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aus ZAP Heft 24/2013, F 22 R, S. 815

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Verfahrenstipps und Hinweise für Strafverteidiger (III/2013)

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

Inhaltsverzeichnis

I. Rückblick
II. Ermittlungsverfahren
  1. Unzulässiger Deal: Absehen vom Haftbefehl gegen Geständnis
  2. Pflichtverteidigerbeiordnung
III. Hauptverhandlung
  1. Nachholung des Widerspruchs
  2. Verteidigungslos gestellter Angeklagter
IV. Strafzumessung
  1. Allgemeines
  2. Zusammenstellung der Rechtsprechung
    a) allgemeine Erwägungen
    b) deliktsbezogene Erwägungen
V. Bußgeldverfahren
  1. Belehrung des Betroffenen über Freiwilligkeit der Teilnahme an einer Atemalkoholkontrolle
  2. Vereinfachte Beweisaufnahme im Bußgeldverfahren
VI. Gebührenfragen

I. Rückblick

Die 17. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ist nach der Wahl am 22. 9. 2013 durch Zusammentritt des 18. Deutschen Bundestages am 22. 10. 2013 zu Ende gegangen. Das soll Anlass zu einem Kurzrückblick auf das sein, was der 17. Bundestag, von dem erledigt hat, was sich die Regierungsparteien 2009 im Koalitionsvertrag auf die “To-Do-Liste” geschrieben hatten (vgl. dazu Arnoldi vgl. StRR 2009, 449).

Beschlagnahmeschutz für Journalisten im Rahmen der §§ 94, 97 StPO

erledigt

Online-Durchsuchung

nicht erledigt

Erweiterung des § 153a StPO auch auf das Revisionsgericht

nicht erledigt

Entfallen der Unterscheidung zwischen Verteidigern und anderen durch die StPO insoweit nicht privilegierten Rechtsanwälten in § 160a StPO

erledigt

Einführung einer Erscheinenspflicht von Zeugen vor der Polizei

nicht erledigt

Erweiterung der Möglichkeit Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Angeklagten (§ 362 StPO) auf die Fälle, wenn aufgrund neuer wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden, insbesondere der DNA-Analyse, nachträglich der Nachweis der Täterschaft geführt werden kann.

nicht erledigt

Online-Durchsuchung

nicht erledigt

Erweiterung des § 153a StPO auch auf das Revisionsgericht

nicht erledigt

Entfallen der Unterscheidung zwischen Verteidigern und anderen durch die StPO insoweit nicht privilegierten Rechtsanwälten in § 160a StPO

erledigt

Inhaltsverzeichnis

II. Ermittlungsverfahren

1. Unzulässiger Deal: Absehen vom Haftbefehl gegen Geständnis

Im U-Haftrecht gibt es die Diskussion um die sog. apokryphen Haftgründe, also andere als in § 112 StP0 im Gesetz normierte Gründe für die Anordnung der U-Haft, solche die im Verborgenen schlummern (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2013, Rn. 2856 m.w.N. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]) . Wir kennen auch die Diskussion und den plakativen Satz: U-Haft schafft Rechtskraft. Mit einer Fallkonstellation, die darüber noch hinausging, hatte sich vor einiger Zeit das OLG Köln zu befassen (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 24. 6. 2013 – 2 Ws 264/13, JurionRS 2013,45766). Dort hatte der Beschuldigte in einem gegen ihn geführten Verfahrens wegen des Vorwurfs des schweren Raubes ein Geständnis abgelegt. Das hatte das LG aber wegen eines Verstoßes gegen § 136a Abs. 1 Satz 3 StPO als unverwertbar angesehen und deshalb die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Beschuldigten abgelehnt. Das LG war davon ausgegangen, dass dem Angeschuldigten, gegen den der Haftgrund der Fluchtgefahr  zum Zeitpunkt von dessen Festnahme vorgelegen habe, ein i.S. des § 136a StPO unzulässiger Vorteil versprochen worden sei,. Der Angeschuldigte habe gegenüber dem ihn vernehmenden Polizeibeamten seine Aussagebereitschaft von dem Nichtergehen eines Untersuchungshaftbefehls abhängig gemacht.  Der Vernehmungsbeamte habe daraufhin mit der Staatsanwaltschaft Rücksprache gehalten und ihm anschließend erklärt, dass kein Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gestellt werde. Diese Vorgehensweise habe das Versprechen eines nicht vorgesehenen Vorteils beinhaltet. Die gegen die Nichteröffnung gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft hatte beim OLG keinen Erfolg

