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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Tagessatzhöhe, hohe Geldstrafe, einkommensschwache Personen

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 02.11.2012 - 4) 121 Ss 146/12 (265/12

Leitsatz: 1. Bei einer hohen Geldstrafe ist eine Absenkung der Tagessatzhöhe in Betracht zu ziehen, um einer progressiven Steigerung des Strafübels entgegen zu wirken.
2. Bei besonders einkommensschwachen Personen, die am Rande des Existenzmi-nimums leben, kann es geboten sein, unter Berücksichtigung der nach § 42 StGB möglichen Zahlungserleichterungen und unter Beachtung der Notwendigkeit der Wahrung der Strafe als ernsthaft fühlbares Übel die Tagessatzhöhe unterhalb eines Dreißigstels des monatlichen Nettoeinkommens festzusetzen.


KAMMERGERICHT
Beschluss

In der Strafsache gegen pp.
wegen Diebstahls
hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 02.11.2012 beschlossen:

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 28. März 2012 im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Festsetzung der Tagessatzhöhe und der Entscheidung über die Gewährung einer Zahlungserleichterung mit den in-soweit zugrunde liegenden Feststellungen aufgeho-ben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kos-ten der Revision an eine andere Kammer des Land-gerichts Berlin zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat die Angeklagten wegen Diebstahls jeweils zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Auf die Berufung der Angeklagten hat das Landgericht dieselben Geldstrafen wie das Amtsgericht Tiergarten verhängt, die Höhe des einzelnen Tagessatzes jedoch jeweils auf zehn Euro festgesetzt und die Zahlung der Geld-strafe in zwölf monatlichen Raten zu je 100 Euro bewilligt.

Die dagegen gerichteten, auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten, die sich unter wirksamer Beschränkung der Rechtsmittel jeweils nur noch gegen die Höhe des Tagessatzes wenden und dessen Festsetzung auf fünf Euro erstreben, haben (vorläufigen) Erfolg.

1. Die vom Landgericht vorgenommene Bemessung der Tagessatzhöhe ist wegen Unvollständigkeit der ihr zugrunde liegenden Feststellungen und Erwägungen rechtlich fehlerhaft.

Das Landgericht hat zu den wirtschaftlichen Verhältnisse der miteinander verheirateten Angeklagten, die gemeinsam mit drei Kindern im Alter von sieben, 13 und 20 Jahren in einer Wohnung leben, Folgendes festgestellt: „Beide sind arbeitslos und leben mit ihren Kindern von Sozialleistungen. Der Staat übernimmt die Miete der Familie, darüber hinaus erhalten sie 194 Euro im Monat pro Person“. Die Bestimmung der Tagessatzhöhe hat die Kammer wie folgt begründet: „Die Höhe des Tagessatzes orientiert sich dabei an den festgestellten wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklagten“.

2. Diese Feststellungen und Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Zwar hat das Revisionsgericht bei der Überprüfung der Ta-gessatzhöhe, wie auch sonst bei der Strafzumessung, lediglich nachzuprüfen, ob die persönlichen und wirtschaftlichen Ver-hältnisse des Angeklagten ausreichend festgestellt und in rechtsfehlerfreier Weise berücksichtigt sind, wobei die Wertung des Tatrichters bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen ist. Denn das Gesetz gibt in § 40 Abs. 2 StGB insoweit nur allgemeine Anhaltspunkte für die Bestimmung des Tagessatzes und räumt dem Tatrichter eine weitgehende Ermessensfreiheit ein (vgl. Senat, Beschluss vom 13. März 2000 (4) 1 Ss 363/99 (34/00) m.w.N.).

b) Die von der Kammer getroffenen Feststellungen und rechtli-chen Erwägungen sind indessen so lückenhaft, dass sie eine Überprüfung, ob die Tagessatzhöhe ermessensfehlerfrei bestimmt worden ist, nicht zulassen.

aa) Es ist bereits nicht erkennbar, von welchem Nettoeinkommen das Landgericht bei den beiden Angeklagten ausgegangen ist. Zwar gehören auch Sachleistungen zu dem zu berücksichtigenden Einkommen; es ist aber nicht festgestellt oder sonst ersicht-lich, in welcher Höhe den beiden Angeklagten weitere geldwerte Einkünfte in Form der (vom Landgericht ersichtlich berücksich-tigten) Mietkostenübernahme anteilig jeweils zur Verfügung stehen. Hinreichende Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen sind – soweit dies möglich ist, wogegen hier nichts spricht, – auch bei Empfängern staatlicher Leistungen zum Lebensunterhalt zu treffen (vgl. OLG Köln StV 2009, 592).

bb) Das Landgericht hat zudem zwei Gesichtspunkte nicht er-kennbar bedacht, die bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe zu berücksichtigen waren:

