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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Wucher, Strafbarkeit, Ausnutzung einer Zwangslage, Schlüsseldienst

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 22.11.2016 - 1 RVs 210/16

Leitsatz: Für eine Strafbarkeit wegen Wuchers (§ 291 StGB) ist erforderlich, dass eine Zwangslage ausgebeutet wird. Das ist bei Beauftragung eines Schlüsseldienstes nicht allein wegen des Ausgesperrtseins der Fall. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, wie z.B. dass ein Kind in der Wohnung eingesperrt ist, Wasser aus einer verstopften Rohrleitung austritt oder wegen eingeschalteter elektrischer Geräte Brandgefahr besteht.


In pp.
Die Revision wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten darin erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
I.
Mit am 1. September 2015 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 27. Juli 2015 liegt dem Angeklagten eine am 3. Januar 2015 begangene Tat des Wuchers zur Last: Er habe am Tattag auf Anforderung des Zeugen I, welcher die Tür zu seiner Wohnung nach kurzfristigen Verlassen zugeschlagen habe, diese Wohnungstüre mittels einer Kunststoffkarte in weniger als 1 Minute geöffnet. Für diese Leistungen habe er dem Zeugen 319,51 € in Rechnung gestellt. Der tatsächliche Wert der Leistung habe - einschließlich Wochenendzuschlag und Fahrtkostenpauschale – bei höchstens 130 € gelegen.

Das Amtsgericht Jülich hat den Angeklagten vom Vorwurf des Wuchers mit Urteil vom 02.12.2015 aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht Aachen die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Hierbei ist die Berufungsstrafkammer von den nachfolgenden Feststellungen und Wertungen ausgegangen:

„Der Angeklagte hat den vorgenannten Sachverhalt dem äußeren Geschehen nach in beiden Instanzen eingeräumt. Auch soweit der Zeuge T, an den sich der Zeuge I als Nachbar gewandt hatte und mittels dessen Hilfe der Schlüsseldienst verständigt wurde, im Rahmen seiner erstinstanzlichen Zeugenaussage angegeben hat, dass die Tür vor jeglichen Gesprächen über Preise oder Zahlungsmodalitäten geöffnet worden sei und anschließend der Zeuge I auf die Frage des Angeklagten, ob er bar oder mit Karte zahlen wolle, sich für die Kartenzahlung entschieden habe, ohne den sich aus der zwischenzeitlich von dem Angeklagten geschriebenen Rechnung ergebenden Zahlungsbetrag weitergehend zu thematisieren, und man erst, nachdem der Angeklagte schon gegangen sei, erstmals den Rechnungs- und Zahlbetrag zur Kenntnis genommen habe, hat er diesen Ablauf als zwar nicht konkret erinnerlich, aber zumindest möglich bestätigt. In zweiter Instanz hat er ergänzend angegeben, den Schlüsseldienst seit 2014 zu betreiben. Seitdem verwende er den Rechnungsvordruck, der auch hier dem Zeugen I übergeben worden sei. Die darin vorgedruckten Netto-Einzelpreise insbesondere von 159,00 € als „Einsatzpauschale/Notdienst/Abrufbereitschaft (erste 15 min)“, eines Nacht-, Feiertags- und Wochenendzuschlags von vorgedruckt 100 % (vorliegend handschriftlich geändert und berechnet mit 50 %) und einer An- und Abfahrpauschale von 30,00 € habe er von einem Herrn C, für den er als Subunternehmer tätig sei, vorgegeben bekommen. Er benutze diesen Vordruck auch weiterhin lediglich unter Anpassung zwischenzeitlich gestiegener Materialkosten und halte die Preise auch nicht für überhöht. Bereits vor dem hiesigen Geschehen vom 03.01.2015 erging gegen den Angeklagten – wie in der Berufungshauptverhandlung von ihm bestätigt worden ist – wegen eines vergleichbaren Schlüsselnotdiensteinsatzes vom 28.02.2014 ein Strafbefehl des AG Wipperfürth vom 05.09.2014, mit dem wegen Wuchers eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30,00 € gegen ihn festgesetzt wurde (4 Cs-931 Js 1176/14-393/14). Zudem setzte das AG Linz mit Strafbefehl vom 03.02.2015 (3 Cs-280 Js 63771/14) wegen eines ähnlichen Vorfalls vom 02.08.2014 eine Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 50,00 gegen ihn fest. In beiden Fällen hatte der Angeklagte den auch hier verwandten Rechnungsvordruck und die darin enthaltenen Einzelpreise seiner Vergütungsforderung zugrunde gelegt. Beide Verfahren wurden nach Einspruchseinlegung durch den Angeklagten (einmal mit und einmal ohne Auflage) wegen geringer Schuld eingestellt.

