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RVG Entscheidungen

Nr. 4110 VV

Längenzuschlag, Mittagspause; Berücksichtigung;

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Berlin, Beschl. v. 26.01.2007, (514) 83 Js 153/04 KLs (1/06

Eigener Leitsatz: Bei der Bestimmung der Hauptverhandlungsdauer für die Gewährung eines Längenzuschlags ist die Zeit der Mittagspause in Abzug zu bringen.


LANDGERICHT BERLIN

Beschluss

Geschäftsnummer:
(514) 83 Js 153/04 KLs (1/06)

In der Strafsache gegen M u.a., hier nur

g e g e n S. M,

w e g e n Unterstützung einer kriminellen Vereinigung u.a.

hat die 14. große Strafkammer – Wirtschaftsstrafkammer – des Landgerichts Berlin – zu 1. durch ihren Vorsitzenden als Einzelrichter – am 26. 01. 2007 beschlossen:

1. Das Verfahren wird der Kammer übertragen.
2. Die Erinnerungen der Verteidigerin Rechtsanwältin L gegen die Beschlüsse der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 4. und 18. Dezember 2006 werden als un-begründet verworfen.
3. Die Beschwerde wird zugelassen.
4. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:
I.
1.
Die Erinnerungsführerin ist der Angeklagten M als Pflichtverteidigerin beigeordnet. Mit Kos-tenfestsetzungsantrag vom 23. November 2006 hat sie neben weiteren – unstrittigen – Ge-bührenansprüchen auch Gebühren nach Nr. 4122 VV-RVG (sog. Längenzuschlag) in Höhe von jeweils 178,00 € zzgl. anteiliger Umsatzsteuer für die Fortsetzungstermine am 25. und 27. Oktober sowie 1. und 17. November 2006 geltend gemacht. Mit der angefochtenen Ent-scheidung vom 4. Dezember 2006 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Festset-zung dieser Zuschläge einschließlich der auf sie entfallenden Umsatzsteuer hinsichtlich des Termins vom 25. Oktober 2006 wegen Entfernens aus der Hauptverhandlung bereits 2 Stunden und 2 Minuten nach deren Beginn und im Übrigen mit der Begründung abgelehnt, dass die Hauptverhandlungsdauer an den weiteren drei Tagen nach Abzug einer Mittags-pause weniger als fünf Stunden betragen habe. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss verwiesen.

Mit ihrer zulässig, insbesondere fristgerecht erhobenen Erinnerung verfolgt die Verteidigerin ihr Begehren hinsichtlich der Längenzuschläge für den 27. Oktober sowie den 1. und 17. November 2006 weiter. Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

2.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 6. Oktober 2006 hatte die Erinnerungsführerin ebenfalls unter anderem Gebühren nach Nr. 4122 VV-RVG in Höhe von jeweils 178,00 € zzgl. Um-satzsteuer für die Fortsetzungstermine am 1. und 15. September 2006 geltend gemacht, die die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle am 13. Oktober 2006 antragsgemäß festsetzte. Die Entscheidung wurde der Bezirksrevisorin beim Landgericht Berlin als Vertreterin der Lan-deskasse nicht zugestellt. Nachdem sie von der Festsetzung Kenntnis erlangt hatte, hat sie gegen die Festsetzung der Längenzuschläge für die beiden genannten Termine Erinnerung eingelegt, da nach Abzug der Mittagspause die Verhandlungsdauer auch an diesen Tagen fünf Stunden nicht überschritten hatte. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat mit der angefochtenen Entscheidung vom 18. Dezember 2006 der Erinnerung der Bezirksrevisorin abgeholfen und den Gebührenanspruch der Erinnerungsführerin entsprechend niedriger festgesetzt. Wegen der Einzelheiten wird auch insoweit auf den angefochtenen Beschluss verwiesen.

Mit ihrer zulässig, insbesondere fristgerecht erhobenen Erinnerung begehrt die Verteidigerin die Wiederherstellung der ursprünglichen Festsetzung vom 13. Oktober 2006. Die Urkunds-beamtin hat auch dieser Erinnerung nicht abgeholfen.


