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Entscheidungen

Haftfragen

Organisationshaft, Zulässige Dauer

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Mannheim, Beschl. v. 1.2.2021 – R 19 StVK 13/21

Leitsatz: Welche Dauer der sog. Organisationshaft vertretbar ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen, wobei die konkreten Bemühungen der Vollstreckungsbehörde um einen Platz im Maßregelvollzug zu berücksichtigen sind. Die Organisationshaft ist nicht zu rechtfertigen, wenn die Vollstreckungsbehörde die Umsetzung. des Urteils nach Rechtskraft nicht unverzüglich und beschleunigt einleitet. Sie ist auch nicht zu rechtfertigen, wenn die Umsetzung allein an fehlenden Ressourcen im Maßregelvollzug scheitert. Bloßes Warten auf einen mittel- oder langfristig freiwerdenden Therapieplatz kann die Organisationshaft nicht begründen.


In pp.

Der Vollzug der Organisationshaft gegen den Verurteilten ist
seit dem 25.11.2020 rechtwidrig.

Der Verurteilte ist aus der Haft zu entlassen.

Gründe

Am 5.10.2020 verurteilte das Landgericht Mannheim pp. wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren Freiheitsstrafe. Zudem ordnete es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Das Urteil ist seit dem 13.10.2020 rechtskräftig.

Bereits am 7.10.2020 hatte die Vollstreckungsabteilung der Staatsanwaltschaft beim Landgericht erbeten, die Rechtskraft des Urteils umgehend mitzuteilen. Eine entsprechende Mitteilung machte das Landgericht dann am 15. und erneut am 20.10.2020. Am 21.10.2020 richtete die Staatsanwaltschaft eine Anfrage an die Koordinierungsstelle für Aufnahmen in eine Entziehungsanstalt in Baden-Württemberg, wann aufgenommen werden könne. Am gleichen Tag ließ die Staatsanwaltschaft über die Justizvollzugsanstalt bei pp. anfragen, ob er auch mit einer Unterbringung in einem anderen Bundesland einverstanden sei. Dieser ließ unter dem 23.10.2020 mitteilen, dass er auch mit einer Unterbringung in Schleswig-Holstein einverstanden sei.

Am 6. und am 16.11.2020 erinnerte die Staatsanwaltschaft beim Zentrum für Psychiatrie Calw an ihr Aufnahmeersuchen. Mit Schreiben vom 17.11.2020, bei der Staatsanwaltschaft eingegangen am 19.112020, erhielt die Staatsanwaltschaft die Information des ZfP Calw, dass pp. dort am 5.5.2021 aufgenommen werden könne. Gleiches teilte die Koordinierungsstelle mit Schreiben vom 23.11.2020 mit. Weiter bat sie die Staatsanwaltschaft um Mitteilung, falls gegen die Organisationshaft Rechtsmittel eingelegt werde und die Besorgnis bestehe, der Unterzubringende könnte auf freien Fuß kommen. In diesem Fall wolle man „nochmals prüfen [..,], ob die aktuelle Belegungssituation in einem der ZfP eine vorgezogene Aufnahmemöglichkeit zulässt." Schließlich wies die Koordinierungsstelle darauf hin, das „ab Frühjahr 2021 UI im ZfP Weinsberg 30 weitere Therapieplätze zur Verfügung stehen' werden. Man gehe daher davon aus, „dass sich der Aufnahmetermin deutlich nach vorne verschieben kann.''

Am 24.11.2020 richtete die Staatsanwaltschaft Mannheim eine (in der Vollstreckungsakte nicht dokumentierte) Anfrage an das Sozialministerium. Daran anschließend bat das Justizministerium das Sozialministeriums mit E-Mail vom 25.11.2020 „um zeitnahe Mitteilung eines akzeptablen Aufnahmetermins, um eine Freilassung wegen unverhältnismäßig langer Organisationshaft zu vermeiden." Noch am 25.112020 teilte das Sozialministerium mit, dass der schleswig-holsteinische Maßregelvollzug derzeit keine Patienten aus anderen Bundesländern aufnehme, der Verlegungswunsch aber vermerkt worden sei. (Diese Mitteilung ist in der Vollstreckungsakte nicht dokumentiert; ihr Inhalt ergibt sich mittelbar aus dem Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 13.1.2021.)

Mit Schreiben vom 12.1.2021 beantragte die Verteidigerin, pp. aus der Organisationshaft zu entlassen, hilfsweise gerichtliche Entscheidung darüber. Mit Verfügung vom 14,1.2021 hat die Staatsanwaltschaft die Entlassung abgelehnt und die Sache der Strafvollstreckungskammer zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Der gem. § 458 Abs. 1 StPO zulässige Antrag ist begründet Die gegen vollzogene Organisationshaft ist seit dem 25.11,2020 rechtswidrig und daher zu beenden.

