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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Halbstrafenentlassung, günstige Sozialprognose, besondere Umstände

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.06.2011 - III -1 Ws 178/11

Leitsatz: Zur günstigen Prognose und zu besonderen Umständen bei der Halbstrafenaussetzung.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
BESCHLUSS
In der Strafvollstreckungssache pp.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
hat der 1. Strafsenat durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 16. Juni 2011
beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Düsseldorf vom 5. Mai 2011 (055 StVK 124/11) aufgehoben und die Vollstreckung des Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts Kleve vom 3. März 2010 (117 KLs 11/09) ab dem 22. Juni 2011 (Tagesende) zur Bewährung aus gesetzt.
2. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre.
3. Für die Dauer der Bewährungszeit wird der Verurteilte der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt, den die Strafvollstreckungskammer auszuwählen und einzusetzen hat.
4. Der Verurteilte wird angewiesen,
a) nach seiner Entlassung einen festen Wohnsitz zu begründen und jede neue Anschrift binnen zwei Wochen ab dem Einzug der Staatsanwaltschaft Kleve (zu dem Aktenzeichen 103 Js 127/09 V) sowie seinem Bewährungshelfer mitzuteilen,
b) zu dem Bewährungshelfer regelmäßigen Kontakt zu halten und insbesondere dessen Beratungstermine einzuhalten.
5. Die Belehrung des Verurteilten (§§ 454 Abs. 4 Satz 1, 453a, 268a Abs. 3 StPO) wird dem Leiter der Justizvollzugsanstalt Düsseldorf übertragen.
6. Die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
Der Verurteilte verbüßt seit dem 29. Juni 2010 als Erstverbüßer eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten, zu der ihn das Landgericht Kleve am 3. März 2010 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, wegen Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt hat. Unter Anrechnung von Untersuchungshaft hat der Verurteilte seit dem 22. April 2011 die Hälfte der Strafe verbüßt; zwei Drittel würden am 8. Dezember 2011 verbüßt sein; das Strafende ist auf den 9. März 2013 notiert.

Durch den form- und fristgerecht angefochtenen. Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer es nach mündlicher Anhörung des Verurteilten abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrestes bereits nach Verbüßung der Hälfte der Strafe gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung auszusetzen.

II.
Die sofortige Beschwerde ist begründet.
1. Entgegen der Auffassung der Verteidigung war allerdings der Vorsitzende Richter am Landgerichtes für die Entscheidung zuständig, da er ordentlicher Vertreter des nach dem Geschäftsverteilungsplanes zuständigen Richters war. Dieser war zum Zeitpunkt der Anhörung aufgrund der Wahrnehmung weiterer Dienstgeschäfte verhindert. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung befand er sich im Erholungsurlaub.

2. Die formellen Voraussetzungen für eine Halbstrafenaussetzung aufgrund besonderer Umstände gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB liegen vor. Der Verurteilte hat die Hälfte der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe, mindestens jedoch sechs Monate, verbüßt.

3. Der Senat hält die Strafaussetzung bereits zum jetzigen Zeitpunkt auch in der Sache für gerechtfertigt.
a) Die gemäß § 57 Abs. 1Satz 1 Nr. 2 StGB erforderliche positive Sozialprognose ist zu bejahen.

aa) Abzuwägen ist zwischen den zu erwartenden Wirkungen des erlittenen Vollzuges und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit (Fischer, StGB, 58. Auflage [2011], § 57 Rdnr. 12). Bei' der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Welchen Umständen insbesondere im Hinblick auf vollzugliches Verhalten Gewicht beizumessen ist, bestimmt sich nach dem Einzelfall. Die positive Sozialprognose setzt nicht voraus, dass die Gewissheit oder Gewähr eines zukünftig straffreien Verhaltens des Verurteilten außerhalb des Strafvollzuges besteht. Vielmehr genügt eine realistische — wirkliche — Chance für das positive Ergebnis einer Progno-se (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ 1988, 272; ferner Fischer, StGB, 58. Auflage [2011], § 57 Rdnr. 14 m.w.N.). Erforderlich ist insoweit eine durch Tatsachen begründete überwiegende Wahrscheinlichkeit, wobei der Zweifelssatz nicht gilt, verbliebene Restzweifel sich also zu Ungunsten des Verurteilten auswirken (OLG Düsseldorf NStZ 1999, 478).

bb) Unter Berücksichtigung dessen ist eine positive Sozialprognose zu bejahen.

Der Verurteilte, der sich der Haft selbst gestellt hat, ist Erstverbüßer. Es spricht bei ihm bereits die Vermutung dafür, dass der Eindruck des erstmaligen Strafvollzugs seine Wirkung nicht verfehlt und der Begehung neuer Straftaten entgegenwirkt (vgl. allg. zu den Vollzugswirkungen bei Erstverbüßern BGH in NStZ-RR 2003, 200, 201; Fischer a.a.O.). Entgegenstehende Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil ergibt sich die nachhaltige Wirkung des Vollzuges aus dem Führungsbericht der Jus-tizvollzugsanstalt, in der die vorzeitige Entlassung auch wegen seines Vollzugsverhaltens, das zu Beanstandungen keinen Anlass gibt, befürwortet wird.

