Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

RVG Entscheidungen

§ 48

Erstreckung, Verbindung von Verfahren, Beiordnungsantrag, Erforderlichkeit, Beschwerde

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 27.09.2011 - 1 Ws 64/10

Fundstellen:

Leitsatz: Wird die Erstreckung der Wirkungen der Pflichtverteidigerbestellung nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG auf hinzuverbundene Verfahren abgelehnt, steht dem Pflichtverteidiger ein eigenes Be-schwerderecht zu. Der Beschuldigte hat hingegen kein Beschwerderecht.

Der Erstreckungsantrag kann auch noch nach rechtskräftigem Ab-schluss des Erkenntnisverfahrens gestellt werden.

Die Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung setzt nicht voraus, dass der Verteidiger in dem hinzuverbundenen Verfahren zuvor einen Antrag nach § 141 StPO gestellt und das Wahlmandat (konkludent) niedergelegt hat.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
1 Ws 64/10

In der Strafsache gegen pp.
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 27. September 2011 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Pflichtverteidigers, Rechtsanwalt S. wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 11. März 2010 aufgehoben.

Die Wirkungen der Bestellung des Pflichtverteidigers werden auf das hinzuverbundene Verfahren (517) 61 Js 196/09 (6/09) erstreckt.

Die Beschwerde des Verurteilten gegen den genannten Be-schluss wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten der Beschwerde des Pflichtverteidigers und die ihm dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.



Gründe:

Das Landgericht hat es mit Beschluss 11. März 2010 abgelehnt, die Wirkungen der Pflichtverteidigerbestellung nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG auf das hinzuverbundene Verfahren (517) 61 Js 196/09 (6/09) zu erstrecken, in dem Rechtsanwalt S. vor der Verbindung als Wahlverteidiger aufgetreten war. Dagegen hat er im eigenen und im Namen des Verurteilten Beschwerde eingelegt. Das Rechtsmittel des Verteidigers hat Erfolg. Die Beschwerde des Verurteilten ist unzulässig.

Die Anfechtung ist nach § 304 Abs. 1 StPO statthaft. Es gelten die allgemeinen Regeln der StPO, da das RVG gegen Entscheidun-gen über Anträge nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG keinen besonderen Rechtsbehelf vorsieht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 29. Januar 2008 – 4 Ws 9/08 – bei juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. April 2004 – 3 Ws 94/07 – bei juris; Burhoff RVGreport 2004, 411).

Der Pflichtverteidiger hat ein eigenes Beschwerderecht (vgl. OLGe Hamm und Düsseldorf aaO), da die angefochtene Entscheidung seinen Gebührenanspruch betrifft. Der Fall ist vergleichbar mit einer Beschränkung der Pflichtverteidigerbestellung auf die Vergütung eines ortsansässigen Rechtsanwalts, die der bestellte Verteidiger – anders als die Ablehnung seiner Bestellung - selbständig anfechten kann (vgl. OLG Düsseldorf VRS 116, 273). Der Beschwerdewert (§ 304 Abs. 3 StPO) ist für Rechtsanwalt S. ebenfalls erreicht, da schon die mit dem Kos-tenfestsetzungsantrag vom 4. Dezember 2009 für das hinzuver-bundene Verfahren geltend gemachten Grund- und Vorverfahrens-gebühren (Nrn 4101, 4105 VV RVG) 200 EUR übersteigen.

Anders verhält es sich bei dem Verurteilten. Er ist durch die angefochtene Entscheidung nicht beschwert. Denn nur die unmit-telbare Beeinträchtigung von Rechten oder schutzwürdigen Inte-ressen begründet eine Beschwer (vgl. KK-Engelhardt, StPO 6. Aufl., Rdn. 30 zu § 304). Die Frage, ob der Verteidiger für das hinzuverbundene Verfahren eine Vergütung aus der Staats-kasse verlangen kann, betrifft unmittelbar nur ihn. Auf die Rechtsstellung des Verurteilten hat das mittelbar nur insofern Einfluss, als der gegen ihn bis zur Verbindung entstandene Ge-bührenanspruch seines Rechtsanwalts bei einer Nichtanwendung des § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG in voller Höhe erhalten bleibt (§ 15 Abs. 4 RVG) und nicht den Begrenzungen des § 52 RVG unter-worfen ist, der Verurteilte andererseits bei einer gebühren-rechtlichen Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf das hinzuverbundene Verfahren die dadurch bedingte (zusätzli-che) Vergütung seines Verteidigers aus der Staatskasse nach Nr. 9007 KV GKG als Teil der ihm auferlegten Kosten des Verfahrens (§ 465 Abs. 1 StPO) zu tragen hat.

Der Verteidiger war nicht gehindert, den Erstreckungsantrag noch nach rechtskräftigem Abschluss des Erkenntnisverfahrens zu stellen. Soweit sich die Gerichte bisher mit dieser Frage befasst haben, gehen sie übereinstimmend davon aus, daß die Antragstellung auch nachträglich möglich ist (vgl. OLG Düssel-dorf, Beschluss vom 2. April 2007 – 3 Ws 4/07 -; LG Dresden, Beschluss vom 25. Januar 2008 – 3 Qs 188/07 –; LG Freiburg, Beschluss 13. März 2006 – 2 Qs 3/06 – alle bei juris). Der Se-nat schließt sich dieser Rechtsprechung an (noch offen gelassen in KG NStZ-RR 2009, 360). Die Vorschrift des § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG enthält nach ihrem Wortlaut und Zweck keine zeitliche Beschränkung. Im Gegensatz zur Pflichtverteidigerbestellung, die eine ordnungsgemäße Verteidigung gewährleisten soll und deshalb nach ganz herrschender Meinung rückwirkend nicht in Betracht kommt, ist die Erstreckungsentscheidung rein ver-gütungsrechtlicher Natur und für das Erkenntnisverfahren ohne Bedeutung.