Auf der Grundlage dieses Sachverhaltes ist unabhängig von der – ggf. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens aufklärungsbedürftigen - Frage, ob die von dem Angeklagten verlangte Vergütung in einem den Tatbestand des Wuchers erfüllenden Missverhältnis zu der von ihm erbachten Leistung steht, die Tatbestandsverwirklichung des § 291 StGB in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht zu verneinen. Denn jedenfalls fehlt es an dem Vorliegen einer Zwangslage als der hier vorrangig in Betracht kommenden und auch allein angeklagten Tatbestandsvariante des Wuchers im Sinne des § 291 Abs. 1 S. 1 StGB.

Zwar ist allgemeines Rechtsgut der Bestimmung des § 291 StGB der Schutz einer Einzelperson oder einer Gruppe von ihnen vor krasser wirtschaftlicher Übervorteilung, wobei das Wesen des Wuchers darin liegen soll, dass der Täter eine individuelle Schwächesituation seines Opfers materiell ausbeute, um für eine eigene Leistung eine deren Wert weit übersteigende Gegenleistung zu gewinnen (Fischer StGB 63. Aufl. 2016, § 291 Rdnr. 3 m.w.N.). Das Ausgesperrtsein aus der eigenen Wohnung, welches den klassischen Anlass für die Beauftragung eines Schlüsselnotdienstes bietet, wird in diesem allgemeinen Sinne sicherlich als individuelle Schwächesituation zu bewerten sein, da sie typischerweise dazu führt, dass der Betroffene in seinem Bestreben, möglichst schnell wieder Zugang zu seiner Wohnung zu erhalten, dazu neigt, die Frage nach der Entgelthöhe hierfür zu vernachlässigen und zunächst einmal auch einen normalerweise überhöht erscheinenden Preis zu akzeptieren. Das gilt zur Überzeugung der Kammer in Abweichung zu den Ausführungen in dem amtsgerichtlichen Urteil letztlich auch unabhängig von dem Zeitpunkt, zu welchem erstmals über die Preishöhe gesprochen wird. Denn auch nach bereits erfolgter Türöffnung und damit objektiv erfolgter Beseitigung der misslichen Lage stehen die Betroffenen in der Regel noch unter dem Eindruck der vorangegangenen Belastung und sind daher vielfach auch dann noch zu der bereits angesprochenen Akzeptanz überhöhter Preise bereit. Sofern der Täter bereits die Vornahme der Türöffnung selbst von der Akzeptierung des überhöhten Preises abhängig macht, mag er – im Unterschied zu einem erst nachträglichen Verlangen – (ggf. zusätzlich) den Tatbestand der Nötigung erfüllen, für die Frage der Verwirklichung des Wuchertatbestandes kommt es demgegenüber zur Überzeugung der Kammer nicht maßgeblich auf den Zeitpunkt des Preis- und Zahlungsverlangens an. Fraglich und entscheidend für die Frage der Strafbarkeit ist vielmehr, welchen Schweregrad die individuelle Schwächesituation haben muss, um den Tatbestand des § 291 Abs. 1 StGB zu erfüllen. Schon terminologisch lässt der Begriff „Zwangslage“ darauf schließen, dass insoweit nicht jede nachteilige und den Betreffenden in irgendeiner Weise belastende Situation erfasst sein soll. Zwar soll der Begriff dabei, wie das Regelbeispiel des besonders schweren Falles des § 291 Abs. 2 Nr. 1 StGB zeige, weiter sein als derjenige einer (wirtschaftlichen) Notlage und sei er dementsprechend weit auszulegen (Fischer aaO. Rdnr. 10 m.w.N.). In der amtlichen Begründung in BT-Drs. VI/1549,10 wird insoweit darauf verwiesen, dass auch eine wirtschaftliche Bedrängnis umfasst sei, die zwar die Existenz des Betroffenen nicht bedrohe, aber schwere wirtschaftliche Nachteile mit sich bringe oder befürchten lasse (zitiert nach Fischer aaO.). Hiervon ausgehend wird auch für Zwangslagen ohne wirtschaftliche Bedrängnis darauf abgestellt, dass eine existenzielle Bedrohung nicht erforderlich, sondern eine „schwerwiegende Beeinträchtigung der (wirtschaftlichen) Entscheidungsfreiheit“ ausreichend sei (Fischer aaO. m.w.N.). Damit wird jedoch in jedem Fall eine Auswirkung der Schwächesituation auf die Befindlichkeit bzw. Lebensführung des Betroffenen von einiger Dauer und Erheblichkeit zu verlangen sein. Eine solche ist zur Überzeugung der Kammer bei einem Ausgesperrtsein aus der eigenen Wohnung an einem Samstag Nachmittag, bei dem wie hier zudem die Hilfe eines Nachbarn zur Verfügung steht, welche unter zumutbarer Inkaufnahme einer auch etwas längeren Wartezeit das Einholen von Alternativangeboten ermöglicht, ohne