Das OLG Köln (a.a.O.) hat ebenso wie das LG die im Ermittlungsverfahren gegebene geständige Einlassung des Beschuldigten wegen eines Verstoßes gegen § 136a Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 StPO gem. § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO als unverwertbar angesehen. Ein Verstoß gegen § 136a Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 StPO liege insbesondere vor, wenn eine Haftentlassung für den Fall versprochen wird, dass der Beschuldigte ein Geständnis ablegt und hierdurch der Haftgrund der Fluchtgefahr nicht ausgeräumt werden kann (vgl. BGH NJW 1965, 2262; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl. 2013, § 136 a Rn. 23 [im Folgenden kurz: Meyer-Goßner];  vgl. auch AG Hannover StV 1986, 523, zu der Zusage, der Beschuldigte werde bei einem Geständnis nicht dem Haftrichter vorgeführt). Hier sei nach Aktenlage der in Aussicht gestellte Vorteil der “Nichtinhaftierung” mit dem Erfordernis eines Geständnisses verknüpft worden, indem seitens der Ermittlungsbehörden eine nach Maßgabe des § 136a Abs. 1 Satz 3  Alt. 2 StPO unzulässige enge Verbindung zwischen einem Geständnis und einer Entlassung gezogen worden sei. Dies ergebe sich schon aus einer Formulierung im  polizeilichen Abschlussvermerk, nach dem auf den Antrag auf Untersuchungshaft “insbesondere” verzichtet worden sei, “da der Tatverdächtige im Rahmen des Vorgesprächs bereits signalisiert hatte, nur ein Geständnis abzulegen, wenn er nicht in Untersuchungshaft ginge”. Dafür spreche auch die Formulierung in einem nach Anklageerhebung auf Veranlassung der Strafkammer gefertigten Vermerk, wonach die geständige Einlassung des Beschuldigten die Begründung “untermauert”, dass er sich dem Verfahren stellt und sich nicht durch Flucht entziehen will. Bereits diese Formulierungen stehen im Widerspruch zu den Ausführungen in der Beschwerdebegründung, nach der die Auskunft, es werde von der Beantragung eines Haftbefehls abgesehen werden, nicht mit der geständigen Einlassung verknüpft, sondern ausschließlich aufgrund der Prüfung und Verneinung der Haftgründe durch den zuständigen Staatsanwalt erfolgt sei.

Hinweis

Nicht ausdrücklich geklärt ist bislang in Rechtsprechung und Literatur, ob bei einem Verstoß gegen § 136a StPO in der Hauptverhandlung widersprochen werden muss. Der BGH hat das in BGH StV 1996, 360 erwogen. Dem wird in der Literatur jedoch mit dem m.E. zutreffenden Hinweis auf § 136a Abs. 3 StPO widersprochen (vgl. Fezer StV 1997, 57 in der Anm. zu BGH, a.a.O.; Meyer/Goßner, § 136a Rn. 33). Um auf der sicheren Seite zu sein, sollte der Verteidiger trotz dieser gewichtigen Literaturstimmen, die den Widerspruch nicht für erforderlich halten, der Verwertung der unter Verstoß gegen § 136a StPO gewonnenen Beweisergebnisse widersprechen.

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2. Pflichtverteidigerbeiordnung

Wenn man die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung zur Pflichtverteidigerbestellung auswertet, ist man doch immer wieder erstaunt, was bei AG alles ohne (notwendigen) Verteidiger/Pflichtverteidiger verhandelt wird. Die Frage stellt sich auch, wenn man den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 15.03.2013 – Ss 24/13, JurionRS 2013, 38364 - liest. Dem lagen folgende Verfahrensumstände zugrunde: Anklage war wegen Erschleichens geringwertiger Leistungen in 9 Fällen mit einem Gesamtschaden von 40 € erhoben. Offen waren  aus einem Gesamtstrafenbeschluss noch 1 Jahr und 9 Monate Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (Bewährungszeit: 3 Jahre) sowie aus einem Urteil eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (Bewährungszeit: 4 Jahre) sowie auch noch aus einem Gesamtstrafenbeschluss eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Monaten und 2 Wochen. Das AG verurteilt den Angeklagten dann zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung, ein Pflichtverteidiger wird nicht beigeordnet.

