Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Beförderungserschleichung, Überzeugungstäter, Vorbehalt

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v.02.03.2011 - (4) 1 Ss 32/11 (19/11)

Fundstellen:

Leitsatz: Die Beförderung durch ein Verkehrsmittel erschleicht, wer bei dessen Betreten den allgemeinen äußeren Anschein erweckt, er sei im Besitz eines gültigen Fahrauswei-ses und komme den geltenden Beförderungsbedingungen nach. Ein für den Fall ei-ner Fahrscheinkontrolle vorgesehener Vorbehalt in der Form eines auf der Kleidung angebrachten scheckkartengroßen Schildes, mit dem die fehlende Zahlungswilligkeit zum Ausdruck gebracht wird, ist jedenfalls nicht geeignet, den äußeren Anschein zu erschüttern oder zu beseitigen.


KG, Beschluss vom 2. März 2011 - (4) 1 Ss 32/11 (19/11) -
KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
(4) 1 Ss 32/11 (19/11)

In der Strafsache gegen pp.
wegen Erschleichens von Leistungen
hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 2. März 2011 beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. November 2010 wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten des Erschleichens von Leistungen schuldig gesprochen und ihn zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten unter Abände-rung der Tagessatzhöhe verworfen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat zum Tathergang die folgenden Feststel-lungen getroffen:

„Der Angeklagte nutzt die öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin ständig bewusst ohne Bezahlung. So ist er auch zur hiesigen Berufungsverhandlung mit der U-Bahn gefahren, ohne einen Fahrschein bezahlt zu haben.

Zu den folgenden Zeitpunkten wurde er von Kontrolleuren der Berliner Verkehrsbetriebe angetroffen, als er jeweils mit der U-Bahn unterwegs war, ohne zuvor einen Fahrschein, ins-besondere einen Einzelfahrschein im Wert von 2,10 Euro ge-löst zu haben oder im Besitz eines gültigen Fahrausweises wie z.B. einer Monatskarte zu sein, weil er die Auffassung vertritt, für diese Leistung nicht zahlen zu wollen. Beim Betreten der U-Bahn-Wagen und während der Fahrt trug er an seiner Kleidung etwa in Brusthöhe ein Schild etwa in Größe einer Scheckkarte mit dem Aufdruck ´Für freie Fahrt in Bus und Bahn` und ´Ich zahle nicht` sowie in der Mitte einem Foto augenscheinlich von drei Bussen der BVG mit dem Quer-druck ´Streik`. Dabei handelt es sich um folgende Tage:

1. am 17. September 2009 um 17.34 Uhr festgestellt in der U-Bahn der Linie 8 in Höhe des U-Bahnhofes Pankstraße

2. am 25. September 2009 um 15.14 Uhr festgestellt in der U-Bahn der Linie 9 in Höhe des U-Bahnhofes Hansaplatz

3. am 8. Oktober 2009 um 9.48 Uhr festgestellt in der
U-Bahn der Linie 8 in Höhe des U-Bahnhofes Gesundbrunnen.

Die Berliner U-Bahn erlaubt den Fahrgästen einen barriere- und kontrollfreien Zugang zu den Bahnsteigen und den Zügen. Allerdings hat der Fahrgast beim Antritt der Fahrt im Be-sitz eines gültigen Fahrausweises zu sein, um zur Fahrt mit der U-Bahn oder anderer Verkehrsmittel aus dem Verkehrsver-bund berechtigt zu sein.“

2. Das Landgericht hat nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu Recht angenommen, dass sich der Angeklagte des Erschleichens von Leistungen schuldig gemacht hat.

a) Indem er die U-Bahn nutzte, hat der Angeklagte in der Ab-sicht, das Entgelt nicht zu entrichten, die Beförderung durch ein Verkehrsmittel in Anspruch genommen.

b) Sein Verhalten stellt entgegen dem Revisionsvorbringen ein Erschleichen der Beförderung dar. Eine Beförderung wird dann im Sinne von § 265 a Abs. 1 StGB erschlichen, wenn der Täter ein Verkehrsmittel unberechtigt benutzt und sich dabei allgemein mit dem Anschein umgibt, er erfülle die nach den Ge-schäftsbedingungen des Betreibers erforderlichen Voraussetzun-gen (vgl. BGH NStZ 2009, 211; OLG Frankfurt NJW 2010, 3107; OLG Hamburg NStZ 1991, 587; OLG Düsseldorf NStZ 1992, 84; NJW 2000, 2120; OLG Stuttgart NStZ 1991, 41; BayObLG StV 2002, 428; OLG Naumburg StraFo 2009, 343). Dafür ist nicht erforderlich, dass er gerade gegenüber dem Beförderungsbetreiber oder dessen Bediensteten einen Anschein ordnungsgemäßer Erfüllung der Geschäftsbedingungen hervorruft, es genügt vielmehr, dass er sich allgemein mit einem entsprechenden Anschein umgibt (vgl. BGH a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.; BayObLG a.a.O.). Auch der Überwindung einer konkreten Schutzvorrichtung oder der Umgehung einer Kontrolle bedarf es zur Erfüllung des Tatbestandes nicht (vgl. BGH a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Hamburg a.a.O.).

