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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ss 483/03 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Wird mit der Verfahrensrüge eine Überscheitung der Frist zur Absetzung des Urteils geltend gemacht, bedarf es zumindest dann keines ausdrücklichen Vortrages, über wie viele Tage die Hauptverhandlung sich erstreckte. wenn die Revision erkennbar vom Regelfall des § 275 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StPO ausgeht.
2. Von der grundsätzlich zwingenden Anwesenheitspflicht des Angeklagten lässt die StPO nur in bestimmten und an konkrete gesetzliche Voraussetzungen geknüpfte Fällen Ausnahmen zu. Die Frage der Anwesenheit des Angeklagten steht nicht im Belieben des Tatrichters.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Urteilsfrist, Absetzung des Urteils, Begründung der Verfahrensrüge,

Normen: StPO 275, StPO 344, StPO 223, StPO 231, StPO 233, StPO 226]
Beschluss: Strafsache

gegen S.H.
wegen Körperverletzung.

Auf die (Sprung)Revision des Angeklagten vom 21. Januar 2003 gegen das Urteil des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 20. Januar 2003 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18. 08. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gem. § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Herne-Wanne zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten, der Heranwachsender ist, wegen Beihilfe zur vorsätzlichen Körperverletzung verwarnt und ihm eine Geldbuße von 140 EURO auferlegt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die formelle und die materielle Rüge erhoben wird. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

II.
Das Rechtsmittel ist zulässig und hat auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.

1. Die formelle Rüge, mit der u.a. eine Verletzung des § 275 Abs. 1 StPO geltend gemacht worden ist, ist begründet. Insoweit hat die Generalstaatsanwaltschaft ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:

„Die rechtzeitig eingelegte form- und fristgerecht begründete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Rüge der Verletzung des § 275 Abs. 1 StPO zumindest vorläufigen Erfolg.

Mit der in noch zulässiger Form erhobenen Verfahrensrüge beanstandet der Angeklagte, das schriftliche Urteil sei nicht fristgemäß vollständig zu den Akten gebracht worden. Hierzu hat die Revision vorgetragen, das angefochtene Urteil sei in der Hauptverhandlung am 20.01.2003 verkündet worden, sei jedoch erst am 21.03.2003 zur Akte gelangt. Damit sind die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen noch ausreichend angegeben worden. Insbesondere bedurfte es keines ausdrücklichen Vortrages, über wie viele Tage die Hauptverhandlung sich erstreckte. Ein solcher Vortrag ist zumindest dann nicht erforderlich, wenn die Revision - wie hier - erkennbar vom Regelfall des § 275 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StPO ausgeht. In diesem Fall kann von dem Beschwerdeführer nicht verlangt werden, dass er im Einzelnen das Nichtvorliegen sämtlicher Tatsachen behauptet, die einen Ausnahmefall begründen könnten (zu vgl. BGHSt, 29. 43. 44). Insbesondere kann bei ganz erheblicher und deshalb offensichtlicher Fristüberschreitung es ausnahmsweise genügen, wenn sich die Revisionsbegründung für die Darlegung der verspäteten Absetzung darauf beschränkt, das Datum des Urteilseingangs anzugeben (zu vgl. KK-Kuckein, StPO, 5. Aufl., § 344, Rdnr. 50). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Nach Verkündung des Urteils am 20.01.2003 ist das Urteil ersichtlich nicht innerhalb der Frist von fünf Wochen zu den Akten gebracht worden.

Die zulässige Rüge führt gem. § 338 Nr. 7 StPO zur Aufhebung des Urteils. Insbesondere ist eine nach § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO mögliche Überschreitung der Urteilsabsetzungsfrist nicht gegeben. Die Tatsache, dass das Urteil bereits am 21.01.2003 zur Kanzlei des Amtsgerichts gegeben und wegen der personellen Situation erst am 20. 21.03.2003 geschrieben worden ist (zu vgl. BI. 96 d.A.), begründet keinen Hinderungsgrund im Sinne des § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO.“

Diesen zutreffenden Ausführungen tritt nach eigener Prüfung bei. Es bestehen keinerlei Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfahrensrüge. Demgemäss war das angefochtene Urteil schon aus diesem Grund aufzuheben. Auf die weiteren Revisionsrügen kam es daher nicht mehr an.

