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Entscheidungen

StPO

Rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht, Nachweis, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Saarbrücken, Beschl. v. 20.04.2016 - 1 Ws 40/16

Leitsatz: 1. An den gewählten Verteidiger kann auch dann wirksam zugestellt werden, wenn sich dessen Vollmacht nicht bei den Akten befindet, ihm aber vor Ausführung der Zustellung eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht erteilt worden war.
2. Der Nachweis einer solchen rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht kann auch dann erbracht sein, wenn der Verurteilte dem Wahlverteidiger in einer anderen Strafsache eine Strafprozessvollmacht erteilt hat, die diesen ausdrücklich auch zur Entgegennahme von Zustellungen ermächtigte, und ihn kurze Zeit später in der in Rede stehenden Sache mündlich mit der Verteidigung beauftragt hat.


In der Bewährungssache
gegen pp.
wegen räuberischer Erpressung pp.
(hier: Widerruf der Strafaussetzung )
hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 20. April 2016 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 12. März 2016 gegen den Beschluss der Jugendkammer I des Landgerichts Saarbrücken vom 2. März 2016 wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.
Gründe:
I. Durch Beschluss vom 2. März 2016 hat die Jugendkammer I des Landgerichts Saarbrücken die dem Verurteilten mit ihrem Urteil vom 24. Februar 2012 (Az.: 3 Ns 4/12) hinsichtlich der dort verhängten Jugendstrafe von zwei Jahren gewährte Strafaussetzung widerrufen. Der Beschluss ist dem Wahlverteidiger des Verurteilten - dieser hatte im Widerrufsverfahren mit Schriftsatz vom 19. Januar 2016 angezeigt, von dem Verurteilten mit dessen Verteidigung beauftragt worden zu sein, aber keine Vollmachtsurkunde zur Akte gereicht - am 07.03.2016 zugestellt worden.
Gegen diesen Beschluss hat der Verurteilte mit von ihm selbst verfasstem Schreiben vom 12. März 2016, das am 18.03.2016 beim Landgericht eingegangen ist, sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II. Die sofortige Beschwerde ist unzulässig.
1. Entscheidungen über den Widerruf der Aussetzung einer Jugendstrafe (§ 26 Abs. 1 JGG) können gemäß § 59 Abs. 3 JGG (i. V. mit § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG) mit der sofortigen Beschwerde, die binnen einer Woche ab Bekanntmachung der Entscheidung (§ 35 StPO) bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird (§ 306 Abs. 1 StPO), einzulegen ist (§ 311 Abs. 2 StPO, § 2 Abs. 2 JGG), angefochten werden. Diese Frist ist vorliegend nicht gewahrt. Ausweislich des sich bei der Akte befindenden Empfangsbekenntnisses des Wahlverteidigers (Bl. 79 des Bewährungshefts) ist diesem der angefochtene Widerrufsbeschluss am 07.03.2016 durch Zustellung bekannt gemacht worden (§ 35 Abs. 2 Satz 1 StPO), so dass die einwöchige Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde am 14.03.2016 abgelaufen ist (§ 43 Abs. 1 StPO); die erst am 18.03.2016 beim Landgericht Saarbrücken eingegangene sofortige Beschwerde vom 12. März 2016 war daher nicht mehr fristwahrend
2. Die an den Wahlverteidiger erfolgte Zustellung des Widerrufsbeschlusses war auch wirksam und daher geeignet, die Beschwerdefrist in Lauf zu setzen.
a) Zwar ergibt sich die hierfür erforderliche Zustellungsvollmacht des Wahlverteidigers nicht bereits aus § 145a Abs. 1 StPO. Danach gilt - neben dem bestellten Verteidiger - auch der gewählte Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, als ermächtigt, Zustellungen und sonstige Mitteilungen für den Beschuldigten in Empfang zu nehmen. Die gesetzliche Zustellungsvollmacht des Wahlverteidigers nach § 145a Abs. 1 StPO setzt zwingend voraus, dass sich - bei Anordnung der Zustellung durch den Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO), spätestens aber bei deren Ausführung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 145a Rn. 8; KK-Laufhütte/Willnow, StPO, 7. Aufl., § 145a Rn. 1) - die Vollmacht des Wahlverteidigers bei den Akten befindet, sei es in Gestalt der Vollmachtsurkunde oder - was dem gleich steht - in Form eines sich bei den Akten befindenden Sitzungsprotokolls, in dem eine in der Hauptverhandlung mündlich erteilte Vollmacht beurkundet worden ist (vgl. BGH NStZ 1996, 97; NStZ 1997, 293; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 145a Rn. 8 f.; KK-Laufhütte/Willnow, a. a. O.). Daran fehlt es hier, weil sich weder zum Zeitpunkt der Anordnung der Zustellung des angefochtenen Widerrufsbeschlusses durch den Vorsitzenden der Jugendkammer I am 03.03.2016 noch bei Ausführung der Zustellung an den Wahlverteidiger am 07.03.2016 eine Vollmachtsurkunde des Wahlverteidigers bei der Akte befand.
