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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Erstverbüßerregelung, Anschlussvollstreckung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 09.06.2011 - III-3 Ws 164 u. 165/11

Fundstellen:

Leitsatz: Die Erstverbüßerregelung kann auch dann Anwendung finden, wenn weitere Strafen im Anschluss zu vollstrecken sind (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung)


OBERLANDESGERICHT HAMM
BESCHLUSS
III-3 Ws 164 u. 165/11 OLG Hamm
Strafvollstreckungssache
gegen pp.
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.,
(hier sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen die Anordnung der bedingten Entlassung).

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 5. Mai 2011 gegen die Anordnung der bedingten Entlassung des Verurteilten durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer Bielefeld vom 28. April 2011 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09.06.Juni 2011 durch beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen
Der Verurteilte ist aus der Verbüßung der Strafhaft in den Verfahren 36 Js 2197/08 und 86 Js 2116/07 StA Bielefeld zu entlassen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Verurteilten in diesem Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:
Der Verurteilte verbüßt seit dem 25. Mai 2010 zwei Freiheitsstrafen in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne, dabei handelt es sich um die fünfmonatige Gesamtfreiheitsstrafe wegen versuchter Körperverletzung in drei Fällen, Bedrohung, unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln aus dem Urteil des Amtsgerichts Rheda-Wiedenbrück vom 7. Mai 2008 (rechtskräftig seit demselben Tage; AZ 1 Ds 86 2116/07 — 15/08 AG Rheda- Wiedenbrück), deren Vollstreckung zunächst auf die Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt war. Die Strafaussetzung wurde im Folgenden widerrufen. Des weiteren verbüßt der Verurteilte die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln aus dem Urteil des Amtsgerichts Gütersloh vom 3. April 2009 (rechtskräftig seit dem 10. Mai 2010; AZ 8 Ls 36 Js 2197/08 — 277/08 AG Gütersloh).

Von der erstgenannten fünfmonatigen Strafe, die in der Vollstreckungsreihenfolge zuvorderst steht, hatte der Verurteilte am 2. September 2010 2/3 verbüßt; vom 3. September 2010 bis zum 1. Juni 2011 hat der Verurteilte die zweitgenannte Strafe zur Hälfte verbüßt. Der gemeinsame 2/3-Zeitpunkt ist auf den 31.08.2011 notiert. Das Strafende beider Vollstreckungen ist am 21. April 2012 erreicht.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 28. April 2011 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Verbüßung der Strafhaft zum 1. Juni 2011 angeordnet, die Bewährungszeit auf drei Jahre bestimmt und den Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. Die Strafvollstreckungskammer geht dabei davon aus, dass dem Verurteilten, der erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt, eine günstige Sozialprognose zu stellen sei und er — nachdem hinsichtlich der zuerst verbüßten Strafe gemäß § 57 Abs. 2 StGB wegen der Kürze unter sechs Monaten eine Halbstrafenentscheidung ausscheidet — hinsichtlich der an zweiter Stelle verbüßten Strafe als Erstverbüßer anzusehen sei, so dass eine Halbstrafenentscheidung nach § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht komme. Die Strafvollstreckungskammer sieht es dabei für die Erstverbüßung als maßgeblich an, dass sich der Verurteilte insgesamt erstmals in Haft befindet.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit der nach Zustellung an sie am 29. April 2011 unter dem 5. Mai 2011 am selben Tage eingelegten sofortigen Beschwerde mit weiteren Ausführungen soweit dem Verteilten in dem Verfahren 36 Js 2197/08 StA Bielefeld das sog. Erstverbüßerprivileg zugutegekommen ist.

Die Staatsanwaltschaft ist unter Bezugnahme auf die bisherige übereinstimmende Rechtsprechung der Strafsenate des hiesigen Oberlandesgerichts der Auffassung, dass dem Verurteilten das Erstverbüßerprivileg nicht gebühre, da dies in den Fällen der Anschlussvollstreckung nur hinsichtlich der in der Vollstreckungsreihenfolge an erster Stelle stehenden Freiheitsstrafe gelte.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der örtlichen Staatsanwaltschaft beigetreten.

