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Rechtsprechungsübersicht zum Strafrecht – 2015/2016

aus ZAP Heft 20/2016, F. 22 R, S. 969

Von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Inhaltsverzeichnis

 I. Gesetzesvorhaben.      
  1. Fahrverbot (§ 44 StGB).    
  2. „Unfallgaffer“ (§ 115 StGB-E).    
  3. Autorennen (§ 315d StGB-E).    
 II. Körperverletzungsdelikte.      
  1. Verabreichung von Betäubungsmitteln (§ 223 Abs. 1 Nr. 1 StGB).    
  2. Gefährliche Körperverletzung „mittels eines gefährlichen Werkzeugs“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)    
  3. Gemeinschaftliche Begehungsweise (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB).    
 III. Zueignungsdelikte/Diebstahl      
  1. Einsteigediebstahl (§§ 243, 244 StGB).    
  2. Wohnungseinbruchsdiebstahl (§§ 243, 244 StGB).    
  3. Diebstahl mit Waffen (§ 244 StGB).    
 IV. Vermögensdelikte.      
  1. Vermögensschaden bei Zwang zur Herausgabe von Betäubungsmitteln (§§ 253, 255 StGB)    
  2. Betrug zu Lasten einer Prostituierten (§ 263 StGB).    
 V. Verkehrsstrafrecht.      
  1. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB).    
  2. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr/Straßenverkehrsgefährdung (§§ 315b, 315c StGB)    
    a) Verurteilung nach § 315b StGB.  
    b) Verurteilung nach § 315c StGB.  
      aa) Geisterfahrer.
      bb) Vorsatz.  
  3. Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB).    
    a) Begriff des Fahrzeugs.  
  b) Ausfallerscheinungen.  
  c) Nachtrunkeinlassung.  
  4. Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG).    
  5. Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69, 69a StGB).  
  a) Widerlegung der Regelvermutung des § 69 StGB.  
  b) Bedeutender Schaden i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB.  

I. Gesetzesvorhaben

Aus dem in meinen Augen schier unerschöpflichen Reservoir an Gesetzesvorhaben, die das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) noch vor Ende der Legislaturperiode umsetzen will, ist aus dem strafrechtlichen Bereich auf drei für die Praxis wichtige Vorhaben hinzuweisen.

1. Fahrverbot (§ 44 StGB)

Derzeitig ist die Verhängung eines Fahrverbots als Nebenstrafe gem. § 44 StGB auf Straftaten beschränkt, die im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurden (vgl. dazu Fischer, StGB, 63. Aufl. 2016, § 44 Rn 6 ff. m.w.N.). Dazu hat das BMJV im Juni einen Referentenentwurf vorgelegt (abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Aenderung_StGB.pdf?__blob=publicationFile&v=2), der vorsieht, diese Beschränkung aufzuheben. Ein Fahrverbot soll danach generell als Nebenstrafe verhängt werden können. Außerdem soll die Höchstdauer des Fahrverbots von drei auf sechs Monate verlängert werden. Das soll allerdings nur für das Erwachsenenrecht gelten, im Bereich des Jugendstrafrechts soll es bei der derzeitigen Höchstdauer von drei Monaten bleiben.

Mit diesem Fahrverbot für alle Straftaten soll auch außerhalb der Verkehrsdelikte eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen werden, „zielgenau, spürbar und schuldangemessen auf den Täter einzuwirken“, und es soll „zugleich der Vermeidung von Verhängung und Vollstreckung insbesondere kurzer Freiheitsstrafen dienen“ (RefE, S. 8). Der Referentenentwurf geht davon aus, dass das Fahrverbot als Ergänzung zu den übrigen Sanktionen zum einen in Fällen zur Anwendung kommt, in denen eine Geldstrafe allein bei dem Verurteilten womöglich keinen hinreichenden Eindruck hinterlässt, das Verhängen einer Freiheitsstrafe aber eine zu einschneidende Sanktion wäre. Zum anderen soll das Fahrverbot durch die Kombination mit der Geldstrafe das Verhängen einer an sich angezeigten Freiheitsstrafe ersetzen und zusammen mit einer Freiheitsstrafe die Möglichkeit eröffnen, deren Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen.

Mir erscheint Sinn und Zweck dieser Regelung fraglich: Warum hat der Gesetzgeber gerade die Tätigkeit des Autofahrens herausgegriffen, die verboten werden soll? Bei dem Fahrverbot „für alle“ erscheint es angesichts der verschiedenen Lebensumstände und Vorlieben der von einem solchen Fahrverbot Betroffenen auch kaum, zumindest aber nur schwer möglich für eine annähernde Wirkungsgleichheit dieser Strafe bei den betroffenen Verurteilten zu sorgen. Das gilt vor allem dann, wenn diese beruflich auf die Möglichkeit des Fahrens angewiesen sind.

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2. „Unfallgaffer“ (§ 115 StGB-E)

Im Gesetzgebungsverfahren ein Stück weiter als das „Fahrverbot für alle“ ist ein Gesetzesvorhaben des Bundesrats. Dieser hat bereits den Gesetzesentwurf zu einem neuen § 115 StGB-E auf den Weg gebracht und dem Bundestag zugeleitet (vgl. BT-Drucks 18/9327). Danach soll gegen Schaulustige, die nach einem (Verkehrs-)Unfall Fotos machen und filmen statt zu helfen, vorgegangen werden können. Bisher macht sich nur strafbar, wer mit Gewalt oder durch Androhen von Gewalt Rettungsarbeiten nach einem Unfall behindert. Dies soll „im Interesse des Opferschutzes“ geändert werden. Dem Entwurf zufolge soll „mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft werden, wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes behindert“. Damit würde auch „bloßes Sitzen- und Stehenbleiben“ von der Neuregelung umfasst.

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3. Autorennen (§ 315d StGB-E)

Bislang werden illegale Autorennen im öffentlichen Straßenverkehr nur von § 29 StVO erfasst. Es droht eine Geldbuße und ein Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG. Das ist angesichts einiger spektakulärer, illegaler Rennen, die in der letzten Zeit zu schweren Folgen geführt haben, nach Auffassung des Bundeslandes NRW nicht (mehr) ausreichend. NRW hat daher einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, der künftig mit einem neuen Straftatbestand in § 315d StGB-E illegale Kraftfahrzeugrennen nicht mehr nur als Ordnungswidrigkeiten verfolgen, sondern unter Strafe stellen will. Der Bundesrat hat am 23.9.2016 den Entwurf auf den Weg gebracht (vgl.- BR-Drucks. 326/16). Wer ein Rennen veranstaltet oder daran teilnimmt, dem drohen danach bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe (vgl. BR-Drucks 362/16 (B) v. 23.9.2016). Außerdem soll dann i.d.R. die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist verhängt werden (§ 69 Abs. 2 Nr. 1a StGB). Dazu wird das illegale Rennen zum Katalog der Regelbeispiele in § 69 Abs. 2 StGB hinzugefügt werden. Werden bei einem solchen Rennen Leib und Leben eines Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, soll nach dem Entwurf durch die Einführung eines konkreten Gefährdungsdelikts eine erhöhte Strafandrohung (Freiheitstrafe bis zu fünf Jahren) gelten. § 315d Abs. 3 StGB-E regelt (angelehnt an § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB) eine Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination mit einem abgesenkten Strafrahmen, wenn die Tat (lediglich) fahrlässig verursacht wird. Für schwerste Fälle, in denen die Tat zum Tode oder zu erheblichen Schäden an der Gesundheit anderer Menschen führt, wird in § 315d Abs. 4 StGB-E ein neuer Qualifikationstatbestand eingeführt. § 315d Abs. 4 StGB-E ist ein Verbrechenstatbestand, d.h., dass eine Mindeststrafe von einem Jahr droht. Die Höchststrafe soll dann 10 Jahre betragen. In minder schweren Fällen kann ausnahmsweise eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren verhängt werden.

