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Entscheidungen

OWi

Testkäufer, faires Verfahren, Tatprovokation

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bremen, Beschl. v. 31.10. 2011 - 2 SsRs 28/11

Fundstellen:

Leitsatz: Werden an einen von der Polizei angeleiteten jugendlichen Testkäufer bei einem Kontrollkauf entgegen § 9 Abs. 1 JuSchG alkoholische Getränke abgegeben, liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor, wenn der Testkäufer die Schwelle zur Tatprovokation nicht überschreitet. Eine Tatprovokation liegt nicht vor, wenn der Testkäufer lediglich das Verhalten eines normalen“ Kunden an den Tag legt und darüber hinaus nichts unternimmt, um Bedenken des Verkäufers zu zerstreuen, der Kunde habe nicht das notwendige Mindestalter für den Erwerb der Alkoholika.


In pp.
Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Bremerhaven hat den Betroffenen am 06.10.2010 wegen einer fahrlässigen Abgabe alkoholischer Getränke an Jugendliche nach §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 28 Abs. 1 Nr. 10 Jugendschutzgesetz (JuSchG), § 17 OWiG zu einer Geldbuße in Höhe von 200,00 Euro verurteilt.
Zum Tatgeschehen heißt es im Urteil u.a.:
„Der Betroffene fungierte zum Tatzeitpunkt, nämlich am 06.05.2010, in dem Café L. in Bremerhaven, als verantwortlicher Angestellter. Neben ihm bediente die dort ebenfalls angestellte jetzt 18-jährige D.
An jenem Tage wurden Testkäufe von Jugendlichen unter polizeilicher Führung durchgeführt, um zu überprüfen, ob sich Gaststätten oder andere Verkaufsstellen an das Abgabeverbot von alkoholischen Getränken an Kinder und Jugendliche halten. Zu diesen Testkäuferinnen gehörte die seinerzeit 17-jährige Zeugin P. Der sie begleitende Polizeibeamte war Herr Y. Die Zeugin P. begab sich in das Café L. und wollte hochprozentigen Alkohol kaufen. Sie erklärte, dass sie für eine Party noch ein Geburtstagsgeschenk benötige. Die 18-jährige Angestellte D. wollte der Zeugin eine Grappaflasche mit 40 %igem Alkohol verkaufen, war sich jedoch nicht sicher, ob sie aufgrund des noch jugendlichen Alters der Zeugin dieses machen dürfe. Die Testkäuferin hatte auf Nachfrage ihr wahres Alter genannt. Frau D. rief daraufhin den Betroffenen als Verantwortlichen hinzu. Ob die Zeugin P. selbst nochmals gegenüber dem Betroffenen ihr Alter angab, konnte nicht geklärt werden. Der Betroffene verkaufte sodann der Testkäuferin die Grappaflasche in einer Geschenkumverpackung zu einem Preis von 10 €.
Mit der gekauften Alkoholflasche begab sich die Zeugin vor das Café, wo sie den Sachverhalt dem Polizeibeamten Y. schilderte und ihm die Flasche aushändigte. Sodann begab sich der Polizeibeamte mit der Grappaflasche in das Café und hielt dem Betroffenen nach Belehrung vor, dass ihm ein Verstoß nach § 9 Jugendschutzgesetz zu machen sei. Als der Polizeibeamte Y. dem Betroffenen erklärte, dass er eine Anzeige gegen ihn fertigen werde, reagierte der Betroffene zunehmend aggressiv und erklärte, dass es ihm egal sei, wer komme, er verkaufe an jeden. Wenn er die Testkäuferin noch einmal sehe, werde sie schon sehen, was sie davon habe. Sie sollte besser aufpassen.“
Gegen dieses Urteil hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 06.10.2010, bei Gericht eingegangen am 07.10.2010, einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Diesen hat er, nachdem ihm die schriftlichen Urteilsgründe am 21.01.2011 zugestellt worden sind, mit Schriftsatz vom 08.02.2011, bei Gericht eingegangen am 10.02.2011, und weiter mit Schriftsatz vom 07.04.2011 begründet. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat in ihrer Stellungnahme vom 28.03.2011 beantragt, die Rechtsbeschwerde gegen das amtsgerichtliche Urteil zuzulassen und sie als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Der Bußgeldsenat – Einzelrichter – hat die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Bremerhaven vom 06.10.2010 mit Beschluss vom heutigen Tage gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zugelassen und gemäß § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG die Sache auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Die statthafte (§ 79 Abs. 1 S.. 2 OWiG), form- und fristgerecht eingelegte (§§ 79 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 OWiG, 341 StPO) und begründete (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 344, 345 StPO) Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Das Amtsgericht Bremerhaven hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 06.10.2010 zu Recht eine Geldbuße von 200,00 € wegen des am 06.05.2010 begangenen Verstoßes gegen § 9 JuSchG festgesetzt. Die Nachprüfung der Entscheidung aufgrund der Beschwerderechtfertigung, in der der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 und 3 StPO).
1. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers verstößt der durch die Zeugin P. durchgeführte „Testkauf“ nicht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.
Dieser Grundsatz beansprucht über Art. 6 EMRK auch für das gerichtliche Bußgeldverfahren Geltung (vgl. KK-Lampe, OWiG, 3. Auflage, 2006, § 46 OWiG, Rn. 6 ff. m.w.N.). Überdies wurzelt er in der deutschen Rechtsordnung ohnehin im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten, Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG (BVerfGE 38, 105, 111; 57, 250, 274; 63, 380, 390; 66, 313, 318) und findet entweder direkt als Verfahrensgrundsatz mit Verfassungsrang oder im Hinblick auf die Verhältnismäßgkeit polizeilicher Handlungen im Rahmen von Aufgabenzuweisungsnormen und Eingriffsbefugnissen Eingang in die Prüfung der Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns.
Angesichts der Weite und Unbestimmtheit dieses Grundsatzes lassen sich im Einzelfall Folgerungen aus ihm indes nur dann ziehen, wenn sich unter Beachtung aller Umstände ergibt, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind (BVerfG, NJW 1985, 1767; NJW 1987, 1874, 1875). Im Bereich der Strafrechtspflege sind bei der Bewertung verdeckter polizeilicher Ermittlungstätigkeit auf der einen Seite das rechtsstaatliche Gebot der Durchsetzung materieller Gerechtigkeit und der Rechtsgüterschutz zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 44, 353, 374). Dies gilt für das Bußgeldverfahren entsprechend, in dem der Gesetzgeber Ordnungswidrigkeiten - sogenanntes Verwaltungsunrecht - aufgeklärt und geahndet wissen will (BVerfG, NJW 1985, 1767). Auf der anderen Seite untersagt das Rechtsstaatsprinzip den Ermittlungsbehörden, auf die Verübung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten hinzuwirken, wenn die Gründe vor diesem Prinzip nicht bestehen können (BGH NStZ 1981, 70; NJW 1980, 1761). In diesem Spannungsfeld von im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegten Gegenläufigkeiten bedarf es stets einer alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Bewertung der Ermittlungstätigkeit der Behörden. Die Frage, ob das tatprovozierende Handeln einer von der Polizei angeleiteten polizeilichen Vertrauensperson für das Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Provozierten Folgen zeitigt – sei es im Rahmen der Rechtsfolgenbemessung oder als Verfahrenshindernis (vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage, 2011, § 46, Rn. 66 f.; Schönke/Schröder-Stree/Kinzig, StGB, 28. Auflage, 2010, § 46, Rn. 13; LK-Theune, StGB, 12. Auflage, 2006, § 46, Rn. 253 ff, insbes. 262) -, hängt zunächst davon ab, ob überhaupt eine Tatprovokation vorliegt. Das ist für den hier in Rede stehenden von der Polizei angeleiteten Testkauf nicht der Fall.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Einsatz sog. Lockspitzel im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität liegt keine Tatprovokation vor, wenn die Vertrauensperson der Polizei einen Dritten ohne sonstige Einwirkung lediglich darauf anspricht, ob er Betäubungsmittel beschaffen könne oder die offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausnutzt (BGHSt 47, 44; Urteil vom 30.05.2011, 1 StR 116/01 – juris). Die von der Polizei angeleitete Vertrauensperson muss mithin mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirken (Fischer, aaO, Rn. 66; Schönke/Schröder-Stree/Kinzig, aaO; Weber, BtMG, 3. Auflage, 2009, § 4, Rn. 117 ff.).
