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RVG Entscheidungen

§ 51

Pauschgebühr, Wahlanwaltshöchstgebühr, Übergangsgeld

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Koblenz, Beschl. v. 21.12.2016 - 1 AR 105/16

Leitsatz: 1. Zur Bemessung der Pauschgebühr in einem außergewöhnlich umfangreichen Verfahren.
2. Die Wahlverteidigerhöchstgebühr bildet grundsätzlich die Obergrenze für die Bemessung einer Pauschgebühr. Sie kann nur in Ausnahmefällen überschritten werden.


1 AR 105/16
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ
BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung u.a.
hier: Antrag-des Rechtsanwalts pp. als bestellter Verteidiger des Angeklagten pp. auf Bewilligung einer Pauschvergütung gemäß § 51 Abs. 1 RVG
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht am 21. Dezember 2016 beschlossen:

Rechtsanwalt pp. wird - unter Zurückweisung seines weitergehenden Antrags - für seine gesamte Tätigkeit als bestellter Verteidiger des Angeklagten pp. eine an die Stelle der gesetzlichen Gebühren tretende Pauschvergütung im Höhe von 349.150 € zzgl. Mehrwertsteuer bewilligt.
Auslagen werden gesondert erstattet.

Gründe:
1. Dem Antragsteller ist anstelle der für seine Tätigkeit im Verfahren vor der 12. Großen Strafkammer — Staatsschutzkammer — des Landgerichts Koblenz angefallenen Regelgebühren für bestellte Verteidiger eine Pauschvergütung in der tenorierten Höhe zu bewilligen. Das Verfahren gegen den von dem Antragsteller verteidigten Angeklagten ist durch Beschluss vom 13. Oktober 2016 eingestellt worden (BI. 1826 ff. KH). Eingereicht wurde der Antrag von Rechtsanwalt pp. durch die AnwVS (BL 1820 K1-1); an die Rechtsanwalt pp. seine Gebührenansprüche abgetreten hat.

a) Die Voraussetzungen des § 51 RVG liegen angesichts des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit des zugrunde liegenden Verfahrens vor. Im Hinblick auf den Umfang der Akte (45 Bände Sachakten, 26 Bände TKÜ-Ordner, 8 Sonderhefte, 52 Fallakten, 26 Personenakten mit Unterbänden, zahlreiche elektronische Datensätze, 988 Seiten Anklageschrift); den notwendigen Einarbeitungsaufwand, die Dauer der seit August 2012 — für den Antragsteller bis Anfang Oktober 2015 — laufenden Hauptverhandlung, die Terminierungsdichte mit zwei bis vier — zuletzt regelmäßig drei — Verhandlungstagen pro Woche, die Dauer und Schwierigkeit der Hauptverhandlungstermine mit ursprünglich 26 Angeklagten mit jeweils zwei Verteidigern, den erhöhten Abstimmungsbedarf unter den Verteidigern, den Besprechungsaufwand in und außerhalb der Hauptverhandlung, die erhöhten rechtlichen Schwierigkeiten in der Bearbeitung von Staatsschutzsachen und die Höhe des mit der Verfahrensbearbeitung verbundenen Verdienstausfalles steht außer Frage, dass eine Pauschvergütung zu bewilligen ist (vgl. etwa Senatsbeschlüsse — jeweils Einzelrichter — vom 11. Juni 2014 — 1 AR 17/14, vom 8. Oktober 2014 — 1 AR 26/14, vom 18. Mai 2016 — 1 AR 13/16 und vom am 1. August 2016 -1 AR 24/16).

b) Was die Höhe der zu bewilligenden Pauschvergütung betrifft, ist hinsichtlich der verschiedenen Verfahrensabschnitte zu differenzieren (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 23. Juni 2015 [Senat] -III-3 AR 65/14-[juris] - Rpfleger 2015, 668 und vom 17. Dezember 2015 [Einzelrichter] - III-3 AR 214/15 [juris]), wobei aber in einer Gesamtschau zu prüfen ist, ob die dem Verteidiger für seine Tätigkeit im gesamten Verfahren gewährte Regelvergütung insgesamt noch zumutbar ist oder ob ihm wegen besonderer Schwierigkeiten in einem Verfahrensabschnitt mit der dafür vorgesehenen Gebühr ein ungerechtfertigtes Sonderopfer abverlangt wird (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Mai 2016 — 1 AR 13/16; KG, Beschluss vom 2. Oktober 2015 — 1 ARs 26/13 [juris] — Rpfleger 2016, 133 ff.).

