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Entscheidungen

Sonstiges

Auslieferung, Rumänien, menschenrechtswidrige Haftbedingungen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 23.08.2016 - 2 Ausl 125/16

Leitsatz: Die Auslieferung eines Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung ist derzeit unzulässig, weil die begründete und durch die bisherigen Auskünfte der rumänischen Behörden nicht ausgeräumte Besorgnis besteht, dass der Verfolgte im Hinblick auf den ihm lediglich zugesicherten persönlichen Haftraumanteil von 2-3 Quadratmetern menschenrechtswidrigen Haftbedingungen ausgesetzt sein wird.


In pp.
1. Der förmliche Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 02. August 2016 wird aufgehoben.
2. Die Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung wegen der ihm in dem Europäischen Haftbefehl des Landgerichts Bacau vom 23. April 2016 (Az.: 1502/110/2009) in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Bacau vom 06. März 2012 zur Last gelegten Straftaten in unzulässig.
3. Anordnung des mitunterzeichnenden Vorsitzenden:
Die sofortige Haftentlassung des Verfolgten in vorliegender Sache wird angeordnet.

Gründe:
I.
Die rumänischen Behörden ersuchen auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Landgerichts Bacau vom 23. April 2014 -Az.: 1502/110/2009- (im Beschlusstenor versehentlich als Europäischer Haftbefehl vom 23. April 2016 bezeichnet) um die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung. Dem Europäischen Haftbefehl liegt das Urteil des Landgerichts Bacau vom 06. März 2012 (Strafurteil Nr. 55) zugrunde, mit dem der Verfolgte zunächst zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt worden war. Ein gegen dieses Urteil eingelegtes Rechtsmittel hat das Berufungsgericht Bacau mit Strafentscheid Nr. 52 vom 26. März 2013 zurückgewiesen. Ein hiergegen gerichtetes weiteres Rechtsmittel des Verfolgten hat mit Strafentscheid Nr. 1166 vom 02. April 2014 des obersten Gerichts– und Kassationshofes zu einer Reduzierung der Freiheitsstrafe auf 2 Jahre geführt. Ob das Urteil des Landgerichts Bacau vom 06.03.2012 in An- oder Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist, ergibt sich aus dem Europäischen Haftbefehl nicht eindeutig.

Dem Verfolgten wird Folgendes zur Last gelegt:

Der Verfolgte erreichte im Oktober 2007 in Bukarest in betrügerischer Absicht die Gewährung zweier Kredite durch die Banken „BRD-Gara de Nord“ in Höhe von 11.000,00 € und der „MKB Romexterra Bank“ in Höhe von 8.000,00 €, indem er dem jeweiligen Sachbearbeiter gefälschte Unterlagen über eine angebliche Anstellung bei der Firma T vorlegte und damit seine nicht existente Kreditwürdigkeit vortäuschte. In der Folgezeit schloss sich der Verfolgte der Bande des gesondert Verfolgten U an. Dabei warb er viele Personen an, die - in gleicher Tatausführung - Kredite auf der Basis einer vorgetäuschten Anstellung bei Firmen, die von anderen Bandenmitgliedern geführt wurden, beantragten. Dabei fuhr der Verfolgte die Personen nach Bukarest und stellte sie zur weiteren Tatausführung anderen Mitgliedern der Bande zur Verfügung. Dafür erhielt er Provisionen seitens des gesondert Verfolgten U bzw. dessen - nicht näher bezeichneten - Stellvertretern.

Der Senat hat mit Beschluss vom 02. August 2016 gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft angeordnet, auf dessen Ausführungen bezüglich der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird.

Bei der Verkündung dieses Auslieferungshaftbefehls durch den Ermittlungsrichter bei dem Amtsgericht Hamm am 12. August 2016 hat der Verfolgte sich erneut mit seiner Auslieferung nicht einverstanden erklärt. Als das Urteil verkündet worden sei, sei er in Deutschland gewesen. Es habe sich um eine organisierte Bande gehandelt. Er sei gezwungen worden, Arbeitsverträge zu unterschreiben und Geld abzuholen. Er habe Angst vor den Beteiligten. Er denke an seine Familie und wolle nicht ausgeliefert werden. Der Beistand des Verfolgten hat im Rahmen der Anhörung beantragt, den Auslieferungshaftbefehl gegen Meldeauflagen außer Vollzug zu setzen. Zur Begründung hat er insbesondere auf die familiären Verhältnisse des Verfolgten verwiesen.

