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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 BL 208/01 OLG Hamm

Leitsatz: Ein Zeitraum von fast viereinhalb Monaten zwischen dem Eingang der Anklage und dem (zunächst anberaumten) Hauptverhandlungstermin ist bei einem Verfahren, das weder bezüglich seines Umfangs noch seines Schwierigkeitsgrades irgendwelche Besonderheiten aufweist, im Hinblick auf den verfassungsrechtlich begründeten Anspruch des Angeklagten auf beschleunigte Aburteilung nicht mehr hinnehmbar, ohne dass es ggf. auf eine weitere Verzögerung wegen einer Vertagung des ursprünglich angesetzten Hauptverhandlungstermines ankommt .

Senat: 1

Gegenstand: Haftprüfung, BL 6

Stichworte: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht, wichtiger Grund, langer Zeitraum zwischen Eingang der Anklage und Hauptverhandlungstermin

Normen: StPO 121

Beschluss: Strafsache
gegen A.S.
wegen räuberischer Erpressung u.a., (hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht gemäß den §§ 121, 122 StPO).

Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung nach den §§ 121, 122 StPO hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23. 10. 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht sowie die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bad Berleburg vom 27.04.2001 wird aufgehoben.

Gründe:
In ihrer Zuschrift an den Senat hat die Generalstaatsanwaltschaft wie folgt Stellung genommen:

"Der Angeklagte ist am 26.04.2001 vorläufig festgenommen worden (Bl. 1 f. d. A.) und befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bad Berleburg vom 27.04.2001 - 5 Gs 50/01 - (Bl. 39 f d. A.) seit demselben Tage in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Iserlohn (Bl. 69 f., 98 d. A.).

Die Staatsanwaltschaft Siegen hat unter dem 22.05.2001 wegen der dem Haftbefehl zugrundeliegenden Tat - einer räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung - die Anklage erhoben (Bl. 66 ff. d. A.).

Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Bad Berleburg hat die Anklage durch Beschluss vom 18.06.2001 ohne Änderung zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet (Bl. 76 d. A.) und Termin zur Hauptverhandlung auf den 12.10.2001 anberaumt (Bl. 77 d. A.).

Im Hauptverhandlungstermin am 12.10.2001 ist der zunächst bestellte notwendige Verteidiger Rechtsanwalt T. entpflichtet worden und dem Angeklagten Rechtsanwältin T.-F. als Pflichtverteidigerin beigeordnet worden (Bl. 99 d. A.). Im Hauptverhandlungstermin hat die Verteidigerin einen Beweisantrag gestellt, ein Sachverständigengutachten zur Frage der allgemeinen Schuldfähigkeit des Angeklagten einzuholen (Bl. 102 d. A.). Die Verhandlung wurde bezüglich des Angeklagten daraufhin unter Aufrechterhaltung des Haftbefehls ausgesetzt und mit Verfügung des Vorsitzenden vom 15.10.2001 neuer Termin zur Hauptverhandlung auf den 03.12.2001 bestimmt (Bl. 102, 104 d. A.).

Der Angeklagte ist der ihm in dem Haftbefehl zur Last gelegten Tat aufgrund des Ermittlungsergebnisses dringend verdächtig.

Gleichwohl unterliegt der an sich gerechtfertigte Haftbefehl der Aufhebung, da das Verfahren nicht mit der in Haftsachen verfassungsrechtlich gebotenen Beschleunigung gefördert worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung betont, dass der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten bzw. Angeklagten den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten ist und sich sein Gewicht gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert. Dem trägt die Vorschrift des § 121 Abs. 1 StPO Rechnung, wonach der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Die Bestimmung des § 121 Abs. 1 StPO lässt also nicht in begrenztem Umfang eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus zu und ist eng auszulegen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 121 Rdnr. 19 m.w.N.).

Diesen Erfordernissen wird die Sachbehandlung durch das Amtsgericht in diesem Verfahren nicht gerecht. Nachdem die Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft bereits am 22.05.2001 mit Erhebung der Anklage, eingegangen beim Amtsgericht am 30.05.2001, zum Abschluss gebracht worden sind, hat das Amtsgericht, ohne dass triftige Gründe ersichtlich sind, Hauptverhandlungstermin erst auf den 12.10.2001 anberaumt. Aus einem Vermerk des Vorsitzenden ergibt sich, dass die späte Terminierung darauf beruhe, dass der notwendige Verteidiger die zunächst vorgeschlagenen Termine 17.08.2001 und 24.08.2001 mit der Begründung, verhindert zu sein, abgelehnt habe.

Bei dieser Sachlage liegen wichtige Gründe, die ein Urteil bisher nicht zugelassen haben, nicht vor. Der Haftbefehl ist deshalb aufzuheben.

Ein Zeitraum von fast viereinhalb Monaten zwischen dem Eingang der Anklage und dem (zunächst anberaumten) Hauptverhandlungstermin ist bei einem Verfahren wie dem vorliegenden, das weder bezüglich seines Umfangs noch seines Schwierigkeitsgrades irgendwelche Besonderheiten aufweist, im Hinblick auf den oben näher ausgeführten verfassungsrechtlich begründeten Anspruch des Angeklagten auf beschleunigte Aburteilung nicht mehr hinnehmbar, ohne dass es auf die weitere Verzögerung wegen der Vertagung des ursprünglich angesetzten Hauptverhandlungstermines ankäme (vgl. OLG Hamm, Strafverteidiger 2000, 90).

Zwar ist auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger Rücksicht zu nehmen und die Verlegung eines Hauptverhandlungstermins wegen terminlich begründeter Verhinderung eines gewählten Verteidigers als ein in der Sphäre des Angeklagten liegender Grund anzusehen (zu vgl. OLG Düsseldorf, Strafverteidiger 1994, 326; 1988, 211 f.).

Dass ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den von dem Angeklagten gewählten und dann zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalt T. bestanden hat, auf das das Amtsgericht hätte Rücksicht nehmen müssen, ist aber nicht zu erkennen, wie die Bestellung einer neuen Pflichtverteidigerin für den Angeklagten im Hauptverhandlungstermin vom 12.10.2001 deutlich macht."

Diesen Ausführungen tritt der Senat in vollem Umfange bei. Der Haftbefehl war demnach aufzuheben.


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