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Entscheidungen

Haftfragen

Haftbedingungen, Anordnung, Begründungsanforderungen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.11.2010 - 4 Ws 208/10 (V)

Leitsatz: Zur Anordnung und den Anforderungen an die Begründung von Sicherungsmaßnahmen im (Straf)Vollzug


Geschäftsnummer:
4 Ws 208/10 (V)
Oberlandesgericht Stuttgart
- 4. Strafsenat -
Beschluss
vom 15. November 2010
in der Strafvollzugssache des
wegen Disziplinarmaßnahme und besonderer Sicherungsmaßnahme
Auf die Rechtbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Ravensburg vom 7. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Die Strafvollstreckungskammer hat die Anträge des Gefangenen auf Feststellung, dass die Verhängung von einer Woche Freizeit- und Fernsehsperre sowie die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum rechtswidrig waren, zurückgewiesen.
Anlass der Disziplinarmaßnahme sei gewesen, dass der Antragsteller entgegen einer ihm bekannten internen Verfügung des Leiters der Besuchsabteilung am 8. März 2010 dem Getränkeautomaten ein zweites Getränk entnommen habe. Da er zum wiederholten Male gegen Weisungen verstoßen habe, sei es gerechtfertigt, ihn nicht lediglich zu verwarnen, sondern eine Woche Fernsehentzug und getrennte Unterbringung während der Freizeit zu verhängen (§ 82 Abs. 1 Nr. 3 und 5 JVollzGB III).

Die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum sei erforderlich ge-wesen, weil er am selben Tage nach einem Wortwechsel mit Beamten, dessen Inhalt im einzelnen umstritten sei, mindestens drei Mal den Notruf (Lichtruf) betätigt habe, um duschen zu dürfen. Er sei in höchstem Maße erregt gewesen, so dass mit Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder auch mit einer Ei-gengefährdung gerechnet werden musste. Auch der bisherige Vollzugsverlauf gäbe Anlass für entsprechende Befürchtungen, insbesondere weil er mehrfach durch Missachtung von Weisungen aufgefallen sei. Ferner habe der Anstaltsarzt am 1. Februar 2010 festgestellt, dass er aufgrund psychischer Instabilität und neurologischer Symptomatik nicht arrestfähig sei. Art und Dauer der Maßnahme seien nicht unverhältnismäßig.

Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller Rechtsbeschwerde eingelegt. Er rügt unter anderem, dass es für die Verhängung der Disziplinarmaßnahme keine Ermächtigungsgrundlage gebe. Die Unterbringung in dem besonders gesicherten Raum sei rechtswidrig gewesen. Der Kernbereich der Menschenwürde sei in nicht hinnehmbarer Weise verletzt worden. Für die Zwangsentkleidung sei keine Rechtsgrundlage vorhanden; auch die ständige Beleuchtung sei ebenso wie die Dauer der Unterbringung rechtswidrig.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung des an-gefochtenen Beschlusses zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Das Rechtsmittel dringt mit der Sachrüge durch.

1. Die Ausführungen der Strafvollstreckungskammer lassen eine Rechtsgrundlage für die Anordnung der Disziplinarmaßnahme nicht erkennen. Gem. § 81 Abs. 1 JVollzGB III können gegen Gefangene Disziplinarmaßnahmen angeordnet werden, wenn sie schuldhaft gegen Pflichten, die ihnen durch das JVollzGB III oder aufgrund dieses Gesetzes auferlegt sind, verstoßen. Gem. § 62 Abs. 1 Satz 2 JVollzGB III dürfen sie durch ihr Verhalten gegenüber Vollzugsbe-diensteten und anderen Personen das geordnete Zusammenleben nicht stören. Welche spezifische Verhaltenspflichten den Gefangenen insofern auferlegt sind, kann die Hausordnung der Anstalt bestimmen (BVerfG NStZ 1998, 103). Auch mag die Verfügung des Leiters der Besuchsabteilung, während eines Besuchs nur ein Getränk kaufen zu dürfen, insoweit genügen. Nicht ersichtlich ist jedoch, welchem Zweck diese Verfügung dient. Auf der Grundlage der Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung kann nicht beurteilt werden, inwieweit durch sie ein geordnetes Zusammenlebens in der Anstalt gewährleistet werden soll. Nur dann ist sie geeignet, die allgemeine Verhaltensvorschrift des § 62 Abs. 1 Satz 2 JVollzGB III auszufüllen und eine ausreichende Grundlage für eine Disziplinarmaßnahme darzustellen.

Die Verhängung von einer Woche Freizeit- und Fernsehsperre hat das Landgericht damit begründet, dass der Antragsteller zum wiederholten Male gegen Weisungen des Anstaltspersonals verstoßen habe. Die näheren Umstände die-ser Weisungsverstöße werden jedoch ebenso wenig mitgeteilt wie der Tag, an dem sie begangen worden sind. Auch aus den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt vom 7. Juni und 2. Juli 2010, auf die gem. § 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG Bezug genommen ist, ergeben sie sich nicht.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers in der Begründung seiner Rechts-beschwerde war es nicht geboten, dessen Großmutter unter Hinzuziehung eines Dolmetschers als Zeugin zu hören. Der Antragsteller beherrscht die deutsche Sprache, so dass es ihm unschwer möglich gewesen wäre, den Beamten, der den Besuch überwachte, um ein Glas Wasser zu bitten, wenn dies für die Gesundheit der Großmutter notwendig gewesen wäre.