II.
Die Entscheidung über die Erinnerungen war gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Kammer zur Entscheidung zu übertragen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeu-tung hat. Die Frage, ob Mittagspausen bei der Festsetzung des Längenzuschlags von der Dauer der Hauptverhandlung abzuziehen sind, ist strittig (vgl. nur Burhoff RVGreport 2006, 1, 2). Eine Entscheidung des Kammergerichts als für Berlin zuständiges Oberlandesgericht zu dieser Frage liegt – soweit ersichtlich – noch nicht vor. Das Verfahren ist daher geeignet, zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung im Kammergerichtsbezirk beizutragen.
III.
Die Erinnerungen sind zulässig, aber unbegründet.

Nach den in den angefochtenen Beschlüssen zutreffend dargelegten Zeiten, die auch nicht strittig sind, kann die Erinnerungsführerin einen Längenzuschlag gemäß Nr. 4122 VV-RVG für die fünf verfahrensgegenständlichen Fortsetzungstermine nur dann beanspruchen, wenn die an diesen Sitzungstagen eingetretene Mittagspause auf die Zeit der Teilnahme an der Hauptverhandlung anzurechnen ist. Muss die Zeit der Mittagspause hingegen von der Hauptverhandlungsdauer abgesetzt werden, so steht ihr nur die bereits festgesetzte Ter-minsgebühr nach Nr. 4120 VV-RVG zu.

Eine Mittagspause ist bei der Bestimmung der gebührenrechtlich maßgeblichen Hauptver-handlungsdauer jedoch in Abzug zu bringen.

Die obergerichtliche Rechtsprechung ist sich weitgehend darin einig, dass einem Verteidiger – worauf sich auch die Erinnerungsführerin beruft – eine Mittagspause von einer Stunde zur Einnahme einer Mahlzeit und zur Erholung zuzubilligen ist (vgl. OLG Stuttgart RVGreport 2006, 32; OLG Hamm RPfl 2006, 433; AGS 2006, 337; Beschlüsse vom 20. April 2006 – 3 Ws 47/06 – und vom 10. August 2006 – 3 Ws 267/06 –, beide bei www.burhoff.de; OLG Koblenz [1. Senat] NJW 2006, 1150; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2006, 391). Dies ist ein Aus-fluss der Fürsorgepflicht des Gerichts gegenüber dem Verteidiger, aber auch den übrigen Verfahrensbeteiligten, besagt allerdings noch nicht, dass diese Zeit auch bei der Bestim-mung der Höhe der Terminsgebühr zu berücksichtigen ist (dagegen: OLG Zweibrücken NStZ-RR 2006, 392; OLG Koblenz [2. Senat] NJW 2006, 1149; OLG Bamberg, Beschluss vom 13. September 2005 – Ws 676/05 – bei www.burhoff.de).

Der Gesetzgeber hat die Regelungen über Längenzuschläge für bestellte Verteidiger – an-ders als für Wahlverteidiger – in das RVG aufgenommen, um diesen den besonderen Zeit-aufwand für ihre anwaltliche Tätigkeit angemessen zu honorieren und sie nicht mehr auf die Möglichkeit der Bewilligung einer Pauschvergütung zu verweisen. Zugleich sollte hierdurch die gebührenrechtliche Ungleichbehandlung des gerichtlich bestellten Verteidigers im Ver-hältnis zum Wahlverteidiger reduziert und damit eine sachgerechte Verteidigung gefördert werden. Eine entsprechende Regelung für Wahlverteidiger erschien hingegen entbehrlich, da diese anders als bei den Festbetragsgebühren des Pflichtverteidigers durch den Gebüh-renrahmen und gegebenenfalls durch eine Honorarvereinbarung dem Aufwand der Haupt-verhandlung Rechnung tragen können (vgl. BT-Drs. 15/1971, S. 224).