Der angefochtene Beschluss hat keinen Bestand. Der Senat trifft die gebotene Ermessensentscheidung selbst (§ 309 Abs. 2 StPO). Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG sind gegeben.

Nach dieser Vorschrift kann das Gericht bei verbundenen Ver-fahren die Wirkung des § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG auch auf dieje-nigen Verfahren erstrecken, in denen der Pflichtverteidiger vor der Verbindung als Wahlanwalt tätig war. Das betrifft nach einhelliger Ansicht die Fälle, in denen der Verteidiger – wie hier - in dem führenden Verfahren bereits vor der Verbindung bestellt, in dem hinzuverbundenen Verfahren hingegen aus-schließlich als Wahlverteidiger tätig war (vgl. KG aaO; Thür. OLG Rpfleger 2009, 171; OLG Hamm NStZ-RR 2005, 285; zuletzt LG Aurich StRR 2011, 244). Die Bestimmung trägt dem Umstand Rech-nung, daß die gebührenrechtliche Rückwirkung des § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG, wonach der Pflichtverteidiger eine Vergütung auch für seine vor dem Zeitpunkt der Bestellung entfalteten Tätig-keiten erhält, für das hinzuverbundene Verfahren nicht automa-tisch eintritt. Mit § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG wird dem Gericht deshalb die Möglichkeit eröffnet, die Rückwirkung der Bestel-lung auf jenes Verfahren mit der Folge zu erstrecken, daß der Verteidiger auch für die darin erbrachten Leistungen aus der Staatskasse so zu bezahlen ist, als wäre er dort vor der Ver-bindung bestellt worden.

Nach dem Willen des Gesetzgebers kommt die Erstreckung „insbe-sondere dann in Betracht, wenn in einem der verbundenen Ver-fahren eine Bestellung unmittelbar bevorgestanden hätte“ (vgl. BT-Drucksache 15/1971 S. 201). Daraus hat das Landgericht ge-schlossen, daß eine gebührenrechtliche Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung nur dann möglich ist, wenn der Verteidiger in dem hinzuverbundenen Verfahren zuvor einen An-trag nach § 141 StPO gestellt und das Wahlmandat (konkludent) niedergelegt hatte (so auch LG Berlin JurBüro 2006, 29), was hier nicht geschehen war. Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Abgesehen davon, daß mit der Hervorhebung „insbesondere“ in den Gesetzesmaterialien die dort beschriebene Fallkons-tellation nur beispielhaft aufgeführt wird, lässt sich dem nicht entnehmen, daß der Gesetzgeber die Anwendung des § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG von einem Antrag auf Pflichtverteidigerbe-stellung in dem hinzuverbundenen Verfahren abhängig machen wollte. Dafür gibt es auch keinen vernünftigen Grund. Vielmehr reicht es nach dem Zweck der Vorschrift aus, daß bei einem ge-trennten Fortgang des Verfahrens nach den Umständen des Ein-zelfalles die Bestellung zu erwarten gewesen wäre und sie le-diglich durch die Verbindung der Sache zu einem anderen (füh-renden) Verfahren (§ 4 Abs. 1 StPO) prozessual entbehrlich ge-worden ist. So liegt es hier.

Die Anklage in dem hinzuverbundenen Verfahren war am 16. Feb-ruar 2009 vor dem Landgericht erhoben worden, so daß bereits zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Pflichtver-teidigerbestellung nach den §§ 140 Abs. 1 Nr. 1, 141 Abs. 1 StPO vorlagen. Dafür, daß der in dem hinzuverbundenen Verfahren seit dem 15. Januar 2009 mandatierte Beschwerdeführer dort weiterhin als Wahlverteidiger auftreten wollte, während er zu-vor in dem führenden Verfahren auf sein Betreiben schon kurz nach Erhebung der Anklage am 19. November 2008 zum Pflichtver-teidiger bestellt worden war, gibt es keine Anhaltspunkte.

Die Besonderheiten des Zeitablaufs lassen es hier auch geboten erscheinen, die gebührenrechtliche Erstreckung der Pflichtver-teidigung auf die hinzuverbundene Sache auszusprechen. Denn der Beschwerdeführer hatte in der Sache 61 Js 196/09, obwohl sein Mandant in dem führenden Verfahren seit dem 8. Oktober 2008 inhaftiert war, vor Anklageerhebung keine berechtigten Aussichten auf eine Bestellung, da sie nach damaliger Rechts-lage noch von einem – hier nicht – gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft abhing (§ 141 Abs. 3 StPO in der Fassung vom 7. April 1987) und in den Katalog des § 140 Abs. 1 StPO die jetzige Nr. 4 (Vollstreckung von Untersuchungshaft) mit der Verpflichtung zu einer unverzüglichen Verteidigerbestellung (§ 141 Abs. 3 Satz 4 StPO) noch nicht eingefügt war. Eine Möglichkeit zur – vom Landgericht geforderten - Anbringung ei-nes Antrages auf Pflichtverteidigerbestellung bestand für den Beschwerdeführer auch nach Erhebung der Anklage nicht, da be-reits vor deren Zustellung und ohne vorherige Anhörung des An-geschuldigten und seines Verteidigers am 18. Februar 2009 beide Strafsachen verbunden worden und damit auch gebührenrechtlich zu einer Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 1 RVG ver-schmolzen waren.

Die Kosten- und Auslagenentscheidungen beruhen auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO und einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


den gebührenrechtlichen Newsletter abonnieren


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".