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Entscheidungen

Zivilrecht

Körperverletzung, Karneval, sozialadäquates Verhalten

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Ravensburg, Urt. v. 26.03.2013 - 4 O 73/13

Leitsatz: Zum sozialadäqautem Verhalten im Umfeld eines Karnevalszuges


In pp.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Streitwert:
Klagantrag Ziff. 1: 113,54 EUR
Klagantrag Ziff. 2: 4.000,00 EUR
Klagantrag Ziff. 3: 2.500,00 EUR
insgesamt: 6.613,54 EUR
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen einer Körperverletzung in Anspruch.

Am 28.1.2012 fand nachmittags in E (R…) ein Fasnachtsumzug statt. Der Beklagte nahm hieran als Mitglied der Narrengruppe R, einer Unterabteilung des TSV A e.V., teil. Im Anschluss an den Umzug fand in der Turnhalle, immer noch im Rahmen der Fasnachtsveranstaltung, eine Party statt. Die damals 20 Jahre alte Klägerin kam mit ihrer jüngeren Schwester M, ihrem damaligen Freund P H und dem Bekannten St H gegen Ende des Umzugs nach E; die jungen Leute begaben sich dann direkt zum Bereich der Turnhalle.

Dort trafen sie auf den Beklagten, der zumindest P H bereits kannte. Während die jungen Leute beieinander standen, hob der Beklagte die Klägerin hoch und legte sie über seine Schulter, drehte sich mit ihr und setzte sie wieder ab. Er machte dies wenig später ein zweites Mal. Wie das Absetzen der Klägerin aussah und ob sie sich sogleich hierbei verletzte ist streitig. Jedenfalls lag die Klägerin dann auf dem Boden, musste von Mitarbeitern des Sanitätsdienstes versorgt und schließlich mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden.

Die Klägerin trägt vor:
Dass der Beklagte sie ein zweites Mal hochgehoben habe, sei gegen ihren Willen geschehen. Beim Absetzen habe er sie wohl fallengelassen bzw. sei sie ihm entglitten. Sie habe sich eine Patella-Luxation zugezogen, das heißt, dass die Kniescheibe aus ihrer Führung sprang. Sie habe zunächst im Krankenhaus eine Kunststoffschiene am Bein erhalten und sei dann im April operiert worden, wobei ihr eine Kunststoffkniescheibe eingesetzt worden sei. Im Ergebnis sei sie mehrere Monate arbeitsunfähig gewesen und habe sich nur mit Hilfe von Krücken fortbewegen können.

Als Schmerzensgeld sei ein Betrag von mindestens 4.000,00 EUR angemessen. Ihr materieller Schaden in Form von Selbstbeteiligungskosten nebst Kostenpauschale belaufe sich auf 113,54 EUR.
Die Klägerin beantragt:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 113,54 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 87,54 EUR seit dem 31.05.2012 und aus 26,00 EUR seit dem 23.10.2012 zu bezahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.05.2012 zu bezahlen.
3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die auf den Unfall vom 28.01.2012 zurückzuführen sind, die materiellen Schäden soweit nicht Ansprüche auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden, die immateriellen Schäden soweit nicht vorhersehbar.
4. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 511,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.10.2012 zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte macht geltend:
Ein derartiges Hochheben sei im Rahmen von Fasnachtstreiben durchaus üblich. Er habe die Klägerin auch beim zweiten Mal ordentlich abgesetzt. Sie sei noch einige Schritte gegangen und habe dann wohl das Gleichgewicht verloren oder sei aus einem sonstigen Grund gestolpert und zu Fall gekommen.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen und im Übrigen wird Bezug genommen auf die vorgelegten Schriftsätze und Urkunden sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.08.2013, in welcher die Parteien eingehend angehört wurden (Bl. 45 ff).

Das Gericht hat zum Geschehensablauf Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen M S, P H, St H und J C (Rettungssanitäter). Wegen der Angaben der Zeugen wird Bezug genommen auf das Terminsprotokoll vom 08.08.2013.
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Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB (Körperverletzung). Denn der Beklagte handelte nicht rechtswidrig, zumindest aber nicht schuldhaft.

