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RVG Entscheidungen

Allgemeine Gebühren-/Kostenfragen - Sonstiges

Unrichtige Sachbehandlung, Entpflichtung, Pflichtverteidiger

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Saarbrücken, Beschl. v. 11.03.2013 - 1 Ws 47/13

Leitsatz: Zu den Voraussetzungen einer unrichtigen Sachbehandlung i.S. von § 21 GKG im Hinblick auf eine nicht erfolgte Entpflichtung eines Pflichtverteidigers.


1 Ws 47/13
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT
BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Diebstahls
Verteidigerin: Rechtsanwältin hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken
am 11. März 2013 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
den Richter am Oberlandesgericht
den Richter am Oberlandesgericht
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 5. Juni 2012 wird die mit Urteil des Landgerichts Saarbrücken — 11. Kleine Strafkammer — vom 29. Mai 2012 getroffene Kosten- und Auslagenentscheidung in Satz 1 dahingehend geändert, dass auch die Auslagen der Staatskasse zu 1/2 der Landeskasse auferlegt werden.
2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.
3. Die Kosten und Auslagen des Beschwerdeverfahrens werden dem Angeklagten mit der Maßgabe auferlegt, dass die Gebühr für das Beschwerdeverfahren um 1/3 ermäßigt wird und die Landeskasse 1/3 der insoweit entstandenen Verfahrens- auslagen (Auslagen der Staatskasse) und notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat.

Gründe:
Das Amtsgericht - Strafrichter - Saarbrücken hatte den Angeklagten mit Urteil vom 24. Januar 2012 wegen Diebstahls und versuchten Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Auf die unbeschränkte Berufung des Angeklagten hat die Strafkammer die gegen ihn verhängte Strafe unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils zur Bewährung ausgesetzt; die weitergehende Berufung des Angeklagten und die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat sie verworfen.

Zugleich hat die Kammer folgende Kosten- und Auslagenentscheidung getroffen:

Der Angeklagte trägt die Kosten seiner Berufung einschließlich der ihm entstandenen notwendigen Auslagen mit der Maßgabe, dass die Gebühr für die Berufungsinstanz um die Hälfte ermäßigt wird und in diesem Umfang die entsprechenden notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt werden. Die Landeskasse trägt die Kosten der Berufung der Staatsanwaltschaft einschließlich der dem Angeklagten durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen.

Die gegen das Urteil eingelegte Revision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom heutigen Tag gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

Mit Telefaxschreiben seiner Verteidigerin vom 5. Juni 2012, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat der Angeklagte sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung der Berufungskammer eingelegt. Er ist der Auffassung, dass ihm die Kosten für seine Wahlverteidigerin, jedenfalls aber diejenigen für seinen Pflichtverteidiger im Berufungsverfahren nicht hätten auferlegt werden dürfen.

Dem liegt folgender Geschehensablauf zugrunde: Mit Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 20. Mai 2011 wurde dem Beschwerdeführer Rechtsanwalt B. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils zeigte Rechtsanwältin J. mit Telefaxschreiben vom 30. Januar 2012 unter Beifügung einer Vollmacht die Verteidigung des Angeklagten an und beantragte die Beiordnung als Pflichtverteidigerin; zugleich legte sie Berufung gegen das Ur teil des Amtsgerichts ein. Nachdem Rechtsanwältin J. mit weiterem Telefaxschreiben vom 12. März 2012 an ihre Beiordnung erinnert und vorgetragen hatte, dass das Vertrauensverhältnis des Angeklagten zu dem Pflichtverteidiger stark gestört sei, lehnte die Strafkammer mit Beschluss vom 22. März 2012 eine Auswechselung des Pflichtverteidigers ab. Zur Begründung führte sie aus, dass ein wichtiger Grund zur Entpflichtung des beigeordneten Verteidigers weder vorgetragen noch ersichtlich sei und der Umstand, dass der Angeklagte nunmehr Rechtsanwältin J. beauftragt habe, nicht ausreichend sei, um allein unter diesem Aspekt einen Pflichtverteidigeraustausch, mit dem zusätzliche Kosten verbunden seien, vorzunehmen. Mit Telefaxschreiben vom 18. April 2012 teilte Rechtsanwältin J. mit, dass sie den Angeklagten als Wahlanwältin verteidige. In der Berufungshauptverhandlung erschienen sowohl der Pflichtverteidiger als auch die Wahlverteidigerin; eine Rücknahme der Bestellung des Pflichtverteidigers erfolgte nicht.

II.
1. Die gemäß § 464 Abs. 3 S. 1 HS 1 StPO statthafte und fristgerecht eingelegte (§ 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde ist zulässig.