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II. Körperverletzungsdelikte

1. Verabreichung von Betäubungsmitteln (§ 223 Abs. 1 Nr. 1 StGB)

Das OLG Zweibrücken (Beschl. v. 11.1.2016 – 1 OLG 1 Ss 2/16) hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Der Angeklagte besucht an Heiligabend seine Mutter zu einem gemeinsamen Heiligabendfest. Der Angeklagte brachte selbstgebackene Plätzchen mit, in die er Cannabis eingearbeitet hatte. Für jeden Gast auf der Feier offen zugänglich legte der Angeklagte diese Kekse auf den Tisch, auf dem sich auch normales Weihnachtsgebäck zum Verzehr befand. Die zum Fest anwesenden Personen, unter denen sich u.a. ein 17-Jähriger und ein 15-Jähriger befanden, klärte der Angeklagte absichtlich nicht darüber auf, dass die von ihm gebackenen Plätzchen Cannabis enthielten. Der Angeklagte nutzte seinen Wissensvorsprung dazu aus, dass sich die unwissenden Anwesenden hiervon nehmen würden. Im Laufe des Abends aßen der 17-Jährige und ein Bruder des Angeklagten jeweils von den Keksen. Dabei war der psychoaktive Wirkstoffgehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) von denkbar geringer Natur, jedoch so hoch, dass der Bruder des Angeklagten nach dem Konsum fast eines ganzen Kekses Schweißausbrüche erlitt, kreidebleich wurde und zu zittern begann. Der 17-Jährige schmeckte bei dem Verspeisen eines dieser Kekse Haschisch. Das AG hat den Angeklagten wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren im minderschweren Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung im minderschweren Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen richtete sich die Revision, die beim OLG Zweibrücken Erfolg hatte.

Das OLG (a.a.O.) führt u.a. aus: Soweit das AG die aufgetretenen körperlichen Reaktionen in Form von Schweißausbrüchen, Zittern und dem zwischenzeitlichen Verlust der Gesichtsfarbe („kreidebleich“) als pathologischen Zustand in Form eines psychovegetativen Erschöpfungszustands qualifiziert, sei dagegen zunächst rechtlich nichts zu erinnern. Der objektive Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB verlange allerdings über das Vorliegen einer einfachen Gesundheitsschädigung hinaus, dass die verwendete Substanz nach der Art der Anwendung oder Zuführung des Stoffes, seiner Menge oder Konzentration, ebenso aber auch nach dem Alter und der Konstitution des Opfers mit der konkreten Gefahr einer erheblichen Schädigung im Einzelfall verbunden ist (BGHSt 51, 18 = NJW 2006, 1822). Erheblich sei eine solche Schädigung dann, wenn sie nach Intensität oder Dauer überdurchschnittlich sei. Die vom AG beim Bruder des Angeklagten festgestellte Schädigung der Gesundheit in Form von Schweißausbrüchen, Zittern und dem zwischenzeitlichen Verlust der Gesichtsfarbe („kreidebleich“) weise für sich genommen eine erhebliche Beeinträchtigung nach Intensität oder Dauer noch nicht aus. Das AG wäre daher gehalten gewesen, zusätzliche Feststellungen dazu zu treffen, ob die vom Angeklagten verwendete Menge (ca. 0,6 g) Haschisch „mit einem psychoaktiven Wirkstoffgehalt an THC von denkbar geringer Natur“ mit der konkreten Gefahr einer weitergehenden, erheblichen Schädigung der Gesundheit verbunden gewesen sei.

Hinweis:

§ 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst auch Stoffe des täglichen Bedarfs, allerdings muss ihre Beibringung mit der konkreten Gefahr einer erheblichen Schädigung im Einzelfall verbunden sein (BGH a.a.O.). Das muss sich aus den tatsächlichen Feststellungen ergeben.

2. Gefährliche Körperverletzung „mittels eines gefährlichen Werkzeugs“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)

Die Körperverletzungsdelikte spielen in der Rechtsprechung der Obergerichte eine große Rolle (vgl. dazu eingehend die Rechtsprechungsübersicht von Lorenz StRR 2014, 207 ff.; StRR 7/2016, 4 ff. und Nr. 8/2016, 4 ff.). Aus der umfangreichen Rechtsprechung zu den §§ 223 ff. StGB ist hinzuweisen auf mehrere Entscheidungen des BGH zu § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB – mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs – in denen die Begehung der Tat mit einem Kraftfahrzeug von Bedeutung war (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Im Beschluss vom 30.7.2013 (4 StR 275/13, NStZ 2014, 36) hatte der BGH noch einmal (vgl. u.a. auch StV 2013, 438 f.) darauf hingewiesen, dass Voraussetzung einer gefährlichen Körperverletzung durch Anfahren mit einem Pkw ist, dass die Verletzungsfolge durch unmittelbaren Kontakt zwischen Fahrzeug und Person eintritt. Verletze sich eine Person, weil ein Pkw auf sie zufährt und stürze sie deshalb, liege eine gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) nicht vor, wenn die Verletzung (nur) auf dem Sturz beruhe. Voraussetzung für das Vorliegen einer gefährlichen Körperverletzung sei, dass die Verletzung durch den unmittelbaren Kontakt zwischen Fahrzeug und Person verursacht wird.

Nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt war eine psychisch gestörte Frau mit ihrem Pkw zwei jugendlichen Zeitungsausträgern, die mit ihren Fahrrädern unterwegs waren, hinterher gefahren. Diese versuchten, vor der Frau zu fliehen. Im Rahmen der Flucht fuhr die Frau zielgerichtet auf einen der Zeitungsausträger zu, so dass dieser von seinem Fahrrad stürzte und sich Verletzungen zuzog. Das LG hatte in diesem Vorfall u.a. eine gefährliche Körperverletzung seitens der Autofahrerin gesehen. Der BGH (a.a.O.) hat hingegen eine gefährliche Körperverletzung aufgrund des Sturzes durch Anfahren verneint.