1. Als Ergebnis der ausführlichen Parteianhörung und der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht überzeugt, dass sich der Vorfall wie folgt zugetragen hat:

Der Beklagte, ein überaus stämmiger junger Mann, hob die Klägerin, eine eher zierliche junge Frau, an der Hüfte an und legte sie sich über die Schulter in der Weise, wie man sich etwa einen Sack über die Schulter legt, also so, dass die Klägerin mit dem Bauch nach unten und dem Kopf auf der Rückenseite des Beklagten zu liegen kam und vom Beklagten an den Beinen gehalten wurde. So drehte sich der Beklagte um seine Achse und ließ dann die Klägerin wieder zu Boden gleiten, stellte sie also wieder auf die Beine. Wenig später nahm er sie ein weiteres Mal in gleicher Weise hoch. Dass die Klägerin hier zuvor schon zu erkennen gegeben hätte, dass sie solches nicht nochmals wolle, konnte das Gericht nicht feststellen. Erst als der Beklagte sie ein zweites Mal tatsächlich hochnahm, äußerte die Klägerin wohl, dass er dies bleibenlassen solle. Dieser Aufforderung kam der Beklagte dann aber auch gleich nach und ließ die Klägerin wieder von seiner Schulter herabgleiten bzw. stellte sie ab. Dass der Beklagte hierbei die Klägerin regelrecht fallengelassen habe oder auch nur dass die Klägerin ihm hierbei unvorhergesehenermaßen entglitten sei, konnte das Gericht nicht feststellen. Festzustellen ist nur, dass der Beklagte die Klägerin sicher nicht denkbar behutsam auf den Boden gestellt hat; er hat sie bereits losgelassen, als sie sich mit den Füßen noch in der Luft befand. Nach eigenem Bekunden der Klägerin jedoch war sie dabei schon relativ knapp über dem Boden. Die Schätzung des Zeugen H mit etwa 40 bis 50 Zentimetern kann daher nicht zutreffen.

Das Gericht ist weiter davon überzeugt, dass die Klägerin nicht erst sich auf den Boden stellte, noch wenige Schritte unternahm und dann zu Boden fiel, sondern dass die Klägerin unmittelbar beim Aufsetzen auf den Boden sich die Knieverletzung zuzog und zu Boden ging. Zum Einen wirkte bereits der Beklagte bei seinen diesbezüglichen Angaben wenig überzeugend. Das Gericht hatte stark den Eindruck, dass er insoweit - vielleicht geleitet vom Bestreben, Verantwortung von sich zu weisen - eher nur Mutmaßungen anstellte. Zum Anderen und vor allem gaben die Zeugen St H und M S sehr eindrücklich und überzeugend an, dass die Klägerin wirklich im Vorgang des Absetzens direkt dann zu Boden gegangen und praktisch unmittelbar neben dem Beklagten zu liegen gekommen sei.

2. Das Verhalten des Beklagten war für die Verletzung der Klägerin ohne weiteres ursächlich im Sinne der sog. Äquivalenztheorie (conditio-sine-qua-non-Formel, Palandt-Grüneberg, BGB 70. Aufl. 2011 vor § 249ff, Rn. 25). Es drängt sich aber die Frage auf, ob die Kausalität auch bei wertender Betrachtung noch zu bejahen ist oder ob nicht eine der anerkannten Einschränkungen zur bloßen Äquivalenzkausalität greift (hierzu Grüneberg a.a.O. Rn. 25 ff).

Denn diejenige Bewegung der Klägerin, welche unmittelbar die Verletzung herbeiführte - ein Auftreffen auf normal griffigen Boden (vgl. Prot. S. 5) in gestreckter Körperhaltung mit den Füßen voraus aus einer Höhe von maximal etwa 20 bis 25 Zentimetern -, war keine andere, als sie auch sonst im Alltag immer wieder vorkommt, etwa beim eiligen Abwärtsgehen oder -springen auf einer Treppe oder beim Hüpfen im Rahmen sportlicher Bewegung. Wenn gleichwohl allein diese Bewegung dazu führte, dass die Kniescheibe der Klägerin aus ihrer Führung sprang, muss wohl eine entsprechende Schädigungsneigung bei der Klägerin vorgelegen haben (etwa eine Patella-Dysplasie) - dann aber hätte es zu einer Patella-Luxation bei der Klägerin ohne weiteres auch bei einer der erwähnten alltäglichen Bewegungssituationen kommen können.

Einer ergänzenden Aufklärung hierzu, insbesondere der Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens, bedarf es jedoch nicht, da die Klage unabhängig von dieser Frage unbegründet ist. Gleiches gilt für die Frage, ob und inwieweit die Klägerin alkoholisiert war (bei der zierlichen Statur der Klägerin dürften auch geringe Mengen des Whisky-Cola-Gemischs „Jacky-Cola“, vgl. die Aussage des Zeugen H, Prot. S. 9, bei ihr schnell spürbar werden) und ob sich dies - nach dem konkreten Hergang eher unwahrscheinlich - ggf. mitausgewirkt hat.

