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Entscheidungen

Haftfragen

Haftbefehl, Fluchtgefahr, Straferwartung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Dresden, Beschl. v. 11.12.2017 - 1 Ws 326/17

Leitsatz: Zur verneinten Annahme von Fluchtgefahr bei drohender Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von rund 14 Monaten und ggf. zu erwartender Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten.


BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen pp-
wegen Diebstahls u. a.
hier: Haftbeschwerde
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 11.12.2017 beschlossen:
1. Auf die weitere Beschwerde des Angeklagten werden der Beschluss des Landgerichts Dresden vom 14. November 2017 und der Haftbefehl des Amtsgerichts Dresden vom 16. August 2017 (271 Gs 3106/17) aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:
Der Angeklagte befindet sich seit dem 16. August 2017 aufgrund des auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls des Amtsgerichts Dresden vom gleichen Tage (271 Gs 3106/17) ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Der Strafrichter des Amtsgerichts Dresden hat den Angeklagten mit Urteil vom 24. Oktober 2017 wegen der in dem Haftbefehl bezeichneten Taten - Diebstahl in Tateinheit mit Sachbeschädigung und vorsätzlicher unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten und einer Woche verurteilt und zugleich den Haftbefehl aufrechterhalten.

Gegen das Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft - auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte - Berufungen eingelegt. Der Angeklagte hat darüber hinaus gegen den Haftfortdauerbeschluss Beschwerde eingelegt.

Mit Beschluss vom 14. November 2017 hat das Landgericht Dresden die Beschwerde des Angeklagten als unbegründet verworfen. Zur Begründung hat es - neben den fehlenden sozialen Bindungen des Angeklagten - im wesentlichen auf zu erwartende Bewährungswiderrufe und die dann im Raum stehende Vollstreckung von weiteren ca. 14 Monaten Freiheitsstrafe abgestellt. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss verwiesen.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner weiteren Beschwerde, mit der er geltend macht, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO nicht vorliege. Hinsichtlich der Einzelheiten seines Vorbringens wird auf den Schriftsatz seines Verteidigers vom 17. November 2017 Bezug genommen.

II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss und der Haftbefehl sind aufzuheben.

1. Zwar ist der Angeklagte der ihm zur Last gelegten Straftaten weiterhin dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO). Das folgt aus seiner - noch nicht rechtkräftigen - Verurteilung durch das Amtsgericht Dresden am 24. Oktober 2017.

2. Allerdings liegt der Haftgrund der Fluchtgefahr nicht vor.

Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht dann, wenn bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, die sich aus bestimmten Tatsachen ergeben müssen, eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Angeklagte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich ihm zur Verfügung halten (OLG Hamm StV 2003, 170; OLG Köln StV 1996, 390). Die Frage, ob Fluchtgefahr vorliegt oder nicht, erfordert die sorgfältige Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des Falls (OLG Hamm a.a.O.).

Gemessen an diesen Umständen ist der Haftgrund der Fluchtgefahr beim Angeklagten nicht zu bejahen.

a) Die Verurteilung des Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten und einer Woche ist nicht geeignet, einen erheblichen Fluchtanreiz darzustellen, zumal derzeit durch die anzurechnende Untersuchungshaft bereits mehr als zwei Drittel der Strafe vollstreckt sind. Damit ist die Strafe, die wegen der dem Haftbefehl zugrundeliegenden Taten gegen den Angeklagten verhängt worden ist, aber nicht geeignet, die Fluchtgefahr zu begründen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Staatsanwaltschaft gegen das amtsgerichtliche Urteil zu Lasten des Angeklagten Berufung, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, eingelegt hat. Die Staatsanwaltschaft hat erstinstanzlich eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten und einer Woche beantragt, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass in der Berufungsinstanz eine darüber hinausgehende Strafe verhängt wird. Selbst für den Fall, dass das Berufungsgericht die von der Staatsanwaltschaft beantragte höhere Gesamtfreiheitsstrafe verhängen würde, lässt sich hieraus unter Berücksichtigung der bereits verbüßten Untersuchungshaft ein die Fluchtgefahr begründender Strafrest nicht entnehmen. Im übrigen ist nicht zu besorgen, dass der Angeklagte, der vor seiner Inhaftierung im Übergangswohnheim des Vereins für soziale Rechtspflege e.V. aufhältig gewesen ist, dort zukünftig nicht erreichbar wäre. Angesichts dessen kommt dem Umstand, dass der Angeklagte nach seinen Angaben gelegentlich Marihuana konsumiert, für die Beurteilung des Vorliegens von Fluchtgefahr nur untergeordnete Bedeutung zu.

b) Etwas anderes gilt auch nicht unter Berücksichtigung der Vorstrafen des Angeklagten und des Umstandes, dass dieser wegen mehrerer Verurteilungen unter Bewährung steht. Zwar hat der Angeklagte die dem Haftbefehl zugrundeliegenden Taten nur kurze Zeit nach der letzten Haftentlassung und während laufender Bewährungszeiten begangen, so dass er mit dem Widerruf der Bewährungen und einer zusätzlichen Straferwartung von ca. einem Jahr und zwei Monaten zu rechnen hat. Diese Straferwartung stellt aber - für sich genommen - noch keinen Umstand dar, der vorliegend den Haftgrund der Fluchtgefahr begründen könnte. Zwar kann die aufgrund eines möglichen Bewährungswiderrufs zu erwartende Strafe im Rahmen der Prüfung, ob Fluchtgefahr beim Angeklagten vorliegt, grundsätzlich berücksichtigt werden. Dieser Umstand ist jedoch immer nur ergänzend heranzuziehen und setzt voraus, dass - was hier nicht der Fall ist- die wegen der haftbefehlsgegenständlichen Taten zu erwartende Strafe zumindest einen gewissen Fluchtanreiz und damit einen Fluchtgefahr begründenden Umstand darstellt. Ansonsten, wenn der Haftgrund ausschließlich auf - wegen möglicher Bewährungswiderrufe im Raum stehende - Freiheitsstrafen gestützt wird, würde dies eine Umgehung der Vorschrift des S 453c Abs. 1 StPO bedeuten. Die Vollstreckung der Untersuchungshaft würde dann nicht mehr der Sicherung des vorliegenden Strafverfahrens und der Vollstreckung der daraus resultierenden Strafe dienen.

Im übrigen weist der Senat daraufhin, dass der Angeklagte die ihm im Haftbefehl zur Last gelegten Taten vor dem Amtsgericht geständig eingeräumt und seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, so dass es - auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK; vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 56f Rdnrn. 4ff. m.w.N.) - spätestens ab diesem Zeitpunkt möglich gewesen wäre, eine Entscheidung über den Widerruf der zur Bewährung ausgesetzten Strafreste oder zumindest den Erlass eines Sicherungshaftbefehls herbeizuführen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des S 467 StPO.


Einsender: RA U. Israel, Dresden

Anmerkung:


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