b) Der Vorschrift des § 145a Abs. 1 StPO, die lediglich zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Zustellung von Entscheidungen und sonstigen Schriftstücken eine vom Willen des Beschuldigten unabhängige gesetzliche Zustellungsvollmacht begründet (vgl. BGH StraFo 2010, 339 - juris Rn. 3; Senatsbeschlüsse vom 13. August 2009 - 1 Ws 151/09 -, vom 23. Mai 2013 - 1 Ws 9/13 - und vom 2. Juli 2013 - 1 Ws 95/13 -), kann jedoch nicht entnommen werden, dass eine Zustellung nur wirksam an den gewählten Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, bewirkt werden könne (vgl. BGH StraFo 2010, 339 - juris Rn. 3). Vielmehr ist eine wirksame Zustellung an den Wahlverteidiger auch aufgrund einer diesem - unabhängig von der gesetzlich fingierten Zustellungsvollmacht nach § 145a Abs. 1 StPO - vor der Zustellung erteilten rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht möglich (vgl. BGH NStZ 1997, 293; StraFo 2010, 339 juris Rn. 2 f.; BayObLG NJW 2004, 1263 f. - juris Rn. 5 f.; Brandenburgisches OLG VRS 117, 305 ff. - juris Rn. 15; KG VRS 125, 230 f. - juris Rn. 4; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.10.2015 - 2 (7) SsBs 467/15-AK 146/15, juris Rn. 12; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 145a Rn. 2a; KK-Laufhütte/Willnow, a. a. O., § 145a Rn. 1).
c) Der Nachweis, dass eine solche rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht bei Ausführung der Zustellung erteilt war, kann - ebenso wie der Nachweis der nach § 302 Abs. 2 StPO erforderlichen ausdrücklichen Ermächtigung des Verteidigers zur Rechtsmittelrücknahme (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 302 Rn. 33 m. w. N.) - auch später erbracht werden (vgl. KG, a. a. O.; SK-StPO/Wohlers, 4. Aufl., § 145a Rn. 4), etwa durch die nachträgliche Einreichung einer vor der Zustellung erteilten Strafprozessvollmacht, die ausdrücklich auch dazu ermächtigt, Zustellungen aller Art, insbesondere von Ladungen, Urteilen und Beschlüssen in Empfang zu nehmen (vgl. BGH NStZ 1997, 293; StraFo 2010, 339 - juris Rn. 2; BayObLG NJW 2004, 1263 f. - juris Rn. 8 f.; Brandenburgisches OLG VRS 117, 305 ff. - juris Rn. 16; OLG Karlsruhe, a. a. O.), durch die Bestätigung einer derartigen Bevollmächtigung im Rahmen eines unterschriebenen Empfangsbekenntnisses (vgl. BayObLG, a. a. O., juris Rn. 9; Brandenburgisches OLG, a. a. O.; OLG Karlsruhe, a. a. O.: Empfangsbekenntnis mit dem Zusatz „Ich bin zur Entgegennahme legitimiert und habe heute erhalten“; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 145a Rn. 2a) oder durch anwaltliche Versicherung (vgl. BayObLG, a. a. O., juris Rn. 9; Brandenburgisches OLG, a. a. O.; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 145a Rn. 2a).
d) Im vorliegenden Fall ist nachgewiesen, dass der Verurteilte vor Ausführung der Zustellung des angefochtenen Widerrufsbeschlusses am 07.03.2013 an den Wahlverteidiger diesem eine auch für das Widerrufsverfahren geltende rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht erteilt hatte.
aa) Der Wahlverteidiger hat auf entsprechende Nachfrage des Senats mit Schriftsatz vom 30. März 2016 eine von dem Verurteilten am 03.11.2015 unterzeichnete Strafprozessvollmacht (Bl. 85 des Bewährungshefts) vorgelegt, die den Wahlverteidiger ausdrücklich auch dazu ermächtigt, „Zustellungen aller Art, namentlich auch solche von Urteilen und Beschlüssen, mit rechtlicher Wirkung in Empfang zu nehmen.“ Zwar wurde diese Vollmacht ausweislich des sich auf ihr befindenden - nach dem Vorbringen des Verteidigers im Schriftsatz vom 6. April 2016 von dem Verurteilten stammenden - handschriftlichen Eintrags in einer Strafsache „wegen Einfuhr von Grass“ und damit offensichtlich nicht in der vorliegenden Bewährungssache erteilt, in der der Wahlverteidiger die Verteidigung des Verurteilten erst mit Schriftsatz vom 19. Januar 2016 anzeigte, nachdem der Verurteilte mit ihm am 18.01.2016 zugestelltem Schreiben der Jugendkammer I vom 30. November 2015 von dem Antrag der Staatsanwaltschaft Saarbrücken, die Strafaussetzung zu widerrufen, in Kenntnis gesetzt worden war. Der Wahlverteidiger hat jedoch auf weitere Nachfrage des Senats mit Schriftsatz vom 1. April 2016 mitgeteilt, dass der Verurteilte ihn „für dieses Verfahren ebenfalls bevollmächtigt hatte“, und auf zusätzliche Nachfrage der Generalstaatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 6. April 2016 ergänzend ausgeführt, es habe sich hierbei um eine „mündlich zusätzlich … für dieses Verfahren“ erteilte Bevollmächtigung gehandelt.