Im Hinblick auf von der Generalstaatsanwaltschaft veranlasste Fragen zu den Haftbedingungen hat die Nationalverwaltung der Haftanstalten in Rumänien mit Schreiben vom 08. August 2016 Folgendes ausgeführt:

Der Verfolgte werde zunächst für eine Quarantänezeit von 21 Tagen in der Justizvollzugsanstalt Bukarest-Rahova inhaftiert werden. Diese Anstalt habe 24 Quarantäneräume; in diesen Räumen stehen jedem Häftling ein individueller Mindestraum von 2-3 m² zur Verfügung. Nach Beendigung der Quarantänezeit werde der Verfolgte in eine Haftanstalt in der Nähe seines Wohnsitzes überstellt; dies werde höchstwahrscheinlich die Justizvollzugsanstalt Galati sein. Im Folgenden werden Angaben zur Beleuchtung, Heizung sowie zur sanitären Einrichtung in der Haftanstalt Galati gemacht.

Abhängig von dem Verhalten des Verfolgten während der Strafvollstreckung bestehe nach der Vollstreckung von 1/5 der Strafe die Möglichkeit, dass die weitere Vollstreckung im halboffenen Regime in der Justizvollzugsanstalt Focsani erfolge. Auch bezüglich dieser Haftanstalt werden im Folgenden Ausführungen zu den sanitären Einrichtungen und der Ausstattung der Hafträume gemacht.

Abschließend wird Folgendes ausgeführt:

„Mit Rücksicht auf diese Aspekte gewährleistet die Nationalverwaltung der Haftanstalten, dass die betroffene Person die Strafe innerhalb der Justizvollzugsanstalt Galati oder in anderer nachgeordneten Anstalt verbüßen, die ihm zwischen 2-3 m² persönlichen Raum sichern, wo sich das Bett und das jeweilige Möbel befinden. Das Strafvollzug sichert auch die entsprechende Ausübung der Rechte, wie sie von dem gesetzlichen Rahmen der Strafvollstreckung geregelt sind.“

Die Generalstaatsanwaltschaft hat daraufhin mit Zuschrift vom 15. August 2016 beantragt, die Auslieferung des Verfolgten für zulässig zu erklären und den Antrag des Verfolgten auf Außervollzugsetzung der förmlichen Auslieferungshaft zurückzuweisen.

II.

1.Die Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung ist wegen eines damit verbundenen Verstoßes gegen die völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandards bezüglich der Haftbedingungen in Rumänien und den deutschen ordre public gem. § 73 S. 2 IRG unzulässig.

Ein Verstoß gegen grundrechtsgleiche und rechtsstaatliche Garantien kann wegen der grundsätzlichen, im vertraglichen Bereich bestehenden Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Auslieferung und der Achtung und dem Respekt vor fremden Rechtsordnungen nur beschränkt auf eine Verletzung ihres Kernbereiches zu einem Auslieferungshindernis führen, wobei hierfür maßgeblich ist, ob die Auslieferung und ihr zugrundeliegende Akte gegen den nach Art. 25 GG völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard sowie gegen unabdingbare verfassungsrechtliche Grundsätze der öffentlichen Ordnung verstoßen würden (vgl. OLG Hamm, Beschlüsse vom 10. September 2013, 2 Ausl. 95/11, juris und vom 14. Juli 2016, III-2 Ausl. 93/16). Damit ist eine Auslieferung unzulässig, wenn diese fundamentalen Grundsätze der deutschen Rechtsordnung oder dem völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard auf dem Gebiet der Menschenrechte widerspricht (vgl. BVerfG NJW 1975, 1; OLG Karlsruhe, NStZ 2005, 351; OLG Hamm, Strafverteidiger 2008, 648; OLG Düsseldorf, NJW 1990, 1429). Das ist der Fall, wenn der ersuchte Staat mit einer Rechtshilfehandlung dazu beitragen würde, dass der Ausgelieferte der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt würde. Diese Mindestvoraussetzungen gehören inzwischen zum festen Bestand des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes (vgl. BVerfG, Strafverteidiger 2004, 440).

An diesem Maßstab gemessen, ist die Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien unzulässig, da es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass die ihn dort in der Haft erwartenden Haftbedingungen völkerrechtlichen Mindeststandards nicht genügen.