Diesen Verfahrensfehler hat das OLG Saarbrücken (a.a.O.) repariert. Das OLG hat einen Verstoß gegen § 140 Abs. 2 StPO und das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO bejaht. Nach Auffassung des OLG hätte dem Angeklagten spätestens im Termin zur Hauptverhandlung wegen der Schwere der Tat ein Verteidiger bestellt werden müssen. Eine Tat sei schwer, wenn die zu erwartenden Rechtsfolgen einschneidend seien. Jedenfalls bei einer Straferwartung um ein Jahr Freiheitsstrafe werde - auch wenn es sich hierbei nicht um eine starre Grenze handele -unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat die Bestellung eines Pflichtverteidigers in aller Regel geboten sein, selbst wenn deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werde. Als schwerwiegender mittelbarer Nachteil, den der Angeklagte infolge der Verurteilung zu gewärtigen habe und der die Bestellung eines Verteidigers geboten erscheinen lassen könne, sei u.a. der drohende Widerruf einer Bewährung in anderer Sache anerkannt. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das OLG unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat die Bestellung eines Verteidigers als geboten angesehen. Zwar ergebe sich aus den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten des Erschleichens der Beförderung durch ein Verkehrsmittel („Schwarzfahren") aufgrund des geringen Werts des nicht entrichteten Entgelts (insgesamt rund 40,-- €) auch unter Berücksichtigung der Anzahl der Taten und der Vorstrafensituation des Angeklagten keine erhebliche Straferwartung, sondern lediglich eine solche von deutlich unter einem Jahr (Gesamt-)Freiheitsstrafe. Dem Angeklagten habe jedoch im Falle einer Verurteilung der Widerruf der ihm hinsichtlich mehrerer gegen ihn verhängter Freiheitsstrafen von insgesamt 3 Jahren, 5 Monaten und 2 Wochen gewährten Strafaussetzung (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 StGB) gedroht. Der Angeklagte habe daher selbst ohne Hinzurechnung der im vorliegenden Verfahren zu erwartenden Strafe aufgrund des drohenden Widerrufs der Bewährung in den anderen Sachen die Verbüßung mehrjähriger Haftstrafen zu gewärtigen. Das gelte umso mehr, als dem Angeklagten im Hinblick auf seine Vorstrafensituation, die hohe Rückfallgeschwindigkeit und sein mehrfaches Bewährungsversagen im vorliegenden Verfahren, auch wenn die ihm insoweit zur Last gelegten Straftaten dem Bereich der Bagatellkriminalität zuzurechnen sind, die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung drohe. In einem solchen Fall sei es regelmäßig - wenn auch nicht zwingend - naheliegend, dass sich das über den Widerruf der Strafaussetzung entscheidende Vollstreckungsgericht der sach- und zeitnäheren Prognose des letzten Tatrichters anschließe.

Hinweis

Die vom OLG dargelegten Maßstäbe sind nicht neu, sondern entsprechen der Rechtsprechung der OLG zur Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen Schwere der Tat bei „nur“ mittelbar schweren Folgen (vgl. dazu die Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Burhoff, EV, Rn. 2194).

Der Verteidiger muss in der Revision die Verfahrensrüge erheben. Für die gilt § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Frage, die sich nach einem Erfolg der Revision und Zurückverweisung an das AG dann natürlich stellt, ist, wenn der Angeklagte vom AG dann erneut verurteilt wird: Hat es was gebracht? Nun, im Zweifel bringen Revisionen in solchen Fallkonstellationen zumindest Zeitgewinn, der dazu führen kann, dass in der neuen Hauptverhandlung dann der Angeklagte ggf. nur noch zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wird.

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III. Hauptverhandlung

1. Nachholung des Widerspruchs

In Zusammenhang mit der Widerspruchslösung des BGH (vgl. BGHSt 38, 214; zur Widerspruchslösung Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 7. Aufl., 2013, Rn. 3491 ff.) sind die Fragen, die mit der Nachholung des in der Tatsacheninstanz nicht oder versäumten Widerspruchs zusammenhängen, fast schon ein Klassiker. Sie beschäftigen die Rechtsprechung der Obergerichte immer wieder. So vor kurzem das OLG Celle (vgl. Beschl. v. 11. 7. 2013 - 32 Ss 91/13, JurionRS 2013, 43684). In dem wegen des Vorwurfs wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln geführten Verfahren ging es um die Verwertung von Erkenntnissen, die Polizeibeamten aus Telefonaten gewonnen hatten, die sie mit einem dem Angeklagten gehörenden Mobiltelefon geführt hatten. Dieses hatte der Angeklagte, der von den Polizeibeamten in Gewahrsam genommen worden war, weil gegen ihn ein Haftbefehl zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe bestand, den Polizeibeamten vor dem Gang in die Gewahrsamszelle übergeben. Auf dem Mobiltelefon gingen dann zwei Anrufe ein, die die Polizeibeamten angenommen hatten und aus denen sich Hinweise auf ein Betäubungsmitteldelikt ergaben. Beim AG ist der Verwertung nicht widersprochen worden. Das ist erst beim LG in der Berufungsinstanz geschehen. Das LG hat seine Feststellungen u.a. auf die Angaben der Polizeibeamten zu den Telefongesprächen gestützt. Die dagegen gerichtete Revision hatte beim OLG Celle (a.a.O.) dann keinen Erfolg.

Das OLG hat die Verfahrensrüge des Angeklagten als unbegründet angesehen. Der Angeklagte habe nämlich der Verwertung nicht rechtzeitig widersprochen wurde. Einen Widerspruch habe der Angeklagte spätestens zu dem in § 257 Abs. 2 StPO genannten Zeitpunkt nach der Einführung des Beweises in der Hauptverhandlung direkt im Anschluss zu formulieren (vgl. statt vieler BGHSt 38, 214). Es handele sich insoweit um ein prozessuales Gestaltungsrecht, das ein Angeklagter in dem Zeitpunkt geltend machen müsse, in dem es ihm erstmals möglich ist (vgl. vor allem BGHSt 50, 272; OLG Hamburg NJW 2008, 2597). In der Berufungsinstanz bestehe keine Möglichkeit mehr zu einem Widerspruch nach § 257 StPO, wenn dieser Widerspruch in der ersten Instanz nicht oder verspätet erhoben worden sei. Vielmehr sei das Widerspruchsrecht dann präkludiert mit der Folge, dass ein Widerspruch unwirksam und damit unbeachtlich sei (vgl. OLG Celle NStZ 2011, 446 = NZV 2011, 48 = StV 2011, 82-83; ebenso OLG Stuttgart NStZ 1997, 405; OLG Hamburg NJW 2008, 2597; OLG Hamm StRR 2010, 66; a. A. Gössel in LR-StPO, 26. Auflage, Einl. Abschn. L Rn. 32). Das Recht des Angeklagten auf Verteidigung sei dadurch nicht berührt, denn es liege allein in seiner Entscheidung, ob er die Rüge im Rahmen seiner Verteidigerstrategie erheben wolle oder nicht. Unterlasse er es, so könne er sich später nicht mehr darauf berufen. Danach hätte der Angeklagte nach Auffassung des OLG bereits im Verfahren vor dem AG den Widerspruch erheben müssen.