bb) Der erforderliche Nachweis, dass der Verurteilte den Wahlverteidiger auch für das vorliegende Widerrufsverfahren ermächtigt hatte, die Zustellung von Beschlüssen in Empfang zu nehmen, ist damit erbracht. Dass der Wahlverteidiger von dem Verurteilten mit dessen Verteidigung auch im Widerrufsverfahren beauftragt war, unterliegt keinem Zweifel, zumal die Vermutung für die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts, der sich - wie hier - als Verteidiger meldet und eine Prozesshandlung für den Beschuldigten vornimmt, spricht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Vor § 137 Rn. 9 m. w. N.) und für die Beauftragung eines Wahlverteidigers keine besondere Form vorgeschrieben ist (§ 167 Abs. 2 BGB; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Vor § 137 Rn. 9 m. w. N.). Den Umfang der Vollmacht bestimmt grundsätzlich der Vollmachtgeber (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 75. Aufl., § 167 Rn. 5). Bei Zweifeln ist der Umfang der Vollmacht durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln, wobei maßgebend ist, wie der Erklärungsempfänger das Verhalten des Vollmachtgebers verstehen durfte, und es bei der gegenüber dem Vertreter erklärten Vollmacht (Innenvollmacht) auf die Verständnismöglichkeiten des Bevollmächtigten ankommt (vgl. Palandt/Ellenberger, a. a. O.). Im vorliegenden Fall musste der Wahlverteidiger die ihm von dem Verurteilten für das vorliegende Widerrufsverfahren mündlich erteilte Vollmacht mangels entgegenstehender Anhaltspunkte dahin verstehen, dass sich ihr Umfang nach der von dem Verurteilten wenige Monate zuvor schriftlich erteilten Strafprozessvollmacht vom 03.11.2015 richtet und daher auch die dort ausdrücklich geregelte Ermächtigung des Wahlverteidigers, für den Verurteilten Zustellungen aller Art, namentlich auch von Beschlüssen, in Empfang zu nehmen, umfasst.
3. Gründe, die es gebieten könnten, wegen der Fristversäumnis von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 45 Abs. 2 Satz 3 StPO), sind nicht erkennbar. Zwar lässt sich der Verfügung des Vorsitzenden der Jugendkammer I vom 3. März 2016 (Bl. 74 Rs des Bewährungshefts) und dem übrigen Inhalt der Akte nicht entnehmen, dass der Verurteilte - neben der formlosen Übersendung einer Abschrift der Entscheidung an ihn - von der an den Wahlverteidiger erfolgten Zustellung des Widerrufsbeschlusses unterrichtet wurde, was - über den Wortlaut des § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO hinausgehend - in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift auch dann geboten ist, wenn - wie hier - nicht aufgrund einer gesetzlichen Zustellungsvollmacht nach § 145a Abs. 1 StPO, sondern aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht wirksam an den Wahlverteidiger zugestellt wird (vgl. Löwe-Rosenberg/Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 145a Rn. 13; vgl. auch SK-Wohlers, a. a. O., § 145a Rn. 24); das Unterbleiben der Unterrichtung des Beschuldigten nach § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO kann - ebenso wie das Unterlassen der Mitteilung an den Verteidiger nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2011 - 1 Ws 75/11 - und vom 22. Juni 2011 - 1 Ws 146/11 -) - einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, wenn die Fristversäumung hierauf beruht (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 211 f. - juris Rn. 7 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 44 Rn. 17). Dass der Verurteilte gerade deshalb, weil er nicht über die an den Verteidiger erfolgte Zustellung des Widerrufsbeschlusses unterrichtet wurde, in Unkenntnis über den Beginn der einwöchigen Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss war, lässt sich jedoch allein anhand des Akteninhalts nicht feststellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO. Von einer Anwendung der §§ 109 Abs. 2 Satz 1, 74 JGG auf den inzwischen erwachsenen Beschwerdeführer wird abgesehen.


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