Hinzutreten weiterer belastender Umstände letztlich nicht zu bejahen. Insoweit erachtet die Kammer auch die Argumentation in dem von der Staatsanwaltschaft herangezogenen Urteil des Landgerichts Bonn vom 05.05.2006 (32 M 2/06), soweit sie die Strafbarkeit des dortigen – zudem wegen tateinheitlich begangenen Betrugs und Nötigung verurteilten – Angeklagten wegen Wuchers betriff, als nicht überzeugend. Denn dass der Hausbewohner gemäß den diesbezüglichen Ausführungen auf S. 16 oben des Urteils (in Kopie Bl. 116 d.A.) keine Möglichkeit gehabt habe, ein anderes Unternehmen zu beauftragen, weil der Angeklagte vor Durchführung der Arbeiten seine Preise nicht konkret beziffert gehabt und der Geschädigte daher gar keine Kenntnis von den überhöhten Preisen gehabt habe, erschließt sich der Kammer nicht. Vielmehr ist es grundsätzlich Sache des Auftraggebers einer Dienst- oder Werkleistung, sich durch entsprechende Nachfrage oder Erkundigung über Höhe und Angemessenheit der von dem Auftragnehmer verlangten Vergütung Kenntnis zu verschaffen, und kann in einem Verzicht hierauf noch nicht der Verlust der Möglichkeit gesehen werden, ein anderes Unternehmen zu beauftragen. Dass in Fällen der Schlüsselnotdienstbeauftragung sich dennoch die Frage nach einer Erfüllung des Wuchertatbestandes immer wieder stellt, beruht vielmehr auf dem Umstand, dass typischerweise die Betroffenen wegen der misslichen Situation des Ausgesperrt-Seins aus der eigenen Wohnung auf diesbezügliche Nachfragen verzichten und gemäß auch den bereits obigen Ausführungen zur weitgehenden Akzeptierung auch überhöhter Preise in der konkreten Situation bereit sind. Eine Zwangslage im Sinne des § 291 StGB ergibt sich dabei aber auch für sie nicht etwa bereits aus dem Umstand der fehlenden vorherigen Offenbarung der Preise durch den Auftragnehmer, sondern hängt sie von den Umständen ab, die den Auftraggeber konkret zu dem Verzicht auf weitere Erkundigungen veranlasst haben. Dass hierfür jegliche Situation eines Sich-Ausgesperrt-Habens und damit dieser Umstand allein bereits ausreichen soll, ist aufgrund der zu fordernden Erheblichkeit der Schwächesituation gemäß den vorstehenden Ausführungen jedoch nach Ansicht der Kammer zu verneinen. Als weitere, im Einzelfall eine Zwangslage im Sinne des § 291 StGB begründende Umstände kommen etwa in Betracht, dass Kinder oder andere Personen, die alters- oder krankheitsbedingt nicht zu einem eigenständigen Agieren in der Lage sind, in der Wohnung eingesperrt sind, aufgrund eingeschalteter elektrischer Geräte Brandgefahr besteht oder eine sonstige drängende Notsituation vorliegt, für welche vorliegend jedoch keinerlei Anhaltspunkte bestehen. Auch das von der Staatsanwaltschaft wiederholt betonte Alter des Zeugen I von 71 Jahren begründet für sich genommen ebenso wenig eine solche erhebliche Notsituation wie die von dem Zeugen T bestätigte Aufgeregtheit des Zeugen, welche durchaus nachvollziehbar und typisch für den Fall des Sich-aus-der-Wohnung-Aussperrens ist, aber noch nicht für die Annahme einer „Zwangslage“ im Sinne des § 291 StGB gemäß den vorstehenden Überlegungen ausreicht. In Ermangelung von Anhaltspunkten für eine weitergehende Notlage des Zeugen I, welche angesichts des zwischenzeitlichen Versterbens des Zeugen auch nicht weiter aufklärbar ist, ist daher die Tatbestandsvariante des Ausnutzens einer Zwangslage durch den Angeklagten insgesamt zu verneinen. Für die weiteren Tatbestandvarianten eines Ausnutzens der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der eheblichen Willensschwäche des Geschädigten fehlt es ebenfalls, wie durch das Amtsgericht zutreffend ausgeführt und von der Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Berufungsbegründung auch nicht angegriffen worden ist, an jeglichen konkreten Anhaltspunkten in der Person des Zeugen I, weswegen das freisprechende Urteil das Amtsgerichts insgesamt zu bestätigen und die Berufung der Staatsanwaltschaft hiergegen zu verwerfen war.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist. Unzutreffend sei die Wertung des Landgerichts, dass die individuelle Schwächesituation des Zeugen I nicht erheblich genug gewesen sei, um eine Zwangslage im Sinne des Tatbestandes begründen.

