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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Vollrausch, Vorsatz, Urteilsfeststellungen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 28.04.2016 -3 RVs 30/16

Leitsatz: 1. Bedingter Vorsatz der Rauschtat ist gegeben, wenn es der Täter bei dem Genuss von Rauschmitteln für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass er sich dadurch in einen Rauschzustand versetzt, der seine Einsichtsfähigkeit oder sein Hemmungsvermögen jedenfalls erheblich vermindert, wenn nicht ganz ausschließt.
2. Allein aus der Aufnahme der beträchtlichen Alkoholmenge, die zum Erreichen einer festgestellten hohen BAK erforderlich war, können zuverlässige Schlüsse zur inneren Tatseite nicht gezogen werden, denn es gibt keinen Erfahrungssatz, dass bei Alkoholgenuss in einer Menge, die zu einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 3,4 o/oo führt, stets auf die vorsätzliche Herbeiführung eines Rauschzustandes durch den Täter geschlossen werden kann.
3. Vielmehr müssen weitere, auf die vorsätzliche Tatbegehung hinweisende Umstände, hinzutreten, so dass es weiterer Feststellungen zur maximalen BAK, zum Trinkverlauf (Beginn und Dauer des Alkoholkonsums, Art und Menge der konsumierten Getränke und ihres Alkoholgehalts), zu den Trinkgewohnheiten bzw. der Alkoholgewöhnung des Angeklagten, ggf. auch zu weiteren, von ihm früher begangenen Straftaten bedarf.


In pp.
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen vorsätzlichen Vollrausches verurteilt wurde.
Ferner wird das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Tagessatzhöhe aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts – Strafrichter – Herford zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.


Gründe

I.
Das Amtsgericht Herford hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil vom 20. Januar 2016 wegen vorsätzlichen Vollrausches und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

Das Amtsgericht hat zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten die folgenden Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte wurde am 03.10.1969 geboren. Der Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger und verheiratet.“

In den Feststellungen zur Sache heißt es in dem angefochtenen Urteil wie folgt:

„1. Am 02.06.2015 trank der Angeklagte in erheblichem Umfang alkoholische Getränke. Bei einer anschließenden Fahrradfahrt, wobei der Angeklagte vorn und die Zeugen X hinten auf dem Rad saß, kippte der Angeklagte mitsamt dem Fahrrad um. Die Zeugin X zog sich dabei keine Verletzungen aufgrund des Sturzes zu. Die Untersuchungen der dem Angeklagten am 02.06.2015 um 23:35 Uhr und am 03.06.2015 um 0:05 Uhr entnommenen Blutproben ergaben BAK Mittelwerte von 3,40 o/oo bzw. 3,32 o/oo bei einer Körpergröße von 190 cm und einem Körpergewicht von 90 kg sowie einen Reduktionsfaktor von 0,717. Das Vorfallsdatum wurde mit dem 02.06.2015, 21:30 Uhr, angegeben. An der Wohnung des Angeklagten in der C-Straße angekommen, begab sich die Zeugin X in diese und setzte sich auf eine im Wohnzimmer auf dem Boden befindliche Matratze. Plötzlich trat der Angeklagte der Zeugin X wuchtig mitten in das Gesicht, wobei der Angeklagte feste Arbeitsschuhe an den Füßen trug. Dadurch fügte der Angeklagte der Zeugin eine stark blutende Platzwunde an der Lippe zu. Die Zeugin X erlitt außerdem Schmerzen, bis die Wunde verheilte, insgesamt mindestens eine Woche. Ein Nähen der Wunde oder die Einnahme von Schmerzmitteln lehnte die Zeugin ab. Auch begab sich die Zeugin nicht in zahnärztliche Behandlung wegen der geklagten Lockerung der Zähne. Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt erheblich intoxikiert. Der Angeklagte zeigte noch bei der Sachverhaltsaufnahme durch die eingesetzten Polizeibeamten, den Zeugen U und C, ein unsicheres Gangbild. Außerdem verhielt sich der Angeklagte sehr aggressiv, war laut und lief ziellos in seiner Wohnung hin und her. Bei der Sachverhaltsaufnahme konnte durch die Polizeibeamten festgestellt werden, dass der Angeklagte Blutanhaftungen an den Händen hatte. Die Zeugin X hatte unmittelbar nach dem Versetzen des Trittes die Wohnung verlassen und von der M-Straße aus die Polizei verständigt.

