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Entscheidungen

Haftfragen

Fürsorgepflicht, Gericht, forensisch nicht erfahrener Gefangener

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 22.07.2013 – 2 Ws 363/13 Vollz

Leitsatz: Hat ein forensisch nicht erfahrener Gefangener persönlich einen Antrag verfasst und entspricht dieser nicht den Anforderungen des § 109 Abs. 2 StVollzG, so gebietet es die Fürsorgepflicht des Gerichts, ihn auf diesen Mangel hinzuweisen und ihm zu gestatten, die fehlenden Erklärungen nachzuholen. Diese Angaben können auch noch nach dem Ablauf der Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG gemacht werden.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
2 Ws 363/13 Vollz
593 StVK 4/13 Vollz
In der Strafvollzugssache
wegen Vollzugsplanfortschreibung

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 22. Juli 2013 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Gefangenen wird der Beschluss des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 30. Mai 2013 – mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung – aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Gründe:

I.
Der Beschwerdeführer verbüßt zur Zeit Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Tegel.

Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 21. Dezember 2012 beanstan-dete er die ihm am 17. Dezember 2012 ausgehändigte Vollzugsplanfortschreibung vom 12. Dezember 2012 und begehrte, die Justizvollzugsanstalt zu verpflichten, „den Vollzugsplan vom 12. Dezember 2012 – verbunden mit der Vollzugsplankonferenz vom 18. Oktober 2012 aufzuheben, die Vollzugsplankonferenz neu anzusetzen und einen neuen Vollzugsplan zu erstellen“. Zur Begründung führte er zunächst lediglich aus, die Vollzugsplanfortschreibung sei faktisch falsch sowie ermessensfehlerhaft, und kündigte an, eine ausführliche Begründung des Antrages werde durch die Rechtsanwaltskanzlei X nachgereicht. Mit Schreiben vom 15. Januar 2013 begründe-te der Beschwerdeführer dann selbst seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 21. Dezember 2012.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig verworfen und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten zurück-gewiesen.

Mit seiner form- und fristgemäß erhobenen Rechtsbeschwerde rügt der Gefangene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Justizvollzugsanstalt hat zu der Rechtsbeschwerde am 19. Juli 2013 Stellung genommen.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge einen (vorläufigen) Erfolg.

II.
Die Rechtsbeschwerde erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG, da es geboten ist, die Nachprüfung der landgerichtlichen Ent-scheidung zumindest zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG zu ermöglichen (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 11. Aufl., § 116 StVollzG Rdn. 2 mit weiteren Nachw.). Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

1. Zwar fehlte es im Streitfall zunächst an einem zulässigen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, weil die Voraussetzungen des § 109 Abs. 2 StVollzG nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG eingehalten worden sind.
a) Zur Zulässigkeit eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung gehört, dass er eine aus sich heraus verständliche Darstellung enthält und erkennen lässt, durch welche Maßnahmen der Vollzugsbehörde sich der Gefangene oder der Verwahrte in seinen Rechten verletzt fühlt (vgl. OLG Hamm ZfStrVO 2002, 316 – Ls und NStZ 2002, 531 bei Matzke; OLG Celle NStZ 1989, 295, 296; Senat, Beschlüsse vom 12. März 2013 – 2 Ws 42/13 Vollz – und vom 18. Mai 2009 – 2 Ws 8/09 Vollz –). Zu diesem Zweck muss der Antragsteller Tatsachen vortragen, die, wenn sie gegeben wären, eine Rechtsverletzung als möglich erscheinen lassen (vgl. OLG Hamm und OLG Celle – jeweils a.a.O.; Senat, Beschluss vom 10. September 1986 – 5 Ws 262/86 Vollz –; Arloth, StVollzG 3. Aufl., Rdn. 13; Calliess/ Müller-Dietz, StVollzG 11. Aufl., Rdn. 19; Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG 6. Aufl., Rdn. 30 – jeweils zu § 109). Dem Gericht muss es möglich sein, den zugrunde liegenden Sachverhalt ohne Zuhilfenahme weiterer – erst zu ermittelnder – Erklärungen oder Unterlagen zu erfassen und nicht nur zu erkennen, durch welche Maßnahme sich der Gefangene beschwert sieht (Streitgegenstand), sondern inwiefern und wodurch er seine Rechte als verletzt erachtet (vgl. OLG Hamm NStZ 1981, 368; OLG Frankfurt ZfStrVO 1981, 317, 318; Senat, Beschlüsse vom 14. Oktober 2009 – 2 Ws 468/09 Vollz –, 21. Juli 2009 – 2 Ws 316/09 Vollz – und 18. Mai 2009 – 2 Ws 8/09 Vollz –). Diese Angaben sind grundsätzlich innerhalb der Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG zu machen (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2013 – 2 Ws 42/13 Vollz – mit weiteren Nachw.).

Der Untersuchungsgrundsatz, nach dem die Strafvollstreckungskammer das Verfah-ren zu führen hat (vgl. Calliess/Müller-Dietz, § 115 StVollzG Rdn. 3 mit weiteren Nachw.), enthebt den Antragsteller auch nicht von der Verpflichtung, sein Begehren in der gesetzlich vorgesehenen Form einzureichen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. März 2013 – 2 Ws 42/13 Vollz – und vom 18. Mai 2009 – 2 Ws 8/09 Vollz –).