II.
Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Revision der Staatsanwaltschaft bleibt in der Sache selbst ohne Erfolg.

1. Bei einem – wie hier - aus rechtlichen Gründen erfolgenden Freispruch ist der Tatrichter gehalten, die erwiesenen Tatsachen sowie darzulegen, aus welchen Gründen das Gericht sie nicht für strafbar hält. Die Urteilsgründe müssen eine erschöpfende Würdigung der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat enthalten, aus allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten (SenE v. 08.12.2009 - 81 Ss 76/09 -; SenE v. 16.03.2010 - III-1 RVs 18/10 -; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage 2016, § 267 Rz. 34). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil.

2.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat die Berufungsstrafkammer das Vorliegen einer – hier allein in Betracht zu ziehenden – Zwangslage im Sinne des § 291 Abs. 1 S. 1 Ziff. 3 StGB verneint.

a) „Zwangslage“ im Sinne der genannten Vorschrift ist eine ernste Bedrängnis, in der der Geschädigte auf die Leistung angewiesen ist (Fischer, StGB, 63. Auflage 2016, § 291 Rz. 10; Schönke/Schröder-Heine/Hecker, StGB, 29. Auflage 2014, § 291 Rz. 23; LK-StGB-Wolff, 12. Auflage 2008, § 291 Rz.14a; MüKo-StGB-Pananis, 2. Auflage 2013, § 291 Rz. 14), ein aufgrund äußerer Umstände eintretendes Sachbedürfnis (SSW-StGB-Saliger, § 291 Rz. 8; NK-StGB-Kindhäuser, 4. Auflage 2013, § 291 Rz. 19). Eine Existenzbedrohung ist nicht vorausgesetzt; ebenso ist unerheblich, ob der Bewucherte die Zwangslage zu vertreten hat (LK-StGB-Wolff a.a.O. Rz. 15; MüKo-StGB-Pananis a.a.O. Rz. 15). Der Begriff der Zwangslage findet im Kernstrafrecht noch in §§ 182, 232 und 233 StGB (sowie ab 15. Oktober 2016 zusätzlich noch in den durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels vom 11.10.2016 [BGBl. I S. 2226] neu eingeführten §§ 232a und 232b StGB) Verwendung. Zu § 182 hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, die Zwangslage stelle eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis des Opfers dar, sie müsse ernst, brauche aber nicht existenzbedrohend zu sein. Vorausgesetzt seien bedrängende Umstände von einigem Gewicht, welchen in spezifischer Weise die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung anhafteten, welchen sich das Tatopfer nicht ohne weiteres entziehen könne. Solche seien nicht schon immer dann anzunehmen, wenn die Situation nach den Umständen des Falles die Tathandlung ermögliche oder erleichtere (BGHSt 42, 399 [400 f.]).