Die vom BGH in dieser Weise zum Lockspitzeleinsatz beschriebenen Maßstäbe sind im Grundsatz auf die hier vorliegende Situation der Alkohol-Testkäufe Jugendlicher zu übertragen. Insoweit ist allerdings nicht zu verkennen, dass die Ausgangssituation beim Lockspitzeleinsatz im Zusammenhang mit der Ermittlung und Bekämpfung besonders gefährlicher Straftaten, zu denen auch der Rauschgifthandel gehört, signifikante Unterschiede aufweist zu der mindestens als im Grenzbereich zwischen repressiver und präventiver polizeilicher Tätigkeit anzusiedelnden Kontrolle der Einhaltung von § 9 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG durch Testkäufer. Während es dort im Regelfall um die Bekämpfung organisierter schwerer Kriminalität geht, bei der die Strafverfolgungsorgane ohne den Einsatz sog. V-Leute nicht auskommen (vgl. BVerfG, NJW 1987, 1874, 1875), verfolgt der Staat hier die in erster Linie ordnungsrechtliche Aufgabe des Schutzes Jugendlicher vor den Gefahren des Alkoholkonsums. Die ungleiche gesellschaftliche Bedeutung der Bekämpfung des Rauschgifthandels und der Kontrolle des Alkoholabgabeverbotes wird schon dadurch hervorgehoben, dass Verstöße gegen § 9 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG lediglich bußgeldbewehrt und damit in ihrem Unwertgehalt deutlich niedriger anzusiedeln sind als Verstöße gegen das BtMG. Gleichwohl kann das Erfordernis einer wirksamen Kontrolle auch im Bereich des § 9 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG den Einsatz von Testkäufern erforderlich machen. So wird die Notwendigkeit einer Kontrolle der Einhaltung des Abgabeverbots an Jugendliche eindrucksvoll durch die Ergebnisse sämtlicher am 06.05.2010 in Bremerhaven erfolgten Testkäufe dokumentiert: Danach wurde Jugendlichen in 27 von 43 Verkaufsstellen verbotenerweise Alkohol verkauft. Allerdings begründet eine bloße Zweckdienlichkeit nicht die Zulässigkeit eines Verzichts auf rechtsstaatlich gebotene Beschränkungen der Kontrollmaßnahmen.
Die im Vergleich zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität anders zu gewichtende Bedeutung der Bekämpfung von Verstößen gegen § 9 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG ist bei der Anwendung der zu den Lockspitzeln entwickelten Grundsätze über die Erheblichkeit der Einwirkung zu berücksichtigen. Die Schwelle zur Tatprovokation, die einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfte, ist daher in Fällen wie dem vorliegenden überschritten, wenn die Testkäufer ein vom „normalen“ Kunden abweichendes Verhalten an den Tag legen, das geeignet ist, Bedenken des Verkäufers zu zerstreuen, der Kunde habe nicht das notwendige Mindestalter für den Erwerb der Alkoholika. Im Hinblick auf diese Grundsätze kann im vorliegenden Fall eine erhebliche Einwirkung auf den Betroffenen nicht festgestellt werden. Der äußere Ablauf des Geschehens, wie er sich aus den Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts ergibt, weist keine Besonderheiten auf, die auf eine erhebliche Willensbeeinflussung des Betroffenen hindeuten. Zwar wäre der konkrete Ordnungswidrigkeitenverstoß nicht begangen worden, wenn die Zeugin P. nicht mit dem Wunsch nach dem Erwerb einer Grappaflasche an den Betroffenen herangetreten wäre. Darauf kommt es aber nicht an, weil andernfalls – entgegen den vom BGH aufgestellten Grundsätzen (vgl. BGHSt 45, 321; 47, 44) – jede auf das Tatgeschehen bezogene Mitverursachung durch polizeiliche Vertrauenspersonen als Tatprovokation anzusehen wäre.
Hier stellt sich das Verhalten der Zeugin P. als ein äußerlich völlig „normaler“ Vorgang eines – bei Erwachsenen – legalen Angebots zum Erwerb eines alkoholhaltigen Getränks durch einen Kunden dar. Insoweit ist auch das Auftreten einer Person, die offenkundig noch sehr jung ist und jedenfalls minderjährig sein könnte, für sich genommen nichts ausgesprochen Ungewöhnliches. Vor allem lässt es dem Betroffenen jede Freiheit sich zu entscheiden, ob er sich von dem tatsächlichen Alter der Kundin überzeugt oder nicht.