Hinweis:

Die Rechtsprechung des BGH wird inzwischen angezweifelt. Nach Auffassung des OLG Hamm bestehen Zweifel, ob der Rechtsprechung des BGH gefolgt werden kann, da die Formulierung „mittels“ lediglich eine Kausalitätsbeziehung umschreibe und sich die Gefährlichkeit des Werkzeugs ggf. auch bei nur mittelbarer Wirkung entfalten könne (OLG Hamm VRR 2014, 228 = DAR 2014, 594).

Der BGH wendet seine Rechtsprechung im Übrigen auch bei der Beurteilung des subjektiven Tatbestands an (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 4.11.2014 – 4 StR 200/14, NStZ-RR 2015, 244). Einen auf die Begehung einer gefährlichen Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gerichteten Vorsatz hat, wer eine andere Person durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes, gefährliches Tatmittel i.S.v. § 223 Abs. 1 StGB misshandeln, an der Gesundheit beschädigen will oder dies zumindest billigend in Kauf nimmt. Das bedeute, so der BGH, dass dann, wenn der Täter mit einem Pkw auf einen anderen Verkehrsteilnehmer zufahre, der innere Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB daher nur dann erfüllt ist, wenn er sich dabei wenigstens mit der Möglichkeit abgefunden hat, dass die betroffene Person angefahren oder überfahren wird und unmittelbar hierdurch eine Körperverletzung erleidet. Rechnet der Täter dagegen nur mit Verletzungen infolge von Ausweichbewegungen oder einem Sturz, scheide die Annahme einer versuchten gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2; 22, 23 Abs. 1 StGB aus. Mit dieser Begründung hat der BGH den Versuch einer gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB in einem Fall verneint, in dem der Angeklagte mit einem Pkw von hinten den Motorroller eines anderen Verkehrsteilnehmers angefahren hatte. Da der Angeklagte nach den Feststellungen jedoch allein damit rechnete, dass der Geschädigte dem Anstoß ausweichen und sich erst im Zuge des rettenden Manövers bei dem darauffolgenden – als mögliches Resultat erkannten – Sturz Verletzungen zuziehen würde, schied nach Auffassung des BGH die Annahme einer versuchten gefährlichen Körperverletzung aus (BGH, a.a.O.).

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3. Gemeinschaftliche Begehungsweise (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB)

Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestands des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist das Zusammenwirken eines Täters mit einem anderen Täter oder einem Gehilfen. Ausreichend ist zwar auch allein eine psychisch wirkende Unterstützung, erforderlich ist aber in solchen Konstellationen stets, dass die Unterstützungshandlung gefahrerhöhend auf das Opfer wirkt. Das bedeutet, dass der am Tatort anwesende Gehilfe die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist. Eine verstärkte Gefährlichkeit der Körperverletzung für das Tatopfer wird vor allem durch eine Schwächung der Abwehrmöglichkeiten verwirklicht, wenn es durch die Präsenz mehrerer Personen auf der gegnerischen Seite insbesondere auch wegen des möglichen Eingreifens des anderen Beteiligten in seinen Chancen beeinträchtigt wird, dem Täter der Körperverletzung Gegenwehr zu leisten, ihm auszuweichen oder zu flüchten (zu allem Fischer, a.a.O., § 224 Rn 11 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Eine derart erhöhte Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation ergibt sich nicht, wenn das erheblich alkoholisierte Tatopfer schon zu Beginn der vom Haupttäter ausgeführten Tritte regungslos am Boden liegt und für Haupttäter und Gehilfen ersichtlich nicht in der Lage ist, Gegenwehr zu leisten oder zu fliehen (BGH NStZ 2015, 698 f.). Bei der gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung wird weder Eigenhändigkeit noch Mittäterschaft vorausgesetzt. Erforderlich ist aber ein gemeinsames Wirken eines Täters und eines Gehilfen bei der Begehung einer Körperverletzung. Deshalb muss das Urteil Feststellungen zum gemeinsamen Einwirken auf das Opfer bei der Begehung der Körperverletzungshandlung enthalten (BGH, Beschl. v. 8.3.2016 – 3 StR 524/15, NJW 2016, 1898 (Ls.) = NStZ-RR 2016, 139).

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III. Zueignungsdelikte/Diebstahl

1. Einsteigediebstahl (§§ 243, 244 StGB)

Von Bedeutung ist zunächst der auf Vorlage des OLG Oldenburg ergangene Beschluss des BGH vom 10.3.2016 (3 StR 404/15, NJW 2016, 1897 = StRR 6/2016, 17), der eine Problematik betreffend den Einsteigediebstahl (§§ 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) zum Gegenstand hat. Nach dem Sachverhalt hatte der Angeklagte durch ein gekipptes Fenster eines Wohnhauses gegriffen und die am oberen Fensterrahmen angebrachte Verrieglungsschiene gelöst. Hierdurch konnte er das Fenster weiter nach hinten kippen und dann von innen die danebenliegende Terrassentür öffnen. Nachdem er sich so Zutritt verschafft hatte, entwendete er aus dem Haus Alkoholika. Das AG und LG haben den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls verurteilt. Das OLG Oldenburg wollte die Revision des Angeklagten verwerfen, sah sich daran jedoch durch die Entscheidung des BGH (NStZ-RR 2010, 374), in der beim Öffnen einer gekippten Terrassentür auch bei einem Hineingreifen in die Wohnung ein Einsteigen verneint worden war, gehindert, und hatte deshalb die Sache gem. § 121 Abs. 2 GVG dem BGH vorgelegt.

Der BGH hat an seiner Rechtsprechung und dem gefestigten Verständnis des Einsteigens festgehalten (vgl. u.a. BGH NStZ-RR 2010, 374 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Wiederholt sei das Einsteigen definiert worden als das „Eindringen durch eine zum ordnungsgemäßen Eintreten nicht bestimmte Öffnung unter Überwindung eines entgegenstehenden Hindernisses“. Zudem spreche die Binnensystematik der §§ 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB für dieses Ergebnis. Der Alternative des Eindringens sei zu entnehmen, dass das Betreten durch eine hierzu bestimmte Öffnung nur dann vom Regelbeispiel bzw. der Qualifikation erfasst sein soll, wenn dies unter Nutzung eines falschen Schlüssels oder eines anderen nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten, auf den Schließmechanismus einwirkenden Werkzeugs geschieht. Fälle der Überwindung sonstiger entgegenstehender Hindernisse würden wiederum nur dann erfasst, wenn der Täter entweder die Substanz der Umschließung verletzt oder nicht unerhebliche körperliche Kraft aufwenden müsse. Fehle es an einer dieser Voraussetzungen, könne dem nicht dadurch begegnet werden, dass das Vorgehen nunmehr unter den Begriff des Einsteigens subsumiert wird. Zudem decke sich das hergebrachte Begriffsverständnis mit dem allgemeinen Sprachgebrauch, der Einsteigen als das Sichverschaffen unrechtmäßigen Zutritts durch Hineinklettern verstehe.