aa) Soweit hiervon ausgehend in einigen von dem Verteidiger vorgelegten unveröffentlichten Entscheidungen zur Verneinung des Tatbestandes darauf abgestellt wird, dass die Zwangslage mit der Erbringung der Leistung ihr Ende gefunden habe, weil die Wohnung wieder zugänglich sei (so: AG Hamburg-Wandsbeck Urt. v. 24.09.2015 – 727a Ds 104/13; AG Bochum Urt. v. 07.10.2014 – 35 Ds 26/14; vgl. a. LG Chemnitz Urt. v. 10.12.2014 – 6 Ns 720 Js 19365/12) vermag sich der Senat dem zunächst – in Übereinstimmung mit dem Landgericht - nicht anzuschließen. Es gehört gerade zur Struktur des Wuchertatbestandes, dass der Wucherer die geschuldete Leistung erbringt, nur eben zu seinen (wucherischen) Konditionen. An der Ursächlichkeit der Zwangslage für die Erbringung der Gegenleistung durch das Tatopfer vermag das aber nichts zu ändern (vgl. dazu, dass der Wucherer die [wirtschaftliche] Freiheit des Opfers nicht einengt, sondern erweitert Kindhäuser NStZ 1994, 105 [106]). Aus diesem Grund ist auch nicht ausschlaggebend, ob der wucherische Preis dem Opfer bei Leistungserbringung bekannt ist oder nicht.

bb) Natürlich lässt sich die Situation des Ausgesperrten in dem Sinne als „Zwangslage“ kennzeichnen, dass sie jedenfalls eine zeitnahe Reaktion unter Hintanstellung ggf. zunächst ins Auge gefasster anderweitiger Pläne erfordert. Andererseits liegt eine ernste Bedrängnis nicht stets und ohne weiteres in der Situation des Ausgesperrt-Seins als solcher. Die tatbestandliche Zwangslage muss nämlich auch „ausgebeutet“ werden können, der Geschädigte daher zur Beseitigung der bedrängten Lage von der Leistung einer bestimmten Person abhängig sein (zutr. Schönke/Schröder-Heine/Hecker, a.a.O., § 291 Rz. 23), dieser Situation eben die spezifische Gefahr einer Rechtsgutsverletzung innewohnen, der sich das Tatopfer nicht ohne weiteres entziehen kann (BGHSt 42, 399 [400]), weshalb auch nicht außer Acht gelassen werden darf, dass es im Wirtschaftsleben zunächst Sache des Auftraggebers ist, sich nach den Kosten für eine benötigte Leistung zu erkundigen. Maßgeblich sind daher stets die Umstände des Einzelfalles, namentlich die Situation in der nunmehr nicht mehr zugänglichen Wohnung selbst (etwa – worauf bereits das Landgericht zutreffend abgestellt hat - : ein eingeschalteter Herd, ein hungriger Säugling), Jahreszeit und Witterung, die Dringlichkeit anderweitiger Verpflichtungen des Geschädigten sowie die Anwesenheit oder Erreichbarkeit der Hilfe Dritter (zutr. von einer tatbestandlichen Lage ausgehend daher LG Nürnberg-Fürth BB 1973, 777 für den Fall eines Wasseraustritts aufgrund verstopfter Rohrleitung). Soweit der Entscheidung des Landgerichts Bonn vom 5. Mai 2006 (37 M 2/06 – bei Juris Tz. 64), die einen anders gelagerten Sachverhalt betraf, Gegenteiliges zu entnehmen sein sollte und der Senat dies durch seine Entscheidung vom 2. November 2006 – 80 Ss 108/06 - bestätigt hat, hält er hieran nicht fest.

