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Entscheidungen

StPO

Berufungshauptverhandlung, vergessener Termin, Wiedereinsetzung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 08.12.2011 - III – 5 RVs 99/11 und III – 5 Ws 345/11

Fundstellen:

Leitsatz: Zur Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung, wenn der Hauptverhandlungstermin vergessen worden ist.


OLG Hamm
BESCHLUSS
III – 5 RVs 99/11 OLG Hamm
III – 5 Ws 345/11 OLG Hamm

Strafsache
gegen pp.
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr,
(hier: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Berufungshauptverhandlung und Revision).

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 18. Oktober 2011 gegen den Beschluss der X. kleinen Strafkammer des Landgerichts x vom 06. Oktober 2011 und auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der X. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 12. September 2011 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 08. Dezember 2011 durch auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers beschlossen:

1. Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

2.Eine Entscheidung des Senats über die Revision ist derzeit nicht veranlasst.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht – Schöffengericht – x hat den Angeklagten durch Urteil vom 16. Februar 2010 wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zur Ermöglichung einer Straftat in drei Fällen und Beihilfe hierzu in einem Fall – unter Einbeziehung der durch Urteil des Amtsgerichts x vom 26. Oktober 2009 (Akten-
zeichen: 18 Cs 6 Js 75/09 – 52/09) verhängten Strafe – zu einer Gesamtfreiheits-
strafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht mit Schriftsatz seines damaligen Verteidigers vom 23. Februar 2010 Berufung eingelegt.

In dem daraufhin für den 16. Juni 2010 bestimmten Termin zur Verhandlung über die Berufung vor dem Landgericht x wurde das Verfahren gegen den Angeklagten B. abgetrennt – das Verfahren richtete sich ursprünglich gegen zwei Ange-
klagte - und die Hauptverhandlung gegen ihn wurde ausgesetzt, da ein unfall-
analytisches Sachverständigengutachten eingeholt werden sollte.

Mit Verfügung vom 27. April 2011 bestimmte die Vorsitzende der X. kleinen Strafkammer einen neuen Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den
12. September 2011. Die Ladung zu diesem Termin wurde dem Angeklagten am
13. Mai 2011 ordnungsgemäß zugestellt.
In der Berufungshauptverhandlung am 12. September 2011 ist der Angeklagte nicht erschienen, so dass die Kammer seine Berufung durch Urteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO verwarf, in dem es u.a. heißt:

„Der Angeklagte ist auch zum heutigen Termin ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben. Erkenntnisse, aus welchen Gründen der Angeklagte nicht erschienen ist, konnte die Kammer auch durch den Verteidiger nicht gewinnen. Dieser hat zwar versucht, kurz vor Aufruf der Verhandlung telefonisch Kontakt zu seinem Mandanten aufzunehmen. Dies ist ihm jedoch nicht gelungen. Im Übrigen hat der Verteidiger mitgeteilt, dass der Kontakt zum Angeklagten seit längerer Zeit abgebrochen sei. Zuletzt habe er im Mai 2011 Kontakt zum Angeklagten gehabt. Die letzte ihm bekannte Anschrift sei ebenfalls die Anschrift: „…….“

Nachdem dieses Urteil dem Verteidiger am 15. September 2011 zugestellt worden war, beantragte dieser mit Schriftsatz vom 16. September 2011 namens des Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung. Zur Begründung führte er aus, der Angeklagte sei
zur Berufungshauptverhandlung nicht erschienen, da er diesen Termin vergessen habe. Dieses Vergessen beruhe darauf, dass ihm die Terminsladung schon Anfang Mai 2011 zugestellt worden sei. Die Ladungsfrist von mehr als vier Monaten sei derart lang, dass das Vergessen des Termins durch den Angeklagten entschuldigt sei. Einer Glaubhaftmachung bedürfe es nicht, da die gerichtliche Ladung zum Termin über die Berufung Bestandteil der Akte und damit aktenkundig sei.

Des Weiteren legte er in diesem Schriftsatz Revision gegen das Verwerfungsurteil des Landgerichts Essen ein.

