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RVG Entscheidungen

§ 51

Pauschgebühr, besondere Schwierigkeit, Zumutbarkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG München, Beschl. v. 02.06.2017 - 8 St (K) 1/17

Leitsatz: 1. Staatsschutzsachen sind nicht generell „besonders schwierig“ i.S. des § 51 Abs. 1 RVG
2. Zum Begriff der Zumutbarkeit i.S. des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN
8 St (K) 1/17
Beschluss
Der 8. Strafsenat des Oberlandesgerichts München hat am 02. Juni 2017 durch Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter
In dem Strafverfahren gegen pp. u.a. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung u.a.
hier: Antrag des Verteidigers Rechtsanwalt pp. auf Bewilligung einer Pauschgebühr
beschlossen:
Der Antrag des Rechtsanwalts pp. auf Bewilligung einer Pauschgebühr wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Der Antragsteller war ab 23.09.2015 infolge Vertretungsanzeige und gemäß Vollmachtsurkunde vom selben Tag Wahlverteidiger der inzwischen rechtskräftig verurteilten pp.. Mit Verfügung vom 20.01.2016 wurde er - unter Aufhebung der Beiordnung des bisherigen Pflichtverteidigers Rechtsanwalt pp. - zum Pflichtverteidiger bestellt. Weiterer Pflichtverteidiger war infolge Verfügung vom 01.03,2016 Rechtsanwalt pp..

Mit Schreiben vom 20.04.2017 beantragte Rechtsanwalt pp. gemäß § 51 Abs. 1 RVG eine Pauschgebühr für das Verfahren bis zur Hauptverhandlung von 15.360 € (netto) und für das Hauptverfahren von mindestens 34.332,75 (netto) jeweils nach Abzug der bereits festgesetzten bzw. ausbezahlten Pflichtverteidigergebühren

In einem vorangegangenen — zurückgewiesenen - Antrag auf Bewilligung eines Vorschusses auf eine zu gewährende Pauschgebühr hatte er ausgeführt, dass für das Verfahren bis zur Hauptverhandlung eine Pauschgebühr von 3000 € (netto) zu bewilligen und für jeden Hauptverhandlungstag die Wahlverteidigerhöchstgebühr von 1.162,50 € angemessen sei.

Die Bezirksrevisorin wurde angehört; dem Antragsteller wurde Gelegenheit zur Stellungnahme hierauf gegeben.

II. Eine Pauschgebühr kann nicht bewilligt werden.

A. Der Senat entscheidet durch den Einzelrichter, da eine — beantragte - Vorlage an den Senat nur zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in Betracht kommt und weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, inwieweit diese durch die vorliegende Einzelfallentscheidung berührt ist.

B.
Eine Pauschgebühr kann nur gewährt werden, wenn das Verfahren besonders umfangreich oder schwierig ist und zudem die verfassungsrechtlich zumutbare Grenze eines Sonderopfers infolge der Heranziehung als Pflichtverteidiger überschritten wird. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt dabei die Ausnahme dar; die anwaltliche Mühewaltung muss sich von sonstigen - auch überdurchschnittlichen Sachen - in exorbitanter Weise abheben (BGH 4 StR 73/10 Beschluss vom 11.02.2014 Rdn, 5 zit. nach juris). Dies ist nicht der Fall.

Hinzu kommt, dass nicht lediglich eine isolierte Betrachtung der Gebühren für einen Verfahrensabschnitt vorzunehmen ist. Die Pauschgebühr für eine anwaltliche Tätigkeit in einem Verfahrensabschnitt muss in Relation zu der gesamten Tätigkeit im Verfahren und den gesamten Gebühren des Pflichtverteidigers gesehen werden (OLG Hamm, Beschluss vom 28. Dezember 2016 —111-5 RVGs 79/16 Rdn. 8 zit. nach juris).

Hiernach kam die Bewilligung einer Pauschgebühr nicht in Betracht.

a) Besonderer Umfang
Zutreffend ist, dass das Verfahren umfangreich war, insbesondere aufgrund der in den Akten enthaltenen vielfältigen Kommunikationsinhalte der Angeklagten und früherer Mitbeschuldigter; ein besonderer Umfang lag jedoch nicht vor.