Hinweis:

Der BGH weist aber darauf hin, dass ein unbenannter besonders schwerer Fall des Diebstahls i.S.d. § 243 StGB in Betracht kommen könnte.

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2. Wohnungseinbruchsdiebstahl (§§ 243, 244 StGB)

Im Beschluss vom 8.6.2016 (4 StR 112/16) hatte sich der BGH ebenfalls mit einem Wohnungseinbruchsdiebstahl zu befassen. Nach dem Sachverhalt hatten der Angeklagte und zwei Tatgenossen auf Anregung des Angeklagten den Entschluss gefasst, in das Haus einer 83-jährigen Frau einzubrechen. Während der Angeklagte nach dem Eintreffen am Wohnhaus im Fahrzeug wartete und „Schmiere stand“, gingen die beiden anderen zur rückwärtigen Seite des Hauses und hebelten die Kellertür zum Objekt gewaltsam auf. Anschließend durchwühlten sie im Obergeschoss mehrere Räume und rafften alles Stehlenswerte, insbesondere Schmuck und Armbanduhren, zusammen. Als die 83-jährige, gehbehinderte Frau, die sich zur Tatzeit in den Wohnräumen im Erdgeschoss aufhielt, Geräusche im Haus bemerkte, öffnete sie die Flurtür und konnte noch sehen, wie die beiden Täter mit der Beute im Wert von ca. 3.000 € aus dem Haus flohen. Das LG hatte sie wegen eines Wohnungseinbruchsdiebstahls nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt.

Der BGH (a.a.O.) hat dieses Urteil aufgehoben. Die Vorschrift des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB setze das Einbrechen, Einsteigen oder Eindringen in eine Wohnung voraus. Breche der Täter in Kellerräume ein, sei der Tatbestand nur erfüllt, wenn diese Räume durch eine unmittelbare Verbindung zum Wohnbereich dem Begriff des Wohnens typischerweise zuzuordnen sind (vgl. BGH StV 2015, 113 = StraFo 2014, 339 betreffend Einbruch über einen Schuppen; NStZ 2013, 12 = StraFo 2012, 324; Fischer, a.a.O., § 244 Rn 48). Dies sei regelmäßig beim Keller eines Einfamilienhauses, nicht aber bei vom Wohnbereich getrennten Kellerräumen in einem Mehrfamilienhaus der Fall (vgl. BGH, a.a.O.; Beschl. v. 25.7.2002 – 4 StR 242/02).

Hinweis:

Ob die Voraussetzungen des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind, muss sich aus den tatsächlichen Feststellungen ergeben. Es darf also z.B. auch nicht offen bleiben, ob es sich bei dem Wohnhaus, in das eingebrochen wird, um ein Ein- oder Mehrfamilienhaus handelt. Die räumlichen Gegebenheiten des Tatobjekts müssen dargestellt werden (BGH, a.a.O.).

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3. Diebstahl mit Waffen (§ 244 StGB)

Das OLG Naumburg (Beschl. v. 17.5.2016 – 2 Rv 39/16, StraFo 2016, 303) behandelt eine Problematik, die immer wieder Gegenstand der obergerichtlichen Rechtsprechung ist, und zwar das Beisichführen von Waffen i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 1a (vgl. dazu Fischer, a.a.O., § 244 Rn 3 ff. m.w.N.). In dem vom OLG entschiedenen Fall hatte der Angeklagte bei einem Diebstahl ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 8,4 cm in seiner rechten Jackentasche bei sich getragen. Seine Einlassung, er habe „mit keiner Silbe an das sich in seiner Jackentasche befindliche Messer gedacht; [...] erst im Büro des Detektivs sei es ihm eingefallen, dass er ein Messer bei sich habe“, hatte der Amtsrichter im Rahmen der Beweiswürdigung nicht widerlegen können. Die Annahme eines Tatvorsatzes im Hinblick auf das Beisichführen einer Waffe hat er dann aber (lediglich) aufgrund der Länge des Messers hergeleitet. Das hat das OLG als rechtsfehlerhaft angesehen. Denn ein Klappmesser von 8,4 cm Klingenlänge sei zwar ein generell gefährlicher Gegenstand; der Umstand, dass der Angeklagte im Besitz des Messers war und dieses in seiner Jackentasche mit sich führte, lasse jedoch nicht ohne Weiteres auf ein entsprechendes Bewusstsein (des Beisichführens) schließen (zum Beisichführen eines anderen gefährlichen Werkzeugs und zwar eines Geißfußes s.a. OLG Stuttgart StRR 2015, 435; zum Beisichführen eines „Schweizer Offiziersmessers“ in der Hosentasche als Beisichführen eines „anderen gefährlichen Werkzeugs“ s. KG StraFo 2008, 340 = StV 2008, 473).

Hinweis:

In vergleichbaren Fällen müssen ggf. zum Vorstellungsbild des Angeklagten Feststellungen getroffen werden, wenn das Messer nicht derart lang war (Klingenlänge > 10 cm), dass sich für den Angeklagten das Mitsichführen des Messers jederzeit bewusst aufdrängen musste.

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IV. Vermögensdelikte

1. Vermögensschaden bei Zwang zur Herausgabe von Betäubungsmitteln (§§ 253, 255 StGB)

Auf dem Weg zum Großen Senat für Strafsachen dürfte sich eine (An-)Frage befinden, die der 2. Strafsenat des BGH (BGH, Beschl. v. 1.6.2016 – 2 StR 335/15, StRR 8/2016, 15) aufgeworfen hat. Das LG hatte die Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung (§§ 253, 255 StGB) verurteilt. Die Angeklagten hatten einen anderen mit Gewalt zur Herausgabe von Heroin gezwungen. Der 2. Strafsenat des BGH hält die Revisionen für begründet. Er will davon ausgehen, dass die Nötigung zur Übertragung von unerlaubtem Besitz an Betäubungsmitteln nicht strafrechtlich geschütztes Vermögen betrifft und daher nicht den Tatbestand der Erpressung (§ 253 StGB) erfüllt. Er hat deshalb bei den anderen Strafsenaten des BGH angefragt, ob sie dem zustimmen oder an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten.