Die X. kleine Strafkammer des Landgerichts x wies den Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten mit Beschluss vom 06. Oktober 2011 zurück und führte u.a. Folgendes aus:

„Der Antrag des Angeklagten, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung zu gewähren, ist zu-lässig, jedoch unbegründet.

Der Antrag ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 329 III StPO i.V.m. 45 I StPO fristgerecht. Ferner ist vorliegend ausnahmsweise auch eine Glaubhaft-machung der Tatsachen, mit denen der Angeklagte seinen Wiedereinset-zungsantrag begründet hat, wobei es sich um eine Zulässigkeitsvorausset-zung handelt, entbehrlich, da die von dem Angeklagten vorgebrachte Tatsa-che aktenkundig ist (vgl. dazu: Meyer-Goßner, 54. Aufl., § 45 StPO, Rn. 6 m.w.N.).

Der Wiedereinsetzungsantrag ist aber unbegründet. Denn es fehlt an der nach § 329 III StPO i.V.m. § 44 S.1 StPO erforderlichen Voraussetzung, dass der Angeklagte den Termin ohne Verschulden versäumt hat. Vielmehr hat der Angeklagte durch das Vergessen des Berufungshauptverhandlungstermins, zu dem er ausweislich der gemäß § 37 I StPO i.V.m. § 182 I S. 2 ZPO formell ordnungsgemäß ausgestellten und unterzeichneten Zustellungsurkunde vom 13.05.2011 im Wege der Ersatzzustellung gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m.
§ 180 ZPO - durch Einlegen in den Briefkasten ordnungsgemäß geladen war (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 06.10.2009, 3 Ss 425/09, über juris, Rn. 7), diese Hauptverhandlung schuldhaft versäumt.

Das Ausbleiben eines Angeklagten in der Hauptverhandlung ist nur dann ent-schuldigt, wenn ihm bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles daraus bil-ligerweise kein Vorwurf gemacht werden kann (OLG Hamm, Beschluss vom 06.10.1978, 2 Ws 206/78, über juris, Rn. 6). An dem letztgenannten Umstand fehlt es hier. So rechtfertigt beispielsweise das Vorbringen eines Angeklagten, er habe die Terminsladung verloren und die Nummer des Sitzungssaales nicht mehr gewusst, sei daher nicht rechtzeitig zur Berufungsverhandlung er-schienen, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß StPO § 329 Abs 3 nicht (OLG Hamm, Beschluss vom 25.05.1983 [2 Ws 165/83]).

Dabei übersieht die Kammer nicht, dass die Anforderungen an die persönliche Sorgfalt nicht überspannt werden dürfen, wenn es sich um einen Fall des sog. „ersten Zugangs zu Gericht“ handelt. So ist beispielsweise nach der Recht-sprechung des Oberlandesgerichts Hamm, anknüpfend an die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, niemand gehalten, beson-dere Vorkehrungen dafür zu treffen, dass er rechtzeitig von Zustellungen Kenntnis erhält, weil gegen ihn Ermittlungen geführt werden. Eine andere, dif-ferenzierende Beurteilung ist jedoch hinsichtlich Vorkehrungen für Zu-
stellungen in späteren Verfahrensabschnitten — z.B., wie hier, bei einer
Ladung zum Berufungstermin — geboten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 05.11.2011, 3 Ws 482/91 m.w.N.).

Ist bereits gegen den Angeklagten ein Urteil ergangen, das dieser mit der Be-rufung angefochten hat, trifft ihn regelmäßig eine erhöhte, sich aus seiner pro-zessualen Mitwirkungspflicht ergebende Sorgfaltsverpflichtung (KG Berlin, Beschluss vom 12.01.2000, 1 AR 1611/993 Ws 6/00).

Allein der Umstand, dass zwischen der Zustellung der Ladung und dem Be-rufungshauptverhandlungstermin vier Monate liegen, rechtfertigt nicht die An-nahme, dass ein Vergessen des Termins entschuldigt wäre.

