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Entscheidungen

StPO

Strafvollstreckungsverfahren, Pflichtverteidiger

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 20.09.2011 - 2 Ws 242/11

Fundstellen:

Leitsatz: Die Einholung eines Sachverständigengutachtens in einem Strafvollstreckungsverfahren gebietet jedenfalls dann die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn sich die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Entscheidung umfassend mit diesem fachkundig auszuwertenden psychiatrischen Sachverständigengutachten auseinanderzusetzen hat. Dies gilt im besonderen Maße, wenn Gegenstand der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer die Frage ist, ob die weitere Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann.


Oberlandesgericht Celle
2 Ws 242/11
Beschluss
In der Strafvollstreckungssache
gegen pp.
wegen Mordes
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht am 20. September 2011 beschlossen:
Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der großen Strafvoll- streckungskammer des Landgerichts Lüneburg mit Sitz in Celle vom 3. August 2011, mit der die Beiordnung von Rechtsanwalt B. als Pflichtverteidiger abgelehnt worden ist, aufgehoben.
Dem Verurteilten wird für das Verfahren über die Entscheidung gemäß § 57 a Abs. 1 StGB Rechtsanwalt B. als not- wendiger Verteidiger beigeordnet (§ 140 Abs. 2 StPO entsprechend).
Die Landeskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
Gründe:
Das Landgericht Aurich erkannte mit Urteil vom 07.11.1986 gegen den Verurteilten wegen Mordes auf eine lebenslange Freiheitsstrafe. Der Verurteilte hatte seiner früheren Freundin wegen einer von ihr ausgehenden und von ihm nicht akzeptierten Trennung die Kehle mit einem Bundeswehrmesser durchschnitten, wobei sogar die Wirbelsäule des Opfers bis zu einer Tiefe von 2,2 cm durchtrennt wurde.
15 Jahre dieser Strafe waren am 26.01.2001 verbüßt. Mit Beschluss vom 17.10.1997 hatte die Strafvollstreckungskammer entschieden, dass die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die Vollstreckung der verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe bis zum Ablauf von 17 Jahren erfordert. Diese 17 Jahre hatte der Verurteilte am 26.01.2003 verbüßt,
Mit Beschluss vom 25.06.2004 wurde die Vollstreckung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe mit Wirkung zum 22.07.2004 zur Bewährung ausgesetzt. Anderthalb Jahre später, am 25.01.2006, wurde er durch das Landgericht Oldenburg wegen Diebstahls und wegen Körperverletzung, begangen am 01.01.2005, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Der Verurteilte hatte seine ihm körperlich deutlich unterlegene Freundin zu Boden gerissen und misshandelt, als diese ihr von dem Verurteilten zuvor entwendetes Handy zurückgefordert hatte. Auf diese Verurteilung hin wurde die Aussetzung der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung widerrufen.

Die Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten verbüßte der Verurteilte vom 01.09.2006 bis zum 17.07.2007 vollständig. Seit dem 18.07.2007 wird die lebenslange Freiheitsstrafe weiter vollzogen.

Der Verurteilte hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26.05.2011 beantragt, den Rest der lebenslangen Freiheitsstrafe erneut zur Bewährung auszusetzen und ihm Rechtsanwalt B. aus Minden als Verteidiger beizuordnen.

Die große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg mit Sitz in Celle lehnte die beantragte Beiordnung von Rechtsanwalt B. ab und beraumte Anhörungstermin (§ 454 Abs. 1 Satz 3 StPO) auf den 23.09.2011 an. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens wurde nicht beschlossen.

Gegen die die Beiordnung ablehnende Entscheidung der Strafvollstreckungskammer hat der Verurteilte Beschwerde eingelegt.

Die Strafvollstreckungskammer hat - ohne eine Nichtabhilfeentscheidung zu treffen - die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.

II.
Das zulässige Rechtsmittel des Verurteilten ist begründet. Die Voraussetzungen ei- ner Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 140 Abs. 2 StPO entsprechend sind erfüllt.

1. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist auch im Vollstreckungsverfahren in
entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO zulässig (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 140 Rdnr. 33, 33 a m. w. N.), wenn die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, dies gebieten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27.04.1999, NStZ-RR 1999, 319) oder wenn die Entscheidung von besonders hohem Gewicht ist (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.01.2008 - 3 Ws 26/08, juris).

2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

a) Die Strafvollstreckungskammer wird zur Vorbereitung ihrer Entscheidung über die Aussetzung der weiteren Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57 a StGB ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen haben, ob die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit des Verurteilten fortbesteht. Das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung erfordert grundsätzlich für eine erstmalige Entscheidung über die Strafrestaussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ein zeitnahes wissenschaftlich fundiertes Gutachten. Die richterliche Einschätzung bedarf mit Blick auf die hohe Bedeutung des Freiheitsgrundrechts einer sachverständigen Absicherung (vgl. BVerfG, StraFo 2009, 413 -juris; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 57 a Rdnr. 20; Senat, Beschluss vom 12.09.2011 - 2 Ws 244/11 -).

Zwar hatte die Strafvollstreckungskammer nach dem Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe mit Beschluss vom 20.11.2009 es abgelehnt, die Vollstreckung der restlichen lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, hatte jedoch in diesem Verfahren kein Sachverständigengutachten eingeholt. Das letzte Gutachten über den Verurteilten hatte der Sachverständige im Januar 2006 im Rahmen des Erkenntnisverfahrens vor dem Landgericht Oldenburg wegen der Tat vom 01.01.2005 erstattet, dieses Gutachten liegt der Strafvollstreckungskammer indes nicht vor und berücksichtigt die Entwicklung des Verurteilten in den letzten 5 Jahren auch nicht.

Das letzte Sachverständigengutachten, welches zur Vorbereitung der Entscheidung der Strafaussetzung zur Bewährung im Jahre 2004 eingeholt wurde, datiert vom 06.06.2004 und liegt somit mehr als 7 Jahre zurück. Seit dem Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung ist dann kein externes Sachverständigengutachten mehr über den Verurteilten eingeholt worden. In Ansehung der seit dem letzten Sachverständigengutachten verstrichenen Zeit und des Umstandes, dass sich der Verurteilte zwischenzeitlich in Freiheit befunden und eine weitere Straftat begangen hat, bedarf es der Einholung eines neuen Gutachtens.
b) Die Einholung eines Sachverständigengutachtens in einem Strafvollstreckungsverfahren gebietet jedenfalls dann die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn sich die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Entscheidung umfassend mit diesem fachkundig auszuwertenden psychiatrischen Sachverständigengutachten auseinanderzusetzen hat (vgl. Brandenburgisches OLG, StV 2007, 95 f. -juris; OLG Frankfurt a. a. 0.; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 24.10.2007 -2 Ws 450/07 -juris). Dies gilt im besonderen Maße, wenn Gegenstand der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer die Frage ist, ob die weitere Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

Einsender: RA B.Brüntrup, Minden

Anmerkung:


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