Zur Begründung wird darauf verwiesen (vgl. BGH, a.a.O.), dass es kein strafrechtlich schutzwürdiges Vermögen außerhalb des Rechts gebe. Auch der Besitz sei nur dann ein Bestandteil des geschützten Vermögens, wenn er auf einem Recht zum Besitz beruht. Der strafbare Besitz von Betäubungsmitteln sei deshalb kein durch Strafrecht zu schützendes Rechtsgut. Vielmehr sei der Verlust dieses unerlaubten Besitzes gerade der rechtlich erwünschte Zustand. Die gleichzeitige Strafdrohung gegen denjenigen, der unerlaubt Betäubungsmittel besitze (§§ 29 Abs. 1 Nr. 3, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG), und gegen denjenigen, der dem Besitzer diesen unerlaubten Besitz durch Täuschung (§ 263 StGB) oder Nötigung (§§ 253, 255 StGB) entziehe, stelle einen offenkundigen Widerspruch dar. Zugleich fehle es an einer Legitimation des Staates zur Bestrafung der auf die Entziehung eines seinerseits strafbaren Besitzes gerichteten Handlung unter dem speziellen Gesichtspunkt eines Vermögensdelikts. Die Argumente der Gegenansicht (strafrechtfreier Raum, Besitzschutz nach §§ 858 ff. BGB u.a.) seien nicht tragfähig. Drogen hätten zwar auf dem Schwarzmarkt gerade wegen ihrer Illegalität hohen, auf dem legalen Markt hingegen gar keinen Wert. Nach Auffassung des 2. Strafsenats ist die Anwendung der Vermögensdelikte auf die Entziehung des Drogenbesitzes auch nicht deshalb geboten, weil in angrenzenden Fällen, in denen dem Opfer die Betäubungsmittel weggenommen werden, ein Eigentumsdelikt vorläge. Divergenzen zwischen dem Schutz von Eigentum und Vermögen würden auch an anderer Stelle hingenommen und zwängen nicht dazu, die Auslegung des Merkmals „Vermögen“ auf illegal erworbene Rechtspositionen zu erstrecken. Der Schutz des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gegen Wegnahme durch Eigentumsdelikte erscheine zudem seinerseits nicht zwingend (dafür aber BGH NJW 2006, 72). Werden Betäubungsmittel entgegen eines strafrechtlichen Verbots hergestellt, entstehe kraft bürgerlichen Rechts (§§ 950, 953 BGB) jedenfalls kein vollwertiges Eigentum. Die Eigentumsposition des Herstellers bestehe praktisch nur aus Pflichten zur Ablieferung an die Behörden oder Vernichtung der Drogen, während seine Rechte gem. §§ 903, 985 ff. BGB durch die Verbote nach § 29 BtMG ausgeschlossen seien. Ein Schutz seiner formalen Positionen durch das Strafrecht als „ultima-ratio“ sei nicht geboten. Gleiches gelte für den Gewahrsam des Erwerbers.

Hinweis:

Die Ansicht des 2. Strafsenats stellt eine Abkehr von dem herrschenden ökonomisch-juristischen Vermögensbegriff zurück zu einer rein juristischen Betrachtungsweise, gleichsam eine Rückkehr zum „zivilistischen Denken“ im Strafrecht dar (vgl. dazu die Nachweise in BGH, a.a.O.; s.a. Deutscher StRR 8/2016, 15 f.). Man kann m.E. davon ausgehen, dass die anderen Strafsenate diesen Schritt nicht tun werden und damit die Rechtsfrage durch den Großen Senat für Strafsachen entschieden werden muss.

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2. Betrug zu Lasten einer Prostituierten (§ 263 StGB)

Der überkommene Vermögensbegriff liegt dem BGH (Urt. v. 2.2.2016 – 1 StR 435/15, NJW 2016, 2434 = NStZ 2016, 283) zugrunde. Nach dem Sachverhalt hatte der Angeklagte mit der Geschädigten vereinbart, dass diese über mehrere Tage zu einem Preis von 4.000 € Dienste als „Domina“ für ihn leisten sollte. Die Geschädigte erbrachte die verabredeten Leistungen. Zu diesem Zweck hatte sie Räumlichkeiten in einem „Institut“ angemietet und dafür 2.000 € aufzuwenden. Der Angeklagte nahm während des knapp zwei Tage dauernden Aufenthalts in dem „Institut“ außer den Diensten der Geschädigten auch die dortige Unterbringung und Verpflegung in Anspruch. Einen Tag vor Beginn der Leistungserbringung durch die Geschädigte hatte der Angeklagte ihr einen auf einen Betrag von 4.000 € lautenden Verrechnungsscheck übergeben, dessen fehlende Deckung der Angeklagte kannte. Der Angeklagte ist u.a. wegen dieses Geschehens wegen Betruges gem. § 263 StGB verurteilt worden.

Der 1. Strafsenat des BGH (a.a.O.) führt in seinem Urteil dazu aus: Zum strafrechtlich durch § 263 StGB geschützten Vermögen gehörten auch die von der Geschädigten erbrachten sexuellen Leistungen als sog. Domina. Zwar würden Rechtsgeschäfte über die Erbringung sexueller Leistungen gegen Entgelt nach wie vor wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gem. § 138 Abs. 1 StGB als nichtig erachtet (Palandt/Ellenberger, BGB, 75. Aufl., Anh. zu § 138 [§ 1 ProstG]; s.a. BGH NStZ 2011, 278; 2015, 699 f.). Allerdings bestimme § 1 S. 1 ProstG – insoweit als Ausnahmeregelung zu § 138 BGB –, dass eine rechtswirksame Forderung einer Prostituierten auf das für die sexuellen Leistungen vereinbarte Entgelt entstehe, wenn die verabredete Leistung von ihr erbracht worden sei (vgl. jeweils BGH a.a.O.). Angesichts dieser gesetzgeberischen Wertung müsse bereits den in Erfüllung eingegangener Verabredungen und in Erwartung des vereinbarten Entgelts erbrachten sexuellen Leistungen ein betrugsstrafrechtlich relevanter wirtschaftlicher Wert zugemessen werden. Zahle der Freier, wie hier der Angeklagte, entsprechend der bereits bei Eingehen des Geschäfts bestehenden Willensrichtung das vereinbarte Entgelt nicht, fehle es an einer Kompensation für die Leistungen.

Hinweis:

Im Hinblick auf die durch § 1 S. 1 ProstG herbeigeführte Gesetzeslage bedurfte es keiner Anfrage des 1. Strafsenats an den 2. und den 5. Strafsenat, ob diese an ihrer vor Inkrafttreten des ProstG ergangenen Rechtsprechung (BGHSt 4, 373; NStZ 1987, 407) festhalten würden. An eigener, entgegenstehender Rechtsprechung (vgl. Beschl. v. 20.12.1988 – 1 StR 654/88) wurde wegen der durch § 1 S. 1 ProstG geschaffene neue Rechtslage ebenfalls nicht festgehalten.

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V. Verkehrsstrafrecht

Aus dem Bereich der verkehrsstrafrechtlichen Fragestellungen ist auf folgende Entscheidungen hinzuweisen.

1. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB)

Wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 142 StGB kann nur bestraft werden, wer vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz nach § 142 Abs. 1 StGB muss sich auf alle Merkmale des äußeren Tatbestands erstrecken. Dazu gehört, dass der Täter weiß, dass es zu einem Unfall i.S.d. § 142 StGB gekommen ist. Der Täter muss erkannt oder wenigstens mit der Möglichkeit gerechnet haben, dass er einen Gegenstand angefahren, überfahren, jemanden verletzt oder getötet hat, bzw. dass ein nicht völlig bedeutungsloser fremder Sachschaden entstanden ist. Da Fahrlässigkeit nicht ausreicht, genügt es für die tatrichterliche Überzeugungsbildung nicht, lediglich äußere Umstände festzustellen, die einem durchschnittlichen Kraftfahrer nach aller Lebenserfahrung die Vermutung aufdrängen, es sei unter seiner Mitverursachung zu einem Verkehrsunfall mit jedenfalls nicht unbeachtlichem Sachschaden gekommen (KG, Beschl. v. 8.7.2015 – (3) 121 Ss 69/15, VRS 129, 4 = VA 15, 181). Zur sicheren Überzeugung des Tatrichters müsse vielmehr feststehen und für das Revisionsgericht nachvollziehbar begründet sein, dass auch der betreffende Täter für seine Person diese Kenntnis erlangt habe. Dabei reicht es nicht aus, dass der Angeklagte die Entstehung eines nicht unerheblichen Schadens hätte erkennen können und müssen. Damit sei kein (bedingter) Vorsatz, sondern lediglich Fahrlässigkeit erwiesen (KG, a.a.O.).

Das KG betritt mit dieser Entscheidung kein Neuland, sondern weist nur noch einmal auf das hin, was in der obergerichtlichen Rechtsprechung zu § 142 StPO Konsens ist: Der Vorsatz nach § 142 Abs. 1 StGB muss sich auf alle Merkmale des äußeren Tatbestands erstrecken, wozu eben auch gehört, dass der Täter weiß, dass es zu einem Unfall i.S.d. § 142 StGB gekommen ist (vgl. dazu Burhoff in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl. 2015, § 4 Rn 392 ff. m.w.N.). Dass er es hätte erkennen können und müssen, reicht eben nicht aus (vgl. dazu auch noch OLG Düsseldorf VRS 95, 254, 255 = zfs 1998, 312; OLG Hamm VRS 93, 166 = zfs 1997, 73; OLG Jena VRS 110, 15, 16, 17 = StV 2006, 529; OLG Köln DAR 2002, 88). Und das gilt vor allem, wenn es sich um einen Bagatellschaden handelt.

Hinweis:

Gerade bei Bagatellschäden werden von den AG häufig Fehler gemacht bzw. Formulierungen verwendet, die zur Darstellung des Vorsatzes nicht ausreichen. Entscheidend ist, dass, auch wenn davon auszugehen ist, dass dem Angeklagten der Anstoß an ein anderes Fahrzeug nicht entgangen ist, nicht nur der durchschnittliche Fahrzeugführer die Erheblichkeit des Schadens hätte erkennen können, sondern dass gerade der Angeklagte ihn erkannt oder seinen Eintritt für möglich gehalten hat (vgl. dazu schon KG DAR 2012, 393 = NZV 2012, 497). Dazu werden – vor allem eben bei Bagatellschäden – tatsächliche Feststellungen zum Schadensumfang erforderlich sein (s.a. KG a.a.O.).

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2. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr/Straßenverkehrsgefährdung (§§ 315b, 315c StGB)

a) Verurteilung nach § 315b StGB

Die obergerichtliche Rechtsprechung bestätigt noch einmal: Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr gem. § 315b Abs. 1 StGB liegt erst dann vor, wenn durch eine der in § 315b Abs. 1 Nr. 1–3 StGB genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist und sich diese abstrakte Gefahrenlage zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert verdichtet hat. Danach kann ein willkürliches Abbremsen bei „hoher Geschwindigkeit“, um den nachfolgenden Kfz-Führer zu einer scharfen Bremsung oder Vollbremsung zu zwingen, einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr durch Hindernisbereiten i.S.d. § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2015 – 5 RVs 139/15). Entsprechendes gilt, wenn ein Fahrzeugführer mit einem Pkw mit hoher Geschwindigkeit und ungebremst auf einen Streifenwagen zufährt, der sich quer zur Fahrbahn gestellt hat, um ein Durchkommen zu verhindern (vgl. BGH StV 2016, 286 = NZV 2016, 345). Allerdings muss in dem Fall das Urteil wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) konkrete Feststellungen zu den Entfernungsverhältnissen machen, die einen sicheren Schluss auf einen „Beinahe-Unfall“ zulassen. Nur so kann sich nämlich ergeben, dass das Fahrverhalten des Angeklagten zu einer konkreten Gefahr für die in § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB bezeichneten Individualrechtsgüter geführt hat. Weiter bedarf es der Feststellungen zu einem zumindest bedingten Schädigungsvorsatz (BGH a.a.O.).

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b) Verurteilung nach § 315c StGB
aa) Geisterfahrer

Eine Geisterfahrt, also das Fahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung, stellt keinen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot gem. § 315 Abs. 1 Nr. 2e StGB dar (OLG Köln, Beschl. v. 10.12.2015 – III-1 RVs 225/15, ZAP EN-Nr. 266/2016 = VRR 3/2016, 3 [Ls.]). Denn das Rechtsfahrgebot trifft seinem Sinn nach denjenigen Verkehrsteilnehmer nicht, der entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung fährt (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 315c Rn 18 a.E.). Das ergibt sich zudem auch aus § 315c Abs. 1 Nr. 2f StGB, der das Fahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung unter Strafe stellt, allerdings beschränkt auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen. Diese Beschränkung würde durch die Subsumtion einer „Geisterfahrt“ auf einer sonstigen Straße mit nur einer Fahrtrichtung unter § 315 Abs. 1 Nr. 2e StGB umgangen.

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bb) Vorsatz

Die vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315c Abs. 1 StGB verlangt – anders als in § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB – hinsichtlich aller Tatumstände zumindest bedingten Vorsatz. Der Vorsatz des Täters muss deshalb nicht nur die Fahrunsicherheit, sondern auch die konkrete Gefahr umfassen. Der Täter muss die Umstände kennen, die den Gefahrerfolg im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ als nahe liegende Möglichkeit erscheinen lassen und sich mit dem Eintritt dieser Gefahrenlage zumindest abfinden (vgl. BGH, Beschl. v. 13.1.2016 – 4 StR 532/15, NJW 2016, 1109 = NStZ 2016, 216 = NZV 2016, 288, s.a. BGH zfs 2014, 713; König in: Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 315c Rn 48).

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3. Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB)

a) Begriff des Fahrzeugs

Ein Inlineskater, der in alkoholisiertem Zustand die Fahrbahn einer Straße benutzt, macht sich nicht wegen Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB strafbar, da er keinFahrzeug“ führt (LG Landshut, Beschl. v. 9.2.16 – 6 Qs 281/15, StRR 6/2016, 22 = VRR 5/2016, 13 = DAR 2016, 473). Damit hat sich das LG in dieser in Rechtsprechung und Literatur umstrittenen Frage der h.M. angeschlossen (vgl. dazu die Nachw. bei Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, § 24 Rn 3, § 31 Rn 1). Das begründet das LG u.a. damit, dass in § 24 Abs. 1 S. 1 StVO festgestellt werde, dass Inlineskates als besondere Fortbewegungsmittel keine Fahrzeuge i.S.d. StVO seien. Diese Einstufung der Inlineskates stehe in Einklang damit, dass für Fahrzeuge ein Fahrbahnbenutzungszwang gem. § 2 Abs. 1 StVO bestehe. Inlineskatern sei die Benutzung der Fahrbahn hingegen ausdrücklich untersagt. Dies ergebe sich eindeutig aus Nr. 120a BKatV i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 26 StVO, wonach dann eine Geldbuße von 10 € verwirkt sei, wenn beim Inlineskaten (…) unzulässig Fahrbahn, Seitenstreifen oder Radweg benutzt wird.

