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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Führungsaufsicht, Anforderungen an Abstinenzweisung,

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 23.03.2017 - 5 Ws 119/17

Leitsatz: Zu den Anforderungen an eine Abstinenzweisung nach § 68 b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB i. R. d. Führungsaufsicht.


In pp.
hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23.03.2017 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird hinsichtlich der unter Ziff. 2. des Tenors erteilten Weisung aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Siegen verhängte gegen den Verurteilten mit Urteil vom 12. Mai 2015 eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren und drei Monaten wegen Diebstahls in drei Fällen, Betruges und Verstoßes gegen das Pflichtversi-cherungsgesetz in zwei Fällen. Diese Freiheitsstrafe hat der Verurteilte bis zum 19. März 2017 vollständig verbüßt.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer festgestellt, dass nach Vollverbüßung der Freiheitsstrafe Führungsaufsicht nach § 68 f Abs. 1 StGB eintritt. Die Dauer der Führungsaufsicht hat sie auf drei Jahre festgesetzt (§ 68 c Abs. 1 StGB). Zudem hat sie dem Verurteilten folgende Weisungen erteilt:

„1. Er hat sich nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug unverzüglich und unmittelbar in die oben als Entlassungsanschrift genannte Gemeinschaftsunterkunft der Stadt T zu begeben und sich dort der für ihn zuständigen Ausländerbehörde (Regierungspräsidium L, Abt. Asylrecht, Ausländer, Rückkehrmanagement, Spätaussiedler) zur Verfügung zu halten.

2. Er hat jeglichen Konsum von Drogen (welcher Art auch immer, ausgenommen ärztlich verordnete) und von Alkohol ausnahmslos und dauerhaft zu unterlassen.“

Zur Begründung der erteilten Weisungen hat die Strafvollstreckungskammer keine weiteren Ausführungen gemacht.

Mit selbst verfasstem Schreiben vom 27. Februar 2017 hat der Verurteilte „Widerspruch gegen Punkt 2“ der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er seit ca. 15 Jahren drogensüchtig ist. In der Justizvollzugsanstalt T1 sei er durchgehend substituiert worden. Seine Sucht sei eine Krankheit. Rückfälle seien von daher nicht ausgeschlossen, auch wenn er vorhabe, nicht rückfällig zu werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde des Verurteilten als unbegründet zu verwerfen.

II.
Ausweislich seines Vorbringens in seinem Schreiben vom 27. Februar 2017 ist das vom Verurteilten eingelegte Rechtsmittel nach § 300 StPO als einfache Beschwerde gegen die ihm unter Ziff. 2. des angefochtenen Beschlusses erteilte Abstinenzwei-sung nach § 68 b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB zu werten.

Die Beschwerde ist nach §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 S. 1 StPO statthaft und zulässig. Sie hat auch in der Sache zumindest vorläufig Erfolg.

Dass die Strafvollstreckungskammer vorliegend keine Nichtabhilfeentscheidung getroffen hat, steht einer Entscheidung des Senats über die Beschwerde nicht entgegen. Die Durchführung des Abhilfeverfahrens ist hier keine Verfahrensvoraussetzung für die Entscheidung des Beschwerdegerichts (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 306 Rdnr. 10).

Der angefochtene Beschluss ist hinsichtlich der dem Verurteilten unter Ziff. 2. erteilten Abstinenzweisung, gegen die allein sich seine Beschwerde richtet, aufzuheben.

Nach §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 S. 2 StPO kann die (einfache) Beschwerde nur darauf gestützt werden, dass die jeweilige im Rahmen der Führungsaufsicht getroffene Anordnung bzw. Weisung gesetzwidrig ist. Dies ist der Fall, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar ist oder sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet oder gegen das Bestimmtheitsgebot verstößt (vgl. Beschlüsse des Senats vom 6. Dezember2016 in III-5 Ws 303 und 304/16, vom 10. Januar 2013 in III-5 Ws 358 und 359/12, NStZ-RR 2013, 158; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 453 Rdnr. 12).

Unter Zugrundelegung dieses Überprüfungsmaßstabes kann die angefochtene Ab-stinenzweisung keinen Bestand haben. So enthält der angefochtene Beschluss be-reits überhaupt keine Begründung, weshalb dem Verurteilten eine Abstinenzweisung nach § 68 b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB zu erteilen ist. Dies lässt demnach schon dem Grunde nach eine Abwägung maßgeblicher Umstände und damit eine Ermessungsausübung vermissen. Den Anforderungen an eine zielgerichtete und ermessensfehlerfreie Ausgestaltung der Führungsaufsicht wird damit nicht genügt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19. März 2009 in 2 Ws 40/09, NStZ-RR 2009, 260; OLG Dresden NStZ 2008, 572 m. w. N.).

Die Strafvollstreckungskammer hat im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht die für ihre Entscheidungsfindung maßgeblichen Tatsachen festzustellen und in eine ordnungsgemäße Ermessungsabwägung einzubeziehen. Das Institut der Führungsaufsicht nach § 68 f StGB hat nämlich die Aufgabe, gefährliche oder rückfallgefährdete Täter in ihrer Lebensführung in Freiheit über gewisse kritische Zeiträume hinweg zu unterstützen und zu überwachen, um sie von weiteren Straftaten abzuhalten (vgl. BVerfGE 55, 28). Die Führungsaufsicht soll damit nicht nur Lebenshilfe für den Übergang von der Freiheitsentziehung in die Freiheit geben, sondern auch den Verurteilten führen und überwachen. Wenn diese umfassende Sozialisierungshilfe wirksam sein soll, setzt dies Weisungen voraus, die auf den Täter, die Taten, deretwegen er verurteilt wurde und damit zusammenhängend auf die von ihm ausgehende Gefährlichkeit hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten möglichst genau abzustimmen sind. Um dieser kriminalpolitischen Zielsetzung gerecht zu werden, ist eine Schematisierung der zu erteilenden Weisung nicht möglich (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19. März 2009 in 2 Ws 40/09, a. a. O. m. w. N.).