aa) Ein mit den Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis nicht angemessen abgegoltenes Schwergewicht der Arbeit des Antragstellers lag hier in der erstmaligen Einarbeitung in die Ermittlungsakten, die im Vergleich zu einem „normalen Rechtsfall" i. S. d. Nr. 4100 VV sich als weit überdurchschnittlich umfangreich erwiesen. Allein der immense Aktenumfang in. diesem außergewöhnlichen Verfahren erforderte objektiv einen hohen Zeitaufwand für die Einarbeitung in das Verfahren und die Vorbereitung der Verteidigungsstrategie, dessen Vergütung mit den Pflichtverteidigergebühren von 162 € (Grundgebühr) und 137 € (Verfahrensgebühr) ersichtlich für den Antragsteller unzumutbar ist (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall auch BVerfG NJW 2011, 3079 Rdn. 25 ff. nach juris). Das Hundertfache der (um den Haftzuschlag erhöhten) Grundgebühr nach altem Recht erscheint wegen des ungewöhnlichen Aktenumfangs vor Beginn der Hauptverhandlung hier angemessen.

bb) Bei der Bemessung der Terminsgebühr ist der Senat von folgenden Grundsätzen ausgegangen:

(1) Nach der ständigen Senatsrechtsprechung ist regelmäßig die Wahlverteidigerhöchstgebühr als Maßstab für die Bemessung der Pauschgebühr heranzuziehen. Sie bildet grundsätzlich die Obergrenze (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2011 —1 AR 31/11 sowie OLG Nürnberg, Beschluss vom 30. Dezember 2014 — 2 AR 36/14 [juris]). Nur in Ausnahmefällen kann die Wahlverteidigerhöchstgebühr überschritten werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. März 2011 — 1 AR 3/11; vom 15. März 2010 — 1 AR 8/10 Str. und 23. März 2010 — 1 AR 9/10 Str.).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. In Strafsachen, die die Arbeitskraft des Pflichtverteidigers für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, gewinnt die Höhe des Entgelts für den Pflichtverteidiger existenzielle Bedeutung. Für solche besonderen Fallkonstellationen gebietet das Grundrecht des Pflichtverteidigers auf freie Berufsausübung eine Regelung, die sicherstellt, dass ihm die Verteidigung kein unzumutbares Opfer abverlangt_ Dieses Ziel stellt § 51 Abs. 1 RVG sicher (vgl. BVerfGE 68, 237, 255; BVerfG NJW 2007, 3420 m. w. N.). Für die Frage, ob die vom Antragsteller entfaltete Tätigkeit wegen ausschließlicher oder fast ausschließlicher Inanspruchnahme für den Pflichtverteidiger von existenzieller Bedeutung ist, kann die Anzahl der Hauptverhandlungstage gerade bei Großverfahren ein wichtiges Kriterium für die Frage der Pauschvergütung darstellen. Gleichzeitig muss aber neben der Dauer der einzelnen Verhandlungstage vor allem die Dichte der Terminierung berücksichtigt werden - und zwar mit Blick auf die hiervon abhängenden Möglichkeiten des Pflichtverteidigers zum Engagement in anderen Mandaten. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Unter Abwägung aller dieser Umstände hält der Senat eine Pauschvergütung von 1,25 der Wahlverteidigerhöchstgebühr für jeden der wahrgenommenen Hauptverhandlungstermine, insgesamt 302, für angemessen. Hinsichtlich der kurzfristig ausgefallenen 22 Termine wäre nach der gesetzlichen Regel (Anlage 1 zum RVG, Vorbemerkung 4 Abs. 3) an sich keine Kompensation geboten. Dieser Regel liegt die Annahme zugrunde, dass die mit dem Ausfall eines gerichtlichen Termins gewonnene. Zeit für eine anderweitige, nicht termingebundene anwaltliche Tätigkeit, wie sie in jeder Anwaltskanzlei anfällt, genutzt werden kann. Es wird allerdings nicht übersehen, dass dies nur eingeschränkt gilt, wenn die Belastung durch ein einziges Verfahren einen normalen Kanzleibetrieb nur mit Einschränkungen zulässt. Deshalb hat der Senat pauschal hierfür 200 € pro Tag angesetzt sowie ein „Übergangsgeld" in Höhe von 5.000 festgesetzt.

3. Gesamtschauend ist die festgesetzte Pauschvergütung von 349.150 €, die sich aus folgenden Einzelpositionen zusammensetzt:

37.500,00 € - 100-fache der Grundgebühr von 375 €
263.250,00 € - 270 x 780 € x 1,25 Terminsgebühr
39.000,00 € - 32 x 975 x 1,25 Terminsgebühr
4.400,00 € - 22 x 200 €
5.000,00 € - Pauschalbetrag

geeignet, die mit dem Verfahren verbundene Erschwernisse der Verteidigung angemessen auszugleichen.

Bereits ausgezahlte Pflichtverteidigergebühren und Vorschüsse auf die Pauschvergütung sind anzurechnen.


Einsender: RA G. Herzogenrath-Amelung, Alteglofsheim

Anmerkung:


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