Hinweis:

Die Entscheidung hat natürlich nicht zur Folge, dass sich Inlineskater nicht über § 316 StGB hinaus im Straßenverkehr strafbar machen können. Das ist in allen Fällen zu bejahen, in denen das StGB nicht das Führen eines Fahrzeugs voraussetzt, wie z.B. bei § 142 StGB (zu zivilrechtlichen Haftungsquoten bei Unfällen mit Beteiligung von Inlineskatern Schumann/Nugel VRR 4/2016, 4 ff.).

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b) Ausfallerscheinungen

Die falsche Einschätzung einer Verkehrssituation ist für sich allein keine Ausfallerscheinung, die als Indiz für eine alkoholbedingte Fahruntauglichkeit genügen würde. Darauf hat noch einmal das OLG Naumburg (Beschl. v. 24.8.2015 – 2 Rv 104/15, VA 2015, 190 = StRR 2015, 434 = VRR 11/2015, 11) hingewiesen. Für die Beurteilung der relativen Fahrunsicherheit eines Kfz-Führers i.S.d. § 316 StGB sind vielmehr die (subjektiven) Umstände in der Person des Kfz-Führers und/oder die (objektiven) Umstände seiner Fahrweise maßgeblich (BGH VRS 33, 119; s.a. Ludovisy/Eggert/Burhoff/Burhoff, a.a.O., § 4 Rn 146 ff.). Nicht jeder kleinste Fahrfehler rechtfertigt die Annahme einer Fahrunsicherheit (s. wegen Nachw. Burhoff, a.a.O.). Entscheidend ist eine Gesamtwürdigung des einzelnen oder auch wiederholten Verhaltens des Kfz-Führers (BGH NJW 1969, 1579; BayObLG NJW 1973, 566; OLG Köln DAR 1973, 21; OLG Koblenz VRS 43, 181).

Hinweis:

Das OLG Naumburg (a.a.O.) hat im Übrigen auch noch darauf hingewiesen, dass die Annahme des AG im angefochtenen Urteil, mehrfache Fehlversuche bei der Durchführung einer Atemalkoholprobe sprächen für eine alkoholbedingte Beeinträchtigung, nicht zutreffend ist.

Reicht die Blutalkoholkonzentration (BAK) mit 0,6 noch nicht nahe an den Grenzwert zur absoluten Fahruntüchtigkeit heran, sind unter Berücksichtigung der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Fahrtüchtigkeit hinsichtlich der konkreten Fahruntüchtigkeit bei einer Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt umfassende tatsächliche Feststellungen zu treffen. Diese ständige Rechtsprechung der OLG bekräftigt noch einmal der Beschluss des OLG Oldenburg vom 7.4.2016 (1 Ss 53/16, VA 2016, 120). Bei der Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) wegen Vorliegens sog. relativer Fahruntüchtigkeit gilt die Faustregel, dass die Feststellungen zu den erforderlichen Ausfallerscheinungen umso konkreter und diese umso gewichtiger sein müssen, je geringer die BAK ist. Entscheidend ist der jeweilige Beschuldigte. In dem vom OLG entschiedenen Fall hatte das AG Ausfallerscheinungen damit begründet, dass der Angeklagte über eine nicht geringe Wegstrecke selbst innerorts mit einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit gefahren war und unter Umfahren einer Verkehrsinsel zu einem grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Überholmanöver angesetzt hatte. Das hat dem OLG (a.a.O.) nicht gereicht. Denn das AG hatte auch mehrere Voreintragungen im Fahreignungsregister (FAER) wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit festgestellt. Deshalb hätten sich – so das OLG (a.a.O.) – Erörterungen dazu aufgedrängt, ob der Angeklagte nicht generell zum Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit neige und ob allein das riskante und zu schnelle Fahren ausreichend sein könne, um alkoholbedingte Ausfallerscheinungen anzunehmen.

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c) Nachtrunkeinlassung

In der Praxis verteidigen sich die Betroffenen gegen den Vorwurf einer Trunkenheitsfahrt nicht selten mit einer sog. Nachtrunkeinlassung. Eine solche war auch Gegenstand des OLG Koblenz (Beschl. v. 20.3.2015 (1 OLG 3 Ss 179/14, DAR 2015, 402 = VA 2015, 102). Das LG hatte die Einlassung aufgrund eines Sachverständigengutachtens als widerlegt angesehen und daraus den Schluss gezogen, dass ein Nachtrunk überhaupt nicht vorgelegen habe. Der Schluss ist nach Auffassung des OLG (a.a.O.) so aber nicht ohne Weiteres zulässig, und zwar vor allem dann nicht, wenn Anhaltspunkte für einen Nachtrunk des Angeklagten unabhängig von dessen konkreten Behauptungen zu Trinkmenge und -art gegeben sind. Im entschiedenen Fall war es so, dass der Angeklagte offenbar bei dem Versuch, sich zu entlasten, hinsichtlich des Nachtrunkes übertriebene Angaben gemacht hatte, zwischen der Tat und der Blutentnahme aber gleichwohl Alkohol in geringerer Menge zu sich genommen hatte. Dem muss das LG nach Auffassung des OLG dann nachgehen und darf die Einlassung des Angeklagten nicht einfach „abbügeln“.

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4. Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG)

Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) ist eine Dauerstraftat. Für die Strafzumessung ist bei einer Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ggf. von Bedeutung, ob eine oder mehrere Taten vorliegen. Die Frage stellt sich vor allem immer in den Fällen, in denen eine Fahrt unterbrochen worden ist. Dazu hat der BGH noch einmal (kurz) Stellung genommen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.8.2015 – 4 StR 14/15, VA 2016, 14) und nochmals darauf hingewiesen, dass die Dauerstraftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis regelmäßig erst mit Abschluss einer von vornherein für eine längere Wegstrecke geplanten Fahrt endet und nicht durch kurze Unterbrechungen in selbstständige Taten aufgespalten wird (BGH VRS 106, 124; NStZ-RR 2011, 212). Davon ist er dann auch im Beschluss vom 12.8.2015 (a.a.O.) ausgegangen. Da hatte der Angeklagte von vornherein vor, seinen Mitangeklagten zu seiner Wohnung zu fahren, damit dieser persönliche Gegenstände aus der Wohnung seiner vermeintlichen Ex-Freundin holen könne, und sodann – wie geschehen – zum Ausgangspunkt zurückzukehren.

