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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

FAER, FABS, Maßnahmeergreifung, Punkte

Gericht / Entscheidungsdatum: VG Magdeburg, Beschl. 08.07.2015 - 1 B 150/15

Leitsatz: Abkehr von Tattagsprinzip bei der Maßnahmenergreifung nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem: Maßgebend ist nicht länger der Zeitpunkt der Begehung der Verkehrszuwiderhandlung, sondern derjenige, an dem die zuständige Behörde hiervon Kenntnis erlangt.


In pp.
Gründe
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleibt erfolglos.
Der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16.04.2015, mit welchem er dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen entzogen hat, hat keine Aussicht auf Erfolg, denn der o. a. Bescheid erweist sich als offensichtlich rechtmäßig.
Der Eilantrag hat unter Berücksichtigung der Anforderungen de § 80 Abs. 5 VwGO keinen Erfolg, wobei die Maßgaben der Ziffer 1 und 2 des Bescheides (Entziehung der Fahrerlaubnis und Abgabe des Führerscheins unter Fristsetzung) bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind. Für die Entziehung der Fahrerlaubnis ergibt sich dies aus § 4 Abs. 9 StVG. Die Aufforderung, den Führerschein abzuliefern, beruht auf § 3 Abs. 2 S. 3 StVG. Hiernach ist der Führerschein nach der Entziehung der Fahrerlaubnis bei der Fahrerlaubnisbehörde abzuliefern. Diese Verpflichtung folgt unmittelbar aus dem Gesetz, so dass es insoweit keiner weiteren behördlichen Tätigkeit, insbesondere keiner zusätzlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung bedarf, wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis ihrerseits sofort vollziehbar ist (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, § 3 StVG Rdnr. 35). Es ist für die Vollstreckung dieses - in § 47 Abs. 1 S. 1 FeV wiederholten - Normbefehls nur eine Aufforderung mit Fristsetzung und ggf. Zwangsmittelandrohung durch die Fahrerlaubnisbehörde erforderlich, die der Antragsgegner im streitigen Bescheid auch erlassen hat, unabhängig davon, dass der Antragsteller den Führerschein bereits abgegeben hat.
Die im streitigen Bescheid weiter verfügte Zwangsgeldandrohung beruht auf § 71 Abs. 1 VwVG LSA, 59, 56, 54 Abs. 1 Nr. 2, 53 SOG LSA. Sie ist gleichfalls dem gesetzlichen Sofortvollzug unterworfen und begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Mithin war der Antragsgegner nicht verpflichtet, seine diesbezüglichen Anordnungen im Rahmen des § 80 Abs. 3 VwGO individuell zu begründen; eine dennoch erfolgte Begründung hat auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides keinen Einfluss.
Auch im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis vor. Der Bescheid erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig, da sich für den Antragsteller zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides 8 Punkte im Fahreignungsbewertungsregister ergeben. Gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG gilt er damit kraft Gesetzes als ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen. Die Fahrerlaubnisbehörde ist verpflichtet, ohne eigenes Ermessen die Fahrerlaubnis zu entziehen. Zudem ist eine - wie dargelegt - auf § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis von Gesetzes wegen (vgl. § 4 Abs. 7 StVG) sofort vollziehbar.
Die im Zeitpunkt der Fahrerlaubnisentziehung im Fahreignungsregister eingetragene Gesamtpunktzahl von acht ist nicht zu beanstanden. Abgesehen von einer zeitweilig zu Unrecht vorgenommenen Doppeleintragung desselben Verstoßes, die im Laufe des Verwaltungsverfahrens korrigiert worden ist, bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit des Inhalts des Fahreignungsregisters in Bezug auf den Antragsteller sowie die Rechtsgründe für die Eintragungen. Solche wurden vom Antragsteller auch nicht geltend gemacht.
Dem Hinweis des Antragstellers darauf, dass die ihm am 11.08.2014 ausgesprochene Verwarnung gem. § 4 Abs. 5 Nr. 2 StVG ihre Funktion verlöre, wenn für das Erreichen der dritten Maßnahmestufe - wie hier - anschließend Verstöße zugrunde gelegt werden würden, die zeitlich bereits vor dem Erreichen der zweiten Maßnahmestufe begangen und lediglich bei deren Ergreifen noch nicht punktewirksam eingetragen worden waren, folgt das Gericht nicht.