Dabei sind an das Vorbringen keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Notwendig, aber auch ausreichend ist eine aus sich heraus verständliche Sachdarstellung, wel-che die vorbezeichneten Erfordernisse erfüllt (vgl. OLG Stuttgart ZfStrVO 1992, 136; OLG Frankfurt am Main ZfStrVO 1981, 317, 318; Senat, Beschlüsse vom 12. März 2013 – 2 Ws 42/13 Vollz – und vom 18. Mai 2009 – 2 Ws 8/09 Vollz –). Zu den Min-destvoraussetzungen gehört es vor allem, dass nicht nur der Streitgegenstand be-stimmt, sondern ein Sachverhalt mitgeteilt wird (vgl. OLG Hamm NStZ 1981, 368; Beschluss vom 7. Juni 2001 – 1 Vollz (Ws) 138/01 –). Lässt sich über den Streitge-genstand nur aus einem einzigen offen zutage liegenden rechtlichen Gesichtspunkt befinden, so kann im Ausnahmefall die Benennung der angefochtenen Entscheidung genügen (vgl. OLG Zweibrücken NStZ 1992, 512).

b) Diesen vorgenannten Voraussetzungen wurde der Antrag vom 21. Dezember 2012 zunächst nicht gerecht. Ein Vollzugsplan kann aus mannigfaltigen Gründen angefochten werden. Für die Bearbeitung des Antrags war es deshalb von Bedeu-tung, ob der Beschwerdeführer das Aufstellungsverfahren, die Sachverhaltsermitt-lung oder die in der Vollzugsplankonferenz erarbeiteten Bewertungen beanstandet. Die im Streitfall gewählte pauschale Formulierung, die Vollzugsplanfortschreibung sei faktisch falsch sowie ermessensfehlerhaft, genügte dafür jedenfalls nicht.

2. Dies berechtigte die Strafvollstreckungskammer jedoch nicht dazu, diesen Antrag ohne weiteres als unzulässig zu verwerfen.

Hat ein – forensisch nicht erfahrener – Gefangener persönlich den Antrag verfasst und hält das Gericht den mitgeteilten Sachverhalt nicht für ausreichend, um zu er-kennen, welche Rechtsverletzung er behaupten möchte, so gebietet es die Fürsor-gepflicht, ihn auf diesen Mangel hinzuweisen und ihm zu gestatten, die fehlenden Erklärungen nachzuholen (vgl. HansOLG Hamburg ZfStrVO 1979, 56; Senat NStZ-RR 1997, 154 mit weit. Nachw.).

Das gilt zwar nicht für Antragsschriften, die von Rechtsanwälten verfasst sind und auch nicht für solche von forensisch erfahrenen Gefangenen (vgl. OLG Hamm, Be-schluss vom 7. Juni 2001 – 1 Vollz (Ws) 138/01 –; Senat, Beschlüsse vom 12. März 2013 – 2 Ws 42/13 Vollz – und vom 18. Mai 2009 – 2 Ws 8/09 Vollz –), weil insoweit nicht die Fürsorgepflicht besteht, die den Gerichten gegenüber solchen juristischen Laien zukommt, die sich im Verkehr mit den Gerichten nicht oder nur wenig ausken-nen (vgl. Senat, Beschluss vom 10. September 1986 – 5 Ws 262/86 Vollz – mit wei-teren Nachw.).

Der Beschwerdeführer ist jedoch kein forensisch erfahrener Gefangener. Die Straf-vollstreckungskammer hätte ihn daher zunächst auf die Begründungsmängel des Antrags hinweisen und ihm eine Gelegenheit zur Nachbesserung geben müssen.

Die in § 109 Abs. 2 StVollzG geforderten ergänzenden Angaben kann ein forensisch nicht erfahrener Gefangener auch noch nach dem Ablauf der Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG machen. Würde man verlangen, dass die Behebung der Begrün-dungsmängel noch innerhalb der Antragsfrist zu erfolgen hat, so würde die Hinweis-pflicht in Anbetracht der Kürze der Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG ansonsten häufig ins Leere gehen (vgl. Senat, Beschluss vom 3. März 1995 – 5 Ws 40/95 Vollz –).

Den Antrag des Beschwerdeführers hätte die Strafvollstreckungskammer daher erst dann als unzulässig verwerfen dürfen, wenn er auf einen entsprechenden Hinweis die Begründung nicht innerhalb angemessener Zeit vervollständigt hätte (vgl. Senat, a.a.O.).

Ein Zeitverlust droht bei dieser Verfahrensweise in der Regel nicht, wie der hiesige Fall belegt. Der Beschwerdeführer hatte nach Ablauf der Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG am 2. Januar 2013 den ursprünglichen Antrag bereits ohne einen Hinweis der Strafvollstreckungskammer von selbst mit seinem am 22. Januar 2013 bei Ge-richt eingegangenen Schreiben vom 15. Januar 2013 inhaltlich begründet.

Diese unwesentliche Überschreitung der Frist hat zur Verwerfung seines Antrags als unzulässig geführt, zu der sich die Strafvollstreckungskammer ihrerseits dann aller-dings bis zum 30. Mai 2013 – und damit mehr als vier Monate – Zeit gelassen hat. In diesem Zeitraum hätte ohne Schwierigkeiten eine Sachentscheidung ergehen kön-nen.

Eine solche Verfahrensweise widerspricht dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgen-den Gebot, das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den Beteiligten der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird (vgl. BVerfG NStZ 1993, 1380, 1381; Senat, a.a.O.).

3. Der Senat verweist die Sache daher nach §§ 119 Abs. 4 Satz 3 an die Strafvoll-streckungskammer zurück, damit diese unter Berücksichtigung des Vorbringens des Gefangenen erneut entscheiden kann.

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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