Hinweis

Die „Widerspruchslösung“ des BGH aus BGHSt 38, 214 hat die Rechtsprechung in der letzten Zeit einige Male in Zusammenhang mit § 81a Abs. 2 StPO- Richtervorbehalt bei der Blutentnahme – beschäftigt. Einige der vom OLG Celle zitierten Entscheidungen behandeln auch den Problemkreis der Nachholung des Widerspruchs. In dem Zusammenhang hatten die OLG wiederholt unter Hinweis auf BGHSt 50, 272 ausgeführt, dass ein erforderlicher Widerspruch in der ersten Tatsachenverhandlung zu erheben ist und, wenn das versäumt wird, später nicht nachgeholt werden kann (vgl. die weiteren Nachweise bei Burhoff, HV,, Rn. 3491, 3502). Die Literatur sieht das anders (vgl. auch die Kritik bei Burhoff, HV, Rn. 3503) und lässt die „Nachholung“ des Widerspruchs zu. Sie kann sich aber mit ihren Argumenten gegenüber der einhelligen Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht durchsetzen. Wie häufig, gilt aber auch hier: Lamentieren über die als falsch angesehene Rechtsansicht des Revisionsgerichts hilft nichts. Vielmehr muss man sich darauf einstellen und rechtzeitig richtig reagieren. Und das bedeutet: Wenn Widerspruch, dann so früh wie möglich. Ist er einmal versäumt, ist der Fehler nicht mehr gut zu machen.

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2. Verteidigungslos gestellter Angeklagter

Die Fälle des in der Hauptverhandlung von seinem Verteidiger verteidigungslos gestellten Angeklagten sind sicherlich nicht alltäglich, sie kommen in der Praxis aber vor und sind ein probates Mittel, um die Rüge der Verletzung der §§ 140, 338 Nr. 5 StPO vorzubereiten, wenn einem Antrag des Verteidigers auf Beiordnung als Pflichtverteidiger nicht nachgekommen wird. Das zeigt noch einmal deutlich der OLG Naumburg, Beschl. v. 30. 5. 2013 (2 Ss 79/13, JurionRS 2013, 37968).  Da hatte der Verteidiger am 26. 7. 2012 beim AG seine Bestellung zum Pflichtverteidige beantragt. Gegen die Ablehnung dieses Antrags wird am 7. 8. 2012 Beschwerde eingelegt. Diese legt das AG bis zur Hauptverhandlung am 15. 11. 2012 nicht der zuständigen Beschwerdekammer vor. Im Hauptverhandlungstermin beantragt der Verteidiger erneut seine Beiordnung. Dies wird vom AG abgelehnt. Der Verteidiger nimmt daraufhin im Zuschauerraum Platz. Gegen die erfolgte Verurteilung des Angeklagten wird Revision eingelegt und die Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO gerügt.

Die Rüge hatte Erfolg. Nach Auffassung des OLG ist bei Verfahren vor dem Schöffengericht, sofern sich die Zuständigkeit dieses Spruchkörpers nicht allein wegen der einem Mitangeklagten zur Last gelegten Tat(en) ergibt, stets gem. § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn. 23 mit umfangreichen Nachweisen). Hier habe sich der Verteidiger, nachdem er sich in der Hauptverhandlung erneut vergeblich darum bemüht hatte, seine Bestellung zum Pflichtverteidiger zu erreichen, in den Zuschauerraum begeben und den Angeklagten damit - so das Protokoll der Hauptverhandlung - „verteidigungslos gestellt". Damit sei der Angeklagte während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung unverteidigt gewesen. Entgegen der Auffassung der GStA sei dieses Verhalten nicht ungehörig und führe erst recht nicht zu einer Rügeverwirkung. Die von der GStA zitierte Entscheidung BGH NStZ 1998, 209 sei nicht einschlägig. Im vorliegenden Fall habe der Verteidiger bereits am 26. 6. 2012 seine Bestellung zum Pflichtverteidiger beantragt und gegen die unterbliebene Beiordnung am 7. 8. 2012 Beschwerde eingelegt, ohne dass das AG dies zum Anlass genommen habe, die Sache der zuständigen Beschwerdekammer vorzulegen. Nachdem sein erneuter Vorstoß in der Hauptverhandlung doch noch beigeordnet zu werden, erfolglos geblieben sei, sei es keineswegs pflichtwidrig gewesen, die Verteidigung während eines Teils der Hauptverhandlung nicht fortzuführen. Anderenfalls hätte er dem Angeklagten die Möglichkeit genommen, die in der Nichtbeiordnung eines Pflichtverteidigers liegende Rechtsverletzung im Rechtsmittelzug geltend zu machen.