Der Angeklagte führte den Tritt gegen die Zeugin X bewusst aus. Indes war sicher die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln bei Begehung der Tat erheblich vermindert, wenn nicht gar aufgrund seiner starken Alkoholisierung aufgehoben. Dass der Konsum derartiger Mengen alkoholischer Getränke, die zu einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 3,0 o/oo führte, das Unterscheidungs- oder Hemmungsvermögen bzw. seine Körperbeherrschung erheblich beeinträchtigen würden, hielt der Angeklagte für sich für möglich und nahm es billigend in Kauf. Es handelt sich vorliegend nicht um einen ersten körperlichen Angriff des Angeklagten auf die Zeugin X.

2. Am 06.08.2015 befand sich der Angeklagte gegen 11:30 Uhr in den Räumlichkeiten des D-Marktes in der U-Straße in I. Der Angeklagte verhielt sich im Kassenbereich renitent. Er hatte einen Container I Bier auf dem Kassenband. Der Angeklagte schrie einen Jungen in dem Laden und auch die Kassiererin an. Der hinzu gerufene Zeuge T, der Filialleiter des D-Marktes, sprach den Angeklagten an und bat ihn, den Laden zu verlassen. Der Angeklagte hob den Container I an und schmetterte ihn auf das Band. Der Angeklagte war dann bereits im Begriff, den Laden zu verlassen, als er sich nochmals umdrehte und dem Zeugen T einen Faustschlag in den Magen versetzte, der für den Zeugen spürbar war. Eine Prellung erlitt der Zeuge T nicht. Auch musste er sich nicht in ärztliche Behandlung begeben. Als der Zeuge T zwischenzeitlich die Polizei verständigte, hatte der Angeklagte bereits den Laden verlassen. Der Angeklagte nahm wenigstens billigend in Kauf, dass der Zeuge T wenigstens vorübergehend Schmerzen erleidet. Der Zeuge T stellte am 06.08.2015 Strafantrag. Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung wurde überdies bejaht.“

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er unter näheren Ausführungen mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision mit der Maßgabe als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, dass der Angeklagte wegen vorsätzlichen Vollrausches und versuchter vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.

II.
Die zulässige (Sprung-)Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang (vorläufig) Erfolg, im Übrigen erweist sie sich als unbegründet.

1. Der Angeklagte macht mit der Sachrüge zu Recht geltend, dass die von dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen die Verurteilung wegen vorsätzlichen Vollrausches gem. § 323a StGB nicht tragen.

a) Nach den getroffenen Feststellungen hat das Amtsgericht zwar rechtsfehlerfrei die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des Vollrausches nach § 323a StGB bejaht. Denn durch den Genuss alkoholischer Getränke hat sich der Angeklagte in einen Zustand versetzt, in dem seine Schuldfähigkeit möglicherweise ausgeschlossen, jedenfalls aber erheblich i.S.d. § 21 StGB beeinträchtigt war. Angesichts der zum Zeitpunkt der Blutentnahmen festgestellten BAK und der beschriebenen Ausfallerscheinungen (Sturz mit dem Fahrrad, unsicheres Gangbild, aggressives Verhalten, lautes und zielloses Herumlaufen in der Wohnung) ist die Schlussfolgerung des Amtsgerichts, dass die Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat vermindert, wenn nicht gar aufgrund der starken Alkoholisierung aufgehoben gewesen sei, nicht nur möglich, sondern naheliegend. In diesem Zustand beging der Angeklagte eine rechtswidrige Tat, nämlich eine gefährliche Körperverletzung i.S.v. § 224 Abs. 1 StGB zum Nachteil der Zeugin X.

b) Durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken begegnet jedoch die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung. Die Feststellungen belegen nicht zweifelsfrei die Überzeugung des Amtsgerichts, dass sich der Angeklagte vorsätzlich in einen Rausch versetzt habe. Das Revisionsgericht ist zwar auch an solche Schlussfolgerungen des Tatrichters gebunden, die nicht zwingend, sondern nur möglich sind. Dies gilt jedoch nicht, wenn sich die Schlussfolgerungen so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sich das Ergebnis der Bewertung als bloße Vermutung erweist (BGH, Beschluss vom 25. März 1986 – 2 StR 115/86, NStZ 1986, S. 373, OLG Hamm, Beschluss vom 22. August 2000 – 4 Ss 615/00, juris, Rdnr. 7 und Beschluss vom 22. Januar 2007 – 2 Ss 458/06, juris, Rdnr. 23). Dies ist hier der Fall.

aa) Wegen vorsätzlichen Vollrausches kann nur bestraft werden, wer sich wissentlich und willentlich in einen rauschbedingten Zustand der (möglichen) Schuldunfähigkeit versetzt hat. Der zumindest erforderliche bedingte Vorsatz ist gegeben, wenn es der Täter bei dem Genuss von Rauschmitteln für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass er sich dadurch in einen Rauschzustand versetzt, der seine Einsichtsfähigkeit oder sein Hemmungsvermögen jedenfalls erheblich vermindert, wenn nicht ganz ausschließt (BGH, Beschluss vom 12. Mai 1989 – 2 StR 684/88, juris, und Urteil vom 28. Juni 2000 – 3 StR 156/00, juris, Rdnr. 8; Senat, Beschluss vom 21. August 2007 – 3 Ss 135/07, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 22. August 2000 – 4 Ss 615/00, juris, Rdnr. 8).

bb) Für vorsätzliches Handeln des Angeklagten in diesem Sinne bilden die Feststellungen keine zuverlässige Stütze. Ausführungen dazu, welche Vorstellungen der Angeklagte über die Auswirkungen seines Alkoholkonsums hatte, als er sich betrank, enthält das angefochtene Urteil nicht. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich nicht hinreichend entnehmen, dass der Angeklagte mit dem Eintritt von Schuldunfähigkeit als Folge seines Alkoholkonsums rechnete oder dass er voraussehen konnte, dass er in einen alkoholbedingten Rausch geraten würde und dieses wollte oder jedenfalls billigend in Kauf nahm. Zwar enthält das Urteil aufgrund der Angaben zur Blutalkoholkonzentration des Angeklagten hierfür gewichtige Anhaltspunkte. Allein aus der Aufnahme der beträchtlichen Alkoholmenge, die zum Erreichen der festgestellten hohen BAK erforderlich war, können zuverlässige Schlüsse zur inneren Tatseite jedoch nicht gezogen werden. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass bei Alkoholgenuss in einer Menge, die – wie hier – zu einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 3,4 o/oo führt, stets auf die vorsätzliche Herbeiführung eines Rauschzustandes durch den Täter geschlossen werden kann (BGH, Urteil vom 28. Juni 2000 – 3 StR 156/00, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 22. August 2000 – 4 Ss 615/00, juris; Senat, Beschluss vom 21. August 2007 – 3 Ss 135/07, juris). Vielmehr müssen weitere, auf die vorsätzliche Tatbegehung hinweisende Umstände, hinzutreten. Hierzu bedarf es weiterer Feststellungen zur maximalen BAK, zum Trinkverlauf (Beginn und Dauer des Alkoholkonsums, Art und Menge der konsumierten Getränke und ihres Alkoholgehalts), zu den Trinkgewohnheiten bzw. der Alkoholgewöhnung des Angeklagten, ggf. auch zu weiteren Straftaten, die der nach den Feststellungen nicht vorbestrafte Angeklagte bereits unter Alkoholeinfluss begangen hat.

c) Der Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs mit den zugrundeliegenden Feststellungen, § 353 Abs. 1 StPO, da ergänzende Feststellungen zum subjektiven Tatbestand möglich erscheinen. Eine Aufrechterhaltung der Feststellungen zum objektiven Tatbestand nach § 353 Abs. 2 StPO kommt angesichts der naheliegenden Gefahr widersprüchlicher Feststellungen nicht in Betracht.

