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Entscheidungen

Haftfragen

U-Haft, Beschleunigungsgebot

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Naumburg, Beschl. v. 12.04.2012 - 1 Ws 142/12

Leitsatz: Zum Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG

BESCHLUSS

1 Ws 142/12 OLG Naumburg
In der Strafsache
gegen pp.
zurzeit in dieser Sache in Untersuchungshaft in der
wegen Räuberischen Diebstahls u. a.,
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg
am 12. April 2012
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Rich-terin am Landgericht beschlossen:

Auf die weitere Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der 2. Strafkammer — Be-schwerdekammer — des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 20. März 2012 aufgehoben.

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen vom 12. August 2011 wird aufgehoben.

Gründe:
Der am 12. Oktober 2011 festgenommene Angeklagte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen (6 Gs 426 Js 15083/11 — 45/11) vom 12. August 2011, der auf den dringenden Tatverdacht des räuberischen Diebstahls und des Diebstahls sowie den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützt ist, seit dem Tag der Festnahme ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Das Landgericht Dessau-Roßlau hat mit Beschluss vom 20. März 2012 (2 Qs 43/12) die gegen den Haftbefehl gerichtete Beschwerde des Angeklagten zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass primär der Haftgrund der Fluchtgefahr besteht.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die weitere Beschwerde des Angeklagten, der das Landge-richt nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat.

Die gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO zulässige weitere Beschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhe-bung der Untersuchungshaft.

Zwar ist der Angeschuldigte der ihm mit Haftbefehl vom 12. August 2011 zur Last gelegten Taten aufgrund der in der Anklageschrift genannten Beweismittel dringend verdächtig.

Es besteht gegen ihn auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, da bei Würdigung der Umstände die Gefahr besteht, dass er sich dem Strafverfahren entziehen werde.

Der angefochtene Beschluss sowie der Haftbefehl sind jedoch aufzuheben, weil das in Haft-sachen geltende Beschleunigungsgebot nicht eingehalten wurde.

Das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. August 2010 — 2 BvR 1113/10; Beschluss vom 13. Mai 2009 — 2 BvR 388/09) betont in seiner ständigen Rechtsprechung die Be-deutung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, der die Freiheit der Person garantiert, und fordert deshalb die konsequente Einhaltung des für Haftsachen geltenden verfassungsrechtlichen Beschleuni-gungsgebots (so auch Senat, Beschluss vom 21. April 2010, 1 Ws 222/10, OLG Hamm, Beschluss vom 27. Dezember 2011, 3 Ws 424/11; OLG Brandenburg, StV 2007, 363; OLG Dresden, StV 2007, 93; OLG Koblenz, StV 2007, 91).

Das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Untersuchungsgefangenen verstärkt sich dabei gegen-über dem Strafverfolgungsinteresse des Staates mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (BVerfG, NJW 2006, 652; StV 2007, 644; StV 2008, 421). Untersuchungshaftverfahren sind mit der größtmöglichen Beschleunigung durchzuführen sind und haben grundsätzlich Vorrang vor der Erledigung anderer Strafverfahren (vgl. BVerfG, StV 2006, 73; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Dezember 2011, 3 Ws 424/11). Die Anwendung dieser Maßstäbe zwingt zu einer effizienten Verfahrensplanung und Durchführung der Hauptverhandlung (BVerfG, StV 2008, 198). Dabei stellt die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung nicht nur auf die Hauptverhandlungsdauer ab, sondern auch darauf, dass überhaupt in ausreichendem Umfang Hauptverhandlungstage stattfinden. Der EGMR (vgl. StV 2005, 136) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, StV 2008, 198) gehen davon aus, dass ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EMRK bzw. das Beschleunigungsgebot vorliegt, wenn nur an einem Tag in der Woche bzw. im Monat an weniger als vier Tagen eine Hauptverhandlung stattfindet. Lediglich in Ausnahmefällen - z.B. Krankheit von Verfahrensbeteiligten - kann vorübergehend eine geringere Anzahl von Hauptverhandlungstagen zulässig sein.

Im vorliegenden Fall ist diesem Beschleunigungsgebot nicht ausreichend Rechnung getragen.

Es ist bereits nicht ersichtlich, weshalb die Staatsanwaltschaft, obwohl sie bereits am 27. Juli 2011 einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gestellt hat und der Angeklagte bereits zu diesem Zeit-punkt der ihm zur Last gelegten Taten hinreichend verdächtig war, erst am 10. November 2011, somit einen Monat nach der Festnahme des Angeklagten, Anklage erhoben hat. Ferner hat das Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen zwar bereits am 05. Dezember 2011 über die Eröffnung des Haupt-verfahrens entschieden, den ersten Hauptverhandlungstag jedoch ohne ersichtlichen Grund erst für den 14. März 2012 und weitere Termine, nachdem die Begutachtung des Angeklagten am ers-ten Hauptverhandlungstag beschlossen wurde, für den 04. April und 24. April 2012 anberaumt. Insbesondere durch den Umstand, dass bereits im Zeitpunkt der Beantragung des Haftbefehls eine mögliche Drogenabhängigkeit des Angeklagten, der mehrfach wegen Erwerbes von Betäubungsmitteln strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden musste und dessen auch im vorliegenden Verfahren zu verhandelnde Taten der Beschaffungskriminalität zugeordnet werden können, bekannt war und deshalb bereits zu diesem Zeitpunkt eine Begutachtung des Angeklagten hätte veranlasst werden müssen, liegt eine erhebliche Verletzung des verfassungsrechtlich verankerten Beschleunigungsgrundsatzes vor, der zur Aufhebung des Haftbefehls zwingt.

Diese in den Verantwortungsbereich der Justiz und nicht des Angeklagten fallenden erheblichen Verfahrensverzögerungen rechtfertigen die weitere Fortdauer der sechs Monate andauernden Un-tersuchungshaft auch angesichts der dem Angeklagten drohenden, die Dauer der bisherigen Un-tersuchungshaft mit hoher Wahrscheinlichkeit übersteigenden Freiheitsstrafe nicht mehr.

Einsender: RA J.Robert Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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