Eine gewisse Kompensation des Umfangs wird bereits durch die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers bewirkt (Burhoff RVG in Straf- und Bußgeldsachen 4. A § 51 Rdn. 162). Der Antragsteller hatte selbst — vor Entpflichtung des RA pp. — seine eigene Beiordnung als zweiter Pflichtverteidiger im Hinblick auf den Umfang beantragt. Von einer arbeitsteiligen Vorgehensweise ist, wie sich auch hinsichtlich der Schlussvorträge der beiden Pflichtverteidiger der Angeklagten pp. und der Antragstellung in der Hauptverhandlung gezeigt hat, somit auszugehen.

Ebenso wenig verfängt der Verweis des Antragstellers auf die Entscheidung des OLG Koblenz v. 21.12.2016 1 AR 105/16. Wie sich schon aus dem vom Antragsteller zitierten Beschlussinhalt ergibt, betrug der Aktenumfang für die erstmalige Einarbeitung dort etwa das Dreifache des Aktenbestandes im hiesigen Verfahren Hinzu kommen weitere Umstände, die sich in dem Beschluss wiederfinden, etwa dass anders als vorliegend mit lediglich 4 Angeklagten es dort um 26 Angeklagte ging (OLG Koblenz aa0 Rdn. 2 zit. nach juris). Soweit zudem der Berichterstattung über den dort gegenständlichen Strafprozess - und insofern allgemeinkundig - zu entnehmen ist, war neben dem eigentlichen Organisationsdelikt anders als vorliegend eine Vielzahl von Delikten im Rahmen der Betätigung der Organisation in wechselnder Zusammensetzung der Angeklagten verfahrensgegenständlich, was zu einer im Gegensatz zum hiesigen Verfahren deutlich erhöhten Komplexität führte. Soweit der Antragsteller im Hinblick auf den Aktenumfang auch auf Beiakten von früheren Mitbeschuldigten abstellt, hat der Senat diese nicht beigezogen, sondern die Verteidiger haben insoweit Akteneinsicht durch die Bundesanwaltschaft erhalten. Eine Berücksichtigung dieser Aktenteile soweit sie nicht ohnehin bis zur Abtrennung teilidentisch mit den hiesigen Verfahrensakten waren — beim Umfang des gegenständlichen Verfahrens kommt daher nicht in Betracht.

b) Besondere Schwierigkeit

Eine besondere Schwierigkeit i.S.d. § 51 Abs. 1 RVG lag nicht vor.

Der Schwierigkeitsgrad einer Staatsschutzsache ist zumindest im Grundsatz bereits durch die erhöhten Verfahrens- und Terminsgebühren für Verfahren im ersten Rechtszug vor den Oberlandesgerichten berücksichtigt (Burhoff aaO Rdn. 39 bezogen auf die ebenfalls von VV RVG 4118 erfassten Schwurgerichtssachen und Wirtschaftsstrafsachen), ebenso wie die sogenannten Haftzuschläge bei der inhaftierten Mandantin eine gewisse Kompensation des hierdurch erhöhten Aufwandes intendieren. Besondere Umstände, die in Staatsschutzsachen oftmals anzutreffen sind und deren Schwierigkeit deutlich erhöhen — etwa lange oder lange zurückliegende Tatzeiträume, eine Vielzahl an Taten, die Notwendigkeit der Beiziehung von Dolmetschern aufgrund sprachunkundiger Angeklagter oder fremdsprachiger Beweismittel sowie Auslandssachverhalte — waren nicht gegeben.

Soweit der Antragsteller auf BayObLG 6 St 006/04 v. 17.11.2005 (abrufbar unter http:/Jwww.burhoff.dejburhoff/rvginhalte/138.htm) verweist und wie Burhoff aao Rdn. 38 - behauptet, dort werde postuliert, Staatsschutzsachen seien generell als besonders schwierig anzusehen, ist dies unzutreffend. Vielmehr führt das BayObLG dort aus, dass „das Strafverfahren (...) auch unter Berücksichtigung der üblichen Problematik von Staatsschutzsachen, was insoweit bereits in der Anhebung der gesetzlichen Gebühren berücksichtigt ist, besonders schwierig und umfangreich" gewesen sei. Das BayObLG geht also mitnichten von einer generellen besonderen Schwierigkeit i.S.d. § 51 Abs. 1 RVG aus, sondern davon, dass grundsätzlich die erhöhten Gebührenrahmen ausreichen und es setzt sich, wie auch die weiteren Entscheidungsgründe ergeben, sodann mit den konkreten verfahrensbezogenen Besonderheiten (Aktenumfang, Einarbeitung während laufender Hauptverhandlung, Parallelverfahren u.a.) auseinander und stützt nur auf diese die besondere Schwierigkeit und den besonderen Umfang.

