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aus RVGreport 2004, 411

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "PStR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers im Strafverfahren
- Erstreckung nach § 48 Abs. 5 RVG

von Richter am OLG Detlef Burhoff, Münster/Hamm

I. Allgemeines

§ 48 RVG regelt den Umfang des Anspruchs des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts. Für die Praxis des Strafverfahrens von besonderer Bedeutung ist die Regelung in § 48 Abs. 5 RVG, die früher teilweise in § 97 Abs. 3 BRAGO enthalten war.

Praxishinweis:
§ 48 Abs. 5 gilt für alle in den Teilen 4 – 6 VV geregelten Angelegenheiten, also für Strafsachen, Bußgeldsachen und sonstige Verfahren nach Teil 6 (so auch Burhoff/Volpert, RVG Straf und Bußgeldsachen, § 48 Abs. 5 RVG Rn. 2) .

II. Allgemeiner Regelungsinhalt

Vergütungsansprüche gegen die Staatskasse entstehen grds. erst für Tätigkeiten ab dem Zeitpunkt der Bestellung oder Beiordnung des Rechtsanwalts (vgl. OLG Hamm AnwBl. 1995, 562; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 171). Von diesem Grundsatz enthält § 48 Abs. 5 RVG eine Ausnahme bzw. besondere Regelungen für den Umfang des Vergütungsanspruchs des in Angelegenheiten nach den Teilen 4 – 6 VV beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts.

   
Praxishinweis:
In § 51 Abs. 1 Satz 4 RVG ist für die Pauschvergütung jetzt ausdrücklich geregelt, dass eine Pauschgebühr auch für solche Tätigkeiten gewährt werden kann, für die der Rechtsanwalt einen Anspruch nach § 48 Abs. 5 hat. Damit ist eindeutig klargestellt, dass bei der Bewilligung einer Pauschgebühr auch die Tätigkeiten des Pflichtverteidigers, die er vor seiner Bestellung zunächst als Wahlverteidiger erbracht hat, zu berücksichtigen sind (zur Pauschvergütung siehe die Komm. bei Burhoff/Burhoff, a.a.O., § 51 RVG Rn. 15).

III. § 48 Abs. 5 RVG im ersten Rechtszug (Satz 1)

In § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG hat das RVG die bereits in § 97 Abs. 3 BRAGO enthaltene Regelung übernommen. Danach erhält der Rechtsanwalt, wenn er im Laufe des ersten Rechtszugs bestellt wird, seine Vergütung auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt der Bestellung oder Beiordnung. In § 48 Abs. 5 heißt es ausdrücklich "Vergütung". Nach der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 RVG erfasst die Regelung daher nicht nur die anwaltlichen Gebühren, sondern auch die Auslagen (vgl. dazu auch das Beispiel bei Burhoff/Volpert, a.a.O., § 48 Abs. 5 Rn. 12).

  Auch Tätigkeiten vor der Bestellung können vergütet werden
Praxishinweis:
§ 48 Abs. 5 Satz 1 RVG gewährt aber nicht einen Vergütungsanspruch für nicht erbrachte Tätigkeiten. § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG bestimmt zwar ausdrücklich, dass der Rechtsanwalt ggf. auch für die Tätigkeit vor der Erhebung der öffentlichen Klage, also für das vorbereitende Verfahren bzw. das Ermittlungsverfahren bzw. in Bußgeldsachen für seine die Tätigkeit vor der Verwaltungsbehörde aus der Staatskasse eine Vergütung erhält. Vor der Beiordnung oder Bestellung muss aber in diesem Verfahrensabschnitt eine Tätigkeit erfolgt sein.
  Auch Auslagen vor der Bestellung können vergütet werden

Beispiel 1:

Rechtsanwalt R wird erst im gerichtlichen Verfahren als Pflichtverteidiger während bereits laufender Hauptverhandlung am vierten Hauptverhandlungstag bestellt.