Da die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung ausschließlich auf die nach ihrer Auffassung fehlerhafte Geltung des Erstverbüßerprivilegs gestützt habe, ohne aber im Übrigen die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB zu prüfen, beantragt die Generalstaatsanwaltschaft, den Beschluss der Strafvollstreckungskammer aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Bielefeld zurückzuverweisen.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 454 Abs. 3 StPO, 57 StGB statthaft und gemäß § 311 Abs. 2 StPO fristgerecht eingelegt worden und insgesamt zulässig.

Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

Der Verurteilte ist bereits zum jetzigen Zeitpunkt aus der Strafhaft zu entlassen. Zu Recht ist die Strafvollstreckungskammer davon ausgegangen, dass dem Verurteilten hinsichtlich der in der Vollstreckungsreihenfolge an zweiter Stelle stehenden Strafe aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Gütersloh vom 3. April 2009 von einem Jahr und sechs Monaten das sogenannte Erstverbüßerprivileg i.S.d. § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB zugutekommt. Diese Vorschrift gilt nämlich nicht allein für die in der Vollstreckungsreihenfolge als erstes notierte Strafe — hier die aus dem Urteil des Amtsgerichts Rheda-Wiedenbrück vom 7. Mai 2008 -, sondern gilt auch dann, wenn sich —wie hier - im Anschluss daran unmittelbar die Vollstreckung einer weiteren Strafe anschließt.

Der Senat gibt damit seine bisherige - von den anderen Strafsenaten des hiesigen Oberlandesgerichts geteilte - Rechtsprechung auf, nach der die einzelnen Strafen vollstreckungsrechtlich als selbstständig zu behandeln, die bedingte Entlassung für jede einzelne Strafe gesondert zu prüfen und nach § 454 b Abs. 3 StPO gleichzeitig und einheitlich zu bescheiden ist. Der Senat schließt sich vielmehr der in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur herrschenden Auffassung an, nach der auch in den Fällen der Anschlussvollstreckung mehrerer selbständiger Freiheitsstrafen darauf abzustellen ist, dass sich der Verurteilte insgesamt erstmals in Strafhaft befindet (vgl Köln NStZ-RR 2007, 251; Bremen StV 2009, 260; Celle StV 1990, 271;Fischer, StGB, 57.Aufl. Rdnr. 25 zu § 57 m.w.N.; Schönke/Schröder-Stree, StGB, 28. Aufl., Rdnr. 23a zu § 57 m.w.N.). Im Sinne der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung und angesichts der aus Sicht eines Verurteilten in der Lebenswirklichkeit unteilbaren „ersten Eindrucks" der Strafhaft ist diese Betrachtung geboten. Den gegen diese Sichtweise vorgebrachten Bedenken kann, soweit dies in Einzelfällen geboten erscheint, hinreichend dadurch Rechnung getragen werden, dass die bedingte Entlassung nach § 57 Abs. 2 StGB als Kann-Bestimmung ausgestaltet und damit ein sachgerechter Ermessensspielraum eröffnet ist (BGH NStZ 88, 495).

Die anderen Strafsenate des Oberlandesgerichts Hamm haben angekündigt, dieser Auslegung des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu folgen.

Da der Verurteilte mithin hinsichtlich der aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Gütersloh vom 3. April 2009 zu verbüßenden Strafe als Erstverbüßer i.S.d. § 57 • Abs. 2 Nr. 1 StGB anzusehen ist, kommt eine Aussetzung dieser Strafe zur Bewährung schon nach Verbüßung der Hälfte in Betracht, wenn ihm eine günstige Sozialprognose im Sinne von § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB gestellt werden kann und der Verurteilte einwilligt.

Dass die Strafvollstreckungskammer dem Verurteilten aufgrund des persönlichen Eindrucks in der Anhörung und aufgrund seines sozialen Empfangsraums eine günstige Prognose gestellt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden; auch ist diese Beurteilung der Sozialprognose als günstig von der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die bedingte Entlassung im Verfahren 86 Js 2116/07 nicht gewandt hat, nicht angegriffen worden.

Die Einwilligung des Verurteilten, der selbst seine vorzeitige Entlassung beantragt hat, liegt vor.

Die sofortige Beschwerde war daher ohne Erfolg.
Auf die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB kommt es damit nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung folgt aus. 473 Abs. 1 StPO.

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