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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Strafzumessung, Schweigen des Angeklagten, Anklageschrift, Umfang

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG München, Beschl. v. 15.11.2011 - 5St RR (I) 64/11

Fundstellen:

Leitsatz:


Das Schweigen des Angeklagten darf bei der Strafzumessung nicht zu seinen Lasten herangezogen werden .

BESCHLUSS
In pp.
Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts München hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht, der Richterin am Oberlandesgericht und des Richters am Oberlandesgericht beschlossen:

In dem Strafverfahren
gegen pp.
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln

am 15. November 2011

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das das Urteil des Amtsge-richts Memmingen vom 28. Juni 2011 im Rechtsfolgenausspruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an einen anderen Jugendrichter des Amtsgerichts Memmingen zurück ver-wiesen.

Gründe:

I.
Das Amtsgericht Memmingen/Jugendrichter hat den Angeklagten am 28. Juni 2011 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen. Es hat ihn verwarnt, einen Dauerarrest von drei Wochen verhängt und dem Angeklag-ten die Weisung erteilt, an einem TeD-Kurs nach näherer Weisung der PSB Memmingen teilzunehmen und die Teilnahme nachzuweisen. Das iPhone des An-geklagten hat es eingezogen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der (Sprung-)Revision. Er ist der Ansicht, dass die angeklagte Tat nicht hinreichend konkretisiert sei, somit ein Verfahrenshindernis vorliege. Im Übrigen rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit der Formalrüge macht er geltend, der Jugendrichter hätte durch Erholung eines Sachverständigengutachtens aufklären müssen, ob er tatsächlich Marihuana besessen habe. Die Sachrüge ist allgemein erhoben. Ausdrücklich führt der Angeklagte aus, das Amtsgericht habe bei der Strafzumessung gegen den Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ verstoßen und zudem seinen positiven beruflichen Werdegang als Strafmilderungsgrund unberücksichtigt gelassen.


II.


Die zulässige (Sprung-)Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersicht-lichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie als unbegründet zu verwerfen (§ 349 Abs. 2, Abs. 4 StPO).

1. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Die dem Angeklagten in der Anklageschrift vom 6. Mai 2011 zur Last gelegte Tat ist hinreichend konkret bezeichnet (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO).

In der Anklage ist ausgeführt:

Zu einem nicht genauen Zeitpunkt vor dem 15.04.2011, jedoch in unverjähr-ter Zeit, bewahrte der Angeschuldigte in seinem Zimmer in der Wohnung
in in einer Gefriertüte eine nicht näher bekannte Menge Marihuana wissentlich und willentlich auf.

Wie der Angeschuldigte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Be-täubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.

Die Anklage hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vor-gangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unter-scheiden lassen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Ge-richt nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (Umgrenzungsfunktion; vgl. BGHSt 40, 390, 392).

Soweit der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 1. April 1998 – 3 StR 22/98 – (StV 1998, 469, 470) darauf hingewiesen hat, dass für die Umschreibung eines bestimmten Tatzeitraums die für einen Angeklagten häufig nicht verständli-che Leerformel „in nicht rechtsverjährter Zeit“ nicht ausreiche, da offenbleibe, in welchem Jahr die Taten begangen worden sein sollen, betrifft diese Entscheidung, worauf Schneider zu Recht hingewiesen hat (KK-StPO, 6. Aufl. § 200 Rdn. 3), be-sonders gelagerte Sachverhaltskonstellationen bei Serienstraftaten, die hier nicht gegeben sind. Zudem sind mangelnde Angaben zur Tatzeit jedenfalls dann un-schädlich, wenn die prozessuale Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen ausreichend individualisiert ist (BGH NStZ-RR 2004, 146; OLG Mün-chen NStZ-RR 2005, 350, 351).

Im vorliegenden Fall ist die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat durch die ge-naue Umschreibung des Aufbewahrungsortes des besessenen Rauschgifts – in einer Gefriertüte im Zimmer des Angeklagten in der Wohnung in
– hinreichend konkret umschrieben, so dass eine Verwechslung mit anderen Straftaten des Angeklagten ausgeschlossen ist. Unklarheiten, auf wel-chen Sachverhalt sich die Anklage bezieht, bestehen nicht. Die Unbestimmtheit in zeitlicher Hinsicht – in unverjährter Zeit vor dem 15. April 2011 – sowie hinsichtlich der Menge des besessenen Rauschgifts sind – mögen sie auch die sachgerechte Verteidigung etwas erschweren – zur Vermeidung von Lücken in der Strafverfol-gung hinzunehmen (vgl. BGHSt 40, 44, 48; OLG Hamm StraFo 2011, 92, 93; OLG München, Beschluss vom 19. April 2007 – 4 St RR 59/07).

2. Die Verfahrensrüge, gerichtet auf Erholung eines Sachverständigengutachtens, genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; sie ist unzulässig.