2. In Bezug auf die Verurteilung des Angeklagten wegen einer am 6. August 2015 begangenen vorsätzlichen Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen T hat die Revision lediglich im Hinblick auf die Tagessatzhöhe Erfolg.

a) Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen entgegen der Auffassung der Revision und der Generalstaatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten wegen einer vollendeten vorsätzlichen Körperverletzung, so dass es einer Schuldspruchberichtigung nicht bedarf.

aa) Eine Körperverletzung nach § 223 StGB begeht, wer einen anderen körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt. Da eine Gesundheitsbeschädigung – hierunter ist das Hervorrufen oder Steigern eines krankhaften Zustandes zu verstehen (Fischer, StGB, 63. Aufl., § 223, Rdnr. 8; BGH, Beschluss vom 26. Februar 2015 – 4 StR 548/14, NStZ 2015, 269) – nicht festgestellt ist, kommt vorliegend nur eine körperliche Misshandlung in Betracht. Diese ist vorliegend durch die Feststellungen des Amtsgerichts belegt.

(1) Die körperliche Misshandlung ist ein übles, unangemessenes Behandeln, das entweder das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt (Fischer, StGB, 63. Aufl., § 223, Rdnr. 4). Eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit scheidet aus, da der Zeuge T durch den Faustschlag des Angeklagten keine Verletzungen erlitt. Die demnach allein in Betracht kommende Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens setzt nicht unbedingt das Zufügen eines Schmerzes voraus (BGH, Urteil vom 23. Januar 1974 – 3 StR 324/73, juris). Es darf sich aber nicht nur um eine ganz unerhebliche Einwirkung handeln (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 1991 – 5 Ss 168/91 – 58/91 I, NJW 1991, 2918; OLG München, Beschluss vom 14. Februar 2008 – 5St RR 143/07, juris, Rdnr. 36). Die Beurteilung der Erheblichkeit bestimmt sich dabei nach der Sicht eines objektiven Betrachters – nicht nach dem subjektiven Empfinden des Betroffenen – und richtet sich insbesondere nach Dauer und Intensität der störenden Beeinträchtigung (BGH, Urteil vom 14. Januar 2009 – 1 StR 554/08, juris, Rdnr. 54).

(2) Gemessen hieran, kann es keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass der von dem Amtsgericht festgestellte Faustschlag in den Magen des Zeugen T eine tatbestandsmäßige Körperverletzung darstellte. Der Faustschlag in den Magen war eine üble, unangemessene Behandlung. Diese verursachte bei dem Zeugen auch eine Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich die Feststellung des Amtsgerichts, der Faustschlag sei für den Zeugen T spürbar gewesen, nur so verstehen, dass es sich bei dem verspürten Gefühl um Schmerzen handelte.

bb) Auch den subjektiven Tatbestand hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei bejaht, indem es ausgeführt hat, der Angeklagte habe wenigstens billigend in Kauf genommen, dass der Zeuge T wenigstens vorübergehend Schmerzen erleide.

cc) Das Rechtsmittel des Angeklagten erweist sich damit zum Schuldspruch hinsichtlich der vorsätzlichen Körperverletzung als offensichtlich unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.

b) Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils weist hinsichtlich der Anzahl der für die Tat vom 6. August 2015 verhängten Tagessätze ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Auch insoweit ist die Revision offensichtlich unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.

