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RVG Entscheidungen

Vorbem. 4 Abs. 1 VV

Zeugenbeistand; Abrechnung; Einzeltätigkeit;

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG München, Beschl. v. 25. 03. 2008, 4 Ws 27/08 (K)

Fundstellen:

Leitsatz: Der für einen Zeugenbeistand tätige Rechtsanwalt rechnet seine Vergütung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG ab. Das gilt auch für den beigeordneten Zeu-genbeistand.


OLG München, 4. Strafsenat, Beschluss vom 25.3.2008, 4 Ws 27/08 (K)
In pp.
I.
Sachverhalt:
Rechtsanwalt X. wurde auf seinen Antrag in dem vor dem Landgericht Augsburg ge-gen Y. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a. geführten Strafverfahren in der Hauptverhandlung vom 13.7.2007 durch Verfügung des Vorsitzenden „… zum Zeugenbeistand des Zeugen Z. für den heutigen Tag bestellt.“ Da auf die Vernehmung des Zeugen jedoch verzichtet wurde, verließ Rechtsanwalt X. daraufhin den Sitzungssaal.

Unter Hinweis auf diese Beiordnung gemäß § 68b StPO sowie darauf, dass er zur Hauptverhandlung am 13.7.2007 als Zeugenbeistand geladen worden war, beantragte Rechtsanwalt X. mit Schriftsatz vom 27.8.2007, die Gebühren und Auslagen für seine Tätigkeiten in der Hauptverhandlung am 13.7. unter Bezugnahme auf Vorbem. 4 Abs. 1 zu VV RVG wie folgt festzusetzen:

Grundgebühr Nr. 4100, 4101 VV RVG € 162,00.-
Verfahrensgebühr (gerichtliches Verfahren) Nr. 4112, 4113 VV RVG € 151,00.-
Terminsgebühr Nr. 4114, 4115 VV RVG € 263,00.-
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG € 20,00.-
Fahrtkosten 1 x Fahrt Pkw München-Augsburg-München
2 x 70 km x € 0,30.- Nr. 7003 VV RVG € 42,00.-
Tage- und Abwesenheitsgeld (3,5 h) Nr. 7005 (1) VV RVG € 20,00.-
Zwischensumme: € 658,00.-
zzgl. 19 % USt. Nr. 7008 VV RVG € 125,02.-
Summe: € 783,02.-


Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts Augsburg setzte die an
Rechtsanwalt X. aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung wie beantragt auf 783,02 € fest.

Gegen diesen Festsetzungsbeschluss vom 14.9.2007 legte der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Augsburg namens der Staatskasse am 18.9.2007 Erinnerung ein und beantragte, die Vergütung auf nur 297,50 € festzusetzen. Zur Begründung führte er aus, dem Zeugenbeistand stehe nur eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit nach
Nr. 4301 Ziffer 4 VV RVG zu, weil der Anwalt ausdrücklich „zum Zeugenbeistand für den heutigen Termin“ bestellt worden sei. Der Urkundsbeamte half dieser Erinnerung am 20.9.2007 nicht ab und legte die Sache dem Vorsitzenden der 1. Strafkammer mit der Bitte um weitere Entscheidung vor. Rechtsanwalt X. erwiderte auf die Erinnerung mit Schriftsatz vom 1.10.2007, in welchem er darlegte, warum seiner Meinung nach für seine Vergütung Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG anzuwenden sei.

Die Sache wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG auf die Kammer übertragen. Diese änderte mit Beschluss vom 4.1.2008 unter Zu-rückweisung der Erinnerung im Übrigen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.9.2007 dahingehend, dass die Vergütung des Zeugenbeistands auf (nur) 603,33 € festgesetzt wurde. In dem Beschluss, auf den im Einzelnen Bezug genommen wird, wurde eingehend dargelegt, warum der Zeugenbeistand die Vergütung eines Verteidi-gers nach Nr. 4100 ff. VV und nicht nur die Vergütung für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4300 ff. VV beanspruchen könne. Die Kammer brachte jedoch die geltend gemachte und festgesetzte Verfahrensgebühr von 151 € in Abzug, weil nicht dargelegt worden sei, durch welche Tätigkeit diese Verfahrensgebühr entstanden sei. Die Vergütung wurde danach unter Neuberechnung der Mehrwertsteuer (nunmehr 96,33 €) auf 603,33 € festgesetzt.

Gegen diesen ihm am 1.2.2008 zugestellten Beschluss legte der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Augsburg namens der Staatskasse am 12.2.2008 Beschwerde ein und beantragte erneut, die Vergütung des Zeugenbeistandes auf nur 297,50 € festzu-setzen. Die Strafkammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom 13.2.2008 nicht ab-geholfen und die Akten dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Rechtsanwalt X.hat beantragt, die Beschwerde der Staatskasse vom 12.2.2008 gegen den Beschluss vom 4.1.2008 als unbegründet zu verwerfen und der Klarstellung hal-ber mitgeteilt, dass die Geltendmachung der Verfahrensgebühr nicht aufrechterhalten werde.