Hinweis

Sicherlich „ultima ratio“, aber wie will der Rechtsanwalt/Verteidiger seine Nichtbeiordnung sonst mit der Revision geltend machen, wenn er in diesen oder vergleichbaren Fällen in der Hauptverhandlung sitzen bleibt und den Mandanten nicht verteidigungslos stellt? Denn § 338 Nr. 5 StPO unterscheidet nicht zwischen dem „Wahlverteidiger“ und dem „Pflichtverteidiger“, sondern nennt nur den „notwendigen Verteidiger“. Das ist aber auch der Wahlverteidiger, wenn er in der Hauptverhandlung anwesend ist. Der Rechtsanwalt/Verteidiger hat also keine andere Möglichkeit, als den Mandanten „verteidigungslos“ zu stellen und aufzustehen und nicht mehr an der Hauptverhandlung teilzunehmen.

Dem OLG ist im Übrigen deutlich die Verärgerung über das Verhalten des AG anzumerken. Hatte es dieses doch nicht geschafft, die Beschwerde des Verteidigers innerhalb einer angemessenen Frist rechtzeitig vor der Hauptverhandlung dem Beschwerdegericht vorzulegen. Dazu hätten immerhin drei Monate zur Verfügung gestanden; § 306 Abs. 2 StPO sieht die Vorlegungspätestens vor Ablauf von drei Tagen“ (!!!) vor. Vor allem auch deshalb hat das OLG den von ihm zu entscheidenden Sachverhalt als nicht vergleichbar mit BGH NStZ 1998, 209 angesehen. In dem Verfahren ging es nämlich um sog. „Eigenmacht“ des Verteidigers.

Hinweis

Aber dennoch: Die Grenzen sind fließend, so dass Vorsicht geboten ist. Im Zweifel sollte der Verteidiger lieber von vornherein nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen und dann später mit der Revision die Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO rügen.  

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IV. Strafzumessung

1. Allgemeines

Ich habe zuletzt in ZAP F. 22 R, S. 721 ff. über die Rechtsprechung der Obergerichte, vor allem die des BGH, zu Strafzumessungsfragen berichtet. Daran schließen die nachfolgenden Ausführungen an, die allerdings wegen der großen Zahl von Entscheidungen, die sich mit den Fragen befassen, keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.

Hinweis

Auf folgenden Punkt ist allgemein hinzuweisen: Wird ein Urteil auf ein Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten aufgehoben und trifft der neue (Tat)Richter Feststellungen, welche die Tat in einem wesentlich milderen Licht erscheinen lassen, hält er aber dennoch eine gleich hohe Strafe für erforderlich, so hat er nach ständiger Rechtsprechung seine Entscheidung eingehend zu begründen; denn die ursprüngliche Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der aufgehobenen Entscheidung sind zwar kein Maßstab für die neue Strafzumessung, jedoch hat der Angeklagte einen An-spruch darauf, zu erfahren, warum er für ein wesentlich geringeres Vergehen nun gleich hoch bestraft wird (st. Rspr., vgl. BGH StraFo 2009, 118; wistra 2008, 386, 387; StV 1991, 19; OLG Bamberg  NStZ-RR 2012, 138, 139; OLG Stuttgart NStZ-RR 2001, 16; zuletzt u.a. BGH, Beschl. v. 27. 11. 2012 - 3 StR 439/12NStZ-RR 2013, 113). Das gilt auch im Jugendstrafrecht (BGH, a.a.O.).

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2. Zusammenstellung der Rechtsprechung

a) allgemeine Erwägungen

Sachverhalt

Begründung

Bei der Strafzumessung werden ausländische Verurteilungen berücksichtigt.

Zulässig, wenn die Tat nach deutschem Recht strafbar wäre (BGH StV 2012, 149 = NStZ-RR 2012, 305StRR 2012, 67).

Bemessung der Gesamtstrafe

Die Festsetzung der Gesamtstrafe ist ein eigenständiger Strafzumessungsvorgang, der den allgemeinen Grundsätzen des § 46 StGB unterliegt.. Eine Schärfung der Strafe allein aus den vom Gesetzgeber bei der Festlegung des Strafrahmens angestellten Erwägungen allgemeiner Art ist daher auch hier aus den Gründen des § 46 Abs. 3 StGB nicht zulässig (BGH, Beschl. v. 31. 7. 2013 - 4 StR 217/13, JurionRS 2013, 2013, 42850 m.w.N.).

Es werden Überlegungen zur Strafhöhe mit Überlegungen zur Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) verknüpft.