2. a) Der Vorfall, der zur Verhängung der besonderen Sicherungsmaßnahme führte, ist nicht genügend aufgeklärt. So kann für die Anordnung dieser Maßnahme von Bedeutung sein, welchen Inhalt der Wortwechsel zwischen dem Beamten und dem Antragsteller hatte, was die Strafvollstreckungskammer offen lässt. In dem Schreiben des Antragstellers vom 11. März 2010, auf den Bezug genommen worden ist (§ 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG), teilt dieser mit, der Beamte sei zehn Minuten verspätet zu ihm gekommen, um ihn zum Duschen zu holen. Dies rechtfertigt zwar in keiner Weise die daran anschließende Berechtigung des Notrufes, jedoch mag dies eine Erklärung für dieses Verhalten sein. Auf der an-deren Seite teilt die Justizvollzugsanstalt in der Anlage zu ihrer Stellungnahme vom 2. Juli 2010, welche gleichfalls infolge Bezugnahme Gegenstand der angefochtenen Entscheidung ist, mit, der Antragsteller habe in seiner Zelle heftig gegen die Tür geschlagen und verlangt, dem Anstaltsarzt vorgeführt zu werden.

b) Auf der Grundlage des Sachverhalts, den die Strafvollstreckungskammer festgestellt hat, ist die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen nicht ge-rechtfertigt.

Voraussetzung hierfür ist gem. § 67 Abs. 1 JVollzGB III, dass aufgrund des Verhaltens des Gefangenen oder seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maß die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen, der Selbsttötung oder der Selbstverletzung besteht. Unter erhöhter Gefahr ist der unmittelbar drohende Eintritt des unerwünschten Erfolges zu verstehen. Es muss sich immer um eine substanzielle, aus dem aktuellen Verhalten oder dem psychischen Zustand des Gefangenen herrührende und mit konkreten Anhalts-punkten belegbare Gefahr handeln; Befürchtungen, Vermutungen oder ein bloßer Verdacht reichen nicht aus (vgl. Arloth, StVollzG, 2. Auflage, § 88 Rn. 2).

Die Feststellungen der Strafvollstreckungskammer rechtfertigen die Annahme einer derartigen Gefahr nicht. Es ist nicht ersichtlich, wieso aufgrund des Umstandes, dass der Antragsteller zu Unrecht drei Mal den Notruf betätigte, Gewalttätigkeiten zu befürchten sein sollen. Auch ein wie auch immer gearteter Wortwechsel rechtfertigt diese Maßnahme nicht. Die bei ihm festgestellte Erregung (Beschluss Seite 4) hätte näher dargelegt werden müssen; es erschließt sich hieraus nicht, weshalb mit Gewalttätigkeiten zu rechnen war. Auch der Vollzugsverlauf, welcher Anlass für entsprechende Befürchtungen gab, hätte näher dargelegt werden müssen. Gleiches gilt für die Missachtung der Weisungen. Die Aussage, der Antragsteller sei psychisch instabil gewesen und bei ihm sei eine neurologische Symptomatik festgestellt worden mit der Folge, dass er nicht arrestfähig sei, reicht ebenfalls für die Annahme einer Eigengefährdung nicht aus.

c) Es spricht deshalb viel dafür, dass die Maßnahme unter keinem Gesichts-punkt gerechtfertigt war. Gleichwohl hat der Senat davon abgesehen, eine eigene Entscheidung zu treffen, weil die Sache möglicherweise nicht spruchreif ist (§ 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG; s.o. a)).

Sollte die besondere Sicherungsmaßnahme trotz dieser erheblichen Bedenken zulässig sein, müsste die Strafvollstreckungskammer sich näher dazu äußern, wie die Beobachtung des Gefangenen bei Nacht (§ 67 Abs. 2 Nr. 2 JVollzGB III) im einzelnen ausgestaltet war. Der Antragsteller macht geltend, er habe nicht schlafen können; grundsätzlich muss das Licht im Haftraum so weit abgedunkelt werden, dass er Schlaf finden kann (vgl. Arloth a. a. O. Rn. 5 am Ende). Auch ist unklar, wieso dem Antragsteller nicht eine Ersatzkleidung (zur Not aus Papier) zur Verfügung gestellt werden konnte (vgl. Arloth a. a. O. Rn. 4). Sollten beim Antragsteller psychische Auffälligkeiten bestanden haben, wäre es geboten gewesen, sofort einen Facharzt hinzuzuziehen. Auch ist dem Antragsteller zuzugeben, dass unklar ist, wieso die besondere Sicherungsmaßnahme über zwei Tage hinweg aufrechterhalten worden ist.


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