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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Selbstverteidigung, Unfähigkeit, Parkinson, Betreuung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Berlin, Beschl. v. 14.12.2015 - 534 Qs 142/15

Leitsatz: 1. Steht der Beschuldigte unter Betreuung mit dem "Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden“ ist seine Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt und ihm nach § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen.
2. Ist der Beschuldigte aufgrund eines Morbus Parkinson, der zu einer motorischen Sprachstörung geführt hat, in seiner sprachlichen Kommunikationsfähigkeit erheblich beeinträchtigt, ist er als sprachbehindert im Sinne von § 140 Abs. 2 Satz 2 StPO anzusehen.


Landgericht Berlin
Beschluss
Geschäftsnummer: 534 Qs 142/15
In der Strafsache
gegen pp.

wegen Diebstahls

hat die Strafkammer 34 des Landgerichts Berlin am 14. Dezember 2015 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 13. November 2015 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe:
Die Amtsanwaltschaft Berlin legt mit ihrer Anklage dem Angeklagten zur Last, sich des Diebstahls in zwei Fällen (§§ 242 Abs. 1, 53 StGB) schuldig gemacht zu haben. Der Angeklagte steht unter Betreuung. Der Aufgabenkreis der Betreuung umfasst insbesondere die Vertretung gegenüber Behörden. Entsprechend dem Antrag der Amtsanwaltschaft auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren hat das Amtsgerichts Tiergarten ohne Eröffnungsbeschluss Termin zur Hauptverhandlung anberaumt und dem Angeklagten mit der Ladung zur Hauptverhandlung die Anklageschrift zugestellt. Mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2015 hat Rechtsanwalt K. angezeigt, dass der Angeklagte, vertreten durch seine gerichtlich bestellte Betreuerin, ihn mit seiner Verteidigung beauftragt hat. Weiterhin hat Rechtsanwalt K. namens und im Auftrag des Angeklagten beantragt, ihm dem Angeklagten als Pflichtverteidiger gemäß § 140 StPO beizuordnen. Zudem hat Rechtsanwalt K. erklärt, für den Fall seiner Beiordnung lege er das Wahlmandat nieder.

Das Amtsgericht Tiergarten hat mit Beschluss vom 13. November 2015 den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt. Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 24. November 2015 Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht Tiergarten nicht abgeholfen hat.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

1. Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft Berlin ist das Rechtsmittel nicht deshalb unzulässig, weil der Verteidiger die Beschwerde im eigenen Namen eingelegt hat (vgl. für den nicht beigeordneten Rechtsanwalt: Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 58. Auflage, § 142 Rdnr. 19 m.w.N.). Gemäß § 297 StPO darf nämlich ein Wahlverteidiger grundsätzlich aus eigenem Recht und im eigenen Namen Rechtsmittel einlegen, soweit er dabei nicht gegen den Willen des Beschuldigten verstößt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 297 Rdnr. 3).


2. Die Beschwerde ist auch begründet.
Der angefochtene Beschluss war aufzuheben, denn die Voraussetzungen der sogenannten Generalklausel der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO sind erfüllt. Gemäß dieser Norm bestellt der Vorsitzende unter anderem einen Verteidiger, wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann (§ 140 Abs. 2 Satz 1 3. Variante StPO). Dem Antrag (auf Bestellung eines Verteidigers) eines hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten ist zu entsprechen (§ 140 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Verteidigungsfähigkeit des Beschuldigten richtet sich nach seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und sonstigen Umständen des Falles. Eine Pflichtverteidigerbestellung ist schon dann notwendig, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, a.a.O., § 140 Rdnr. 30 m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Gemäß dem Beschluss des Amtsgerichts pp. vom pp. 2011 ist Rechtsanwältin pp. dem Angeklagten unter anderem mit dem Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden bestellt. Im Rahmen des Aufgabenkreises vertritt sie ihn gerichtlich und außergerichtlich. Der Begriff der Vertretung vor Behörden umfasst auch die Vertretung vor einem Gericht; es bedarf insoweit keiner ausdrücklichen Nennung der Vertretung in Gerichtsangelegenheiten. Das durch den Beschluss des Amtsgerichts pp. anerkannte Defizit des Angeklagten, seine Rechte selbst vor einem Gericht vertreten zu können, legt die Unfähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung bereits nahe (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, a.a.O). Darüber hinaus hat der Verteidiger in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten vom 26.05.2008 (263a Ds 3/08) dargelegt, dass der Angeklagte seit Ende der 80iger Jahre an einem Morbus Parkinson leidet, der zu einer motorischen Sprachstörung des Angeklagten geführt hat. Hierdurch ist seine sprachliche Kommunikationsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Demzufolge ist der Angeklagte auch als sprachbehindert im Sinne von § 140 Abs. 2 Satz 2 StPO anzusehen.

Nach alledem hat die Kammer den angefochtenen Beschluss aufgehoben und gemäß § 309 Abs. 2 StPO die in der Sache erforderliche Entscheidung, nämlich die Beiordnung von Rechtsanwalt K. als Verteidiger gemäß §§ 140 Abs. 2, 141 StPO, angeordnet.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse Berlin zur Last, weil niemand anderes für diese haftet.


Einsender: RA. T. Kümmerle, Berlin

Anmerkung:


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