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RVG Entscheidungen

§ 56

Erinnerung, Anschlusserinnerung

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 26.09.2011 - 1 Ws 52/10

Leitsatz: Entscheidet das Gericht gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG über eine Erinnerung gegen die Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung nach § 55 RVG und legt der Festsetzungsgegner sodann „Anschlusserinnerung“ ein, ist dieser Rechtsbehelf in eine Beschwerde gegen die Entscheidung über die Erinnerung umzudeuten.


KAMMERGERICHT

Beschluss


Geschäftsnummer:
1 Ws 52/10____________________
(533) 69 Js 250/05 KLs (26/06)


In der Strafsache gegen


1. K. ,
geboren am x in x,

2. G.,
geboren am x in x,


wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge u.a.

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 26. September 2011 beschlossen:

Auf die Beschwerde der Bezirksrevisorin beim Landgericht Berlin werden der Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Landgerichts Berlin vom 11. Oktober 2007 sowie die Beschlüsse des Landgerichts Berlin vom 7. September 2009 und 19. Februar 2010 aufgehoben.

Die Vergütung des Zeugenbeistands Rechtsanwalt P. wird auf 223,72 Euro festgesetzt. Rechtsanwalt P. hat den zuviel ausbezahlten Betrag von 799,68 Euro an die Landeskasse zurückzuzahlen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.



G r ü n d e :

Rechtsanwalt P. wurde dem Zeugen A. für dessen Vernehmung in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Berlin gegen die Angeklagten K. und G. gemäß § 68b StPO als Beistand bei-geordnet und nahm diese Aufgabe in den Terminen am 6., 20. und 27. März sowie 25. Juni und 2. Juli 2007 wahr. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts setzte die Vergütung des Rechtsanwalts mit Beschluss vom 11. Oktober 2007 auf insgesamt 1.023,40 Euro fest. Dieser Betrag wurde Rechtsanwalt P. aufgrund Anordnung vom selben Tag ausgezahlt. Seine Erinnerung, mit der er eine antragsgemäße Festsetzung seiner Vergütung auf 1.849,26 Euro erstrebte, hat das Landgericht mit Beschluss vom 7. September 2009 zurückgewiesen. Die Bezirksrevisorin beim Landgericht Berlin hat am 10. September 2009 - unter Hinweis darauf, dass sie erst an diesem Tag von dem Sachverhalt und insbesondere den Beschlüssen vom 11. Oktober 2007 und 7. September 2009 in Kenntnis gesetzt worden sei – „Anschlusserinnerung gemäß § 56 RVG“ gegen die Festsetzung vom 11. Oktober 2007 eingelegt mit dem Ziel, die Vergütung des Rechtsanwalts auf einen Betrag von 223,72 Euro festsetzen und die Rückzahlung des darüber hinausgehenden ausbezahlten Betrags von 799,68 Euro anordnen zu lassen. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 19. Februar 2010 die „Anschlusserinnerung“ als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen hat die Bezirksrevisorin Beschwerde eingelegt.

Der Senat behandelt die „Anschlusserinnerung“ der Bezirksrevisorin gegen die Festsetzung vom 11. Oktober 2007 als Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 7. September 2009.

1. Das Landgericht hat verkannt, dass es sich bei der als „Anschlusserinnerung“ bezeichneten Eingabe der Bezirksrevisorin vom 10. September 2009 nicht um eine Erinnerung gegen die Festsetzung vom 11. Oktober 2007, sondern bei sachgerechter Auslegung um eine Beschwerde gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG gegen den Beschluss vom 7. September 2009 gehandelt hat.