Eine derartige Betrachtung von Staatsschutzsachen als generell „besonders schwierig" i.S.d. § 51 Abs. 1 RVG wäre auch kaum mit der gesetzlichen Regelung in § 122 Abs. 2 5. 2 GVG vereinbar, wonach bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht nur bei Umfang oder Schwierigkeit in der Besetzung mit 5 Richtern verhandelt wird, Bereits nach der Logik des GVG gibt es also erstinstanzliche Verfahren vor dem Oberlandesgericht, die weder umfangreich noch schwierig sind oder aber nur eines von beiden, wie auch zahlreiche Staatsschutzverfahren vor verschiedenen Oberlandesgerichten belegen, die in der Besetzung mit drei Richtern verhandelt wurden und werden.

Soweit der Antragsteller geltend macht, der Senat habe selbst im Nichtabhilfebeschluss vom 08.12.2016 festgestellt, das Verfahren sei schwierig, ist dies unerheblich. Denn eine Pauschgebühr setzt nach dem klaren Wortlaut des § 51 Abs.1 RVG nicht nur die Schwierigkeit der Sache, sondern eine besondere Schwierigkeit voraus. Eine solche hat der Senat aber nicht in dem Beschluss vom 08.12.2016 behauptet.

c) Soweit der Verteidiger lange Wegstrecken und Reisezeiten hinsichtlich des ihn treffenden zeitlichen Aufwandes heranzieht, sind diese grundsätzlich bei der Entscheidung, ob überhaupt eine Pauschgebühr zu bewilligen ist, nicht zu berücksichtigen (s. Burhoff aa0 Rdn. 134 f. mwN; nunmehr auch BGH Beschluss vom 01.06.2015 - 4 StR 267/11 Rdn. 6 zit. nach juris). Ebenso unerheblich ist es, dass der Verteidiger bei Mandatsannahme — also offenbar bereits als Wahlverteidiger — davon ausging, es werde eine Hauptverhandlung in Dresden stattfinden.

d) Schließlich ist Voraussetzung für die Bewilligung einer Pauschvergütung, dass dem Pflichtverteidiger infolge ausschließlicher oder fast ausschließlicher Inanspruchnahme durch das Mandat ein unzumutbares Opfer auferlegt wird (BVerfG Beschluss vom 20.03.2007 2 BvR 51/07 Rdn. 3 zit. nach juris), was hier jedoch nicht der Fall ist.

Die gesetzlichen Gebühren sind für den Verteidiger in der Regel zumutbar. Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Dass der Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers unter den Rahmengebühren des Wahlverteidigers liegt, ist durch einen gemeinwohlorientierten Interessenausgleich gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit für den Pflichtverteidiger gewahrt ist. Dabei ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die Bewilligung einer Pauschgebühr nicht nur von besonderen Schwierigkeiten oder einem besonderen Umfang des Verfahrens abhängig zu machen, sondern zusätzlich die Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren vorauszusetzen (BVerfG aaO Rdn. 5 zit. nach juris). Die Bewilligung einer Pauschvergütung ist daher die Ausnahme, die bei besonders umfangreichen und schwierigen Verfahren unzumutbare Sonderopfer des beigeordneten Rechtsanwalts vermeiden soll. Unzumutbar ist die Versagung einer Pauschvergütung insbesondere dann, wenn der beigeordnete Rechtsanwalt dadurch eine wirtschaftliche Existenzgefährdung erleiden würde (BVerfG Beschluss v. 01.06.2011 1 BvR 3171/10 Rdn. 39 zit. nach juris).