Die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG für das vorbereitende Verfahren erhält er dann nur, wenn er auch bereits im vorbereitenden Verfahren für den Mandanten tätig geworden ist. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass die Tätigkeit dem Gericht gegenüber erfolgt ist (Burhoff/Volpert, a.a.O., § 48 Abs. 5 RVG Rn. 6 m.w.N.). Rechtsanwalt R erhält allerdings auch für die bereits durchgeführten Hauptverhandlungstermine die entstandenen Terminsgebühren (vgl. KG StV 1997, 424 für die Bestellung am zweiten Hauptverhandlungstag; Burhoff/Volpert, a.a.O.).

IV. § 48 Abs. 5 in späteren Rechtszügen (Satz 2)

   

In § 97 Abs. 3 BRAGO war die Frage des Umfangs der gesetzlichen Vergütung des Pflichtverteidigers nicht geregelt, wenn dieser erst in einem späteren Rechtszug beigeordnet wurde. Von der h.M. wurde ein entsprechende Anwendung der Vorschrift abgelehnt (vgl. zuletzt OLG Hamm JurBüro 2004, 427 m.w.N.). Das RVG hat diese Streitfrage jetzt erledigt und den Anwendungsbereich der Vorschrift auf spätere Rechtszüge ausgedehnt. Allerdings erhält der Rechtsanwalt im Falle der Beiordnung in einem späteren Rechtszug nur die Vergütung aus diesem Rechtszug und nicht etwa auch die aus früheren (Burhoff/Volpert, a.a.O., § 48 Abs. 5 Rn, 9 ff; Schneider in Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, Teil 14 Rn. 128). Einbezogen wird aber die Tätigkeit des Rechtsanwalts vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung. Die Ausführungen bei III gelten entsprechend.

Beispiel 2:

Rechtsanwalt R vertritt den Angeklagten bereits in der I. Instanz. Der Angeklagte wird verurteilt. Es wird Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht ordnet Rechtsanwalt R im zweiten Berufungshauptverhandlungstermin als Pflichtverteidiger bei.

Rechtsanwalt R erhält nur für seine Tätigkeit im Berufungsverfahren gesetzliche Gebühren. Für seine Tätigkeit im vorbereitenden Verfahren und im ersten Rechtszug erhält er keine gesetzliche Pflichtverteidigervergütung. Rechtsanwalt R erhält im Rahmen der gesetzlichen Vergütung auch keine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG. Die für deren Erstehen erbrachten Tätigkeiten (erste Information und Akteneinsicht; vgl. dazu Burhoff RVGreport 2004, 53 ff.) sind bereits im Ermittlungsverfahren erbracht und nicht erst/mehr in der Berufungsinstanz).

  Erstmals gesetzliche Regelung bei Bestellung im späteren Rechtszug

V. § 48 Abs. 5 RVG bei Verbindung von Verfahren (Satz 3)

§ 48 Abs. 5 RVG enthält für die Verbindung von Verfahren in Satz 3 eine gegenüber § 97 Abs. 3 BRAGO für die Praxis wesentliche Neuregelung. Zu § 97 Abs. 3 BRAGO war allgemeine Meinung, dass der Rechtsanwalt die in zunächst getrennten Verfahren entstandenen Gebühren aus der Staatskasse erhielt, wenn er in diesen Verfahren gerichtlich bestellt oder beigeordnet war und nach der Bestellung bzw. Beiordnung die Verbindung dieser Verfahren erfolgt ist (vgl. OLG Koblenz Rpfleger 2001, 514 = BRAGOreport 2002, 42, 121). Umstritten war hingegen, ob der Rechtsanwalt die Vergütung für die verbundenen Verfahren aus der Staatskasse auch dann erhielt, wenn er in den einzelnen Verfahren zwar (teilweise) schon als Wahlverteidiger tätig war, er aber erst nach der Verbindung der Verfahren gerichtlich bestellt oder beigeordnet worden ist. Das wurde von der h.M. bejaht (vgl. u.a. OLG Hamm, JurBüro 2002, 302 = Rpfleger 2002, 379 = StV 2003, 178; zustimmend auch Burhoff/Volpert, a.a.O., § 48 Abs. 5 RVG Rn. 14 m.w.N. auch zu a.A.). Danach erhielt der Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung automatisch auch in den verbundenen Verfahren, wenn er vor der Verbindung in diesen tätig war (vgl. die Nachw. bei Burhoff/Volpert, a.a.O.).