Aus den Gründen:
Die Beschwerde des Bezirksrevisors als Vertreter der Staatskasse ist gemäß § 33 Abs. 3 Sätze 1 und 3, § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG zulässig; der Wert des Beschwerdege-genstands übersteigt 200 €. In der Sache erweist sich die Beschwerde jedoch als un-begründet, weil die angegriffene Entscheidung des Landgerichts und die Bemessung der Vergütung des Zeugenbeistands nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG der Sach- und Rechtslage entsprechen.

Das Landgericht Augsburg hat in der angefochtenen Entscheidung vom 4.1.2008 ausgeführt:

3. a) Vorbemerkung 4 Abs. 1 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG (VV) be-stimmt, dass die Vorschriften des 4. Teils des VV für die Tätigkeit des Rechts-anwalts als Zeugenbeistand entsprechend anzuwenden sind. Dies ist auch den Gesetzgebungsmaterialien zu entnehmen (BT-Drs. 15/1971 S. 220).

Dort heißt es: „Neu ist, dass der Rechtsanwalt auch im Strafverfahren als Bei-stand für einen Zeugen oder Sachverständigen die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger erhalten soll. … Damit sollen erstmals auch im Strafverfahren die Gebühren des Rechtsanwalts für seine Tätigkeit als Beistand für einen Zeugen oder Sachverständigen gesetzlich geregelt werden.“

b) Die hier zu entscheidende Frage, ob der Erinnerungsgegner die Vergütung eines Verteidigers (Nrn. 4100 ff. VV) beanspruchen kann oder ob er auf die Ver-gütung für eine Einzeltätigkeit (Nrn. 4300 ff. VV) verwiesen werden muss, ist un-ter Zugrundelegung des eindeutigen Wortlauts der Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV mit der vorzitierten Rechtsprechung dahin zu beantworten, dass ihm die Vergü-tung nach Nrn. 4100 VV zusteht. Die vom Erinnerungsführer vertretene Auffas-sung, wonach ein Zeugenbeistand vorgütungsrechtlich (nur) eine Einzeltätigkeit ausüben soll, lässt sich nicht mit Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV und mit der dem Zeugenbeistand obliegenden Aufgabenstellung in Einklang bringen.

aa) Einem Zeugen stehen im Strafverfahren verschiedene Rechte zu (vgl. §§ 52, 53, 55, 238 Abs. 2, 242 StPO, 171b Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 174 Abs. 1 Satz 1 GVG), an deren Wahrnehmung er u.U. ohne sachkundigen Beistand ge-hindert sein könnte.

Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zählt das Recht auf ein faires Verfahren. Der Anspruch auf ein faires Verfahren ist durch das Verlangen nach verfahrensrechtlicher „Waffengleichheit“ von Ankläger und Beschuldigten gekennzeichnet. Der Beschuldigte kann in jeder Lage des Verfah-rens zu seiner Unterstützung einen Verteidiger heranziehen (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 137 StPO). Dagegen hält das Verfahrensrecht keine positiv-rechtliche Regelung eines Rechts des Zeugen auf Rechtsbeistand. Die Aufgabe des Zeu-gen liegt darin, über von ihm wahrgenommene Tatsachen Auskunft zu geben. Gleichwohl weist die Lage des Zeugen, der sich in Erfüllung seiner allgemeinen staatsbürgerlichen Zeugenpflicht der Gefahr eigener Verfolgung aussetzt, enge Bezüge zu der Situation des Beschuldigten auf. Dementsprechend ist das Aus-kunftsverweigerungsrecht des § 55 Abs. 1 StPO lediglich ein Ausfluss des all-gemeinen, für den Beschuldigten in §§ 136, 163a, 243 StPO und entsprechen-den Vorschriften als selbstverständlich vorausgesetzten rechtsstaatlichen Grundsatzes, dass niemand gezwungen werden kann, gegen sich selbst auszu-sagen. Im Gegensatz zu dem Beschuldigten unterliegt der Zeuge grundsätzlich der Aussage- und Wahrheitspflicht mit den sie sichernden Zwangsmitteln und Strafandrohungen bis hin zur Freiheitsentziehung. Er darf Belastendes nicht bloß verschweigen, sondern muss es ausdrücklich ablehnen, ihm gefährlich erschei-nende Fragen zu beantworten. Der im Allgemeinen rechtsunkundige Zeuge wird regelmäßig, trotz der Belehrung gem. § 55 StPO, die rechtlichen Folgen seiner Angaben für ihn nicht sicher übersehen und den Umfang und die Grenzen sei-nes Auskunftsverweigerungsrechts nicht zweifelfrei erkennen können. Weder der Vernehmende noch die anderen Verfahrensbeteiligten vermitteln dem Zeugen die zu ihrer Beurteilung erforderlichen Kenntnisse der zugrundeliegenden tat-sächlichen und rechtlichen Bezüge zwischen den verlangten Angaben und den Umständen, aus denen ihm eigene Verfolgung droht. Wollte er von ihnen eine Entscheidungshilfe erwarten, müsste er sich offenbaren und damit der Gefahr aussetzen, vor der ihn das Gesetz schützen will. Ein Recht auf Rechtsbeistand gewährleistet dem Zeugen demgegenüber die Möglichkeit, seine prozessualen Befugnisse umfassend und sachgerecht wahrzunehmen. Den Zeugen auf eine vorbereitende Rechtsberatung oder darauf zu beschränken, eine Unterbrechung zum Zweck der Beratung durch einen abwesenden Rechtsbeistand anzuregen, würde seinen Interessen nicht gerecht.