Anschlussrechtsrechtsbehelfe sind in verschiedenen Prozessordnungen vorgesehen. So regelt beispielsweise die Zivilprozessordnung die Anschlussberufung (§ 524 ZPO), die Anschlussbeschwerde (§§ 567 Abs. 3, 574 Abs. 4 ZPO) und die Anschlussrevision (§ 554 Abs. 3 ZPO). Zweck dieser Bestimmungen ist es, dem Rechtsmittelgegner einen (unselbständigen) Rechtsbehelf zu ermöglichen, um seine Rechte eigenständig wahren zu können und gegebenenfalls eine „Verböserung“ der angefochtenen gerichtlichen Entscheidung zu erreichen (vgl. VG Stuttgart NVwZ-RR 2007, 216). Auch in Erinnerungsverfahren wird ein derartiger Rechtsbehelf für zulässig gehalten (vgl. etwa VG Stuttgart aaO für die Anschlusserinnerung im Verwaltungsprozessrecht analog § 127 Abs. 1, §§ 173 VwGO i.V.m. § 567 Abs. 3 ZPO, § 141 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 1 VwGO).

Gemeinsam ist allen diesen Rechtsbehelfen, dass sie im An-schluss an den gegnerischen Rechtsbehelf und vor der gerichtlichen Entscheidung darüber eingelegt werden, damit das Gericht sodann über beide Rechtsbehelfe eine Entscheidung treffen kann.

Eine derartige Verfahrenslage war hier nicht gegeben. Die Bezirksrevisorin hatte, da sie (rechtswidrig) hierzu nicht angehört worden war, von der Erinnerung des Zeugenbeistands Rechtsanwalt P. gegen die Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erst erfahren, als ihr die Entscheidung des Gerichts über diese Erinnerung bekannt geworden ist. Eine „Anschlusserinnerung“, also eine Erinnerung gegen die Festsetzung des Urkundsbeamten mit dem Ziel einer Verböserung dieser Entscheidung durch das zur Entscheidung berufene Landgericht, konnte die Bezirksrevisorin somit nicht mehr wirksam einlegen. Ihre fälschlich so bezeichnete Eingabe war daher, da ein anderer Rechtsbehelf nicht in Betracht kam, nach dem Rechtsgedanken des § 300 StPO als Beschwerde gegen den Beschluss vom 7. September 2009 auszulegen.

Bei dieser - allein sachgerechten - Auslegung der Eingabe der Bezirksrevisorin ist der von Rechtsanwalt P. vorgebrachte Verwirkungseinwand ohne Belang. Der Senat hat zwar (nicht tragend) im Beschluss vom 8. Mai 2008 – 1 Ws 134/08 – ausgeführt, dass dem Vertrauen eines Rechtsanwalts auf den Bestand einer Vergütungsfestsetzung Rechnung zu tragen ist, wenn die Staatskasse zuviel gezahlte Gebühren nicht innerhalb eines Jahre nach der Festsetzung zurückfordert; in diesem Fall wird das Recht, gegen die Festsetzung Erinnerung einzulegen, analog § 20 GKG verwirkt (Senat ebenda; a.A. OLG Düsseldorf RVGreport 2008, 218 mit zustimmender Anmerkung Volpert und Nachw. zum Streitstand). Ein derartiges Vertrauen des Rechtsanwalts kann sich aber nur bilden, wenn er seinerseits die Vergütungsfestsetzung akzeptiert und nicht angefochten hat. Das war hier jedoch nicht der Fall. Rechtsanwalt P. hatte gegen die ursprüng-liche Festsetzung seiner Vergütung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Erinnerung eingelegt. Solange darüber nicht rechtskräftig entschieden war, musste er sich darauf einstellen, dass auf eine Beschwerde der Bezirksrevisorin als Vertreterin der Landeskasse die Festsetzung zu seinem Nachteil durch das Beschwerdegericht wieder geändert werden konnte.

2. Die Beschwerde der Bezirksrevisorin gegen den Beschluss des Landgerichts vom 7. September 2009 ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG zulässig. Sie ist rechtzeitig eingelegt worden, da die Bezirksrevisorin sie unmittelbar nach dem Eingang des landgerichtlichen Beschlusses innerhalb der zweiwöchigen Beschwerdefrist eingelegt hat und der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die weitere Entscheidung vom 19. Februar 2010, mit dem das Landgericht die „Anschlusserinnerung“ als unbegründet zurückgewiesen hat, ist damit ihrem sachlichen Gehalt nach eine Nichtabhilfeentscheidung.