Eine weitergehende Animierung zur Tat ist nicht festzustellen. Insbesondere hat die Zeugin P. nach den Feststellungen im Urteil gegenüber der Angestellten D. vor dem Hinzutreten des Betroffenen ihr wahres Alter genannt. Damit hat sie sich im Übrigen an die Anweisungen gehalten, die ihr vor dem „Einsatz“ im Rahmen einer Einführungsveranstaltung der Polizei erteilt wurden und nach denen sie bei den Verkaufsstellen im Fall einer Nachfrage ihr wahres Alter nennen und bei Aufforderung ihren Personalausweis vorlegen sollte. Hält sich der jugendliche Testkäufer wie im vorliegenden Fall an diese Vorgaben, wird im Regelfall eine Tatprovokation nicht anzunehmen sein. Gleichwohl können bei dem konkreten Geschehen besondere Umstände im Auftreten des Testkäufers vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung erfordern, wenn er über die eigentliche Geschäftsabwicklung hinaus auf die Willensbildung des Verkäufers einwirkt. Solche Umstände sind hier nicht erkennbar. Insbesondere kann ein erhebliches Einwirken darauf, die Tatbereitschaft bei dem Betroffenen zu wecken, nicht darin gesehen werden, dass die Zeugin von sich aus erwähnte, die Flasche als Partygeschenk zu benötigen. Zwar hat die Zeugin damit – in welchem Zusammenhang und aus welchem konkreten Grund lässt sich den Feststellungen nicht im Einzelnen entnehmen – einen Grund für den Erwerb genannt, der über das hinaus geht, worüber sich Kunde und Verkäufer üblicherweise im Rahmen eines derartigen Erwerbsgeschäftes austauschen. Dass der Betroffene – wie er in der Beschwerde vorbringt – (erst) hierdurch zu dem Verstoß stimuliert worden sei, überzeugt indes nicht. Eher müsste im Gegenteil eine solche Erklärung einer jungen Kundin für den Erwerb des Getränks den Verkäufer besonders dafür sensibilisieren, ob die Kundin schon das Mindestalter besitzt und zu einer entsprechenden Aufklärung herausfordern. Etwas Anderes könnte anzunehmen sein, wenn sie etwa behauptet hätte, das Getränk sei für einen Volljährigen bestimmt, was die Bereitschaft des Verkäufers u.U. erhöht, auf eine an sich gebotene Alterskontrolle zu verzichten. Ein derartiges Vorbringen der Zeugin ergibt sich aus den Feststellungen jedoch nicht.
2. Soweit der Beschwerdeführer meint, aus der unzulässigen Tatprovokation leite sich ein Verwertungsverbot bezüglich der Aussage des den Einsatz der Testkäuferin anleitenden Polizeibeamten Y. her, kann er damit schon deshalb nicht durchdringen, weil – wie dargelegt – keine Tatprovokation festzustellen ist.
3. Mit seinem weiteren Beschwerdevorbringen rügt der Betroffene, dass der Ermittlungsvermerk des Polizeibeamten Y. entgegen § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO in der Hauptverhandlung verlesen worden sei. Auch diese Rüge verhilft der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg.
§ 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO erlaubt die Verlesung von in einer Urkunde enthaltenen Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben. Diese Regelung gilt nach § 46 Abs. 1 OWiG auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren. § 77a OWiG enthält für die in einer Urkunde niedergelegte Vernehmung des Betroffenen keine davon abweichenden Bestimmungen. Soweit der ergänzende Vermerk des Zeugen Y. die Anmerkung enthält: „Angabe des K.: Mir ist es egal, wer kommt. Ich verkaufe an jeden. Wenn ich sie noch mal sehe, wird sie schon sehen, was sie davon hat. Sie soll besser aufpassen.“, handelt es sich um Angaben im Rahmen einer Vernehmung, die dem Verlesungsverbot des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO unterfallen. Die Annahme einer Vernehmungssituation ergibt sich aus den eindeutigen Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts. Danach machte der Betroffene seine Angaben „nach Belehrung“ durch den Zeugen Y. und auf dessen Vorhalt eines Verstoßes gegen § 9 JuSchG. Dafür dass es sich dabei – wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 28.03.2011 meint – um eine Spontanäußerung des Betroffenen gehandelt haben soll, geben die Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil dagegen nichts her.
