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RVG Entscheidungen

§ 48

Pflichtverteidiger, Umbeiordnung, Mehrkosten

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Braunschweig, Beschl. v. 03.09.2020 - 4 Qs 180/20

Leitsatz: Auch nach neuem Recht kommt eine Umbeiordnung unter der Voraussetzung, dass für die Staatskasse keine Mehrkosten entstehen, nur in Betracht, wenn der neue Pflichtverteidiger ggf. einen Verzicht auf beim alten Pflichtverteidiger bereits entstandene Gebühren erklärt hat.


Landgericht Braunschweig

Beschluss

4 Qs 180/20

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:
Rechtsanwalt Jan-Robert Funck, Schleinitzstr.14, 38106 Braunschweig

wegen besonders schweren Fall des Diebstahls

hat das Landgericht Braunschweig durch den Richter am Landgericht, die Richterin und die Richterin am Landgericht am 03.09.2020 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Salzgitter vom 25.08.2020 insoweit aufgehoben, als dass das Amtsgericht bestimmt hat, dass durch den Pflichtverteidigerwechsel ein Anspruch auf bereits entstandene Verteidigerkosten nicht besteht.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit notwendigen Auslagen des Angeschuldigten fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig legt denn Beschwerdeführer mit Anklageschrift vom 08.05.2020 einen gemeinschaftlichen Diebstahl im besonders schweren Fall zur Last. Mit Verfügung vom 18.06.2020 hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig auf Anregung des Amtsgerichts Salzgitter — Strafrichterin — beantragt, dem Beschwerdeführer sowie dem weiteren Angeschuldigten pp. einen Pflichtverteidiger beizuordnen. Mit Verfügung vom 26.06.2020 hat das Amtsgericht Salzgitter den Beschwerdeführer hinsichtlich einer erwogenen Pflichtverteidigerbestellung angehört und mitgeteilt, dass das Gericht einen Rechtsanwalt auswählen würde, wenn der Beschwerdeführer nicht binnen einer Woche einen Rechtsanwalt bezeichne.

Mit Beschluss vom 20.07.2020 hat das Amtsgericht Salzgitter dem Beschwerdeführer Rechtsanwalt H als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Mit Schreiben vom 03.07.2020 hat der Beschwerdeführer gegenüber der Staatsanwaltschaft Braunschweig die Beiordnung von Rechtsanwalt F. als Pflichtverteidiger beantragt.

Nach Anhörung von Rechtsanwalt H. hat dieser mit Schriftsatz vom 29.07.2020 mitgeteilt, einer Entpflichtung nicht entgegen zu treten, sofern ihm die Grundgebühr, die Verfahrensgebühr, Post- und Telekommunikationsentgelt, Fotokopiekosten und die Umsatzsteuer auf die Vergütung zustehe.

Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft Braunschweig, die dem Pflichtverteidigerwechsel nicht entgegengetreten ist, hat das Amtsgericht Salzgitter mit Beschluss vom 25.08.2020 die Bestellung von Rechtsanwalt H. als Pflichtverteidiger aufgehoben und dem Beschwerdeführer Herrn Rechtsanwalt F. als neuen Pflichtverteidiger bestellt. Zugleich hat es tenoriert, dass ein Anspruch auf die entstandenen Verteidigerkosten nicht bestehe. Auf den aus Bl. 114f. d.A. ersichtlichen Beschluss wird Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 27.08.2020, bei dem Amtsgericht Salzgitter eingegangen per Fax am selben Tag. Zur Begründung führt der Beschwerdeführer aus, dass sich die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss insoweit richte, als darin eine Einschränkung der Gebühren bzw. ein erzwungener Gebührenverzicht zu Lasten des Verteidigers des Beschwerdeführers normiert sei. Eine derartige Beschränkung sei nur zulässig, wenn der Verteidiger zuvor einen entsprechenden Verzicht auf diese Gebühren erklärt hätte, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Auf die Beschwerdebegründung (BI. 120 d.A.) wird Bezug genommen.

Die nach § 143a Abs. 4 StPO statthafte und zulässige, insbesondere innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO erhobene sofortige Beschwerde ist begründet. Die angegriffene gerichtliche Bestimmung, dass für den Verteidiger des Beschwerdeführers ein Anspruch auf die bereits entstandenen Verteidigerkosten nicht besteht, findet keine Stütze im Gesetz und ist daher aufzuheben.

Der Wechsel des Pflichtverteidigers ist nunmehr seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 10.12.2018 (BGBl. I S. 2128) gesetzlich in § 143a StPO geregelt. Der hiesige Fall des einverständlichen Pflichtverteidigerwechsels wurde durch das genannte Gesetz zwar nicht explizit geregelt, soll aber nach den von der Rechtsprechung entwickelten Maßgaben weiterhin möglich sein (vgl. BT-Drucks. 19/13829, 47).

Nach den gesetzlichen Maßgaben ist dem Wunsch des Beschuldigten auf Wechsel des Pflichtverteidigers nachzukommen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist und durch die Bestellung des neuen Verteidigers weder eine Verfahrensverzögerung noch Mehrkosten für die Staatskasse verursacht werden (OLG Stuttgart BeckRS 2017, 130397; KG NStZ 2017, 305; 1993, 201; OLG Saarbrücken BeckRS 2016, 18697; OLG Karlsruhe NStZ 2016, 305; OLG Braunschweig BeckRS 2015, 15078; OLG Oldenburg NStZ-RR 2010, 210; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2008, 47; StV 2008, 128; OLG Braunschweig StraFo 2008, 428; NJW 2005, 377; OLG Brandenburg NStZ-RR 2009, 64; OLG Düsseldorf StraFo 2007, 156). Der Begriff der Mehrkosten erfasst nur solche Gebührenpositionen, die durch eine neue Bestellung doppelt entstehen würden (Grund- und Verfahrensgebühr), nicht dagegen Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder (vgl. OLG Celle BeckRS 2019, 7185). Die erforderliche Kostenneutralität ist gewahrt, wenn der neue Verteidiger auf die bisher für die Pflichtverteidigung angefallenen Gebühren (Grund- und Verfahrensgebühr) verzichtet (vgl. Krawczyk, BeckOK StPO, 37. Edition, Stand: 01.07.2020, § 143a StPO, Rn. 33ff. m.w.N.).

Diesen Voraussetzungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht, sodass sie keinen Bestand haben kann. Einen Verzicht auf die bereits Rechtsanwalt H. entstandenen Gebühren hat der Verteidiger des Beschwerdeführers nicht erklärt; er wurde diesbezüglich auch nicht durch das Amtsgericht angehört.

Eine gerichtliche Kompetenz, die Gebühren des neuen Pflichtverteidigers nach Pflichtverteidigerwechsel zu begrenzen, besteht nicht. Vorliegend wäre das Amtsgericht gehalten gewesen, vor der Entscheidung über den Pflichtverteidigerwechsel eine Stellungnahme von Rechtsanwalt F. im Hinblick auf die Kostenneutralität des Pflichtverteidigerwechsels einzuholen und für den Fall, dass dieser auf die Grund- und Verfahrensgebühr nicht verzichten würde, den Pflichtverteidigerwechsel zu versagen, da die Voraussetzungen des § 143a Abs. 2 StPO nicht erkennbar vorlagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.


Einsender: RA J. R. Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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