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Entscheidungen

Haftfragen

Verteidigerpost, Begriff, Kontrolle, Durchsicht, Querlesen

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hamburg, Beschl. v. 17.01.2023 - 621 Ks 14/22

Eigener Leitsatz:

Der in § 148 Abs. 1 StPO niedergelegte Grundsatz des ungehinderten Verkehrs zwischen Verteidiger und Beschuldigtem beinhaltet, dass der Schriftverkehr des Beschuldigten mit dem Verteidiger inhaltlich nicht überwacht werden darf. Unter Anwendung dieses Grundsatzes beschränkt sich die Briefkontrolle der Haftanstalt darauf, ob sie nach den äußeren Kennzeichen eine Korrespondenz zwischen Mandanten und Verteidiger betrifft. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist die Post ohne inhaltliche Prüfung weiterzuleiten.


621 Ks 14/22

Beschluss

In dem Untersuchungshaftvollzugsverfahren

Verteidiger:

gegen

die Untersuchungshaftanstalt Hamburg,
Holstengladis 3, 20355 Hamburg,

vertreten durch ihren Leiter, Regierungsdirektor
Antragsgegnerin

hat das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 21, durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, die Richterin am Landgericht, den Richter am 17.01.2023 beschlossen:

Es wird festgestellt, dass die Durchsicht der handschriftlich von dem Antragsteller gefertigten und zur Verteidigerbesprechung am 13.12.2022 mitgebrachten Verteidigungsunterlagen durch den Bediensteten der Antragsgegnerin rechtswidrig war.

Gründe:

Der Antragsteller ist Untersuchungsgefangener in der Anstalt der Antragsgegnerin. Mit dem vorliegenden Antrag beanstandet er das Vorgehen des Bediensteten pp. am 13.12.2022 bei der Kontrolle- der vom Antragsteller zur Verteidigerbesprechung mitgebrachten 14 handschriftlich beschriebenen Seiten als rechtswidrig.

Der Bedienstete brachte den Antragsteller an diesem Tag zu der Besprechung mit dessen Verteidiger, Rechtsanwalt pp., in die Vorführabteilung. Im Rahmen der Personenkontrolle auf der Station Al legte der Antragsteller die beschriebenen Seiten auf dem Tisch ab und erklärte, dass es sich um Verteidigerpost handele, die der Bedienstete nicht lesen dürfe. Der Bedienstete erklärte daraufhin, er werde kurz darüber schauen, nahm die Unterlagen, blätterte sie durch und sichtete sie dabei auszugsweise, um feststellen zu können, ob es sich um Verteidigungsunterlagen handelte. Anschließend händigte er sie dem Antragsteller aus. Ob ein „Querlesen" durch den Bediensteten stattfand, ist zwischen den Beteiligten streitig.

Der Antragsteller trägt vor, der Bedienstete habe die Unterlagen jedenfalls auszugsweise gelesen. Als der Verteidiger, Rechtsanwalt pp., nach dem Verteidigergespräch den Bediensteten auf diesen Vorgang angesprochen habe, habe der Bedienstete pp. dies bejaht und erklärt, er müsse derlei Unterlagen ja mindestens querlesen, um feststellen zu können, ob es sich um Verteidigungsunterlagen handele. Dies mache er immer so.

Der Antragsteller beantragt mit seinem Antrag vom 13.12.2022,
festzustellen, dass die Durchsicht der handschriftlich von ihm gefertigten und zur Verteidigerbesprechung am 13.12.2022 mitgebrachten Verteidigungsunterlagen des Antragstellers durch den Bediensteten der Antragsgegnerin rechtswidrig war.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie trägt vor, die Durchsicht der Unterlagen sei rechtmäßig gewesen. Bei den Unterlagen habe es sich nicht um offiziell gekennzeichnete „Verteidigerpost" gehandelt, sondern um ein Konvolut von handschriftlich beschriebenen Blättern. Um sich davon ein Bild zu verschaffen, sei der Bedienstete gezwungen gewesen, die Unterlagen kurz zu sichten, um sicher feststellen zu können, dass es sich um Verteidigungsunterlagen gehandelt habe. Dies wäre ihm nicht möglich gewesen, ohne sie wenigstens auszugsweise zu sichten. Eine inhaltliche Kontrolle, ein Durchlesen oder „Querlesen", habe dabei nicht stattgefunden. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die von der Antragsgegnerin übersandte Stellungnahme des Bediensteten vom 20.12.2022.

II.

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 119a Abs. 1 Satz 1 StPO ist als Fortsetzungsfeststellungsantrag statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere liegt mit der Wiederholungsgefahr das notwendige Fortsetzungsfeststellungsinteresse vor.

2. Der Antrag ist auch begründet. Die Durchsicht der schriftlichen Unterlagen des Antragstellers am 13.12.2022 durch den Bediensteten der Antragsgegnerin war rechtswidrig. Sie verstieß gegen den Grundsatz des unüberwachten und ungehinderten Verkehrs zwischen Verteidiger und Beschuldigtem.