Streitig ist beim Fahren ohne Fahrerlaubnis die Frage des Umfangs der tatsächlichen Feststellungen (§ 267 StPO) in einem Urteil. Dazu geht die h.M. in der Rechtsprechung davon aus, dass es, sofern nicht außergewöhnliche Umstände etwas anderes erfordern, für eine Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ausreicht, wenn der Tatrichter zur äußeren Tatseite den Tatort und die Tatzeit (meist in Bezug auf die Gestellung) mitteilt und Angaben zum Fahrzeug (Typ und Kennzeichen oder Fahrgestellnummer) macht (KG VA 2015, 155; s.a. OLG Koblenz NZV 2013, 411; strenger OLG Bamberg DAR 2013, 585; OLG München DAR 2008, 533; StraFo 2008, 210). Die Frage ist auch für die Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung von Bedeutung. Dazu hat das OLG Nürnberg dem BGH folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt: Kann ein Angeklagter seine Berufung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränken, wenn er wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden ist (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG) und sich die Feststellungen darin erschöpfen, dass er wissentlich an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit ein Fahrzeug bestimmter Marke und mit einem bestimmten Kennzeichen geführt habe, ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis zu besitzen? (OLG Nürnberg VRS 129, 147).

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5. Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69, 69a StGB)

a) Widerlegung der Regelvermutung des § 69 StGB

Das OLG Hamm (Beschl. v. 10.11.2015 – 5 RVs 125/15, VRR 4/2016, 11 = StRR 7/2016, 15) rückt noch einmal eine Frage in den Fokus, die bei der Verteidigung im Verkehrsstrafrecht häufiger übersehen wird, nämlich die der Widerlegung der Regelvermutung des § 69 StGB. Davon war das LG, das den Angeklagten u.a. wegen Verstößen gegen §§ 142, 35c StGB verurteilt hatte, aufgrund von Bekundungen einer Therapeutin des Angeklagten, die als Heilpraktikerin für Psychotherapie tätig war und bei der sich der Angeklagte in Behandlung befunden hatte, ausgegangen. Das OLG (a.a.O.) hat das anders gesehen. Nach dessen Auffassung war die Widerlegung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vom LG nicht tragfähig begründet. An die Widerlegung der Regelvermutung seien gesteigerte Anforderungen zu stellen, sofern es sich, was der Fall war, um einen Wiederholungstäter handelt, gegen den bereits früher Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB verhängt worden seien. Der Angeklagte sei – so das OLG – gerade einmal 4 ½ Monate vor den abgeurteilten Straftaten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs durch Trunkenheit verurteilt worden. Außerdem sei die Fahrerlaubnis des Angeklagten entzogen und eine Sperrfrist von drei Monaten verhängt worden. Die abgeurteilten Straftaten habe der Angeklagte nur sechs Wochen nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis begangen. In einem solchen Fall könne der gesetzlich vermutete Eignungsmangel nur ganz ausnahmsweise und sicherlich nicht allein durch die Bekundungen einer Therapeutin (Heilpraktikerin), die der Angeklagte privat zum Zwecke einer psychotherapeutischen Behandlung aufsucht, ausgeräumt werden. Vielmehr bedürfe es der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung, § 11 Abs. 3 S. 1 FeV; vgl. Fischer, a.a.O., § 69 Rn 36), das sich eingehend und nach Maßgabe anerkannter Begutachtungsrichtlinien zur Eignung des Angeklagten, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen, verhält (s.a. OLG Köln, Beschl. v. 1.3.2013 – 1 RVs 36/13; LG Oldenburg zfs 2002, 354, 355). Die Notwendigkeit, ein solches medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen, ergab sich für das OLG auch unter Berücksichtigung der Wertungen, die in den Regelungen des § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 2b und c FeV zum Ausdruck gebracht worden sind. Dort sei für das Verwaltungsverfahren ausdrücklich bestimmt, dass zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden oder ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 ‰ oder mehr geführt wurde. Diese Vorschrift biete auch dem Strafrichter eine Leitlinie, in welchen Fällen er bei beabsichtigter Abweichung von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB gehalten sei, ein entsprechendes Gutachten einzuholen oder von dem Angeklagten beibringen zu lassen (so auch OLG Naumburg zfs 2000, 554, 556).

Hinweis:

Für den Verteidiger ist aus der Entscheidung abzuleiten, dass es sich nicht nur im Hinblick auf die spätere Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Verwaltungsverfahren, sondern auch schon im Hinblick auf die Entziehung der Fahrerlaubnis im Strafverfahren „lohnen“ kann, den Mandanten frühzeitig vorzubereiten und die Einholung entsprechender Gutachten zu veranlassen. Dabei sollte es sich dann aber um ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (§ 11 Abs. 3 S. 1 FeV) handeln. Mit allen anderen Maßnahmen ist „der Krieg“ wohl nicht oder nur sehr schwer zu gewinnen (zum Fahrerlaubnisrecht s. die entsprechend anwendbaren Ausführungen von Kalus in: Burhoff/Kotz [Hrsg.], Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, 2016, Teil H Rn 498 ff.).

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b) Bedeutender Schaden i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB

Bewegung scheint in die Rechtsprechung zum bedeutenden Schaden i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB zu kommen. Zwar dürfte die h.M. in der Rechtsprechung immer noch davon ausgehen, dass ein bedeutender Schaden regelmäßig (erst) bei Schäden, die mindestens bei 1.300 € liegen, anzunehmen ist (vgl. aus dem Berichtszeitraum LG Hannover, Beschl. v. 23.9.2015 – 46 Qs 81/15, VA 2016, 29; LG Krefeld, Beschl. v. 23.3.16 – 21 Qs 47/16, VRR 6/2016, 13 = VA 2016, 118 = StRR 7/2016, 20; LG Schwerin, Beschl. v. 20.10.2015 – 32 Qs 56/15, VA 2016, 29), was nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist (LG Krefeld, a.a.O.). Inzwischen mehren sich jedoch die Stimmen, die von einer höheren Grenze, nämlich von 1.500 €, ausgehen. So hat vor kurzem das LG Braunschweig (vgl. Beschl. v. 3.6.2016 – 8 Qs 113/16) die Grenze auf diesen Betrag angehoben. Das hat es – zutreffend – mit der Preisentwicklung der letzten Jahre begründet (vgl. wegen weiterer Rechtsprechung die Nachw. bei Burhoff VRR 3/2016, 5).

Hinweis:

Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter weiß oder wissen kann, dass erhebliche Folgen eingetreten sind (vgl. dazu a. OLG Schleswig VRR 2008, 150; LG Krefeld, a.a.O.; LG Wuppertal DAR 2015, 412). Daran bestehen erhebliche Zweifel, wenn z.B. bei laienhafter Betrachtung der Schaden nicht als bedeutend erkennbar ist und ggf. der komplette Schaden von dem den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten auch nicht bemerkt wurde (so LG Wuppertal a.a.O.). Die Einschätzung der Schadenshöhe durch die den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten kann als von (mit)entscheidender Bedeutung sein (vgl. die Fallgestaltung bei LG Krefeld, a.a.O.).

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