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Entscheidungen

OWi

Geschwindigkeitsüberschreitung, Messung, Beweisverwertungsverbot, Leivtec

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Baden-Baden, Urt. v. 25.10.2011 - 17 OWi 306 Js 15109/10

Leitsatz: Zur Annahme eines Beweisverwertungsverbotes bei Dauervideoaufzeichnungen im Straßenverkehr.


Aktenzeichen:
17 OWi 306 Js 15109/10
Amtsgericht Baden-Baden
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Bußgeldverfahren gegen pp.

Verteidiger:
Rechtsanwalt Daniel Sprafke, 76532 Baden-Baden
wegen OWi StVO
Das Amtsgericht - Strafrichter - Baden-Baden hat in der Sitzung vom 25.10.2011, an der teilgenommen haben:
für Recht erkannt:
Die Betroffene wird freigesprochen.

Gründe:
Die Betroffene befuhr am 22.06.2010 in der Gemarkung Baden-Baden außerorts die B 500 Europastraße in Höhe der Danziger Straße stadtauswärts in Richtung der Autobahnzufahrt auf die A 5. Hierbei wurde sie gegen 11:45 Uhr nach der Ausfahrt aus einer Kurve von einem Messbeamten mit der Videokamera Leivtec gefilmt und ihre Geschwindigkeit durch das verwendete Gerät gemessen. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt dort 60 km/h. Mit Bußgeldbescheid wurde ihr eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen.
Die o.g. Angaben zur Person ergeben sich aus der Akte, weitere Erkenntnisse zur Person bestehen nicht. Der Tatnachweis der von der Betroffenen bestrittenen vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit wurde nicht geführt.
Die Messung der Leivtec-Messeinrichtung bzw. das zu Grunde liegende Videoband sind nicht verwertbar, da ein Verwertungsverbot entgegensteht.
1.
In der Videoaufzeichnung liegt ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen (BVerfG, Beschluss vom 11. 8. 2009 - 2 BvR 941/08, zitiert nach juris). Rechtsgrundlage für die Aufzeichnung von Verkehrsverstößen mittels bildgebender Verfahren ist § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO, § 46 OWiG (BVerfG a.a.O). Es muss demnach bei Aufnahmen, die die Identifizierung des Betroffenen ermöglichen, ein Anfangsverdacht vorliegen, um den Eingriff in das genannte Grundrecht aufgrund der genannten Rechtsgrundlage zu ermöglichen. Der Anfangsverdacht muss in konkreten Tatsachen bestehen und die Frage, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen ist keine Ermessensentscheidung, auch wenn ein gewisser Beurteilungsspielraum