Die Kammer folgt grundsätzlich den Ausführungen im Beschluss des Ober-landesgerichts Saarbrücken vom 31.10.1990 (Az.: Ss 66/90 (136/90) =
NStZ 1991, 147-148) dahingehend, dass die Frage, ob ein Vergessen eines Termins unentschuldigt ist, auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes des fairen Verfahrens zu prüfen ist. Das führt indes vorliegend auch nicht dazu, dass das Vergessen des Termins bei einer Zeitspanne von vier Monaten unter maßgeblicher Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falles als unentschuldigte Versäumung der Berufungshauptverhandlung anzusehen ist.

So hat das Oberlandesgericht Saarbrücken — nachvollziehbar - darauf hin-gewiesen, dass dann, wenn zwischen Ladung und Termin ein Jahr liegt und der Angeklagte „nur“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und
einem Monat, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war, verurteilt worden war, er also auch im Berufungsverfahren keinen Verlust der Freiheit zu vergegenwärtigen hatte, nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass die drohenden Auswirkungen der erstinstanzlich ver-hängten Strafe ihn in einem solchen Maße belasten mussten, dass er ver-ständlicherweise stets seine Gedanken auf sie und den auf ihre für ihn günsti-ge Änderung zielenden Berufungstermin hätte richten müssen.

Der hier zu entscheidende Fall weicht davon indes grundlegend ab. Der An-geklagte war zu einer ganz erheblichen, ihn massiv belastenden — vollstreck-baren — Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zudem lagen zwischen Ladung und Termin vorliegend in einer Nicht-haftsache auch unter Berücksichtigung des natürlich auch in diesen Verfahren zu berücksichtigenden Beschleunigungsgebots vertretbare vier Monate (vgl. zum Terminsvorlauf in Haftsachen: OLG Hamm, Beschluss vom 05.08.2008, 5 Ws 247-250/08, S. 5).

Unter Abwägung sämtlicher vorgenannter Umstände, war der Angeklagte in besonderem Maße gehalten, den Termin zur Berufungsverhandlung, der schon, aber auch nur vier Monate nach der Zustellung der Ladung lag, im Au-ge zu behalten. Vor diesem Hintergrund entschuldigt das bloße Vergessen ihn nicht.“

Gegen diesen Beschluss, der seinem Verteidiger am 13. Oktober 2011 zugestellt worden ist, hat der Angeklagte mit Telefaxschreiben seines Verteidigers vom
18. Oktober 2011 mit näherer Begründung sofortige Beschwerde eingelegt.


II.

1.
Die gemäß § 46 Abs. 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den die Wiedereinsetzung gemäß § 329 Abs. 3 StPO ablehnenden Beschluss ist zwar frist- und formgerecht eingelegt worden.
Sie war aber aus den ausführlichen und in jeder Hinsicht zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge zu verwerfen.

2.Die zugleich mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingelegte Revision ist gemäß § 342 StPO statthaft und fristgerecht eingelegt worden.

Mit Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags ist die Entscheidung des Senats zwar grundsätzlich auch über die Revision veranlasst (§ 342 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Eine Sachentscheidung des Senats über die Revision ist indes aber (derzeit) noch nicht zu treffen, da die Fristen der §§ 341 Abs. 2, 345 Abs. 1 StPO mangels wirksamer Zustellung des Berufungsurteils noch nicht in Gang gesetzt worden sind.
Die Zustellung des Urteils darf gemäß § 272 Abs. 4 StPO nicht erfolgen, bevor nicht das Protokoll fertiggestellt worden ist. Eine Zustellung vor der Fertigstellung ist unwirksam und setzt die von der Urteilszustellung abhängigen Fristen nicht in Lauf (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 273 Rdnr. 34 m.w.Nachw.).

So liegt der Fall hier. Die Sitzungsniederschrift vom 12. September 2011 ist vorliegend noch nicht fertiggestellt, da die Vorsitzende Richterin es bislang noch nicht, wie § 271 Abs. 1 Satz 1 StPO es vorschreibt, unterschrieben hat.
Das Protokoll ist daher zunächst fertig zu stellen und das Urteil ist sodann erneut
zuzustellen, was auch von der Generalstaatsanwaltschaft für erforderlich gehalten wird.


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