Zugunsten des Angeklagten spricht auch, dass er bereits in einem frühen Stadium des gegen ihn und andere Mitbeschuldigte gerichteten Ermittlungsverfahrens ein umfassendes Geständnis abgegeben hat. Durch die freiwillige Offenbarung seines Wissens hat er dazu beigetragen, die Taten auch weiterer Mitangeklagter aufzuklären. Nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt setzt sich dieses (bereits nach den Ausführungen des Urteils von Reue geprägte) Verhalten auch in der nachträglichen Tataufarbeitung fort, in der er sich nachhaltig und kritisch mit seiner Straffälligkeit auseinandersetzt und die alleinige Verantwortung für seine Taten übernimmt.

Die Situation des Verurteilten nach der Haftentlassung ist geregelt. Durch seine Arbeitsstelle verfügt er über ein regelmäßiges Einkommen. Zunächst kann er bei seiner Mutter Wohnsitz nehmen, bei der er bereits jetzt seine Hafturlaube verbringt. Langfristig plant er, einen gemeinsamen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin zu begründen, mit der er bereits vor der Inhaftierung eine Beziehung unterhielt und die ihn auch während der Haft unterstützt.

Dass gegen den Verurteilten in den Jahren 2001 und 2003 zwei Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls und wegen Beihilfe zum Fahren ohne Fahrerlaubnis geführt (und nach § 45 JGG eingestellt) wurden, führt nicht dazu, das die positive Sozialprognose verneint werden müsste. Der Senat verkennt nicht, dass die Taten des Angeklagten von erheblichem Gewicht sind. Unter Berücksichtigung aller Umstände aber erfordert auch das Sicherungsinteresse der Allgemeinheit keine Fortsetzung der Strafvollstreckung, da sich das Risiko neuer Straftaten derzeit als gering darstellt.

b) Der Senat ist der Auffassung, dass bei dem Verurteilten besondere Umstände im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB vorliegen.

aa) Besondere Umstände im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB sind solche positiven Umstände von herausragender Bedeutung, die über die positive Sozialprognose hinaus eine Aussetzung der Hälfte der Strafe rechtfertigen können. Art. und Schwere der Tat stehen dem nicht ohne weiteres entgegen, wenn auch in die Gesamtwürdigung Sühnegesichtspunkte und generalpräventive Erwägungen zur Verteidigung der Rechtsordnung mit einfließen (LK-Hubrach, StGB, 12. Auflage [2008], Rdnr. 37mwN). Der Aspekt einer „fundiert günstigen Prognose" aufgrund einer außergewöhnlich positiven Entwicklung des Verurteilten im Vollzug kann im Rahmen der Abwägung im Einzelfall so große Bedeutung gewinnen, dass er die Beurteilung insgesamt trägt und die Annahme besonderer Umstände rechtfertigt (LK-Hubrach a.a.O.).

bb) Unter Berücksichtigung dessen liegen bei dem Verurteilten besondere Umstände in diesem Sinne vor.

Die Strafhaft hat er als Selbststeller angetreten. Bereits in den Monaten vor dem Haftantritt hat er weitreichende Schritte unternommen, um seine Zukunft in erfolgversprechende Bahnen zu leiten. So hat er eine Stelle als Fleischergehilfe angenommen. Das ursprünglich auf zwei Jahre befristete Arbeitsverhältnis wurde aufgrund seiner besonderen Leistungen (der Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt erwähnt hier Fleiß, Pünktlichkeit und Engagement) bereits nach vier Monaten in ein unbefristetes umgewandelt. Zudem besucht er seit Februar 2011 die Volkshochschule und holt dort seinen Hauptschulabschluss nach. Bei dem dort zu absolvierenden Einstufungstest schnitt er so gut ab, dass er von Beginn an in das zweite Semester eingestuft wurde.

Das Vollzugsverhalten des Verurteilten ist nach dem Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt auch hinsichtlich der ihm gewährten Lockerungen beanstandungsfrei. Die ihm wegen seiner beruflichen und schulischen Tätigkeiten gewährten Ausgänge (bereits seit dem 19. September 2010) und Lockerungen (seit dem 9. Oktober 2010) nimmt er beanstandungsfrei wahr und nutzt diese, nicht aus; zu einem Fehlverhalten ist es bislang nicht gekommen. Auch aus dem gewissenhaften Umgang mit den Lo-ckerungen lässt sich erkennen, dass der Verurteilte weder Arbeitsstelle noch- den angestrebten Schulabschluss gefährden will.

Gesichtspunkte der Sühne und der Generalprävention stehen dem hier nicht entgegen. Die Taten des Angeklagten waren zwar erheblich. Aus den (teilweise bereits erfolgreichen) Bemühungen des Angeklagten auch schon vor Haftantritt, einen neuen Lebensweg einzuschlagen, und der Zielstrebigkeit, mit der er dieses Ziel verfolgt, lässt sich aber ersehen, dass er eine außergewöhnlich positive Entwicklung genommen hat, die sich vom Durchschnitt vergleichbarer Fallgestaltungen soweit abhebt, dass darin besondere Umstände zu sehen sind.

4. Die mit der Aussetzung des Strafrestes verbundenen Entscheidungen beruhen auf §§ 56a, 56c, 56d, 453 Abs. 1 S. 1 StGB.

5. Die Anordnung, dass der Verurteilte vom Leiter der Justizvollzugsanstalt über die Bedeutung der Aussetzung der Strafreste, über die Dauer der Bewährungszeit, über die Weisungen und über die Möglichkeit des Widerrufs der Aussetzung zu belehren ist, beruht auf § 454 Abs. 4 Satz 2 StPO.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

Einsender: RA M. Rahmlow, Duisburg

Anmerkung:


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