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RVG Entscheidungen

§ 48

Erstreckung, Zeitpunkt, nachträgliche Erstreckung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Leipzig, Beschl. v. 19.01.2021 - 13 Qs 8/21

Leitsatz: Eine Erstreckung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG kann auch noch nachträglich beantragt und ausgesprochen werden.


13 Qs 8/21

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger: Rechtsanwalt Andreas Michl, Freiherr-vom-Stein-Promenade 5, 04758 Oschatz

wegen Unerlaubtem Handeltreiben, Herstellen, Abgeben oder Besitz von BtM in nicht geringer Menge

hier: sofortige Beschwerde des Rechtsanwaltes pp.

hier: Erstreckung der Pflichtverteidigung

hat die 13. Strafkammer am 19.01.2021 wie folgt erkannt:

1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt pp., wird der Beschluss des Amtsgerichts Torgau vom 15.12.2020 aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass sich die in dem Verfahren 4 Ls 950 Js 55313/19 erfolgte Beiordnung als Pflichtverteidiger auch auf das Verfahren 4 Ls 108 Js 36754/19 gemäß § 48 Abs. 6 S. 3 RVG erstreckt.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

Bei dem Amtsgericht Torgau waren gegen den Angeklagten pp. (zunächst) zwei Verfahren anhängig.

a) Unter dem Az.: 108 Js 36754/19 hat die Staatsanwaltschaft Leipzig am 28.08.2019 Anklage zu dem Amtsgericht Torgau - Schöffengericht - erhoben, wobei dem Angeklagten Pp. unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last gelegt wurde.

Im Rahmen der Anklageerhebung hatte die Staatsanwaltschaft beantragt, dem Angeklagten den Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger beizuordnen. Der Beschwerdeführer hatte sich in dem Verfahren als Wahlverteidiger angezeigt und keinen Beiordnungsantrag gestellt.

b) Unter dem Az.: 950 Js 55313/19 hat die Staatsanwaltschaft Leipzig am 29.10.2019 Anklage gegen Pp. wegen des Vorwurfs des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und vorsätzliche Körperverletzung in jeweils zwei tateinheitlichen Fällen erhoben.

Im Rahmen des Rubrums war als (Wahl-)Verteidiger der Beschwerdeführer angegeben, der im Schriftsatz vom 13.05.2019 angezeigt hatte, dass er die Verteidigung des Angeklagten übernommen habe.

Im Rahmen der Klageerhebung beantragte die Staatsanwaltschaft u.a. dieses Verfahren mit dem Verfahren 108 Js 36754/19 zu verbinden.

Ein Antrag hinsichtlich einer möglichen Beiordnung als Pflichtverteidiger ist nicht erfolgt.

Diese Anklage ging am 04.11.2019 beim Amtsgericht Torgau ein.

Bereits am 06.11.2019 bestellte das Amtsgericht Torgau dem Angeklagten Pp. den Beschwerdeführer gemäß § 140 Abs 2 StPO als Verteidiger und ordnete die Zustellung der Anklage an den Beschwerdeführer an, wobei u.a. mitgeteilt wurde, dass das Gericht beabsichtige, das Verfahren mit dem hier ebenfalls anhängigen Verfahren 4 Ls 108 Js 36754/19 hinzuzuverbinden und sodann beide Verfahren zum bereits anberaumten Termin am 12.12.2019 zu verhandeln.

Durch Beschluss vom 21.11.2019 wurden die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung ohne Entscheidung verbunden, wobei das Verfahren 4 Ls 108 Js 36754/19 führt. Im Rahmen der am 12.12.2019 durchgeführten Hauptverhandlung wurde der Angeklagte Pp. wie folgt verurteilt:

„1. Der Angeklagte ist schuldig des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in zwei tat-einheitlichen Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen.
2. Er wird deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt.
3. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt."

Hinsichtlich des Vorwurfes aus der Anklage vom 28.08.2019 (Az.: 108 Js 36754/19) wurde eine Einzelstrafe von einem Jahr und neun Monaten ausgeworfen.

Hinsichtlich des Vorwurfs aus der Anklage des hinzuverbundenen Verfahren (Az.: 950 Js 55313/19) wurde eine Einzelstrafe von vier Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet.

2. Mit Schriftsatz vom 11.11.2020 begehrte der Beschwerdeführer die Erstreckung der im Verfahren 4 Ls 950 Js 55313/19 vorgenommenen Beiordnung als Pflichtverteidiger auch auf das Verfahren 4 Ls 108 Js 36754/19. Unter Bezugnahme auf § 48 Abs. 6 S. 3 RVG wurde argumentiert, dass die vorliegende Konstellation die Erstreckung gebiete, da die Pflichtverteidigerbestellung „nur" in dem Anklagevorwurf mit dem „geringeren" Gewicht erfolgt sei.

3. Dieser Antrag wurde durch den angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts Torgau vom 15.12.2020 abgelehnt. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass eine rückwirkende Verteidigerbestellung nicht in Betracht komme, da das Verfahren bereits bei Antragstellung am 11.11.2020 abgeschlossen worden sei.