II.

Der Senat sieht allerdings folgende Hinweise als erforderlich an:

1.

Das Amtsgericht hat die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zur vorsätzlichen Körperverletzung auf folgende tatsächliche Feststellungen gestützt:

In der Nacht vom 13. auf den 14.07.2001 hielt sich der Angeklagte anlässlich einer Geburtstagsfeier eines Bekannten im Vereinsheim des TV Wanne-Eickel auf der Plutostraße in Herne-Wanne auf. Ebenfalls anwesend waren die Zeugen W. und S. sowie der Zeuge E.N..
Gegen 02:35 Uhr kam es zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen St. zu einer verbalen Auseinandersetzung, die damit endete, dass der Zeuge St. in das Vereinsheim zurückkehrte um von dort aus ein Taxi anzurufen. Anschließend wollte er in Begleitung des Zeugen W. zum nahe gelegenen Parkplatz gehen, um die Ankunft des Taxis abzuwarten. Dieses hatten auch der Angeklagte und der Zeuge E.N. bemerkt, die dem Zeugen St. folgten und auf dem Weg zum Parkplatz griff der Zeuge N. den Zeugen St. unvermittelt an, versetzte ihm einen Faustschlag ins Gesicht und trat möglicherweise auch einmal zu. Der Zeuge erlitt nicht unerhebliche Verletzungen.“

Diese Feststellungen sind lückenhaft (§ 267 StPO), so dass das angefochtene Urteil auch auf die Sachrüge hin aufzuheben gewesen wäre. Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen bei einer Verurteilung des Angeklagten in den Urteilsgründen die vom Tatrichter für erwiesen erachteten Tatsachen angegeben werden, in denen die gesetzlichen Merkmal der Straftat gefunden werden. Das gilt sowohl für die sogenannten äußeren Tatsachen als auch für den inneren, subjektiven Tatbestand. Ist der Angeklagte - wie vorliegend - wegen Beihilfe gemäß § 27 StGB verurteilt, bedeutet dies, dass sich den getroffenen Feststellungen entnehmen lassen muss, dass der Angeklagte die fremde Tat unterstützen wollte.

Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass sich den getroffenen Feststellungen weder eine physische noch eine psychische Unterstützung des Täters durch den Angeklagten entnehmen lässt. Aus den äußerst knappen Feststellungen ergibt sich nur, dass der Angeklagte bei der Körperverletzung anwesend gewesen ist. Das ist keine physische Beihilfe. Das bloße Dabeisein ist aber - selbst wenn der „Gehilfe“ die Tat billigen sollte - auch nicht ohne weiteres Beihilfe durch psychische Unterstützung (BGH NStZ 1996, 563). Dies setzt vielmehr auch die Feststellung voraus, dass die Tat durch die Unterstützung objektiv gefördert und erleichtert worden und dies dem Gehilfen auch bewusst war (BGH StV 1999, 212; siehe im Übrigen auch noch BGH StV 1996, 659). Das Amtsgericht wird sich in dem Zusammenhang vor allem auch mit der Frage auseinander zu setzen haben, ob dem Angeklagten überhaupt bewusst war, dass er durch seine Anwesenheit die Haupttat gefördert hat.

2.