Ob ein „täuschungsähnliches Moment“ (vgl. dazu BGH a.a.O. Rdn. 12) erforderlich ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Dagegen ließe sich allerdings die gesetzliche Verwendung des Begriffes des Erschleichens in anderen strafrechtlichen Zusam-menhängen anführen. Während § 265 a Abs. 1 StGB die Tatbe-standsverwirklichung alleine vom bloßen Erschleichen der Be-förderung abhängig macht, ist in anderen Straftatbeständen das Hinzutreten weiterer, konkretisierender Merkmale erforderlich. So wird im Außenwirtschaftsrecht nach § 34 Abs. 8 AWG nur eine durch unrichtige oder unvollständige Angaben erlangte Genehmi-gung, im Bereich der Stammzellenforschung in § 13 Abs. 1 Satz 2 StZG lediglich eine durch vorsätzlich falsche Angaben erworbene Genehmigung und im Bereich des Ausländerzentralregisters in § 42 Abs. 2 Nr. 1 AZRG ausschließlich durch unrichtige Angaben die Übermittlung personenbezogener Angaben erschlichen. Die Beförderungserschleichung weist hingegen gerade keine wei-tergehenden, den Anwendungsbereich einschränkenden Erforder-nisse auf. Demzufolge ist der Wortlaut – entsprechend der Funktion als Auffangtatbestand (vgl. BVerfG a.a.O.; BGH a.a.O.; Fischer a.a.O. Rdn. 1 m.w.Nachw.) – einer weiten Auslegung zugänglich (vgl. BVerfG a.a.O.; BGH a.a.O.; OLG Hamburg a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.).

Gemessen an den dargelegten Grundsätzen hat der Angeklagte die Beförderung erschlichen.

aa) Durch das Betreten der U-Bahn hat er in schlüssiger Weise erklärt, er komme den Beförderungsbedingungen der Berliner Verkehrsbetriebe nach. Danach ist - was allgemeinkundig ist und worauf durch entsprechende Schilder bzw. Aufkleber an den Türen der U-Bahn-Wagen noch einmal ausdrücklich hingewiesen wird - nur die Beförderung mit gültigem Fahrausweis erlaubt. Mit dem Betreten der U-Bahn hat der Angeklagte bei normativer Betrachtung das ihm auf der Grundlage dieser Bedingungen un-terbreitete Beförderungsangebot konkludent angenommen (vgl. OLG Hamburg a.a.O.). Er hat auf diese Weise den äußeren Anschein erweckt, dass er im Besitz eines gültigen Fahrscheines sei und die Beförderungsleistung nach Entrichtung des Fahrpreises in recht- und ordnungsmäßiger Weise in Anspruch nehme.

bb) Dass der Angeklagte beim Betreten des U-Bahn-Wagens und während der Fahrt das beschriebene Schild an seiner Kleidung trug, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn mit diesem Schild hat er den allgemeinen Anschein, sich ordnungsgemäß zu verhalten, nicht beseitigt.

Für einen fiktiven Beobachter wäre bereits nicht eindeutig und zweifelsfrei erkennbar gewesen, dass sich der Angeklagte in Widerspruch zu den Beförderungsbedingungen setzen wollte.
So wäre etwa für denjenigen, der den Angeklagten beim Einstei-gen in die U-Bahn lediglich von der Seite oder von hinten beo-bachtet hätte, schon äußerlich nicht erkennbar gewesen, dass dieser entgegen seinem gezeigten Verhalten zur Zahlung des Fahrpreises (doch) nicht bereit war. Aber auch anderen, mög-licherweise im U-Bahn-Wagen befindlichen Fahrgästen wäre der Vorbehalt des Angeklagten verborgen geblieben, sofern sie nicht das – schon angesichts der Größe nicht ohne weiteres ins Auge fallende - Schild im Einzelfall wahrgenommen und darüber hinaus auch noch dessen Aufschrift registriert hätten. Es ist zudem nicht einmal festgestellt, dass – mit Ausnahme der Kon-trolleure, die erst nach der Leistungserlangung aufmerksam wurden – überhaupt jemand das Schild beachtet hat.