Diesem gesetzgeberischen Willen lässt sich weder für noch gegen die Anrechnung der Mit-tagspause etwas entnehmen. Soweit die gesetzgeberische Intention der Zurückdrängung von Pauschvergütungen als Argument für die Einbeziehung der Mittagspause in die zu ver-gütende Zeit herangezogen wird (vgl. OLG Hamm RPfl 2006, 433; AGS 2006, 337), ergeben die Materialien dies so nicht. Zutreffend ist allerdings, dass der Gesetzgeber an die oberge-richtliche Rechtsprechung zur Annahme eines besonders umfangreichen Verfahrens im Rahmen der Prüfung einer Pauschvergütung angeknüpft hat, als er die Zeitrahmen für die Längenzuschläge (fünf bis acht Stunden; mehr als acht Stunden) festsetzte (vgl. BT-Drs. 15/1971, S. 224 f.). Hinsichtlich der Berücksichtigung der Mittagspause bei der Bestimmung des Verfahrensumfangs fand er jedoch eine uneinheitliche Rechtsprechung vor (vgl. nur OLG Thüringen StV 1997, 427; OLG Zweibrücken a.a.O.), deren Streit er durch die gesetzli-che Regelung jedenfalls nicht zu Gunsten einer Berücksichtigung der Mittagspause gelöst hat (vgl. OLG Bamberg a.a.O., das unter Aufgabe seiner Rechtsprechung zur Pauschvergü-tung erst auf Grund der neuen Gesetzeslage eine Einbeziehung der Mittagspause ablehnt).

Der Wortlaut der Nr. 4122 VV-RVG spricht gegen die Einbeziehung einer Mittagspause in die Bestimmung der Hauptverhandlungsdauer. Die Regelung erfordert für die Entstehung des Gebührenanspruchs, dass der Rechtsanwalt mehr als fünf Stunden an der Hauptver-handlung teilnimmt. Teilnehmen kann er aber nur dann, wenn die Hauptverhandlung statt-findet, was während der Mittagspause nicht der Fall ist. In dieser Zeit ist der Anwalt gerade von seinen Pflichten frei, kann seinen privaten Bedürfnissen nachgehen und muss dem Ge-richt nicht zur Verfügung stehen. Daher vermag auch die Begründung der Gegenposition nicht zu überzeugen, dass Pausen deshalb nicht abzuziehen seien, weil der Verteidiger sich während der Terminszeit zur Verfügung halten muss und deswegen an einer anderweitigen Ausübung seines Berufs gehindert ist (vgl. OLG Koblenz [1. Senat] a.a.O.; OLG Hamm RPfl 2006, 433; AGS 2006, 337). Diese Auffassung mag für kurze Sitzungsunterbrechungen zu-treffen. Während der Mittagspause lässt das Gericht dem Verteidiger jedoch gerade Gele-genheit zur freien und eigenverantwortlichen Gestaltung seiner Zeit und verlangt nicht, dass er sich zur Verfügung des Gerichts hält. Diese Unterbrechung ist „prozessneutral“ (vgl. OLG Zweibrücken a.a.O.).

Dass die Zeit der Mittagspause als „prozessneutral“ zu werten ist, ergibt sich letztlich auch aus einigen Entscheidungen der Gegenmeinung zu der Frage, ob längere Unterbrechungen bei der Bewilligung eines Längenzuschlags zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Koblenz [1. Senat] a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Hamm RPfl 2006, 433; AGS 2006, 337). Diese Entscheidungen gehen davon aus, dass eine längere Verhandlungspause bei der Prüfung eines Längenzuschlags dann von der Hauptverhandlungsdauer abzuziehen sein kann, wenn der Rechtsanwalt die Unterbrechung im Einzelfall sinnvoll für anderweitige berufliche Tätig-keit nutzen kann. Bei der Prüfung der Nutzbarkeit dieser längeren Unterbrechungen soll dann aber jeweils die für eine Mittagspause – so sie in die Unterbrechung fällt – angemes-sene Zeit wiederum abgezogen werden. Dies belegt nach Auffassung der Kammer, dass auch die Gegenmeinung die Mittagspause als Freizeit betrachtet, die der Verteidiger weder in der unterbrochenen Hauptverhandlung noch anderweit zur Arbeit verwenden muss. Die Bezahlung eines Freiberuflers für Freizeit und Essensaufnahme erscheint jedoch mit dem Berufsbild nicht vereinbar und steht auch in Widerspruch zu dem Umstand, dass ein Großteil der abhängig Beschäftigten – so auch die nichtrichterlichen Mitarbeiter des Gerichts – nur Anspruch auf eine kürzere und zudem unbezahlte Mittagspause haben.