bb) Aus dieser Funktion des Zeugenbeistands im Gefüge eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens lässt sich ableiten, weshalb der Gesetzgeber des RVG die ver-gütungsrechtliche Gleichstellung des Zeugenbeistands mit dem Verteidiger vor-gesehen hat. Denn auch der Zeugenbeistand hat im Rahmen seiner Funktion Tätigkeiten auszuüben, die denen eines Verteidigers vergleichbar sind. Ebenso wie jener hat er sich über den Gegenstand seines Auftrags zu informieren (Grundgebühr); ggf. muss er bereits außerhalb der Hauptverhandlung schrift-sätzlich tätig werden (Verfahrensgebühr); schließlich hat er seinem Mandanten während dessen Einvernahme als Zeuge außerhalb oder innerhalb einer Haupt-verhandlung Beistand zu leisten (Terminsgebühr).

cc) Dem Rechtsanwalt als Zeugenbeistand kann auch nicht der unterschiedliche Umfang der „Angelegenheit“ i.S. der §§ 15 ff. RVG entgegengehalten werden. Der unterschiedliche Umfang der Tätigkeit eines Rechtsanwalts findet im Vergü-tungsrecht stets erst in der Höhe der geltend zu machenden (Rahmen-) Gebühr seinen Niederschlag. Dies beansprucht letztlich aber auch im Falle der Beiord-nung eines Zeugenbeistands Geltung, in dem es dazu kommen kann, dass ein Rechtsanwalt für eine relativ kurzzeitige Beistandsleistung in einer Hauptver-handlung im Ergebnis eine gleich hohe Terminsgebühr ansetzen kann wie der Pflichtverteidiger des Angeklagten, der diesen an dem gesamten Hauptverhand-lungstag verteidigt hat. Dies ist eine Folge des Systems der pauschalen Vergü-tung für die Tätigkeit gerichtlich bestellter oder beigeordneter Rechtsanwälte und muss auch dann hingenommen werden, wenn sie im Einzelfall faktisch zu einer vergütungsrechtlichen Benachteiligung führt.

4. Vorstehendes Ergebnis hat jedoch nicht zwingend zur Folge, dass der als Zeugenbeistand beigeordnete Rechtsanwalt stets sämtliche Gebühren bean-spruchen kann. Da nach den einzelnen Gebührentatbeständen des VV tatsäch-lich erbrachte anwaltliche Tätigkeiten zu vergüten sind, kann der Rechtsanwalt als Zeugenbestand deshalb lediglich die Gebühren für seine tatsächlichen Tätig-keiten im Umfang seiner Beiordnung beanspruchen. Anders als ein Verteidiger, der ohne weiteres die Gebühr beanspruchen kann, muss ein Zeugenbeistand etwa für die Geltendmachung der Verfahrensgebühr wegen seines einge-schränkten Aufgabenbereichs konkret vortragen, durch welche von ihm erbrach-te Tätigkeit diese entstanden sein soll.

Der Senat macht sich diese zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Augsburg zu Eigen. Er folgt damit der wohl überwiegenden Meinung der Obergerichte (zum Mei-nungsstand vgl. Burhoff RVG Straf- und Bußgeldsachen 2. Aufl. S. 808 Rn. 5 ff), wo-nach aus Teil 4 Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG folgt, dass für die Tätigkeit eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand die Vorschriften für die Gebühren eines Verteidi-gers entsprechend anzuwenden sind und es sich auch bei der hier vorliegenden Konstellation, bei der der Zeuge in der Hauptverhandlung gar nicht vernommen wur-de, nicht um eine nach Abschnitt 3 abzurechnende Einzeltätigkeit handelt (vgl. auch OLG München 1. Strafsenat Beschluss vom 29.3.2007 - 1 Ws 354/07; OLG Hamm NJW-Spezial 2008, 120/121; Gerold/Schmidt-Madert RVG 17. Aufl. Teil 4 VV Vorbem. 4 Rn. 7 und 20; Burhoff Abrechnung der Tätigkeit des Zeugenbeistands im Straf- und OWi-Verfahren StRR 2007, 220/223).

Die unter diesen Vorgaben sich ergebende Vergütung hat das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss vom 4.1.2008 zutreffend festgesetzt. Die Beschwerde der Staatskasse gegen diesen Beschluss war daher als unbegründet zu verwerfen.





Einsender: RiOLG Stoll, Muenchen

Anmerkung:


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