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besteht (AG Cloppenburg Urteil vom 17.09.2010, 25 OWi 484/10, 25 OWi 795 Js 28862/10 zitiert nach juris, unter Zitierung von Meyer-Goßner, § 152 StPO, Rz. 4 mit weiteren Nachweisen). Der Anfangsverdacht muss es nach den kriminalistischen Erfahrungen als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat/ Ordnungswidrigkeit vorliegt (ebenda). Dazu genügen auch entfernte Indizien; bloße Vermutungen rechtfertigen es jedoch nicht jemandem eine Tat zur Last zu legen (ebenda). Es ist dementsprechend zu überprüfen, ob der Messbeamte die Videoaufzeichnung nur bei einem bereits visuell begründeten Verdacht aktiviert hat, oder aber die Videoaufzeichnung ununterbrochen hat durchlaufen lassen, so dass eine Vielzahl von sich verkehrsgerecht verhaltenden Fahrern erfasst wurde, um sodann diejenigen herauszufiltern, die verdächtig sind, eine Ordnungswidrigkeit begangen zu haben (so für Abstandsmessungen OLG Dresden Beschluss vom 02.02.2010, Ss (OWi) 788/09, zitiert nach juris). Dabei kann es ausreichen, wenn der Messbeamte - ggf. aufgrund seiner Erfahrung mit Geschwindigkeitsmessungen auch auf Basis einer relativ kurzen Beobachtungsphase - eine Schätzung der Geschwindigkeit vornimmt (a.A. AG Prenzlau Urteil vom 31.05.2010 Aktenzeichen: 21 OWi 383 Js-OWi 41493/09, zitiert nach juris; AG Meißen, Urteil vom 14.07.2010, 13 OWi 705 Js 36235/09, zitiert nach juris). Die bloße Vermutung ist von der vernünftigen Schätzung abgrenzbar.
2.
An einer zureichenden Feststellung des konkreten Anfangsverdachtes fehlt es vorliegend.
Wie die Inaugenscheinnahme des Videobandes in der Hauptverhandlung ergab, wurde die Aufnahme nicht unmittelbar mit der Aufnahme der Betroffenen gestartet, sondern eine bereits laufende Aufnahme ohne Pause oder Innehalten fortgeführt. Das Video zeigt zunächst einen anderen Verkehrsteilnehmer, der nach dem Herausfahren aus einer vor der Messstelle liegenden Kurve anvisiert und gemessen wird. Dann schwenkt die Kamera in einem Zug nach Beendigung der Messung zurück in Richtung der Kurve. Unmittelbar — ohne erkennbaren zeitlichen Abstand — nach dem Zurückschwenken auf die Kurve fährt die Betroffene aus der Kurve heraus und wird anvisiert. Die Betroffene kann nach den Aufnahmen der Kamera vor der Ausfahrt aus der Kurve nicht vom Messbeamten gesehen worden sein, da die Kurve die Sicht nicht ermöglicht und die Aufnahme wie beschrieben ohne Abwarten einer Zeitspanne, die auch nur für eine kurze einsehbare Fahrstrecke der Betroffenen ausreichend wäre, durchgehend weitergeführt wurde. Die Aufnahme kann mithin nicht nach Bildung eines Anfangsverdachts ohne laufende Videokamera gestartet worden sein. Auch der Entschluss, die Aufnahme fortzusetzen, kann allenfalls aufgrund eines anhand des laufenden Videobandes gebildeten Anfangsverdachts bestätigt, aber nicht gefasst worden sein.
Eine ohne Anfangsverdacht gestartete Aufnahme der Betroffenen verletzt jedoch mangels Rechtsgrundlage deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung, s.o.
3.
Der Grundrechtseingriff ist vorliegend nach Abwägung der Umstände des Einzelfalles auch so schwerwiegend, dass daraus ein Verwertungsverbot resultiert (ebenso OLG Dresden a.a.O m.w.N; AG Demmin, Urteil vom 27.04.2011, 31 OWi 342/10, 747 Js 13138/10 OWI StA NB 31 OWi 342110, zitiert nach juris).
Dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich ziehe, fremd. Vielmehr ist diese Frage nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und des Gewichts des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (BGH, Urteil vom 11.11.1998, 3 StR 181/98 m.w.N).
Geschwindigkeitsüberschreitungen im Straßenverkehr sind wegen der dadurch häufig erhöhten Unfallwahrscheinlichkeit und der drohenden Schäden für Leib und Leben anderer natürlich nicht von geringer Bedeutung. Aber es sind sicherlich auch keine besonders schwerwiegenden Ordnungswidrigkeiten, was schon anhand der Regelsätze des Bußgeldkataloges ersichtlich ist. Zudem wird der Betroffenen nur fahrlässiges Handeln vorgeworfen. Dem Verstoß ist mithin ein im Rahmen der Ordnungswidrigkeiten eher ein geringeres bis mittleres Gewicht beizumessen, welches weit unter dem Gewicht von Straftaten liegt. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass der Eingriff mittels Videoaufnahme mit nachvollziehbarer Uhrzeit, Fahrtrichtung, ggf. Beifahrern und verwendetem Transportmittel erfolgt, mithin neben der bloßen Identifizierung zahlreiche weitere geschützte Details des aufgenommenen Verhaltens des Betroffenen preisgibt. Es liegt somit ein eher schwerer Eingriff in ein wichtiges Grundrecht wegen eines eher geringer zu bewertenden Gesetzesverstoßes vor. Dies führt im vorliegenden Fall zum Verwertungsverbot.

Andere Beweismittel zum Nachweis des behaupteten Geschwindigkeitsverstoßes sind nicht vorhanden. Deshalb war die Betroffene freizusprechen.

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 467 Abs. 1 StPO, 46 OWIG.

Einsender: RA D.Sprafke, Baden-Baden

Anmerkung:


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