Der Zulässigkeit steht insbesondere nicht § 304 Abs. 3 StPO entgegen. Der Beschwerdeführer wird vorliegend durch eine Kosten- und Auslagengrundentscheidung belastet, indem ihm die Kosten seines Rechtsmittels unter Ermäßigung der Gebühr für das Berufungsverfahren um die Hälfte und die Hälfte seiner notwendigen Auslagen auferlegt worden sind, wobei die Gebührenermäßigung bei verständiger Würdigung der Beschwerdebegründung nicht als angefochten anzusehen ist. Zu diesen Kosten und Auslagen ist neben der Hälfte der Gebühren und Auslagen der Wahlverteidigerin als notwendige Auslagen des Angeklagten (§ 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO) auch die Vergütung des für den Angeklagten bestellten Pflichtverteidigers als zu den Verfahrenskosten nach § 464 a Abs. 1 S. 1 StPO gehörende Auslage der Staatskasse zu rechnen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 464 a Rn. 1 m.w.N.). Im Hin blick darauf, dass in der angefochtenen Entscheidung die Auslagen der Staatskasse nicht ermäßigt und damit dem Beschwerdeführer in vollem Umfang überbürdet worden sind, betragen bereits die Gebühren für den Pflichtverteidiger 432,-- Euro (Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG und Terminsgebühr Nr. 4126 VV RVG i.H.v. jeweils 216,-- Euro) zzgl. 19 % MWSt und übersteigen daher den Grenzwert des Beschwerdegegenstandes von 200,-- Euro.

2. Das Rechtsmittel ist lediglich teilweise begründet.

a) Soweit die Strafkammer nach Teilverwerfung der Berufung des Angeklagten - neben der nicht angefochtenen Ermäßigung der Gebühr für das Berufungsverfahren um die Hälfte - die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zur Hälfte der Landeskasse auferlegt hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Die Entscheidung entspricht nämlich der gesetzlichen Regelung des § 473 Abs. 4 StPO. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht, wenn das Rechtsmittel teilweise Erfolg hat, die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten (§ 473 Abs. 4 S. StPO) und gilt dies entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten (§ 473 Abs. 4 S. 2 StPO).

Teilerfolg hat ein Rechtsmittel, wenn es nicht in vollem Umfang verworfen wird, viel- mehr nur zu einem nicht ganz unerheblichen Teil erfolglos bleibt, also - mit anderen Worten - ein nicht unerheblicher Teil des erstrebten Erfolgs erreicht wird (vgl. LR- Hilger, StPO, 26. Aufl., § 473 Rn. 25; KK-Gieg, StPO, 6. Aufl., § 473 Rn. 4, jeweils m.w.N.). Der Erfolg wird dabei nach herrschender, vom Senat geteilter Auffassung grundsätzlich durch einen Vergleich der angefochtenen Entscheidung und des Anfechtungsziels einerseits und den mit Hilfe des Rechtsmittels schließlich erreichten Ergebnissen andererseits ermittelt (KK-Gieg, a.a.O., m.w.N.). Mit seiner unbeschränkten Berufung hat der Angeklagte - wie sich aus seinen Anträgen in der Berufungshauptverhandlung ergibt - in erster Linie einen Freispruch erstrebt. Dieses Ziel hat er nicht erreicht. Allerdings hat die Strafkammer auf seine Berufung die Vollstreckung der von dem Amtsgericht verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Dass die Kammer das Gewicht dieses Erfolges in der Weise bewertet hat, dass sie nicht nur die Gebühr für das Berufungsverfahren um die Hälfte ermäßigt, sondern den Angeklagten auch von der Hälfte der ihm entstandenen notwendigen Auslagen entlastet hat, erscheint unter weiterer Berücksichtigung des Umstandes, dass die von dem Amtsgericht verhängte Strafe nicht gemildert wurde, keinesfalls unbillig.

b) Allerdings hat die Strafkammer es rechtsfehlerhaft unterlassen, in Anwendung des § 473 Abs. 4 S. 1 StPO und der von ihr vorgenommenen Gewichtung des Erfolges der Berufung des Angeklagten auch die Hälfte der Auslagen der Staatskasse, zu denen - wie dargelegt - auch die Vergütungsansprüche des Pflichtverteidigers zu zählen sind, der Landeskasse aufzuerlegen. Insoweit war die sofortige Beschwerde des Angeklagten daher begründet und die angefochtene Kosten- und Auslagenentscheidung vom Senat zu ändern.

c) Demgegenüber kam eine Überbürdung der weiteren Hälfte der Gebühren und Auslagen der Wahlverteidigerin bzw. zumindest der weiteren Hälfte der Kosten für den Pflichtverteidiger im Berufungsverfahren auf die Landeskasse nicht in Betracht.

Die Frage, ob unter den vorliegenden Umständen auch die jeweils zweite Hälfte der Gebühren und Auslagen der Wahlverteidigerin bzw. der Pflichtverteidigergebühr für das Berufungsverfahren der Landeskasse aufzuerlegen war, kann nicht im Rahmen der Billigkeitsentscheidung des § 473 Abs. 4 StPO über Auslagen bei Teilerfolg eines Rechtsmittels, sondern nur im Zusammenhang mit der Nichterhebung von Kosten wegen unrichtiger Sachbehandlung nach § 21 Abs. 1 GKG erörtert werden, was auch im Rahmen der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Kostengrundentscheidung zulässig ist (vgl. OLG Düsseldorf, JurBüro 1996, 655). Voraussetzung für eine Nichterhebung nach dieser Bestimmung wäre eine „unrichtige Sachbehandlung" durch das Gericht. Eine solche liegt aber nicht bei jedem gerichtlichen Fehlverhalten vor, sondern ist nur bei offensichtlichen schweren Verfahrensfehlern anzunehmen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl., § 21 GKG Rn. 10 m.w.N.). Ein derartiger Verfahrensfehler ist vorliegend mit Blick auf die nicht erfolgte Entpflichtung des Pflichtverteidigers nicht gegeben.

