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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidigerwechsel, Interessenkonflikt

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 28.03.2012 - 4 Ws 28/12

Leitsatz: Ein wichtiger Grund für die Auswechselung eines Pflichtverteidigers, insbesondere wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, liegt nicht allein darin, dass ein früherer Mitange-klagter von einem in der Bürogemeinschaft des Pflichtverteidigers tätigen Anwalt vertreten war und den Angeklagten in seinem eigenen Verfahren belastet hat, wenn nicht ein konkret erkennbarer Interessenwiderstreit des Pflichtverteidigers vorliegt. Grundsätzlich kann nicht einmal der Umstand, dass als Mittäter Beschuldigte durch Rechtsanwälte derselben Sozietät vertreten werden, ohne konkrete Anhaltspunkte, einen Interessenkonflikt begründen. Dies muss umso mehr für Mitglieder einer Anwaltsbürogemeinschaft gelten, bei der jeder Anwalt wirtschaftlich für sich alleine arbeitet.


KAMMERGERICHT
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Betruges
hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 28. März 2012 beschlossen:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der Strafkammer 515 vom 20. Februar 2012 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechts-mittels zu tragen.

Gründe:
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 5. März 2008 wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges in elf Fällen, wegen versuchten banden- und gewerbsmäßigen Betruges in drei Fällen und wegen versuchten Betruges zu einer Gesamt-freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat er durch seinen von ihm gewählten und später zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalt M. Berufung eingelegt. Die Berufungshauptverhandlung ist nach Absprache mit dem Verteidiger für sieben Termine im April und Mai 2012, beginnend am 3. April 2012, terminiert worden.

Mit Schriftsatz vom 13. Februar 2012 beantragte Rechtsanwalt M. , ihn von der Verteidigung des Angeklagten zu ent-pflichten, weil es hinsichtlich der Verteidigungsstrategie zu unüberbrückbaren Differenzen und damit zu einem endgültigen und nachhaltigen Bruch des Vertrauensverhältnisses gekommen sei. Maßgeblich dazu beigetragen hätte auch, dass der mit ihm in Bürogemeinschaft tätige Rechtsanwalt S. den inzwischen rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten St. , der den Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung belastet habe, verteidigt hätte. Mit dem angefochtenen Beschluss hat der Vorsitzende der 15. Strafkammer die Aufhebung der Beiordnung abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Angeklagten, der gleichzeitig die Bestellung der Rechtsanwältin R. als Pflichtverteidigerin begehrt, hat keinen Erfolg.

1.a) Die Beschwerde des Angeklagten ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach der Vorschrift des § 305 Abs. 1 StPO ausgeschlossen, die auch für Entscheidungen des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts gilt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., § 305 Rdn. 3 m.w.N.). Denn der angegriffene Beschluss steht mit der Urteilsfällung in keinem inneren Zusammenhang, sondern dient vielmehr unabhängig davon der Sicherung des justizförmigen Verfahrens und hat deshalb eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung (vgl. KG, Be-schlüsse vom 23. Januar 2012 - 4 Ws 3/12 -, vom 13. Dezember 2006 - 5 Ws 612/06 - und 21. Mai 2004 - 4 Ws 54/04 -; Meyer-Goßner a.a.O., Rdn. 5).

b) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 23. Januar 2012 a.a.O.; vom 17. Juli 2008 - 4 Ws 63/08 - m.w.Nachw.) kommt eine Auswechselung eines Pflichtverteidigers nicht allein deshalb in Betracht, weil der Angeklagte oder der Pflichtverteidiger dies wünscht, sondern nur dann, wenn hierfür ein wichtiger Grund vorliegt. Ein solcher besteht grund-sätzlich, wenn der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Ange-klagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungs-gemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. BVerfGE 39, 238, 244 f.; KG JR 1982, 349) ist. Dazu ge-hört auch, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Ange-klagten und seinem Pflichtverteidiger ernsthaft gestört ist. Allerdings reicht der bloße Hinweis auf ein gestörtes Vertrau-ensverhältnis nicht aus, einen Verteidigerwechsel zu rechtfer-tigen, denn der Angeklagte hat keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt (vgl. BGH NStZ 1993, 600, 601; BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 2). Die Behauptung einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses muss vielmehr mit konkreten Tatsachen belegt werden (vgl. BGHR a.a.O.; KG, Beschluss vom 26. März 1997 - (5) 1 Ss 57/97 (16/97) -, bei juris). Wenn - wie hier - der bestellte Vertei-diger vom Angeklagten selbst ausgewählt worden ist, sind bei der Prüfung der Entpflichtungsgründe strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. KG, Beschluss vom 24. Juli 2008 - 2 Ws 362/08 - bei juris m.w.N.). Allein die - nicht einmal dargelegten - Differenzen über den Inhalt und den Umfang der Verteidigung reichen dabei grundsätzlich nicht aus, einen Wechsel des Pflichtverteidigers vorzunehmen (vgl. OLG Hamm StV 1982, 510). Denn der Verteidiger ist rechtskundiger Beistand und nicht Vertreter des Angeklagten (vgl. BGH NJW 1959, 731).

Wichtige Gründe für die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und Rechtsanwalt M. werden nicht mitgeteilt.

Dass der frühere Mitangeklagte St. von einem in der Büro-gemeinschaft des Pflichtverteidigers tätigen Anwalt vertreten war und den Angeklagten in seinem eigenen Verfahren im Rahmen einer Verfahrensverständigung vor dem Landgericht am 14. Juni 2011 belastet hat, kann für sich genommen das Vertrauensver-hältnis des Angeklagten zu Rechtsanwalt M. nicht beein-trächtigen; denn weder Rechtsanwalt M. noch der Ange-klagte durch Rechtsanwältin R. haben irgendwelche Verhaltensweisen Rechtsanwalt M. dargelegt, die gegen seinen Mandanten gerichtet wären oder sonst zu einem konkret erkennbaren Interessenwiderstreit des Pflichtverteidigers und damit zu einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses führen könnten (vgl. Meyer-Goßner aaO, § 146 Rdn 8 m.w.Nachw.). Ins-besondere ist nicht dargetan, dass Rechtsanwalt M. in irgendeiner Weise an der „aus der Kanzlei unterstützten“ Ver-fahrensabsprache beteiligt war. Grundsätzlich kann nicht einmal der Umstand, dass als Mittäter Beschuldigte durch Rechtsanwälte dergleichen Sozietät vertreten werden, ohne konkrete Anhaltspunkte, einen Interessenkonflikt begründen (vgl. OLG Hamm. Beschluss vom 1. Juni 2006 – 2 Ws 156/04 -). Dies muss umso mehr für Mitglieder einer Anwaltsbürogemeinschaft gelten, bei der jeder Anwalt wirtschaftlich für sich alleine arbeitet.

Dass Rechtsanwältin R. mit der Beschwerde zugesichert hat, auf die Grundgebühr zu verzichten, sich in das Verfahren einarbeiten zu können und an den Terminstagen verfügbar zu sein, rechtfertigt keine andere Entscheidung; eine entspre-chende Auswechselung der Pflichtverteidiger wäre alleine dem Vorsitzenden vorbehalten.

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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