Die Organisationshaft ist ihrer Rechtsnatur nach Strafhaft, die in Fällen der Anordnung einer Maßregel (ohne Vorwegvollzug) nach Rechtskraft des Urteils und vor Aufnahme des Verurteilten in die Einrichtung des Maßregelvollzugs vollzogen wird. Sie ist nicht ausdrücklich geregelt, in der Strafprozessordnung jedoch implizit angelegt. Denn typischerweise können Verurteilte in der Praxis nicht unmittelbar in einer Einrichtung des Maßregelvollzugs untergebracht werden. Jederzeit einen sofort verfügbaren Platz vorzuhalten, ist schon deshalb nicht möglich, weil oft nicht genau genug absehbar ist, wann das Urteil rechtskräftig wird. Ist es rechtskräftig, bedarf es somit einer gewissen Übergangsfrist, um die Aufnahme in den Maßregelvollzug zu organisieren. Dies dient der sachgerechten Durchführung der Maßregel und ist insofern auch mit der Zwecksetzung des Urteilsspruchs i. S. v. § 67 Abs. 1 StGB vereinbar.

Überschreitet die Dauer der Organisationshaft jedoch das vertretbare Maß, führt sie zu einer rechtswidrigen Umkehrung der vorgesehenen Vollstreckungsreihenfolge. Welche Dauer der Organisationshaft vertretbar ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen, wobei die konkreten Bemühungen der Vollstreckungsbehörde um einen Platz im Maßregelvollzug zu berücksichtigen sind. Die Organisationshaft ist nicht zu rechtfertigen, wenn die Vollstreckungsbehörde die Umsetzung. des Urteils nach Rechtskraft nicht unverzüglich und beschleunigt einleitet, Sie ist auch nicht zu rechtfertigen, wenn die Umsetzung allein an fehlenden Ressourcen im Maßregelvoll-zug scheitert. Bloßes Warten auf einen mittel- oder langfristig freiwerdenden Therapieplatz kann die Organisationshaft nicht begründen (vgl. insges. OLG Karlsruhe, Beschl. v, 10.2.2020, 3 Ws 451/19; BVerfG, Beschl. v. 26.9.2005, 2 BvR 1019/01,, NJW 2006, 427).

Gemessen an diesem Maßstab ist die Organisationshaft im vorliegenden Fall unverhältnismäßig lang und damit nicht gerechtfertigt.

Zwar hat die Staatsanwaltschaft sich - im Einklang mit den aktuellen Vorgaben des Justizministeriums - frühzeitig bemüht, den Zeitpunkt der Rechtskraft zu klären und danach die Aufnahme in eine geeignete Maßregeleinrichtung zu erwirken. (Unerheblich ist insoweit, dass am 6. und am 16.11,2020 zweimal lediglich schriftlich beim ZfP Calw an das Aufnahmeersuchen erinnert wurde, denn insgesamt betrachtet bestehen keine Anhaltspunkte, dass ein direkteres Nachfassen beim ZfP zu einem günstigeren Ergebnis geführt hätte.) Trotz dieser anhaltenden Bemühun-gen der Staatsanwaltschaft, auch unter Einbindung des Justizministeriums, haben die für den Maßregelvollzug zuständigen Stellen es nicht vermocht, innerhalb eines vertretbaren Zeitraums einen Therapieplatz für pp. bereitzustellen,

Die für den 5.5.2021 zugesagte Aufnahme liegt exakt sieben Monate nach dem Urteil und nahezu sieben Monate nach dem Eintritt der Rechtskraft (mit Ablauf der Revisionsfrist). Diese Zeitspanne ist erheblich mehr, als für die verwaltungstechnische Einleitung der Maßregel nötig ist, und somit dem Umstand geschuldet, dass nicht genug Therapieplätze existieren. Der Hinweis der Koordinierungsstelle in ihrem Schreiben vorn 23.11.2020, dass man die Bemühungen um Aufnahme in den Maßregelvollzug ggf. intensivieren werde, falls der Verurteilte sich mit Rechtsmitteln gegen die Organisationshaft wendet, legt den Mangel - und das Bewusstsein der Verantwortlichen darum - in deutlicher Weise offen. Der zugleich gegebene Hinweis, ab dem Frühjahr 2021 stünden im ZfP Weinsberg 30 weitere Therapieplätze zur Verfügung, weshalb der Aufnahmetermin sich noch deutlich nach vorne verschieben könne, ändert nichts an der Bewertung der Situation. Er ist in jeder Hinsicht (sowohl hinsichtlich des Frühjahrs, das bis Ende Mai dauert und somit weiter in die Zukunft reicht als der 5.5.2021, als auch in Bezug auf die Modalitäten der Platzvergabe und schließlich die Frage, wie weit sich die Aufnahme dadurch vorne verschieben könnte) zu unkonkret, um eine weitere Abweichung von der vorgesehenen Vollstreckungsreihenfolge rechtfertigen und den Verurteilten darauf vertrösten zu können.

Nach Sachlage war somit ab dem 25.11.2020 klar, dass weder in Baden-Württemberg noch in Schleswig-Holstein angemessen zeitnah ein Therapieplatz zur Verfügung stehen würde. Die Zwischenzeit von über fünf Monaten bis zum 5.5.2021 stellt sich danach als reine Wartezeit dar, die nicht durch Organisationshaft überbrückt werden kann. Ab dem 2511.2020 war die weitere Organisationshaft so-mit rechtswidrig und folglich unzulässig.


Einsender: RÄin C. Hierstetter, Mannheim

Anmerkung:


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