 

§ 48 Abs. 5 Satz 3 StPO bestimmt nun, dass im Fall der Verbindung von Verfahren das Gericht "die Wirkungen des Satzes 1 auch auf diejenigen Verfahren erstrecken [kann], in denen vor der Verbindung keine Beiordnung oder Bestellung erfolgt war". Nach dem Wortlaut ist das auch eine Änderung der bisherigen Rechtslage hinsichtlich der Verbindungen nach § 237 StPO (vgl. dazu auch die vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 201 und Burhoff/Volpert, a.a.O., § 48 Abs. 5 Rn. 15).

  Bei Verbindung kommt eine Erstreckung auf andere Verfahren in Betracht
Praxishinweis:
Darauf muss der Verteidiger, der bereits in den verbundenen Verfahren als Wahlanwalt tätig geworden ist, achten. Im Beiordnungsantrag muss er daher ausdrücklich beantragen, dass das Gericht im Beiordnungsbeschluss die Wirkungen des § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG erstreckt. Anderenfalls läuft er Gefahr, dass er in den verbundenen Verfahren für die dort erbrachten Tätigkeiten keine gesetzliche Vergütung erhält. Nach der Gesetzesbegründung (vgl. vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, a.a.O.) soll die Erstreckung erfolgen, wenn eine Beiordnung oder Bestellung unmittelbar bevorgestanden hätte, falls die Verbindung unterblieben wäre.
  Die Erstreckung muss beantragt werden

Beispiel 3:

Rechtsanwalt verteidigt den Beschuldigten B in dem Verfahren 1 und in dem Verfahren 2 als Wahlverteidiger. Diese Verfahren werden vom Amtsgericht vor der Hauptverhandlung verbunden. Rechtsanwalt R wird als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Rechtsanwalt R erhält die in beiden Verfahren bis zur Verbindung angefallenen Gebühren als gesetzliche Vergütung. Die Verbindung hat darauf keinen Einfluss. Es gilt § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG. Er erhält außerdem die nach der Verbindung in dem verbundenen Verfahren entstandenen Gebühren (zur Verbindung von Verfahren siehe auch Burhoff/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV RVG Rn. 48 ff, 68 ff.).

Beispiel 4:

Gegen den Beschuldigten B sind die Verfahren 1 und 2 anhängig. Rechtsanwalt R verteidigt den Beschuldigten B nur in dem Verfahren 1 als Wahlverteidiger. Im Verfahren 2 ist er nicht tätig. Die beiden Verfahren werden vom Amtsgericht vor der Hauptverhandlung verbunden. Rechtsanwalt R wird als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Rechtsanwalt R erhält die im Verfahren 1 bis zur Verbindung angefallenen Gebühren als gesetzliche Vergütung. Die Verbindung hat darauf keinen Einfluss. Es gilt § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG (zur Verbindung von Verfahren siehe auch Burhoff/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV RVG Rn. 48 ff, 68 ff.). Im Verfahren 2 ist er nicht tätig gewesen. Er erhält für dieses Verfahren keine gesetzlichen Gebühren. R erhält dann noch die nach der Verbindung entstandenen weiteren Gebühren.

Beispiel 5:

Gegen den Beschuldigten B sind die Verfahren 1 und 2 anhängig. Rechtsanwalt R verteidigt den Beschuldigten B zunächst als Wahlverteidiger nur in dem Verfahren 1. Er wird dann im Verfahren 1 als Pflichtverteidiger beigeordnet. Im Verfahren 2 ist er nicht tätig. Die beiden Verfahren werden vom Amtsgericht vor der Hauptverhandlung verbunden.

