 183 Rn. 2, 3 und SK-Wolters StGB 8. Aufl. § 183 Rn. 2, jeweils m.w.N.).
b) Für die Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes des § 183 I StGB ist allerdings die allgemeine und fast immer ohne weiteres zu treffende Feststellung der sexuellen Motivation des Täters allein nicht ausreichend. Während für den erforderlichen tatbe-standsmäßigen Belästigungserfolg bereits ein bedingt vorsätzliches Handeln ausrei-chend ist, muss der Täter hinsichtlich der konkreten Wahrnehmung der sexuellen Hand-lung durch eine andere Person nach zutreffender und - soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung in Rspr. und Schrifttum mit direktem Vorsatz handeln, weil ohne die tatsächliche Herstellung einer optischen Beziehung zu dem Tatopfer und ohne das sichere Wissen des Täters um die konkrete Existenz dieser Beziehung von einer ab-sichtsvollen ‚Exhibition’ im Sinne der von § 183 I StGB vorausgesetzten Zurschaustel-lung der Entblößung in der Absicht sexueller Erregung schon begrifflich nicht ausge-gangen werden kann (BGH StraFo 2007, 471 = NStZ-RR 2007, 374; OLG Düsseldorf NStZ 1998, 412 f. = StraFo 1998, 277 f.; OLG Karlsruhe Justiz 1991, 93 f.; im Ergebnis jeweils ebenso Fischer § 183 Rn. 7; Schönke/Schröder-Perron/Eisele § 183 Rn. 3 a.E., 5; MüKo/Hörnle § 183 Rn. 7, 12; LK-Laufhütte/Roggenbuck § 183 Rn. 2 und SK-Wolters § 183 Rn. 2).
c) Die erkennbar eng an diesen allgemein anerkannten materiell-rechtlichen Voraus-setzungen der Strafbewehrung nach § 183 I StGB orientierte Beweiswürdigung des AG ist frei von Rechtsfehlern. Dies gilt auch, soweit das AG aufgrund seiner Feststellungen keine hinreichend sichere Überzeugung für das Vorliegen des subjektiven Tatbestan-des, nämlich für den notwendigen direkten Vorsatz des Angekl. hinsichtlich der konkre-ten Wahrnehmung der sexuellen Handlung durch (irgend-)eine andere Person hat ge-winnen können. Anhaltspunkte dafür, das AG habe in Anbetracht seiner eigenen Tat-feststellungen die Anforderungen an seine Überzeugungsbildung hier rechtsfehlerhaft überspannt, sind für den Senat nicht erkennbar geworden und werden auch von der Revision nicht stichhaltig aufgezeigt. Denn das AG hat sich insoweit gerade nicht mit der Einlassung des Angekl. begnügt, während der Vornahme der sexuell intendierten Entblößungshandlung am geöffneten Fenster nicht bemerkt zu haben, dass ihn die beiden Frauen vom Fenster ihrer schräg gegenüber liegenden Wohnung aus gesehen hätten, wenn er auch - krankheitsbedingt – darauf gehofft habe, dass ihn jemand beo-bachte. Vielmehr hat das AG alle nach Sachlage erkennbaren und gegen diese Einlas-sung sprechenden Umstände in seine Überlegungen einbezogen und im Rahmen seiner Beweiswürdigung erschöpfend gewürdigt. Da die beiden alleinigen Tatzeuginnen keine verlässliche Aussage dazu treffen konnten, ob der Angekl. ihre Anwesenheit tatsächlich bemerkt hatte oder aufgrund des zur Tatzeit geschlossenen Fensters der Zeuginnen diese überhaupt hätte bemerken können, versteht sich die Annahme eines direkten Tatvorsatzes des Angekl. auch nicht etwa aus den übrigen festgestellten Umständen von selbst. Dies gilt auch, soweit das AG nach dem Ergebnis der insoweit unergiebigen Beweisaufnahme nicht die Überzeugung hat gewinnen können, der Angekl. habe jedenfalls mit direktem Vorsatz hinsichtlich der konkreten Wahrnehmung der sexuellen Handlung durch Passanten gehandelt. Nach den Feststellungen des AG liefe ein hierauf gestützter Schuldspruch vielmehr auf eine mit dem Zweifelssatz kaum vereinbare Spekulation hinaus.
3. Rechtsfehler zeigt die Revision schließlich auch nicht auf, soweit sie sich mit der Begründung gegen das freisprechende Urteil wendet, der Angekl. hätte nach den Fest-stellungen des AG jedenfalls wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183 a StGB) verurteilt werden müssen. Nach der gegenüber § 183 I StGB ausdrücklich subsidiären Vorschrift des § 183 a StGB macht sich strafbar, „wer öffentlich sexuelle Handlungen vornimmt und dadurch absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt“.
a) In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand hinsichtlich des sexuellen Charakters der Handlung und ihrer Erheblichkeit zwar nur bedingten Vorsatz voraus, der auch die Öf-fentlichkeit der Begehung umfassen muss. Bezüglich der Erregung des Ärgernisses muss der Täter jedoch in der Absicht handeln, Ärgernis zu erregen, d.h. es muss ihm entweder gerade darauf ankommen, dass er Ärgernis erregt, oder er muss wissen, also als sicher voraussehen, dass dies geschieht, weshalb es auch im Rahmen des § 183 a StGB nicht ausreichend ist, wenn der Täter die Möglichkeit des Zusehens durch andere lediglich in Kauf nimmt (Fischer § 183 a Rn. 6; Schönke/Schröder-Perron/Eisele § 183 a Rn. 6; MüKo/Hörnle § 183 a Rn. 9 und LK-Laufhütte/Roggenbuck § 183 a Rn. 6 unter Hinweis auf BTDrucks. VI/3521 S. 57; vgl. auch LG Koblenz NStZ-RR 1997, 104 f.).
b) Die vor diesem Hintergrund aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme ge-wonnene und nachvollziehbar begründete Überzeugung des AG, dass dem Angekl. weder Absicht noch Wissentlichkeit nachzuweisen ist, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden, ohne dass es darauf ankommt, dass der Angeklagte, wie die Revision hier als Argument ins Feld führt, „keine Vorsichtmaßnahmen gegen Beobachtungen getroffen“ hat. Denn auch insoweit kann aufgrund der festgestellten und schon oben im Zusammenhang mit § 183 StGB eingehend erörterten Tatumstände nicht festgestellt werden, dass das AG zugunsten des Angekl. an die zu einer Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung überspannte bzw. übertrieben hohe Anforderungen gestellt hat. Der Angriff der Revision erschöpft sich hier letztlich in dem revisionsrechtlich unbehelfli-chen Versuch, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch ihre eigene zu ersetzen, ohne zugleich revisible Rechtsfehler, insbesondere Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder aber Verstöße gegen die Denkgesetze oder allgemeingültige Erfahrungssätze aufzuzeigen.

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