Unzulässig (BGH, Beschl. v. 10.10.2013 - 2 StR 355/13, JurionRS 2013, 47177; vgl. zum ebenfalls unzulässigen umgekehrten Fall der Absenkung der Strafhöhe zur Ermöglichung einer Strafaussetzung BGHSt 29, 319, 321).

Es wird zu Lasten des Angeklagten angeführt, er habe „mit zornerfüllter, lauter Stimme ausgeführt, selbst im Falle eines Freispruches aus Zweifelsgründen das Urteil anfechten und keine Ruhe geben zu wollen, bis klargestellt sei, dass die beiden Nebenklägerinnen Lügnerinnen seien“

bei einem bestreitenden Angeklagten nicht unbedenklich (BGH, Beschl. v. v. 13. 8. 2013 – 2 StR 108/1, JurionRS 2013, 45026; vgl. auch BGH, NStZ 2004, 616 f.).

Strafzumessung bei Mittätern; Zurechnung von Strafschärfungsgründen

Bei Mittätern ist die Strafe für jeden einzelnen Tatbeteiligten nach dem Maß seiner individuellen Schuld, d.h. dem jeweils ihm zurechenbaren Erfolgs- und Handlungsunwert, zu bestimmen. Eine Zurechnung von Strafschärfungsgründen findet nicht statt; sie sind nur bei den Mittätern zu berücksichtigen, in deren Person sie vorliegen (BGH, Beschl. v. 23. 4. 2013 - 2 StR 610/12, JurionRS 2013, 37043 ).

Berücksichtigung eines nach der Straftat liegenden Verhalten des Angeklagten

Darf i.d.R. nur dann berücksichtigt werden, wenn es Schlüsse auf den Unrechtsgehalt der Tat zulässt oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewährt (BGH NStZ 1985, 545). Solches liegt bei einem Verhalten, welches Jahre nach der abgeurteilten Tat liegt, auch bei einem Sexualkontakt zulasten des früheren Tatopfers nicht ohne Weiteres vor (BGH, Beschl. v. 3. 5. 2013 - 1 StR 66/13, JurionRS 2013, 38288).

Dem Angeklagten wird mangelnde Mitwirkung an der Sachaufklärung strafschärfend angelastet.

Unzulässig, folgt aus dem nemo-tenetur-Grundsatz (BGH, Beschl. v. 22. 5. 2013 - BGH 4 StR 151/13, JurionRS 2013, 39133).

Prozessverhalten, mit dem der Angeklagte den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden versucht, wird straferschwerend berücksichtigt

Unzulässig,  wenn die Grenzen zulässiger Verteidigung nicht überschritten werden, Dies gilt nicht nur dann, wenn der Angeklagte eine unrichtige Einlassung unverändert aufrechterhält, sondern auch, wenn er dem Anklagevorwurf mit jedenfalls teilweise wahrheitswidrigem Vorbringen zu begegnen sucht (BGH . Beschl. v. 22. 5. 2013 - BGH 4 StR 151/13, JurionRS 2013, 39133).

Berufliche Nebenwirkungen der Verurteilung werden im Urteil bei der Strafzumessung nicht erwähnt

Die beruflichen Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung auf das Leben des Täters sind jedenfalls dann (als bestimmender Strafzumessungsgrund) ausdrücklich anzuführen, wenn dieser durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert (hier für: möglicherweise drohenden anwaltsgerichtliche Sanktionen gem. § 114 Abs. 1 BRAO; BGH NStZ 2013, 522; Anschluss an u.a. BGH StV 2010, 479 f.).

Es werden bereits verjährte Straftaten strafschärfend berücksichtigt

Delikte, für die Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist, können zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden (BGH, Beschl. v. 20. 11. 2013 – 2 StR 257/12, Jurion 2013, 31939).

Es wird strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte versucht hat, das Gericht zu täuschen, um sich ein falsches Alibi zu verschaffen.

Unzulässig; die Grenzen prozessual zulässigen Verteidigungsverhaltens sind selbst dann nicht überschritten, wenn der Angeklagte dadurch den Tatverdacht zwangsläufig auf sonstige in Betracht kommende Personen als Alternativtäter lenken wollte (BGH, Beschl. v. 9. 10. 2012 – 5 StR 453/12, StRR 2013, 3 [Ls.]).

Bei einem schweigenden Angeklagter wird berücksichtigt, dass er weder Reue noch Schuldeinsicht zeigt.

Unzulässig, da ein schweigender Angeklagter weder Reue noch Schuldeinsicht zeigen kann, daher darf sein Schweigen nicht zu seinem Nachteil herangezogen werden (OLG München StRR 2012, 235 [Ls.]).

Es wird bei einem Angeklagten, der keine Erinnerung an die Tat hat, strafschärfend fehlende Reue berücksichtigt.