Rechtsanwalt R erhält die im Verfahren 1 bis zur Verbindung angefallenen Gebühren als gesetzliche Vergütung. Die Verbindung hat darauf keinen Einfluss. Es gilt § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG (zur Verbindung von Verfahren siehe auch Burhoff/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV RVG Rn. 48 ff, 68 ff.). Im Verfahren 2 ist Rechtsanwalt R nicht tätig gewesen. Er erhält für dieses Verfahren deshalb keine gesetzlichen Gebühren. Die Frage der Erstreckung nach § 48 Abs. 5 Satz 3 ist für die Fallgestaltung unerheblich. Natürlich erhält R auch die nach der Verbindung entstandenen Gebühren.

Beispiel 6:

Gegen den Beschuldigten B sind die Verfahren 1 und 2 anhängig. Rechtsanwalt R verteidigt den Beschuldigten B als Wahlverteidiger in dem Verfahren 1. Er wird dann in diesem Verfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet. Im Verfahren 2 ist er nur als Wahlanwalt tätig. Eine Beiordnung als Pflichtverteidiger erfolgt nicht. Die beiden Verfahren werden vom Amtsgericht vor der Hauptverhandlung verbunden.

Rechtsanwalt R erhält die im Verfahren 1 bis zur Verbindung angefallenen Gebühren als gesetzliche Vergütung. Die Verbindung hat auf diese Gebühren keinen Einfluss. Im Verfahren 2 ist Rechtsanwalt R zwar vor der Verbindung tätig gewesen, er erhält für dieses Verfahren gesetzliche Gebühren nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG aber nur, wenn die Erstreckung ausgesprochen worden ist. Dies wird sicherlich dann geschehen müssen, wenn auch dieses Verfahren "hauptverhandlungsbereit" war.

   
Praxishinweis:
Wird die Erstreckung nicht ausgesprochen, kann der Rechtsanwalt die Ablehnung mit der Beschwerde anfechten. Der Fall ist vergleichbar dem, dass der Rechtsanwalt nur unter Beschränkung auf die Vergütung eines ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet worden ist. Auch diese "beschränkte Bestellung" ist anfechtbar (vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., 2004, § 142 Rn. 6). Für die Beschwerde gegen die Ablehnung oder die Unterlassung der Erstreckung gelten im Übrigen die allgemeinen Regeln (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 3. Aufl., 2003, Rn. 1295 ff. m.w.N.).

Beispiel 7:

RA R hat den Beschuldigten in den Verfahren 1 und 2 bereits Verfahren vor dem 1. 7. 2004 vertreten. In einem Verfahren hat bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden, die nach Stellung des Beiordnungsantrages - mit Hinweis auf das zweite Verfahren - ausgesetzt wurde. Es werden beide Verfahren noch vor dem 1. 7. 2004 verbunden, die Beiordnung des R zum Pflichtverteidiger erfolgt erst nach dem 1. 7. 2004.

Lösung:

R kann seine gesamte Pflichtverteidigervergütung gemäß § 61 RVG nach dem RVG abrechnen, da er nach dem 1. 7. 2004 zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist. Das gilt auch für die vor der Bestellung und vor dem Stichtag (1. 7. 2004) erbrachten Tätigkeiten (§ 48 Abs. 5; s. dazu Burhoff/Volpert, a.a.O., § 48 Abs. 5 Rn. 18). § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG hat für diese Fallgestaltung keine Bedeutung. Denn die Verfahren sind noch unter Geltung der BRAGO verbunden worden. Die Beiordnung erfolgte erst im verbundenen Verfahren. Es gilt daher § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG (siehe oben das Beispiel 1).

Praxishinweis:
Ist hingegen in Übergangsfällen die Erstreckung erforderlich (vgl. dazu das Beispiel 4) und ist darüber noch nicht entschieden, sollte der Rechtsanwalt die Entscheidung jetzt noch nachträglich beantragen. Eine Entscheidung nach Rechtskraft wird im Zweifel von den Gerichten unter Hinweis auf die nicht zulässige nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung abgelehnt werden. Auch wird eine "konkludente" Entscheidung über die Erstreckung - anders als bei der Pflichtverteidigerbestellung selbst - wohl kaum ein Betracht kommen. Die Erstreckung erfordert eine ausdrückliche Entscheidung.
  Die Ablehnung der Erstreckung ist mit der Beschwerde anfechtbar

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