Dass der Antragsteller durch das vorliegende Verfahren in dieser erheblichen Weise wirtschaftlich beeinträchtigt ist, ist nicht hinreichend dargetan. Es kann dahinstehen, ob dem OLG Düsseldorf (Beschluss vom 05.08.2015 111-3 AR 4/15 Rdn. 8 zit. nach juris) zu folgen ist, wonach eine jeweils an drei Tagen pro Woche über mehr als einen Monat hinweg stattfindende Hauptverhandlung erforderlich ist, was vorliegend nicht der Fall war, da der Durchschnitt bei knapp einem Tag/Woche lag. Jedenfalls ist eine fast ausschließliche Inanspruchnahme bei dieser Terminierung mit regelmäßig nicht mehr als zwei Tagen pro Woche und mit längeren — schon bei der Terminierung für die Verteidiger erkennbaren und somit planbaren Sitzungspausen im Mai und August 2016 nicht gegeben.

Dass die Übernahme und Wahrnehmung weiterer Mandate bis zum Beginn der Hauptverhandlung und im Anschluss hieran nicht möglich war oder gewesen wäre, ist nicht näher dargetan. Die Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren erfordert, worauf der Antragsteller schon bei seinem Antrag auf Bewilligung eines Vorschusses sowie im Rahmen seiner Gegenvorstellung und nunmehr nochmals durch den Bezirksrevisor in der Stellungnahme vom 02.05.2017 hingewiesen wurde, eine konkrete Darlegung der Beeinträchtigungen des Kanzleibetriebes und der Einnahmesituation.

Eine solche schwerwiegende Beeinträchtigung des Kanzleibetriebes ist nicht erkennbar. Der Antragsteller hat ersichtlich neben der hiesigen Hauptverhandlung nach seinem Vorbringen mindestens ein Mandat in einem Umfangsverfahren in Dresden geführt und dabei wegen Terminskollisionen im dortigen Verfahren etwa jeweils einen (Mai, Juni, Juli) bzw. jeweils zwei (September, Oktober, November) Termine pro Monat nicht wahrnehmen können. Die Verhinderung an lediglich neun kollidierenden Hauptverhandlungsterminen — bei bis 17.11.2016 laut Presseberichten rund 70 Hauptverhandlungstagen des sogenannten „lnfinus"-Prozesses - belegt jedoch nicht, dass weitere auch umfangreiche Mandate nicht oder nicht ausreichend bearbeitet werden konnten, zumal der Antragsteller auch im hiesigen Verfahren an sechs Terminen entweder nicht teilgenommen oder aber vorzeitig die Teilnahme beendet hat.
Ungeachtet der fehlenden Darlegung zu den Beeinträchtigungen der Einnahmesituation durch das vorliegende Mandat ergibt sich bei (notwendigerweise überschlägiger) Berechnung zu den zeitlichen Beeinträchtigungen Folgendes:

Ausgehend von im Antrag dargelegten Zeitaufwand von 20 Arbeitstagen für die vollständige Einarbeitung im Vorverfahren (hier berechnet mit 8 Stunden/Tag) = 160 Stunden, 6 Besuchen mit einer Dauer von 1-2 Stunden bei der inhaftierten Angeklagten, aufgerundet auf je 2 Stunden = 12 Stunden einer Gesamtdauer der Hauptverhandlungstermine von aufgerundet 145 Stunden (einschließlich der Termine, an denen der Antragsteller gar nicht oder nur zeitweise anwesend war) sowie einem Aufschlag in gleicher Höhe der Terminsdauer für die etwaige Vor- und Nachbereitung der Termine, also weiteren 145 Stunden resultiert aus der Addition dieser Zeiten ein Aufwand (ohne Reisezeiten) von 462 Stunden. Berechnet man die zeitliche Inanspruchnahme durch das Mandat, so ergibt sich ab Mandatsübernahme am 23.09.2015 bis Urteilsverkündung am 15.03.2017, also bei knapp 18 Monaten anwaltlicher Tätigkeit, ein Durchschnitt von 462 h/18 Monate = 25,5 h/Monat durch das vorliegende Verfahren. Die Arbeitskraft des Antragstellers war daher weder überwiegend noch im Wesentlichen durch das vorliegende Verfahren in Anspruch genommen.


Einsender: RA Dr. D. Herrmann, Augsburg

Anmerkung:


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