c) Jedoch hält die Festsetzung der Tagessatzhöhe der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Nach § 40 Abs. 2 StGB bestimmt das Gericht die Höhe eines Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Dabei geht es in der Regel von dem Nettoeinkommen aus, das der Angeklagte durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Ein Tagessatz wird auf mindestens einen und höchstens 30.000,00 Euro festgesetzt, § 40 Abs. 2 S. 3 StGB.

aa) Vorliegend hat das Amtsgericht, das zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten neben dem Geburtsdatum lediglich festgestellt hat, dass er deutscher Staatsangehöriger und verheiratet sei, den Tagessatz ohne jede Begründung auf 15,00 Euro festgesetzt.

bb) Zwar können nach § 40 Abs. 3 StGB die Einkünfte des Täters, sein Vermögen und andere Grundlagen für die Bemessung eines Tagessatzes geschätzt werden. Es stellt jedoch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten dar, dass das Amtsgericht die Grundlagen seiner Schätzung nicht dargelegt hat, denn der Angeklagte hat keine näheren Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen gemacht und das Amtsgericht hat auch keine anderweitigen Feststellungen getroffen (BGH, Urteil vom 8. September 1992 – 1 StR 118/92, NJW 1993, 409; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 40 Rdnr. 20).

cc) Auf die Sachrüge hin bedarf die Tagessatzhöhe daher der Aufklärung (Senat, Beschluss vom 14. Januar 2016 – III-3 RVs 92/15). Entsprechende Anknüpfungspunkte für die ggf. vorzunehmende Schätzung können ermittelt werden, wenn das Amtsgericht, z.B. durch die Vernehmung von Zeugen, feststellt, wie der Angeklagte seinen Lebensunterhalt bestreitet.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf die folgenden Umstände hin:

a) Das Verschulden des Angeklagten im Rahmen des § 323a StGB muss sich nicht (auch) auf die im Rausch begangene Tat bezogen haben. In diesem Zusammenhang wird teilweise vertreten, dass der Täter zumindest damit habe rechnen müssen, dass er im Rauschzustand möglicherweise irgendwelche strafbaren Handlungen oder „Ausschreitungen“ begehen werde (BGH, Urteil vom 7. Mai 1957 – 5 StR 127/57, NJW 1957, 996). Die zitierte Entscheidung vom 7. Mai 1957 ist allerdings durch andere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs überholt und entspricht nicht mehr der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Schon in der Entscheidung vom 2. Mai 1961 (1 StR 139/61, juris) wird allein das Sich–Berauschen als das in § 323a StGB inkriminierte Verhalten, auf das sich der Verschuldensvorwurf beziehen muss, gesehen. Die Rauschtat ist danach lediglich objektive Bedingung der Strafbarkeit (BGH, Urteil vom 22. August 1996 – 4 StR 217/96, NJW 1997, 138, 140; OLG Hamm, Beschluss vom 18. Februar 2014 – III-1 RVs 12/14, juris). Soweit der Senat in seiner veröffentlichten Entscheidung vom 21. August 2007 (3 Ss 135/07, juris bzw. NStZ 2009, 40) ebenfalls vertreten hat, für den Täter müsse zumindest vorhersehbar sein, dass er im Rausch irgendwelche Ausschreitungen strafbarer Art begehen werde, hält er hieran ausdrücklich nicht fest.