Die Strafvollstreckungskammer hat deshalb bei der Auswahl der erforderlichen Weisungen einen Ermessensspielraum. Die Ausübung dieses pflichtgemäßen Ermessens auf Grundlage festgestellter Tatsachen muss jedoch in einer Begründung der getroffenen Anordnung bzw. Weisung enthalten sein (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19. März 2009 in 2 Ws 40/09, a. a. O.).

Fehlt eine solche Begründung, wie dies vorliegend der Fall ist, kann die Rechtsfehlerfreiheit der Weisung vom Beschwerdegericht nicht überprüft werden. Bereits aus diesem Grund ist die Beschwerde begründet, selbst wenn die angeordnete Abstinenzweisung sachgerecht sein könnte.

Aufgrund der eingeschränkten Überprüfungskompetenz nach § 453 Abs. 2 S. 2 StPO ist es dem Senat aus Rechtsgründen versagt, sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Strafvollstreckungskammer zu setzen. Dementsprechend ist der angefochtene Beschluss hinsichtlich der beanstandeten Abstinenzweisung unter Ziff. 2. des Tenors aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Beschwerde, an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.

Für die erneut zu treffende Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

Grundsätzlich ist eine Abstinenzweisung nach § 68 b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB zulässig, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, der Alkohol- bzw. Rauschmittelkonsum könne zur Gefahr weiterer Straftaten beitragen. Maßgeblich ist nicht das Rückfallrisiko an sich, sondern die Wahrscheinlichkeit eines „Beitrags“ zu strafbaren Handlungen (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 68 b Rdnr. 12 a). Mit einer entsprechenden Abstinenzweisung dürfen jedoch nach § 68 b Abs. 3 StGB keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung des Verurteilten gestellt werden.

Nach Ansicht des Senats (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Januar 2013 in III-5 Ws 358 und 359/12, a. a. O.) kommt die in § 68 b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB vorgesehene Weisungsmöglichkeit vor allem für im Vollzug erfolgreich behandelte rauschmittelabhängige Probanden in Betracht. Allein der Umstand, dass es sich bei einem Probanden um einen langjährigen, nicht erfolgreich behandelten Suchtkranken handelt, macht eine Abstinenzweisung jedoch nicht von vornherein unzulässig. Entscheidend sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalles, insbesondere kommt es für die Zulässigkeit einer solchen Weisung darauf an, ob die begründete Aussicht besteht, der mit der Weisung verfolgte Zweck – die Wahrscheinlichkeit eines Beitrags zu strafbaren Handlungen zu verringern – könne erreicht werden. Ist das nicht der Fall, weil das Gericht auf der Grundlage einer fachkundigen Einschätzung, z. B. durch einen vom Gericht beauftragten Sachverständigen oder durch die Fachabteilung der Justizvollzugsanstalt, einen dann strafbewehrten Weisungsverstoß nach § 145 a StGB aufgrund fortbestehender (körperlicher) Suchtmittelabhängigkeit als überwiegend wahrscheinlich erachtet, sollte von der Abstinenzweisung abgesehen werden. Keine Bedenken bestehen aber gegen eine derartige Weisung, wenn lediglich mangelnde Willensstärke oder auch charakterliche Labilität einen Weisungsverstoß befürchten lassen (vgl. auch OLG München, Beschluss vom 9. Juli 2010 in 2 Ws 571/10; Fischer, a. a. O., § 68 b Rdnr. 12, 12 a, 12 b; BVerfG NJW 2016, 2170).

Angesichts des Vortrags des Verurteilten in seiner Beschwerdebegründung sowie des Berichtes der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Schwerte vom 21. Dezember 2016 dürfte die Erteilung einer Abstinenzweisung i. S. d. § 68 b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB vorliegend problematisch sein. So ist zu beachten, dass beim Verurteilten eine langjährige Alkohol- und Betäubungsmittelproblematik besteht. An irgendwelchen suchttherapeutischen Maßnahmen hat der Verurteilte bisher offenbar noch nie teilgenommen. Während seiner Inhaftierung wurde er durchgehend substituiert. Auch nach seiner Haftentlassung soll weiterhin eine Substitution erfolgen. Der Verurteilte selbst gibt an, dass er sich aufgrund der bei ihm bestehenden Sucht für rückfallgefährdet hält.

Für den Fall der Erteilung einer Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht ist zudem zu beachten, dass sich für den Verurteilten aus dem Führungsaufsichtsbeschluss selbst unmissverständlich ergeben muss, ob es sich bei der jeweiligen Weisung um eine solche nach § 68 b Abs. 1 StGB handelt, die nach § 145 a S. 1 StGB strafbewehrt ist, oder eine solche nach § 68 b Abs. 2 StGB, die nicht strafbewehrt ist. Für diese unmissverständliche Klarstellung der Strafbewehrung einer Weisung ist eine ausdrückliche Bezugnahme auf § 68 b Abs. 1 StGB weder erforderlich, noch ist sie in der Regel ohne weitere Erläuterungen ausreichend. Im Beschluss zur Führungsaufsicht ist dem Verurteilten vielmehr klar und deutlich darzulegen, welcher Weisungs-verstoß eine Strafverfolgung nach § 145 a S. 1 StGB nach sich ziehen kann (vgl. BGH StraFo 2015, 471; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2016, 243; Fischer, a. a. O., § 145 a Rdnr. 7).


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