Die Bestellung in dem Verfahren 4 Ls 108 Js 36754/19 war nicht geboten gewesen, da sich der Beschwerdeführer hier als Wahlverteidiger angezeigt habe. In dem Verfahren 950 Js 55313/19 sei bereits direkt nach Eingang der Anklageschrift ein Pflichtverteidiger zu bestellen gewesen, da der Angeklagte noch keinen Verteidiger gehabt habe.

Im Übrigen sei auch von einer Erstreckung abzusehen, da (wohl) der Verteidiger vergessen habe, einen entsprechenden Antrag zu stellen.

Gegen diesen Beschluss wandte sich der Beschwerdeführer mit der durch Schriftsatz vom 22.12.2020 als Beschwerde zu wertenden Rechtsmittel. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass weiterhin eine Beiordnung insbesondere in dem Verfahren 4 Ls 108 Js 36754/19 zu er-folgen gehabt habe. Zwar sei eine solche Erstreckung nicht beantragt worden, jedoch könne ein solcher Antrag bzw. eine Erstreckung auch nachträglich gestellt werden.

II.

Das als Beschwerde zulässige Rechtsmittel hat auch Erfolg und führt zur Feststellung, dass sich die Beiordnung als Pflichtverteidiger auch auf das Verfahren 4 Ls 108 Js 36754/19 er-streckt.

Zwar ist dem Amtsgericht durchaus recht zu geben, dass die Erstreckung nach Abschluss des Verfahrens nicht nahe liegt, da es sowohl dem Wunsch eines Angeschuldigten als auch des Verteidigers entsprechen kann, dass die Verteidigung im Rahmen eines Wahlmandats ausgeübt wird. Insoweit wird es regelmäßig einen Verteidiger obliegen müssen, einen entsprechenden Beiordnungsantrag zu stellen, da eine nachträgliche Erstreckung jedenfalls kein Regelfall darstellen kann (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., § 48 RVG, Rdnr. 207).

Dabei wäre grundsätzlich davon auszugehen, dass die Erstreckung auszusprechen ist, wenn eine Beiordnung oder Bestellung unmittelbar bevorgestanden hätte, falls die Verbindung unter-blieben wäre (vgl. u.a. LG Düsseldorf StraFo 2012, 117 m.w.N.). In dem vorliegenden Fall hat der Verteidiger gerade in dem Verfahren unter dem staatsanwaltschaftlichen Aktenzeichen 108 Js 36754/19 trotz nochmaliger Verteidigungsanzeige an das Gericht bzw. gestelltem Antrag auf Akteneinsicht keinen Beiordnungsantrag gestellt.

Insoweit wäre die Beiordnung eines Pflichtverteidigers weiterhin nicht nahe liegend, da - wie bereits ausgeführt - die Vertretung eines Angeklagten auch im Rahmen der Ausübung eines Wahlmandates erfolgen könnte.

Insoweit wäre eine Erstreckung wohl nicht nahe liegend.

c) Allerdings vermag die Kammer in der vorliegenden Konstellation dem Beschwerdeführer die Erstreckung nicht zu versagen, da die amtsgerichtliche Vorgehensweise widersprüchlich ist.

Dem Gericht hat im Rahmen der Verfügung vom 06.11.2019 in dem Verfahren 950 Js 55313/19 den Beschwerdeführer dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet, wobei dem Gericht schon nach der Anklageschrift bewusst gewesen sein muss, dass dieser den Angeklagten auch in diesem Verfahren als (Wahl-)Verteidiger vertritt. Eine Notwendigkeit, den Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger für dieses Verfahren beizuordnen, bestand aus der Argumentation des Amtsgerichts heraus nicht. Insbesondere wäre in dem Verfahren 950 Js 55313/19 in weitaus geringerem Umfang als in dem Verfahren 108 Js 36754/19 die Beiordnung eines Pflichtverteidigers geboten, was sich insbesondere auch in den unterschiedlichen Einzelstrafen hinsichtlich der jeweiligen Anklagevorwürfe zeigt.

Aufgrund dieser aus Sicht der Kammer widersprüchlichen Herangehensweise bzw. Sachbehandlung vermag die Kammer kein solches Eigenverschulden des Beschwerdeführers, dass er nicht auch in dem Verfahren 108 Js 36754/19 frühzeitig einen Erstreckungs- und/oder Beiordnungsantrag gestellt hat, zu erkennen, dass einer nachträglichen Erstreckung entgegen-stehen könnte. Eine solche Erstreckung kann auch noch nachträglich beantragt und ausgesprochen werden (vgl. Gerold/Schmidt, a.a.O., § 48 RVG, Rdnr. 209 m.w.N.).

Zumindest im Rahmen dieser Konstellation vermag die Kammer auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass Erstreckungen nur in Ausnahmefällen möglich sein sollen, den Antrag des Beschwerdeführers noch als zulässig und begründet erachten.

Nach alledem war das Rechtsmittel des Beschwerdeführers der Beschluss des Amtsgerichts Torgau aufzuheben, die Erstreckung i.S. des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auszusprechen und die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers der Staatskasse aufzuerlegen.


Einsender: RA A. Michl, Oschatz

Anmerkung:


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