Gemäß § 23 Abs. 3 HmbUVollzG dürfen beim Besuch von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten mitgeführte Schriftstücke und sonstige Unterlagen übergeben werden, ihre inhaltliche Überprüfung ist nicht zulässig. Darüber hinaus wird der Schriftwechsel mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, soweit sie von den Untersuchungsgefangenen mit der Vertretung einer Rechtsangelegenheit nachweislich beauftragt wurden, gemäß § 25 Abs. 2 HmbUVollzG nicht überwacht. Auch der in § 148 Abs. 1 StPO niedergelegte Grundsatz des ungehinderten Verkehrs zwischen Verteidiger und Beschuldigtem beinhaltet, dass der Schriftverkehr des Beschuldigten mit dem Verteidiger inhaltlich nicht überwacht werden darf. Unter Anwendung dieses Grundsatzes beschränkt sich die Briefkontrolle der Haftanstalt darauf, ob sie nach den äußeren Kennzeichen eine Korrespondenz zwischen Mandanten und Verteidiger betrifft. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist die Post ohne inhaltliche Prüfung weiterzuleiten (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.11.2004 —3 VAs 20/04 —, juris; Willnow in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 148 Rn. 8).

Allenfalls bei gewichtigen Anhaltspunkten für einen Missbrauch des Schutzes des ungehinderten Verkehrs zwischen Verteidiger und Beschuldigtem kann eine Durchsicht der Schriftstücke zulässig sein (OLG Frankfurt, a.a.O.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 148 Rn. 7).

Unter Anlegung dieser Maßstäbe war das Vorgehen der Antragsgegnerin bei der Kontrolle der Unterlagen rechtswidrig. Bei einer umfassenden Würdigung der Angaben des Antragstellers, der Antragsgegnerin und der Stellungnahme des Bediensteten hat die Kammer vorliegend keine Zweifel daran, dass der Bedienstete pp, die beschriebenen Seiten im Wege des „Überfliegens" oder „Querlesens" inhaltlich daraufhin überprüfte, ob es sich um Verteidigerpoet handelte, und die Schriftstücke nicht lediglich — ohne Kenntnisnahme von ihrem Inhalt — daraufhin überprüfte, ob sich dazwischen oder darunter auch gefährliche oder verbotene Gegenstände befanden. Soweit die Antragsgegnerin ein solches „Querlesen" bestreitet, setzt sie sich dabei zu ihrem eigenen Vortrag in Widerspruch:

Die Angabe des Bediensteten pp in seiner Stellungnahme vom 20.12.2022, er habe die Unterlagen angeschaut, da sie nicht als Verteidigerunterlagen deklariert gewesen seien, bestätigt gerade die Darstellung des Antragstellers, wonach der Bedienstete die Unterlagen mit Blick auf deren Inhalt überprüfte. Dies ergibt sich auch unmissverständlich aus der Stellungnahme der Antragsgegnerin, wonach der Bedienstete gezwungen gewesen sei, die Unterlagen kurz zu sichten, um sicher feststellen zu können, dass es sich um Verteidigungsunterlagen handelte: „Dem Bediensteten wäre es nicht möglich gewesen zu entscheiden, ob die mitgeführten Unterlagen tatsächlich Verteidigungsunterlagen waren, ohne diese wenigstens auszugsweise zu sichten." Nahezu identisch lautete der Antragsschrift zufolge auch die Erklärung des Bediensteten gegenüber dem Verteidiger, Rechtsanwalt pp., noch am 13.12.2022. Ein solches Vorgehen setzt aber gerade das "Querlesen" der Unterlagen voraus, das nach Angaben der Antragsgegnerin dennoch nicht stattgefunden haben soll. Die Angabe des Bediensteten in seiner Stellungnahme vom 20.12.2022, er habe die Unterlagen nur auf gefährliche und verbotene Gegenstände durchsucht, ist vor diesem Hintergrund mit dem übrigen Vortrag der Antragsgegnerin ebenso wie mit seinen übrigen Angaben nicht vereinbar. Insofern geht die Kammer davon aus, dass der Bedienstete, wie von dem Antragsteller vorgetragen, diese Unterlagen tatsächlich mindestens auszugsweise „querlas" und dieses Vorgehen auch gegenüber dem Verteidiger, Rechtsanwalt pp., wie im Antrag dargestellt auf Nachfrage bestätigte.

Der Umstand, dass es sich bei den Unterlagen - wie die Antragsgegnerin vorträgt -„nicht um offiziell gekennzeichnete 'Verteidigerpost' handelte, sondern um ein Konvolut von handschriftlich beschriebenen Blättern, vermag nichts an der Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens zu ändern. Denn der Antragsteller hatte diese Schriftstücke unmissverständlich zu Beginn der Kontrolle — wenn auch nur mündlich — als solche Verteidigerpost deklariert. Vor dem Hintergrund, dass er sich, wie der Bedienstete wusste, gerade auf dem Weg zum Verteidigergespräch befind, konnte somit über die Zuordnung der Schriftstücke keinerlei begründeter Zweifel bestehen. Der Schutz des ungehinderten Schriftverkehrs mit dem Verteidiger kann nicht geringer ausfallen, wenn der Untersuchungsgefangene (sogar) darauf verzichtet, die entsprechenden Schriftstücke in einem verschlossenen, mit „Verteidigerpost" beschriebenen Umschlag zu verwahren, sofern wie hier die Zuordnung als Verteidigerpost dennoch eindeutig ist.

Die Antragsgegnerin hat im Übrigen keinerlei Umstände vorgetragen, die Zweifel gegenüber den Angaben des Antragstellers zu den fraglichen Unterlagen oder einen Missbrauchsverdacht begründet hätten.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. BT-Drs. 16/11644, S. 47; Gericke in KK-StPO, a.a.O., § 119a Rn. 10).


Einsender: RÄin A. Hirsch, Hamburg

Anmerkung:


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