Unzulässig, ebenso wie bei einem bestreitenden Angeklagten keine Reue bzw. Unrechtseinsicht verlangt werden kann, gilt das für einen Angeklagten, der zur Überzeugung des Gerichts gar keine Erinnerung an das Tatgeschehen hat und deshalb zu einem tatsächlichen – auch als mögliche Verurteilungsgrundlage geeigneten – Geständnis gar nicht in der Lage ist (OLG Hamm, Beschl. v. 26. 6. 2012 III – 5 RVs 59/12, StRR 2012, 323 [Ls.] = NStZ-RR 2013, 108 [Ls.]).

Bei einer Verurteilung wegen versuchten Betruges (§§ 263, 21 StGB) wird dem Angeklagten straferschwerend angelastet, dass er seine zivilrechtliche Klage gegen die Versicherung in der Berufungsinstanz weiter verfolgt hat, auch nachdem der Schuldspruch im Strafverfahren rechtskräftig geworden ist.

Unzulässig, denn ein Angeklagten ist auch nach Rechtskraft des strafrechtlichen Schuldspruchs nicht gehindert, die Tat weiterhin zu leugnen und die ihm nach seinem Vorbringen zustehenden Ansprüche zivilrechtlich weiter zu verfolgen. BGH StraFo 2012, 281wistra 2012, 304NStZ 2012, 626 =StV 2013, 83).

Es wird strafschärfende berücksichtigt, der Angeklagte habe sich nicht durch einen Dritten von der Fortsetzung seiner Tat abhalten lassen.

Rechtsfehlerhaft, wenn ihm dadurch vorgeworfen wird, vom Versuch nicht freiwillig zurückgetreten zu sein (NStZ-RR 2012, 169).

Bei einer Tat, die Folge einer Betäubungsmittelabhängigkeit ist, wird die Suchterkrankung des Angeklagten als bestimmenden Strafzumessungsgrund bei der Festsetzung der Strafe nicht erwähnt.

Es liegt in diesen Fällen nahe, die Suchterkrankung des Angeklagten als bestimmenden Strafzumessungsgrund bei der Festsetzung der Strafe zu berücksichtigen, auch wenn die Voraussetzungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nicht vorgelegen haben (BGH StV 2012, 289 [Ls.]).

Der Versuch des Angeklagten, Tatspuren zu beseitigen, wird zu seinen Lasten verwertet.

Unzulässig (BGH NStZ-RR 2012, 168).

Es wird zu Lasten des Angeklagten gewertet werden, er habe die Tatvollendung nicht freiwillig aufgegeben.

Unzulässig (BGH, Beschl. v. 25. 10. 2011 - 3 StR 301/11, JurionRS 2011, 27797).

Es werden Umstände, die zur allgemeinen Art der Lebensführung des Täters gehören, bei der Strafzumessung zur Last gelegt. Zur Anwendung auf eine mangelnde schulische und berufliche Ausbildung sowie eine mangelnde regelmäßige Erwerbstätigkeit bei begangenen Vermögens- und Eigentumsdelikten.

Nur dann zulässig, wenn sie eine Beziehung zu der abgeurteilten Tat haben und sich daraus eine höhere Tatschuld ergibt (BGH, Beschl. v. 13. 8. 2013 - 4 StR 288/13, JurionRS 2013, 43822; vgl. auch BGH NStZ 2001, 87, 88).

Das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes wird dem Angeklagten zur Last gelegt.

Unzulässig (BGH, Beschl. v. 13. 8. 2013 - 4 StR 288/13, JurionRS 2013, 43822; BGH NStZ-RR 2010, 24, 25; StV 1995, 584).

b) deliktsbezogene Erwägungen

Sachverhalt                   

Begründung

Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§§ 120a ff. StGB)

Der Einfluss des Bundesnachrichtendienstes auf die Mitwirkung des Angeklagten in der (terroristischen) Vereinigung muss sich - ggf.   abhängig von der Art und Intensität - bei der Zumessung der Strafe wegen Mitgliedschaft in dieser Vereinigung zu dessen Gunsten auswirken (BGH, Beschl. v. 22.10.2010 – AK 19/10 - JurionRS 2010, 30994).

Bei einer Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) werden die Schwere des Unfalles und seine Folgen bei der Strafzumessung zum Nachteil des Täters berücksichtigt.

Zulässig (OLG Frankfurt am Main NZV 2012, 349NStZ-RR 2012, 283 =VA 2012, 46 = StRR 2012, 43 [Ls.] = VRR 2012, 42 [Ls.]).

Bei einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (§§ 176a, 184g StGB) wird straferschwerend gewürdigt, dass der Angeklagte vielfältige ihm unterbreitete Hilfsangebote "in den Wind geschlagen" und es vorgezogen habe, "den Umstand, dass er sich mit Kindern und Jugendlichen regelmäßig traf und Fußball spielte, zu verschweigen und für sich zu behalten."

Unzulässig; lässt besorgen, dass bei der Strafzumessung strafschärfend zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt worden ist, dass dieser sein strafbares Verhalten nicht offenbart habe. Das ist im Hinblick auf den auch bei der Strafzumessung geltenden Grundsatz der Selbstbelastungs-freiheit rechtsfehlerhaft (BGH, Beschl. v. 23. 7. 2013 – 1 StR 204/13, JurionRS 2013, 45020

Bei einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (§§ 176, 176a StGB) wird dem Angeklagte fehlende Gewaltanwendung strafmildernd zugutegehalten.