cc) Diese Auslegung nimmt zusätzlich darauf Bedacht, dass das Tatopfer bereits zivilrechtlichen Schutz genießt:

Ein Werkvertrag mit dem Schlüsseldienst wird regelmäßig bereits in dem Zeitpunkt geschlossen, da dieser – meist fernmündlich - den Auftrag zum Tätigwerden erhält. Wird zu diesem Zeitpunkt – wie auch sonst bei kleineren Handwerkerleistungen nicht ungewöhnlich - eine Vergütung nicht ausdrücklich vereinbart, gilt die übliche (§ 632 Abs. 2 2. Alt. BGB). Das ist der Betrag, der nach Auffassung der beteiligten Verkehrskreise für eine nach Art, Güte und Umfang gleiche Leistung gewährt zu werden pflegt (BGH NJW 2001, 151). Eine später dann einseitig verlangte höhere Vergütung ist nicht geschuldet.

Ist hingegen über die überhöhte Vergütung (bei Beauftragung oder später) eine Vereinbarung getroffen, kommt die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts gemäß § 138 Abs. 1 BGB mit der Folge der Nichtigkeit desselben in Betracht. Bei einem besonders auffälligen (Miss-)Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht nämlich nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung eine tatsächliche Vermutung für ein Handeln aus verwerflicher Gesinnung, das in der Regel eine weitere Prüfung der subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit entbehrlich werden lässt und diese begründet. Ein solches auffälliges Missverhältnis liegt vor, wenn der Wert der Leistung rund doppelt so hoch ist wie derjenige der Gegenleistung (vgl. insgesamt Palandt-Ellenberger, BGB, 75. Auflage 2016, § 138 Rz. 34a m. w. N.). In Anwendung dieser Grundsätze sind namentlich Verträge mit Schlüsselnotdiensten in der Vergangenheit für sittenwidrig erklärt worden (AG Bonn NJW-RR 2010, 1503; AG Bergisch Gladbach VuR 2015, 430; zust. Kothe VuR 2015, 431; kein auffälliges Missverhältnis lag indessen im Falle der von dem Verteidiger vorgelegten Entscheidung des Landgerichts Landshut vom 3. Mai 2013 – 12 S 343/13 - vor).

b) Nach alledem hat das Landgericht hier zu Recht dahin entschieden, dass sich der Zeuge I nicht in einer tatbestandsmäßigen Zwangslage befand. Besondere Umstände im vorbezeichneten Sinne, die eine Öffnung der Wohnung als besonders dringlich oder gar zum Zeitpunkt der Beauftragung des Schlüsseldienstes unabweisbar erscheinen ließen, hat der Tatrichter nicht festgestellt. Der Zeuge I hatte Hilfe durch den Zeugen T. Der Umstand, dass dem Zeugen I sein Missgeschick an einem Samstag im Winter unterlaufen war und er aufgrund der Situation – nachvollziehbar – aufgeregt war, kommt demgegenüber – entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft – gerade angesichts der Unterstützung durch den Zeugen T unter dem Gesichtspunkt des Bestehens einer Zwangslage ausschlaggebende Bedeutung nicht zu.


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