Allerdings ergibt sich aus den Urteilsgründen, dass die zum Tatgeschehen getroffenen Feststellungen nicht auf einem Verstoß gegen das Verlesungsverbot beruhen (§ 337 Abs. 1 StPO). Insoweit hat der Betroffene den Verkauf des Getränks an die Zeugin P. in der Hauptverhandlung selbst eingeräumt. Auch der Rechtsfolgenausspruch beruht nicht auf der unzulässigen Verlesung des Vermerks. Vielmehr hat nach den Urteilsfeststellungen der Zeuge Y. in der Hauptverhandlung erklärt, dass er das Verhalten des Betroffenen in besonderer Weise als verwerflich angesehen habe, da der Betroffene sich völlig uneinsichtig gezeigt und auch noch Drohungen ausgestoßen habe. Er könne sich an diese Äußerungen selbst erinnern. Soweit das Amtsgericht daher die Äußerungen des Betroffenen bei der Bemessung des Bußgeldes erhöhend berücksichtigt hat, beruht dies erkennbar auf den Aussagen des Zeugen Y., und es erscheint ausgeschlossen, dass das Urteil insoweit ohne die Gesetzesverletzung möglicherweise anders ausgefallen wäre.
4. Soweit der Betroffene in der Rechtsbeschwerdebegründung rügt, dass das Amtsgericht die Aussage des Zeugen Y. in der Hauptverhandlung über die ihm gegenüber gemachten Angaben des Betroffenen mangels dessen vorheriger Belehrung nicht habe verwerten dürfen, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg der Rechtsbeschwerde. Dabei kann dahinstehen, ob das Amtsgericht die Angaben des Betroffenen unter Verletzung von § 136 Abs. 1 StPO zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat. Denn ein etwaiges Beweisverwertungsverbot folgt daraus nicht, weil der verteidigte Betroffene insoweit der Verwertung nicht ordnungsgemäß widersprochen hat. Von daher kann auch offen bleiben, ob das im Strafverfahren grundsätzlich anzunehmende Verwertungsverbot von Angaben eines Beschuldigten gegenüber Polizeibeamten, denen keine Belehrung nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO vorausgegangen ist, im Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten überhaupt gilt (vgl. Göhler-Seitz, O-WiG, 15. Auflage, 2009, § 46, Rn. 10c; Hecker, NJW 1997, 1833 ff; offen gelassen von BGHSt 38, 214). Denn für das Strafverfahren ist anerkannt, dass Angaben eines Angeklagten, die von ihm im Ermittlungsverfahren unter Verstoß gegen die Verfahrensgrundsätze des § 136 Abs. 1 S. 2 StPO erlangt wurden, gleichwohl verwertet werden können, wenn der (verteidigte) Angeklagte nicht bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt widersprochen hat (BGH, aaO; BGHSt 50, 272, 274; BGHSt 39, 349, 352; NJW 1997, 3587, 3588). Der Widerspruch des verteidigten Angeklagten bedarf regelmäßig einer Begründung, in der – zumindest in groben Zügen – anzugeben ist, unter welchem Gesichtspunkt er den zu erhebenden oder bereits erhobenen Beweis für unverwertbar hält. Die Begründung muss die Angriffsrichtung erkennen lassen, die den Prüfungsumfang durch das Tatgericht begrenzt (BGH, NJW 2007, 3587, 3588 f.). Dadurch soll dem Tatgericht die Möglichkeit gegeben werden, sich mit dem Einwand auseinanderzusetzen. Der befristet zu erhebende Widerspruch dient insoweit der gebotenen Verfahrensförderung, ohne dass dem verteidigten Angeklagten dadurch unzumutbare Anforderungen auferlegt würden (vgl. BGH, aaO). Der Widerspruch des Betroffenen im vorliegenden Verfahren bezog sich ausweislich der Beschwerdebegründung ausschließlich auf die mit seinem Antrag in der Hauptverhandlung geltend gemachte vermeintliche Unverwertbarkeit aufgrund einer Tatprovokation. Auf einen etwa ebenfalls gegebenen Verstoß gegen § 136 Abs. 1 S. 2 StPO wurde der Widerspruch hingegen nicht gestützt.
5. Auch im Übrigen lässt das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Bremerhaven keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen.
Die weiteren Feststellungen zum Sachverhalt und zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen tragen den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch. Insofern wird auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 28.03.2011 verwiesen, der sich der Senat anschließt.
6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO

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