In der Rechtfertigungsschrift ist nicht dargelegt, warum es sich für das Tatgericht hätte aufdrängen müssen, zur Frage, ob es sich bei dem von dem Angeklagten besessenen Stoff tatsächlich um ein Betäubungsmittel i.S.d. BtMG gehandelt hat, ein Sachverständigengutachten zu erholen. Nach den Feststellungen des Amtsge-richts hat der Angeklagte Marihuana aufbewahrt. Dies ergibt sich sowohl aus den Angaben des Zeugen C. als auch aus dem Gesamtzusammenhang, in den die Tat eingebettet ist. Der Angeklagte gehört zur Clique des anderweitig Verfolgten H., der einen Rauschgifthandel in nicht geringem Umfang betreibt. Auf dem Handy des Angeklagten fanden sich einschlägige Hinweise zum Drogenkauf (UA S. 3). Der durchschnittliche Wirkstoff für Marihuana (Blüten und Blütengemische) betrug in den Jahren 2006, 2007 3,5% und 2008 3,2% (Patzak/Goldhausen NStZ 2011, 76, 77). Auch geringste (Rest-)Substanzen können ein Betäubungsmittel i.S.d. BtMG sein. Die Betäubungsmitteleigenschaft geht nicht mit einer fehlenden Kons-umfähigkeit, sondern nur dann verloren, wenn die Anhaftungen oder Rückstände nicht mehr zu einer messbaren Wirkstoffmenge zusammengefasst werden können (OLG München NStZ-RR 2010, 23). Anhaltspunkte hierfür trägt die Verfahrensrüge nicht vor. Sie liegen auch nicht nahe, da der Zeuge C. nicht von Anhaftungen, sondern von einer geringen Menge Marihuana, das aufgefunden worden war, berichtet hat (UA S. 3).

3. Der Rechtsfolgenausspruch kann keinen Bestand haben. Er ist lückenhaft und verstößt gegen den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“.

a) Das Tatgericht hat bei der Strafzumessung im engeren Sinn zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung ge-treten ist. Sonst spräche nichts für ihn (UA S. 3). Es hat dabei außer Acht gelas-sen, dass die Menge und der Wirkstoffgehalt des besessenen Rauschgifts für die zu verhängende Rechtsfolge bestimmend sind. Die Rechtsprechung verlangt des-halb in den Urteilsgründen neben Ausführungen zum Wirkstoff auch Feststellun-gen zur Menge des besessenen Rauschgifts (BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 18). Kann der Wirkstoffgehalt des Rauschgifts nicht anhand hinreichend feststell-barer Tatumstände ermittelt werden, ist von dem für den Angeklagten günstigsten Mischungsverhältnis auszugehen (Bundesgerichtshof NStZ 1985, 221, 222, OLG München, Beschluss vom 23. Februar 2006 – 4 St RR 24/06 – st. Rspr.). Hinsicht-lich der Gewichtsmenge des besessenen Rauschgifts hat der Zeuge C. bekundet, dass es sich um eine „geringe“ Menge gehandelt habe (UA S. 3).

b) Der Angeklagte hat zur Sache keine Angaben gemacht (UA S. 3). Nach den Feststellungen des Tatgerichts hat der Angeklagte „gemauert“, ein Unrechtsbe-wusstsein sei nicht vorhanden gewesen (UA S. 3). Das Amtsgericht hat bei der Strafzumessung berücksichtigt, dass der Angeklagte ein Geständnis nicht abgelegt hat (UA S. 3). Zu Lasten des Angeklagten hat es herangezogen, dass er keinerlei Drogentests zulasse, sich weiterhin im Milieu befinde, Dealer und Abnehmer schütze und wo er nur könne, „mauere“. Er solle ganz klar sehen, dass ein solches Verhalten nicht geduldet werde (UA S. 4).

Diese Ausführungen lassen befürchten, dass das Amtsgericht grundlegende Prin-zipien der Strafzumessung außer Acht gelassen hat. Ein schweigender Angeklag-ter kann weder Reue noch Schuldeinsicht zeigen. Sein Schweigen darf nicht zu seinem Nachteil herangezogen werden (Fischer, StGB 58. Aufl. § 46 Rdn. 50 lit. b mwN). Das Strafverfahren kennt weder einen Geständniszwang, noch eine Pflicht des Angeklagten, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Andernfalls wäre der Angeklagte gezwungen, seine Verteidigungsposition aufzugeben (BGH NStZ 1985, 545).

4. Auch die Einziehung des Mobiltelefons „I-Phone Apple schwarz mit Ladegerät“ kann keinen Bestand haben.

Nach § 74 Abs. 1 StGB können Gegenstände, die zur Begehung oder Vorberei-tung einer vorsätzlichen Tat gebraucht worden sind, eingezogen werden. Der Ge-genstand muss bei Begehung oder Vorbereitung gerade der abgeurteilten Tat eine bestimmende Rolle gespielt haben, die im Urteil festzustellen ist (Fischer, StGB § 74 Rdn. 4 mwN). Das Amtsgericht hat hierzu lediglich ausgeführt, auf dem Han-dy hätten sich einschlägige Hinweise zum Drogenkauf gefunden (UA S. 3); auf dem Handy seien Drogengespräche geführt worden (UA S. 4). Ob und inwieweit diese Gespräche mit der dem Angeklagten zur Last liegenden Straftat des uner-laubten Besitzes von Marihuana zusammenhängen, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Da der Angeklagte bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist und im Zweifel von einer geringen Gewichts- und Wirkstoffmenge des besesse-nen Marihuanas auszugehen ist, wäre auch ein Absehen von der Einziehung aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit zu erörtern gewesen (§ 74 b Abs. 1 StGB).


III.


Das angefochtene Urteil war deshalb im Rechtsfolgenausspruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO); im Übrigen war die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen. Im Umfang der Aufhebung war die Sa-che zu neuer Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Jugendrichter des Amtsgerichts Memmingen zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Einsender: RA Dr. P. Kotz, Augsburg/München

Anmerkung:


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