Bei der Beurteilung, ob die Haftsituation völkerrechtlichen Mindeststandards genügt, sind alle Umstände in ihrer kumulativen Wirkung zu berücksichtigen. Hierbei sind die Platzverhältnisse, die Belüftungsmöglichkeiten, der Zugang zu Tageslicht, die Angemessenheit der Heizvorrichtung, die Möglichkeit der Befriedigung elementarer sanitären Bedürfnisse sowie die Möglichkeit, ungestört die Toilette zu benutzen, zu berücksichtigen. Wenn eine Überbelegung ein bestimmtes Niveau erreicht, kann Platzmangel ein zentrales Element für die Beurteilung darstellen, ob die Situation mit Art. 3 EMRK übereinstimmt. Ein jedem Gefangenen zur Verfügung stehender Platz unterhalb von 4 m² ist insoweit ungenügend (vgl EGMR, Urteil vom 10.06.2014, EuGRZ 2016, 104,105, Nr. 24-25,29).

Das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. März 2016, 2 BvR 566/15, NJW 2016, 1872) hat ausgeführt, dass – bei einer Inhaftierung in Deutschland – eine Grundfläche von nur wenig über 6 m² an der unteren Grenze des Hinnehmbaren liege. Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) hat in seinem Jahresbericht 2010/2011 ausgeführt, dass für die Unterbringung von Gefangenen in einem Einzelhaftraum kein Raum mit weniger als 6 qm verwendet werden sollte (21 st General Report vom 10. November 2011, CPT/Inf (2011) 28, S. 47).

Auch wenn für die Frage, ob die Unterbringung eines Strafgefangenen völkerrechtlichen Mindeststandards genügt, eine Gesamtschau der tatsächlichen, die Haftsituation bestimmenden Umständen erforderlich ist, so zeigen doch die zuvor aufgeführten Entscheidungen und Berichte, dass jedenfalls ein persönlicher Haftraumanteil von 2-3 m² unter keinen Umständen völkerrechtlichen Mindeststandards genügen kann (so auch OLG Stuttgart, Beschlüsse vom 29. April 2016,1 Ausl. 326/15, juris und vom 17. Juni 2016, 1 Ausl. 6/16, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2016, III – 3 AR 114/16).

Die Nationalverwaltung der Haftanstalten in Rumänien hat jedoch in seinem eindeutigen Schreiben vom 08.08.2016 für die Haftanstalten Bukarest Rahova, Galati sowie auch andere nachgeordnete Anstalten gerade aber nur einen derartigen Haftraumanteil für jeden Gefangenen einschließlich Bett und jeweiligen Möbeln zusichern können.

An dieser Beurteilung ändert sich auch nichts durch die weiteren Mitteilungen der Nationalverwaltung der Haftanstalten zu den sanitären Einrichtungen, der Beleuchtung, der Fenstergröße etc in den Haftanstalten Galati und Focsani.

Einer erneuten Anforderung einer Stellungnahme mit Fristsetzung (vgl hierzu EuGH, Urteil vom 05.04.2016 in EuGRZ 2016, 107) bedurfte es nicht. Angesichts der detaillierten Fragen der Generalstaatsanwaltschaft und der daraufhin erfolgten eindeutigen Antwort durch die Nationalverwaltung der Haftanstalten vom 08.08.2016 ist eine individuelle verbindliche Zusicherung besserer Haftbedingungen derzeit nicht zu erwarten.

Gestützt wird diese Einschätzung auch noch durch die Entscheidungen des Ober-landesgericht Stuttgart, insbesondere der vom 17.06.2016 (aaO). Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte Erkenntnisse aus einer anderen Auslieferungssache, dass von rumänischer Seite nur ein persönlicher Haftraumanteil von 2-3 m² zugesichert werden konnte und hatte deshalb in der zu entscheidenden Auslieferungssache unter Verweis auf diese Erkenntnisse um Zusicherung gebeten, dass dem Verfolgten für den Fall seiner Auslieferung die Unterbringung in einer Haftanstalt zugesichert wird, die den Anforderungen der Europäischen Konvention zum Schutz von Menschenrechten und Grundfreiheiten (…) und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen (…) genügt.

Das rumänische Justizministerium – Nationale Verwaltung der Haftanstalten - hatte daraufhin eine gleichlautende Erklärung wie in der vorliegenden Auslieferungssache abgegeben.

Nach alledem war daher die Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung für unzulässig zu erklären.

2. Aufgrund der festgestellten Unzulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien ist zugleich die Grundlage für den förmlichen Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 02. August 2016 entfallen, so dass dieser aufzuheben war (§ 24 IRG).


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