3. Dem Beklagten ist jedenfalls kein Verstoß gegen rechtlich vorgegebene Verhaltensmaßstäbe anzulasten.

a) Das Aufnehmen der Klägerin geschah im unmittelbaren Umfeld des Fasnachtstreibens in Form eines Umzuges mit anschließender Party in der Turnhalle; der Beklagte hatte bereits am Umzug teilgenommen, die Klägerin und ihre Begleiter kamen spätestens zur anschließenden Party. Angesichts dieser Rahmensituation, ergänzend aber auch mit Blick auf das Alter der Beteiligten, war das Verhalten des Beklagten sozialadäquat. Die Klägerin selbst macht nicht einmal geltend, dass sie bereits das erste Aufnehmen entschieden abgelehnt oder gar dem Beklagten danach deutlich zu verstehen gegeben habe, dass er dies gefälligst zu unterlassen habe. Erst als er sie ein zweites Mal aufnahm, erklärte sie, er solle aufhören, was er dann auch gleich zum Anlass nahm, sie wieder abzusetzen. Dem Beklagten ist deshalb nicht vorzuwerfen, dass er die Klägerin überhaupt ein zweites Mal hochnahm.

Auch im Zusammenhang mit dem Absetzen der Klägerin ist dem Beklagten nichts vorzuwerfen. Es gibt - auch außerhalb des sozialen Nahbereichs - zahlreiche Situationen, in denen Menschen in unzweifelhaft sozialadäquater Weise im unmittelbaren Körperkontakt auf andere einwirken, beispielsweise bei Begrüßungs- oder Verabschiedungsritualen oder bei Sport und Tanz. Welche Sorgfaltsanforderungen hierbei zu beachten sind, richtet sich ganz nach der konkreten Situation und dem jeweiligen Gegenüber. Hier hatte es der Beklagte nicht mit einem kleinen Kind zu tun, einem Körperbehinderten oder einem gebrechlichen alten Menschen, sondern mit einer erwachsenen jungen Frau von zwar eher zierlicher Statur, aber ohne irgendwelche wahrnehmbare gesundheitliche Einschränkungen. Der Beklagte musste deshalb die Klägerin, als er sie nach dem spielerischen Hochnehmen wieder absetzen wollte, nicht wie ein rohes Ei oder eine Porzellanvase behandeln und denkbar behutsam auf dem Boden absetzen. Er durfte sie ohne weiteres in aufrechter Haltung bei einem nur noch relativ geringen Abstand der Füße zum Boden aus seinen Händen hinabgleiten lassen; denn er musste dabei nicht damit rechnen, dass die Beklagte sich beim Auftreffen auf den Boden verletzen würde.

b) Eine Haftung des Beklagten ist daher nicht gegeben.

Nimmt man eine erfolgsbezogene Rechtswidrigkeitsprüfung vor, ist zwar die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beklagten durch die hierbei (mit)herbeigeführte Rechtsgutsverletzung indiziert; da dem Beklagten aber nicht anzulasten ist, dass er die gebotene Sorgfalt verletzt habe, fehlt es dann am Verschulden. Bei einer verhaltensbezogenen Beurteilung der Rechtswidrigkeit dagegen ist trotz der bewirkten Verletzung bereits die Rechtswidrigkeit zu verneinen, nachdem der Beklagte in sozialadäquater Weise und unter Beachtung der gebotenen Sorgfalt agiert hat. Weiterer Ausführungen zu diesem rechtsdogmatischen Theorienstreit bedarf es - zumal Fragen der Notwehr oder von Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüchen nicht aufgeworfen sind - nicht (vgl. näher Palandt-Sprau a.a.O. § 823 Rn. 24 mit zahlr. Nachw.).
II.
Nebenentscheidungen
1. Kosten, vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
2. Bei der Streitwertfestsetzung folgt das Gericht hinsichtlich des Schmerzensgeldantrages der Mindestbetragsvorstellung der Klägerin; bei voller Haftung des Beklagten erschiene dem Gericht ein Betrag in der Größenordnung von 4.000,00 EUR durchaus angemessen. Der Wert des Feststellungsantrages ist aber höher anzusetzen als mit 1.000,00 EUR. Denn insbesondere angesichts des noch geringen Alters der Klägerin sind mögliche künftige Schäden (v.a. auch materieller Art) zum einen nicht unwahrscheinlich, zum andern der Höhe nach möglicherweise beträchtlich.

Einsender: entnommen Juris.de

Anmerkung:


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