3. Die Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vom 7. September 2009 und der Vergütungsfestsetzung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 11. Oktober 2007. Zur Klarstellung hebt der Senat auch den Beschluss des Landgerichts vom 19. Februar 2010 auf.

Der Senat setzt die Vergütung des Zeugenbeistands Rechtsanwalt P. auf einen Betrag von 223,72 Euro fest, der sich wie folgt zusammensetzt:

Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG 168,00 Euro
Post- und Telekommunikationspauschale gemäß
Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro
19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG 35,72 Euro
Summe 223,72 Euro

Den zuviel ausbezahlten Betrag von 799,68 Euro hat Rechtsan-walt P. an die Landeskasse zurückzuzahlen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. grundlegend Beschluss vom 18. Januar 2007 – 1 Ws 2/07 -, AGS 2008, 235) und der inzwischen wohl überwiegenden Judikatur der Oberlandesgerichte (vgl. die Übersicht bei Burhoff, RVGreport 2011, 85, 86) bemisst sich die Vergütung des gemäß § 68b StPO beigeordneten Rechtsanwalts nicht nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG, sondern nach Abschnitt 3. Davon abweichende Auffassungen der anderen Strafsenate des Kammergerichts in älteren Entscheidungen hat der seit 2007 für Anträge und Rechtsmittel nach dem RVG ausschließlich zuständige Senat nicht übernommen.

Die Beistandsleistung des Rechtsanwalts für den Zeugen ist somit als Einzeltätigkeit gemäß Nr. 4301 Ziff. 4 RVG einzuordnen. Seine Beiordnung erstreckt sich auf „die Dauer der Vernehmung des Zeugen“ (§ 68b StPO) und löst den Gebührentatbestand der Nr. 4301 Ziff. 4 RVG nur einmal aus, auch wenn sich die Vernehmung wie hier über mehrere Tage erstreckt. Das gilt nach der Regelung des § 15 Abs. 5 Satz 1 RVG auch dann, wenn die Vernehmung des Zeugen zunächst beendet und später in derselben Instanz unter Mitwirkung des Rechtsanwalts fortgesetzt wird. So verhielt es sich hier am 25. Juni und 2. Juli 2007. Am 25. Juni wurde A. im allseitigen Einvernehmen als Zeuge entlassen und am 2. Juli wurde er im Beisein von Rechtsanwalt P. – im Übrigen ohne dass dieser einen Antrag auf erneute Beiordnung gestellt hätte - ausweislich des Protokolls „weiter zur Sache vernommen“. Rechtsanwalt P. ist somit in derselben Angelegenheit, nämlich der Beistandsleistung für den Zeugen A. bei seiner Vernehmung in dieser Instanz, weiter tätig geworden im Sinne des § 15 Abs. 5 Satz 1 RVG.

Daraus folgt, dass der Urkundsbeamte, indem er für jeden einzelnen Vernehmungstermin eine Gebühr nach Nr. 4301 Ziff. 4 RVG angesetzt hat, die Vergütung des Zeugenbeistands zu hoch bemessen hat. Die Auffassung des Landgerichts, das diese Festsetzung als in der Sache zutreffend angesehen hat, liegt neben der Sache. Ein Festsetzen nach „dem System der Terminsgebühr, jedoch gekürzt auf die Gebührenhöhe der Einzeltätigkeit“ ist, wie Rechtsanwalt P. zutreffend, freilich mit anderer Zielrichtung, ausgeführt hat, mit der Gesetzessystematik des RVG nicht vereinbar.

Der Senat verkennt nicht, dass aus dieser Rechtslage unzumutbare Härten für den Zeugenbeistand resultieren, der in Fällen wie dem vorliegenden unangemessen für seine Tätigkeit vergütet wird. Derartige Härten sind jedoch im Gesetz angelegt. Sie sind allein, worauf der Senat bereits in seinem Beschluss vom 18. Januar 2007 aaO hingewiesen hat, im Verfahren über die Festsetzung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG auszugleichen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 RVG.


Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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