Zum einen ist bei einer hohen Geldstrafe - d.h. regelmäßig ei-ner solchen, die 90 Tagessätze übersteigt - eine Absenkung der Tagessatzhöhe in Betracht zu ziehen, um einer progressiven Steigerung des Strafübels entgegen zu wirken (vgl. Senat, Be-schluss vom 8. November 2007 – (4) 1 Ss 367/07 (245/07) -; OLG Stuttgart StV 2009, 131 m.w.N.). Denn mit der zunehmenden Zahl der Tagessätze steigert sich die Fühlbarkeit der Geldstrafe bei gleich bleibender Tagessatzhöhe nicht in entsprechender Weise, sondern sie wächst progressiv. Das auf dem Nettoeinkom-mensprinzip aufgebaute Tagessatzsystem kann deshalb zu einem Einwirkungsübermaß und desozialisierenden Folgen führen, die nicht mehr mit der Pflicht des Richters zu vereinbaren sind, im Rahmen einer sachgerechten Strafzumessung alle Wirkungen zu bedenken, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Bleiben solche Folgen auch unter Berücksichtigung von nach § 42 StGB einzuräumenden Zahlungserleichterungen bestehen, ist eine Verringerung der Tagessatzhöhe erforderlich (vgl. BGHSt 26, 325, 330 ff.; 34, 90, 93; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2007, 167; StV 2007, 470; 2009, 137; Senat aaO m.w.N.).

Zum anderen kann es bei besonders einkommensschwachen Personen, die am Rande des Existenzminimums leben, geboten sein, unter Berücksichtigung der nach § 42 StGB möglichen, zeitlich grundsätzlich nicht beschränkten Zahlungserleichterungen und unter Beachtung der Notwendigkeit der Wahrung der Strafe als ernsthaft fühlbares Übel die Tagessatzhöhe unterhalb eines Dreißigstels des monatlichen Nettoeinkommens festzusetzen, weil diese Personen bei strikter Einhaltung des Nettoeinkom-mensprinzips härter als normal Verdienende getroffen werden (vgl. OLG Köln aaO und StV 1993, 365; OLG Stuttgart aaO und NJW 1994, 745; OLG Frankfurt am Main StV 2007, 470; 2009, 137; OLG Hamburg NStZ 2001, 655; OLG Celle NStZ-RR 1998, 272 und StV 2009, 131; OLG Dresden NJW 2009, 2966 und Beschluss vom 7. August 2000 – 1 Ss 323/00 – [juris]; OLG Oldenburg NStZ-RR 2008, 6; Fischer, StGB 59. Aufl., § 40 Rn. 11a, 24; Häger in LK, StGB 12. Aufl., § 40 Rn. 37; Stree/Kinzig in Schönke/
Schröder, StGB 28. Aufl., § 40 Rn. 8 m.w.N.).

Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Kammer dieser Aspekte, deren Erörterung sich aufdrängte, bewusst war.

cc) Das Landgericht hat schließlich nicht erkennbar in Betracht gezogen, dass einem zu Geldstrafe verurteilten Angeklagten auch bei Bewilligung von Ratenzahlungen das zum täglichen Lebensbedarf Unerlässliche erhalten bleiben muss (vgl. KG, Beschlüsse vom 28. Oktober 2009 - (2) 1 Ss 399/09
(34/09) -, 31. März 2004 – (5) 1 Ss 268/03 (52/03) -,
12. April 2006 – (3) 1 Ss 81/06 (41/06) – und 12. Februar 2003 - (3) 1 Ss 17/03 (18/03) – sowie Urteil vom 5. Juli 1999 - (3) 1 Ss 188/99 (57/99) -; OLG Frankfurt am Main StV 2002, 308, 309; OLG Stuttgart NJW 1994, 745; OLG Celle NStZ-RR 1998, 272, 273; OLG Köln, Beschluss vom 10. Juni 2011 – III-1 RVs 96/11 - [juris] m.w.N.; Fischer aaO Rn. 11; Häger aaO). Der Senat brauchte in diesem Zusammenhang der Frage, auf welche Weise das zur Sicherung des Lebensbedarfs Unerlässliche zu bestimmen ist (vgl. hierzu OLG Köln aaO), nicht nachzugehen; denn angesichts dessen, dass den beiden Angeklagten ausweislich der - zwar nicht ohne weiteres verständlichen, aber den Senat bindenden - Feststellungen des Landgerichts jeweils Barleistungen in Höhe von monatlich 194 Euro zur Verfügung stehen, liegt es fern, dass ihnen nach Abzug der aufgrund des angefochtenen Urteils auf die Geldstrafe zu zahlenden monatlichen Teilbeträge von 100 Euro dieser unerlässliche Betrag noch verbliebe.

3. Da nicht auszuschließen ist, dass die Festsetzung der Höhe der Tagessätze von den dargestellten Rechtsfehlern beeinflusst ist, war das Urteil insoweit und demzufolge auch hinsichtlich der Ratenzahlungsentscheidung aufzuheben. Die Sache war, da die für eine abschließende Sachentscheidung nötigen Feststellungen noch nicht getroffen sind, im Umfang der Aufhebung gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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