Zwar waren nach § 4 StVG in der Fassung bis 30. April 2014 sämtliche Verkehrszuwiderhandlungen, welche vor dem Ergehen der jeweiligen Vormaßnahme bereits begangen worden waren, von der Punktereduzierungsregelung des § 4 Abs. 5 StVG a. F. erfasst. Dies wurde aus der Warn- und Erziehungsfunktion der Vormaßnahmen abgeleitet, welche der damaligen Regelung ausdrücklich zukommen sollte, mit der Folge, dass die Punkte, welche sich aus bereits vor Ergehen der Vormaßnahme begangenen Verkehrszuwiderhandlungen ergeben hatten, der Reduzierungsregel unterworfen wurden, da der Zweck der Vormaßnahmen zu diesen Tatzeitpunkten den Betroffenen noch nicht hatte erreichen können. Diese Warn- und Erziehungsfunktion verfolgt das Gesetz indes nicht mehr in seiner Fassung ab dem 5. Dezember 2014 (vgl. VG Ansbach, B. v. 19.02.2015 - AN 10 S 15.00161.). Dies zeigt sich nunmehr an Hand der Motive des Gesetzgebers, wie sie sich aus der BT-Drs. 18/2775 zur Änderung des § 4 Abs. 5 Satz 6 StVG. Hiernach
"wollte sich der Gesetzgeber für das ab 1. Mai 2014 geltende neue System mit den Erwägungen zur Punkteentstehung und zum Tattagsprinzip bewusst absetzen (Bundesratsdrucksache 799/12, S. 72). Um den Systemwechsel deutlicher zu fassen und deutlicher zu machen, dass die bisherige zum Punktsystem ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht auf die Punkteberechnung im neuen System in diesem Detail erstreckt werden soll, wird nunmehr die vorliegende Klarstellung vorgenommen. Es kommt nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem demnach nicht darauf an, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Verstöße erreicht und ihm die Möglichkeit zur Verhaltensänderung einräumt, bevor es zu weiteren Maßnahmen kommen darf. Denn das neue System kennt keine verpflichtende Seminarteilnahme und versteht den Erziehungsgedanken damit auch nicht so, dass jede einzelne Maßnahme den Fahrerlaubnis-Inhaber individuell ansprechen können muss in dem Sinne, dass nur sie die Verhaltensbeeinflussung bewirken kann. Die Erziehungswirkung liegt vielmehr dem Gesamtsystem als solchem zu Grunde, während die Stufen in erster Linie der Information des Betroffenen dienen. Die Maßnahmen stellen somit lediglich eine Information über den Stand im System dar..... Mit Absatz 5 Satz 6 Nummer 1 soll verdeutlicht werden, dass Verkehrsverstöße auch dann mit Punkten zu bewerten sind, wenn sie vor der Einleitung einer Maßnahme des Fahreignungs-Bewertungssystems begangen worden sind, bei dieser Maßnahme aber noch nicht verwertet werden konnten, etwa weil deren Ahndung erst später Rechtskraft erlangt hat oder sie erst später im Fahreignungsregister eingetragen worden oder der Behörde zur Kenntnis gelangt sind. Absatz 5 Satz 6 Nummer 2 enthält den bisherigen, unveränderten Regelungsgehalt des bisherigen Absatzes 5 Satz 6. ...Absatz 6 soll mit seiner Ausnahme vom Tattagsprinzip eindeutiger gefasst werden. Absatz 6 Satz 1 formuliert den Grundsatz des stufenweisen Ergreifens der Maßnahmen klarer. Insbesondere wird die Regelung deutlicher auf die Befugnis der Behörde bei der Maßnahmeergreifung konzentriert und klarer vom Entstehen der Punkte getrennt. Zwar gilt für die Punkteentstehung das Tattagsprinzip. Für das Ergreifen von Maßnahmen hat das Tattagsprinzip aber keine Relevanz, denn Maßnahmen können erst nach Rechtskraft (und Registrierung) der Entscheidung über die Tat und damit deutlich später an die Tat geknüpft werden. Die Prüfung der Behörde, ob die Maßnahme der vorangehenden Stufe bereits ergriffen worden ist, ist daher vom Kenntnisstand der Behörde bei der Bearbeitung zu beurteilen und beeinflusst das Entstehen von Punkten nicht. Absatz 6 Satz 2 enthält die Anweisung, die zunächst vorgesehene, aber noch nicht erteilte Maßnahmenstufe dann noch zu ergreifen, wenn der Punktestand bereits die darauf folgende Maßnahmenstufe erreicht hat. Eine Punktereduzierung in Satz 3 ist nur Folge dieser Maßnahmenergreifung und kein Selbstzweck. So spricht auch die Gesetzesbegründung in BR-Drucksache 799/12, S. 79 f von "für den praktischen Vollzug dieses Grundsatzes erforderlichen Anweisungen für die Punktereduzierungen ... Ohne diese Anweisung der Punktereduzierung wäre das Verfahren weniger übersichtlich, weil dann Punktestand und Maßnahmenstufe auseinander fallen würden."
Mit der Regelung des § 4 Abs. 6 S. 4 StVG n.F. hat der Gesetzgeber folglich die Berücksichtigung des Tattagprinzips ausgeschlossen, es soll für das Ergreifen von Maßnahmen anders als bei der Entstehung der Punkte keine Bedeutung haben (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 27.04.2015 - 16 B 226/15 -, n. [...]). Ausgehend hiervon hatte der Antragsgegner mit dem Stand der Eintragungen im Fahreignungsregister zum 28.08.2014 von einem Punktestand von 8 auszugehen, ungeachtet der Tatsache, dass die zuletzt am 28.08.2014 eingetragene Verkehrszuwiderhandlung bereits am 13.02.2014, also vor dem Ausspruch der Verwarnung vom 11.08.2014 begangen worden ist.