b) Die Ausführungen des Amtsgerichts zu der Rechtsfolgenzumessung bezüglich der Tat vom 2. Juni 2015 lassen einen Rechtsfehler besorgen. Das Amtsgericht hat strafschärfend berücksichtigt, dass die Zeugin X keinerlei Anlass für die Tat geliefert habe und das Vorgehen gegen die Zeugin, die wehrlos und unvorbereitet auf dem Boden saß, äußerst roh gewesen sei. Die im Rausch begangene Tat als solche darf dem Täter nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht vorgeworfen werden, weil er insoweit ohne Schuld handelt. Bereits aus diesem Grund, aber auch angesichts der ganz erheblichen Alkoholintoxikierung stellt sich in Bezug auf die Wehrlosigkeit und Unvorbereitetheit des Tatopfers die Frage der Erkennbarkeit für den Angeklagten. Die Motive und die Gesinnung, die zu der im Rausch begangenen rechtswidrigen Tat geführt haben, dürfen bei der Strafzumessung ebenfalls nicht zu seinem Nachteil herangezogen werden (BGH, Urteil vom 22. September 1992 – 5 StR 379/92, NJW 1992, 3309, 3311; BGH, Urteil vom 4. November 1970 – 2 StR 476/70, NJW 1971, 203), sondern lediglich tatbezogene Merkmale der Rauschtat wie Art, Umfang, Schwere und Gefährlichkeit (BGH, aaO; OLG Hamm, Beschluss vom 18. Februar 2014 – III-1 RVs 12/14, juris). Nicht ausdrücklich erörtert hat das Amtsgericht bei der Rechtsfolgenbemessung die bei der Zeugin eingetretenen Verletzungsfolgen, die nach dem oben Gesagten Rückschlüsse auf die Schwere und Gefährlichkeit der Tat zulassen und daher im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden können.

c) Soweit das Amtsgericht gegen den Angeklagten wegen der Tat vom 2. Juni 2015 eine kurze Freiheitsstrafe von fünf Monaten verhängt hat, weist die Revision zutreffend darauf hin, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB nicht ausreichend erörtert ist. Allein mit dem massiven Vorgehen gegen die Zeugin X lässt sich die Unerlässlichkeit der Festsetzung einer Freiheitsstrafe gegen den nach den Urteilsfeststellungen unbestraften Angeklagten nicht begründen.

d) Angesichts der Umstände der Tat vom 2. Juni 2015 wird zudem eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 S. 2 StPO) – zu erwägen sein. Dass lediglich der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht nach § 358 Abs. 2 S. 3 StPO einer Anordnung nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 – 4 StR 100/13, juris, Rdnr. 8; Senat, Beschluss vom 7. August 2014 – III-3 RVs 25/14). Auf einen Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, deutet insbesondere sein erheblicher Alkoholkonsum hin, der zu einer Blutalkoholkonzentration von über 3,4 o/oo bei erhalten gebliebener Koordinationsfähigkeit (bewusst ausgeführter Tritt gegen das Gesicht der Zeugin X) führte. Aus den Feststellungen zu Ziffer II. 2. des angefochtenen Urteils ergibt sich, dass der Angeklagte am Vormittag des 6. August 2015 im Begriff war, eine größere Menge Bier einzukaufen. Nach den bisherigen Feststellungen kann auch ein symptomatischer Zusammenhang zwischen einem etwaigen Hang und der Tat vom 2. Juni 2015 in Betracht kommen.

e) Je nach dem Ergebnis der ergänzenden Feststellungen zur Höhe des Tagessatzes hinsichtlich der Geldstrafe für die Tat vom 6. August 2015 wird das Amtsgericht von Amts wegen zu prüfen haben, ob Zahlungserleichterungen gem. § 42 StGB in Betracht kommen (Senat, Beschluss vom 14. Januar 2016 – III-3 RVs 92/15 und Beschluss vom 12. Januar 2016 – III-3 RVs 93/15). Die Vorschrift ist zwingender Natur, so dass von einer Entscheidung nach § 42 StGB, soweit Anlass zu ihr besteht, nicht etwa deswegen abgesehen werden darf, weil auch die Vollstreckungsbehörde noch Zahlungserleichterungen bewilligen darf (BGH, Beschluss vom 17. August 1984 – 3 StR 283/84, juris; KG Berlin, Beschluss vom 28. November 2005 – (4) 1 Ss 427/05 (182/05), juris; OLG Naumburg, Beschluss vom 10. Mai 2012 – 1 Ss 8/12, BeckRS 2012, 20554; OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Juli 2008 – 2 Ss 346/08, juris).


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