Der allgemeine Anschein der Ordnungsmäßigkeit wäre aber auch dann nicht beseitigt worden, wenn ein fiktiver Beobachter die Erklärung gelesen hätte. Denn die Aufschrift auf dem Schild war nicht eindeutig. Sie hätte auch als bloße Provokation oder als ein Eintreten für freies Fahren in Bus und Bahn im Sinne einer politischen Stellungnahme gedeutet werden können. Im vorliegenden Fall hat sich der Angeklagte durch sein – abgese-hen von dem an der Kleidung angebrachten kleinen Schild – völ-lig angepasstes und unauffälliges Verhalten in den U-Bahn-Wagen begeben und sich hierdurch mit dem allgemeinen äußeren Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgeben. Seine mit dem Schild zur Verfügung gehaltene Erklärung, durch die er sich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit meint entziehen zu können, vermag den seinem Verhalten anhaftenden Anschein nicht zu er-schüttern.

cc) Auf die Frage, ob auch derjenige, der bereits bei dem Be-treten des Beförderungsmittels in offener und unmissverständ-licher Weise nach außen zum Ausdruck bringt, er wolle sich in Widerspruch zu den Beförderungsbedingungen setzen und für die Beförderungsleistung den geschuldeten Fahrpreis nicht entrich-ten, eine Beförderung erschleicht (so LG Hannover NdsRpfl 2009, 221; Hauf DRiZ 1995, 15) oder den objektiven Tatbestand nicht erfüllt (so OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Naumburg a.a.O.; OLG Düsseldorf NStZ 1992, 84; BayObLG JR 1969, 390; Fischer, StGB 58. Aufl., § 265 a Rdn. 5a; Tiedemann in LK-StGB 11. Aufl., § 265 a Rdn. 45; Wohlers in MüKo-StGB, § 265 a Rdn. 35; Perron in Schönke/Schröder, StGB 28. Aufl., § 265 a Rdn. 11; Saliger in SSW-StGB, § 265 a Rdn. 5 und 17; SK-Hoyer, StGB 115. Lieferung, § 265 a Rdn. 6; Lackner/Kühl, StGB 27. Aufl., § 265 a Rdn.6a; Falkenbach, Die Leistungserschleichung 1983, S. 89), kommt es hier nicht an. Denn ein derartiges Verhalten des Angeklagten ist nicht gegeben. Ein solches läge etwa vor, wenn jemand im Wege eines offen ausgetragenen Streikes gegen Fahrpreiserhöhungen durch das Verteilen von Flugblättern wäh-rend der Fahrt die fehlende Zahlungsbereitschaft unmissver-ständlich demonstriert und andere Fahrgäste zu gleichem beför-derungswidrigen Verhalten aufrufen will (vgl. BayObLG JR 1969, 390 zu einer derartigen Protestaktion in einer schaffnerlosen Münchener Straßenbahn). Hier hat der Angeklagte hingegen seinen Vorbehalt, den Fahrpreis nicht entrichten und die Beförde-rungsbedingungen nicht einhalten zu wollen, nicht in offener und nach außen eindeutiger Weise, sondern objektiv nur für den Fall seiner Überprüfung zur Wahrnehmung durch das Kontrollper-sonal zum Ausdruck gebracht.

c) Der Angeklagte unterlag auch keinem (unvermeidbaren) Ver-botsirrtum (§ 17 StGB). Er ist in der Vergangenheit bereits mehrfach einschlägig wegen Beförderungserschleichung verurteilt worden. Hierbei ist er entgegen seiner damals vorgebrachten Erklärungen, sich mangels Einlass- und Zugangskontrollen bzw. im Hinblick auf sein behauptetes offenes Agieren nicht schuldig gemacht zu haben, jeweils strafrechtlich verurteilt worden. Vorliegend hat er sich - in ähnlicher Weise bewusst - darauf berufen, er habe eine Strafbarkeitslücke genutzt und seine Auffassung werde von mehreren Rechtsprofessoren, wenn auch (noch) nicht vom Bundesgerichtshof, geteilt. Dieses Verhalten zeigt, dass sich der Angeklagte mit dem Verbot der Inanspruchnahme der Beförderung ohne Bezahlung ausei-nandergesetzt hat. Er wusste danach um das Verbotensein seines Verhaltens, rechnete mit der Möglichkeit, Unrecht zu tun und nahm dies zumindest billigend in Kauf, so dass er Unrechtsein-sicht hatte (vgl. BGHSt 4, 1; 45, 97; Fischer a.a.O. § 17 Rdn. 5 m.w.Nachw.).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".