Dieser Rechtsfolge steht, anders als der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers meint, auch nicht das Rückwirkungsverbot gem. Art. 103 Abs. 2 GG entgegen. Art. 103 Abs. 2 GG bewirkt eine spezifische rechtsstaatliche Garantie und Bindung für die staatliche Strafgewalt (vgl. Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Komm. z. GG, Art. 103 Rdnr.163 ff.). Im Hinblick auf die den Punktebewertungen der Verkehrszuwiderhandlungen des Antragstellers zugrundeliegenden strafgerichtlichen Entscheidungen sind Verstöße gegen das strafrechtliche Rückwirkungsverbot indes nicht ersichtlich. Die vom Antragsteller begangenen Verstöße waren im Zeitpunkt der Taten nach geltendem Recht jeweils strafbewehrt. Außerhalb des speziellen Anwendungsbereiches des Art. 103 Abs. 2 GG existiert kein allgemeines Verbot rückwirkender Gesetze. Dessen ungeachtet stellt die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG einen erheblichen Eingriff in die Rechts- und Freiheitssphäre dar, der den allgemeinen rechtsstaatlichen Standards der Freiheitssicherung, zu denen auch die staatliche Pflicht zur Wahrung schützwürdigen Vertrauens in eine bestehende Rechtsposition gehört (vgl. Herzog in Maunz-Dürig, a.a.O, Art 20 Rdnr. 67 ff.), genügt. Eine hier allenfalls in Betracht zu ziehende verfassungswidrige so genannte unechte Rückwirkung durch Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 28.11.2014 zum 05.12.2014 scheidet indes aus. Denn der Systemwechsel mit seiner Abkehr vom Prinzip der Warn- und Erziehungsfunktion ist bereits vor der Ermahnung und Verwarnung des Antragstellers durch Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 28.08.2013 zum 01.05.2014 bewirkt worden. Die Möglichkeit der Punktereduzierung durch Teilnahme an einem Aufbauseminar und einer verkehrspsychologischen Beratung waren hier bereits entfallen. Lediglich durch freiwillige Teilnahme an einem Fahreignungsseminar gem. § 4 Abs. 7 StVG n. F. wäre die beschränkte Möglichkeit einer Punktereduzierung gegeben gewesen, von der der Antragsteller nach Erhalt der Ermahnung vom 23.06.2014 keinen Gebrauch gemacht hat.
Schließlich hat auch die Rechtsänderung durch Gesetz vom 28.11.2014 nicht nachträglich in bereits abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingegriffen, sondern lediglich in das für den Antragsteller noch nicht abgeschlossene Verfahren zur Beurteilung seiner Fahreignung. Ein Betroffener darf zwar bis zum Zeitpunkt der Verkündung einer Gesetzesänderung schutzwürdig darauf vertrauen, dass er nicht nachträglich einer bisher nicht geltenden Belastung unterworfen wird. Vorliegend könnte ein solches Vertrauen sich jedoch nur darauf beziehen, bis zum förmlichen Ergehen einer Ermahnung oder Verwarnung beliebig Verkehrszuwiderhandlungen begehen zu können, ohne die jeweilige Folgemaßnahme des Punktesystems befürchten zu müssen. Ein solches Vertrauen ist nicht schutzwürdig (vgl. VG Ansbach, Beschl. v. 19.02.2015 - AN 10 15.00161 -, n. [...]). Das gilt auch für den dem Antragsgegner zuletzt am 28.08.2014 übermittelten Inhalt des Fahreignungsregisters einschließlich der im Zeitpunkt der Verwarnung vom 11.08.2014 noch nicht berücksichtigten Eintragungen, beruhend auf Verkehrszuwiderhandlungen vom 13.02.2014 und 24.02.2014. Dass dem Antragsteller letztere Verstöße zumindest vorgeworfen werden, war ihm bekannt, denn er hatte die Bußgeldbescheide jeweils selbst angefochten. Zudem war ihm bei Erhalt der Verwarnung vom 11.08.2014 auch bekannt, dass seine Einsprüche und Anträge auf gerichtliche Entscheidung dagegen jeweils erfolglos waren. Nach § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG n. F. ergeben sich Punkte mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird. Die Fahrerlaubnisbehörde hat für das Ergreifen der Maßnahmen nach dem Punktesystem gem. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 3 StVG auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat (§ 4 Abs. 5 Satz 5 StVG n.F.).
Nach alledem belief sich im vorliegenden Fall der Punktestand des Antragstellers mit der Ordnungswidrigkeit vom 13.02.2014 auf 8 Punkte, so dass die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertentscheidung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. den Empfehlungen in Ziff. II. 46.1, II. 46.3 und II 46.4 des Streitwertkataloges der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Der Streitwert war angesichts des Eilrechtsschutzverfahrens zu halbieren.

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