Der Kammer ist aus ihrer täglichen Praxis im Übrigen bekannt, dass zahlreiche Rechtsan-wälte die Mittagspause keineswegs nur zur Erholung nutzen, sondern in ihr kürzere amtsge-richtliche Termine und Haftprüfungen wahrnehmen, in anderen Umfangverfahren als zweiter Verteidiger kurzzeitig und eine Terminsgebühr auslösend in Erscheinung treten, Besuche in der Haftanstalt durchführen, das Gespräch mit Staatsanwaltschaft und Gericht bzgl. anderer Mandate suchen und eine Vielzahl anderer Tätigkeiten entfalten, durch die ihnen Gebühren-ansprüche in anderen Verfahren erwachsen. Solche Tätigkeiten in der Mittagspause sind für die Verteidiger in der Regel auch – anders als bei anderen längeren Unterbrechungen – planbar, da sie davon ausgehen können, dass als Ausfluss der Fürsorgepflicht des Gerichts die Mittagspause zur Mittagszeit stattfinden wird. Teilweise wird der Zeitpunkt der Mittags-pause auch auf Bitten der Verteidiger so gelegt, dass ihnen die Wahrnehmung anderer Termine ermöglicht wird. Nutzt der Verteidiger die Mittagspause jedoch nicht zu der ihm ein-geräumten Erholung, sondern für die Arbeit, so kann ihm ein Gebührenanspruch für die Hauptverhandlung in dieser Zeit erst recht nicht erwachsen, da er sonst für diese Zeit dop-pelt bezahlt würde.

Offen bleiben kann vorliegend, ob eine Mittagspause dann in die Bestimmung der Hauptver-handlungsdauer teilweise einzurechnen wäre, wenn sie aus von dem Verteidiger nicht zu vertretenden Gründen ungewöhnlich lang ist. Es erschiene sachgerecht, in einem solchen Falle den eine angemessene Pausenzeit überschreitenden Teil der Unterbrechung zu be-rücksichtigen, wenn der Verteidiger ihn nicht für anderweitige Tätigkeiten nutzen konnte. Für die streitgegenständlichen Gebühren hat dies jedoch keine Bedeutung.

Soweit die Erinnerungsführerin gegen den Beschluss vom 18. Dezember 2006 auch ein-wendet, dass dieser aus Gründen des Vertrauensschutzes unzulässig sei, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Der Erinnerungsführerin war bekannt, dass die Festsetzung der Ur-kundsbeamtin vom 13. Oktober 2006 durch die Vertreterin der Landeskasse anfechtbar ist (§ 56 Abs. 1 Satz 1 RVG). Ein Vertrauen darauf, dass es bei der erfolgten Kostenfestset-zung verbleibt, konnte zudem schon deshalb nicht entstehen, weil die von der Erinnerungs-führerin mit ihrem Kostenfestsetzungsantrag ausdrücklich und zutreffend als Vorschuss (§ 47 Abs. 1 Satz1 RVG) geltend gemachten Gebühren im abschließenden Kostenfestset-zungsverfahren ohnehin im Falle der Überhöhung hätten zurückgefordert werden können und müssen (vgl. Hartmann, Kostengesetze 36. Aufl., § 47 RVG Rdn. 8). Ein schützenswer-tes Vertrauen hätte sich daher frühestens mit der abschließenden Kostenfestsetzung bilden können.


IV.
Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache für eine einheitliche Rechtspraxis im Kammergerichtsbezirk wird die Beschwerde zugelassen (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG).


V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.


Einsender: VorsRi LG Fischer, Berlin

Anmerkung:


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