Darüber hinaus lässt das vom Amtsgericht in der Hauptverhandlung gewählte Verfahren nach Auffassung des Senats folgenden Hinweis dringend erforderlich erscheinen. Diesem liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:

Das Amtsgericht hatte die Hauptverhandlung, nachdem diese bereits zweimal wegen Nichterscheinens von Zeugen vertagt werden musste, erneut auf den 13. Januar 2003 terminiert. Zu Beginn der Hauptverhandlung waren nunmehr zwar (vorgeführt) die Zeugen erschienen, es war jedoch der Angeklagte nicht anwesend. Das Amtsgericht hat daraufhin den Beschluss verkündet, dass die Zeugen „im Wege der kommissarischen Vernehmung vernommen werden“ sollen, und sodann nach Belehrung die drei Zeugen vernommen und entlassen. Es hat anschließend die Hauptverhandlung unterbrochen, Fortsetzungstermin auf den 20. Januar 2003 bestimmt und die polizeiliche Vorführung des Angeklagten angeordnet. Im Fortsetzungstermin war der Angeklagte anwesend. Es wurde die Anklageschrift verlesen, der Angeklagte zur Sache befragt und anschließend die Beweisaufnahme geschlossen. Nach den Plädoyers des Vertreters der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers und des letzten Wortes des Angeklagten wurde das angefochtene Urteil verkündet.

Diese Verfahrensweise wird den Vorschriften der StPO in keiner Weise gerecht und verletzt das Anwesenheitsrecht des Angeklagten, das mit der sich aus § 230 StPO Abs. 1 StPO ergebenden Anwesenheitspflicht korrespondiert. Dieses ist als Ausfluss des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verfassungsrechtlich geschützt. Von der grundsätzlich zwingenden Anwesenheitspflicht des Angeklagten lässt die StPO auch nur in bestimmten und an konkrete gesetzliche Voraussetzungen geknüpfte Fällen Ausnahmen zu. Die Frage der Anwesenheit des Angeklagten steht nicht im Belieben des Tatrichters, dieses muss vielmehr die Voraussetzungen für eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten sorgfältigst prüfen. Das gilt vor allem im Jugendgerichtsverfahren, in dem das Gericht nach Auffassung des Senats grundsätzlich immer nur bei dauernder Anwesenheit des Angeklagten die gemäß § 105 JGG notwendige Gesamtwürdigung des Persönlichkeit des Heranwachsenden zutreffend wird durchführen können.

Vorliegend war keine der in der StPO geregelten Ausnahmen gegeben. Soweit die Tatrichterin mit der Formulierung „im Wege der kommissarischen Vernehmung“ ihren Beschluss auf § 223 StPO hat stützen wollen, liegen dessen Voraussetzungen ersichtlich nicht vor. § 223 StPO regelt im Übrigen auch eine völlig andere Fallgestaltung, nämlich die Vorwegnahme eines Teils der Hauptverhandlung, um eine in der Hauptverhandlung verlesbare Niederschrift über die Vernehmung der Zeugen zu gewinnen. Hier hat die Tatrichterin die Vernehmung der Zeugen ersichtlich aber als Teil der Hauptverhandlung durchgeführt. Auch die Voraussetzungen des § 231 Abs. 2 StPO sind offensichtlich nicht erfüllt. Ob der Angeklagte schließlich entsprechend § 232 StPO geladen worden ist, so dass ggf. ohne ihn verhandelt werden konnte, lässt sich der Verfahrensakte nicht entnehmen. Insoweit geht der Senat allerdings davon aus, dass das nicht der Fall war, da anderenfalls nicht erklärlich ist, warum die Tat-richterin dann nicht die Hauptverhandlung am 13. Januar 2003 beendet, sondern am 20. Januar 2003 mit dem Angeklagten fortgesetzt hat.

3.

Der Senat weist schließlich darauf hin, dass sich dem Urteilsrubrum als Verhandlungstag nur der 20. Januar 2003 entnehmen lässt, obwohl die Hauptverhandlung auch am 13. Januar 2003 durchgeführt worden ist. Grundsätzlich sind aber alle Verhandlungstage anzuführen (Meyer-Goßner, a.a.O. § 275 Rn. 24 mit weiteren Nachweisen).


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