Zunächst ist ein Verfahrensfehler nicht darin zu sehen, dass die Strafkammer den Antrag auf Auswechselung des Pflichtverteidigers mit Beschluss vom 22. März 2012 zurückgewiesen hat. Zwar ist nach überwiegender, vom Senat geteilter Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur eine Auswechselung des Verteidigers ausnahmsweise auch ohne Vorliegen von Widerrufsgründen zulässig, wenn beide Verteidiger damit einverstanden sind, dadurch keine Verfahrensverzögerung eintritt und keine Mehrkosten entstehen (vgl. Senatsbeschluss vom 26. März 2009 - 1 Ws 54/09 -; OLG Oldenburg, NStZ-RR 2010, 210; OLG Brandenburg, StV 2001, 442; OLG Düsseldorf, StraFo 2007, 156; OLG Frankfurt, StV 2008, 128; Meyer-Goßner, a.a.O., § 143 Rn. 5 a m.w.N.) und gilt dies insbesondere bei einem Wechsel zwischen erster und zweiter Instanz (Meyer-Goßner, a.a.O.). Diese Voraussetzungen waren im Zeitpunkt der ablehnenden Entscheidung unabhängig von der Frage, ob die Kammer verpflichtet gewesen wäre, bei dem Pflichtverteidiger Nachfrage zu halten, ob er mit einer Auswechselung einverstanden sei, schon deshalb nicht gegeben, weil mit der Entpflichtung des Rechtsanwaltes B. und gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwältin J. zur Pflichtverteidigerin zumindest im Hinblick auf die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG Mehrkosten entstanden wären, auf deren Geltendmachung die Verteidigerin nicht verzichtet hat.

Die Strafkammer war aber auch nicht aufgrund des Schreibens der Rechtsanwältin J. vom 18. April 2012, mit dem sie mitteilte, den Angeklagten als Wahlanwältin zu verteidigen, gezwungen die Bestellung des Pflichtverteidigers gemäß § 143 StPO zurückzunehmen. Nach dieser Vorschrift ist die Bestellung des Pflichtverteidigers zurückzunehmen, wenn demnächst ein anderer Verteidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt, wovon vorliegend auszugehen ist. Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn ein unabweisbares Bedürfnis dafür besteht, den Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger tätig bleiben zu lassen, z.B. wenn zu befürchten ist, dass der Wahlverteidiger das Mandat alsbald wegen Mittellosigkeit des Angeklagten wieder niederlegen werde (KG, StV 2010, 63; OLG Düsseldorf, StV 1997, 576; Meyer-Goßner, a.a.O., § 143 Rn. 2 m.w.N.). Letzteres war hier der Fall. Nach den Feststellungen in dem amtsgerichtlichen Urteil musste die Strafkammer davon ausgehen, dass der Angeklagte in einem Schlachthof zur Einarbeitung auf 400 Euro-Basis beschäftigt war und ergänzend Arbeitslosengeld II bezog; zudem hatte er Schulden in Höhe von 8.000 bis 10.000 Euro. Aufgrund dieser Einkommens- und Vermögensverhältnisse war im Hinblick darauf, dass die Wahlverteidigerin bereits mit ihrer Verteidigungsanzeige einen Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidigerin gestellt hatte, konkret zu besorgen, dass sie das Wahlmandat nach Entpflichtung des Rechtsanwaltes B. niederlegen und erneut ihre Beiordnung beantragen werde. Das Schreiben der Rechtsanwältin J. vom 18. April 2012 steht dieser Beurteilung nicht entgegen, denn mit diesem Schreiben teilte sie lediglich die aktuelle Situation in Bezug auf das Verteidigungsverhältnis mit, nicht aber, dass sie das Mandat auch als Wahlmandat künftig fortführen werde.

Dass die Strafkammer die Bestellung des Pflichtverteidigers in der Berufungshauptverhandlung nicht zurückgenommen hat, nachdem sie erstmals von der Änderung der Einkommensverhältnisse des Angeklagten Kenntnis erlangt hat, stellt ungeachtet der Frage, ob hierin überhaupt ein Verfahrensfehler begründet liegt, jedenfalls keinen schweren Verfahrensfehler dar, zumal die Terminsgebühr nach Nr. 4126 VV RVG zu diesem Zeitpunkt aufgrund des Erscheinens des Pflichtverteidigers bereits zur Entstehung gelangt und eine Kostenreduzierung auf Seiten des Angeklagten daher nicht mehr zu erreichen war.

3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.

Einsender: RÄin L. Juharos, Trier

Anmerkung:


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