Unzulässig (BGH NStZ-RR 2012, 143StV 2012, 533).

Bei einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs wird zum Nachteil des Angeklagten straferschwerend berücksichtigt" hat, "dass der Angeklagte in einem weiteren Fall mit R. P. den vaginalen Geschlechtsverkehr kurz nach ihrem 14. Geburtstag vollzogen hat, auch wenn insoweit zu seinen Gunsten davon ausgegangen wurde, dass er dabei keinen Straftatbestand erfüllt hat.

Unzulässig, da ein nach der Straftat liegendes Verhalten des Angeklagten in der Regel nur dann berücksichtigt werden darf, wenn es Schlüsse auf den Unrechtsgehalt der Tat zulässt oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewährt, was bei einem Verhalten, welches Jahre nach der abgeurteilten Tat liegt, nicht ohne Weiteres vorliegt (BGH NStZ-RR 2013, 307).

Bei einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs wird im Rahmen der Prüfung minder schwerer Fälle nach § 176a Abs. 4 Halbsatz 2 StGB und des Vorliegens einer Ausnahme von der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 StGB berücksichtigt, „dass die Tathandlungen als solche auch schwerwiegend waren. Es kam zum Einführen des Fingers sowie von Gegenständen als auch zum Geschlechtsverkehr mit dem Kind“.

Unzulässig, weil Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot. Da § 176a Abs. 4 Halbsatz 2 StGB eine Strafrahmenverschiebung gerade für minder schwere Fälle des Qualifikationstatbestandes nach § 176a Abs. 2 StGB vorsieht, können Umstände, die diese Qualifikation erst begründen, nicht herangezogen werden, um einen minder schweren Fall abzulehnen (BGH NStZ-RR 2012, 306  = StraFo 2012, 421 = StV 2012, 668).

Beim Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern wird dem Umstand, dass der Angeklagte eine Vertrauensstellung missbraucht hat, eine straferschwerende Wirkung beigemessen .

Unabhängig von der Anwendbarkeit des § 174 StGB (sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) zulässig, da dieser Gesichtspunkt die Tatschuld erhöht (BGH, Beschl. v. 29. 11. 2012 – 2 StR 257/12, JurionRS 2012, 31929).

Das Tatgericht lastet dem Angeklagten beim Vorwurf der Vergewaltigung (§ 177 StGB) strafschärfend an, er sei bestrebt gewesen, die Geschädigte durch Vorlage von von ihr gefertigter frivoler martialisch-lüsterner Zeichnungen sowie von entsprechenden Fotoaufnahmen in ihrem Ansehen und damit in ihrer Glaubwürdigkeit herabzuwürdigen.

Unzulässig, da die Glaubwürdigkeit einer Belastungszeugin in Frage zu stellen, auch anhand von Bildern bzw. Zeichnungen, die sie abbilden bzw. von ihr herrühren, beim Vorwurf der Vergewaltigung zum geschützten Recht auf Verteidigung gehören kann. auch wenn diese Unterlagen womöglich Rückschlüsse auf Neigungen oder Vorlieben im Sexualleben der Geschädigten zulassen (BGH, Beschl. v. 22. 9. 2011 - 2 StR 313/11, JurionRS 2011, 27214).

Bei einer Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts (§§ 211, 212 StGB) wird zu Lasten des Angeklagten, bei dem die Voraussetzungen des § 21 StGB angenommen worden sind,  verwertet, dass er besonders brutal vorgegangen ist.

Unter den gegebenen Umständen durchgreifende rechtliche Bedenken, da nach ständiger Rechtsprechung die Art der Tatausführung einem Angeklagten nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden darf, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt. Damit muss sich das Urteil auseinander setzen (BGH StraFo 2013, 340: NStZ-RR 2012, 169; BGH, Beschl. v. 29. 11. 2011 - 3 StR 375/11, JurionRS 2011, 31191; BGH, Urt. v. 14. 8. 2013 - 2 StR 574/12, JurionRS 2013, 44350).

Bei einem Tötungsdelikt (§§ 212, 213 StGB) wird zulasten des Angeklagten berücksichtigt, dass der Angeklagte zweimal geschossen hat.

Im gegebenen Fall unzulässig, weil damit der erster Schuss als straferschwerend bewertet, obgleich dieser möglicherweise durch das Notwehrrecht des Angeklagten gerechtfertigt war (Der BGH, Beschl. v. 14.11.2012 - 3 StR 368/12, JurionRS 2012, 29880).

Bei einem Tötungsdelikt (§§ 211, 212 StGB) wird zulasten des Angeklagten verwertet, dass er absichtlich einen Menschen getötet hat, er also nicht nur um den Todeseintritt sicher wusste, sondern es ihm vielmehr darauf ankam.

Zulässig, kein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot  (BGH NStZ 2012, 689); unzulässig ist es allerdings, wenn darauf abgestellt, dass der Angeklagte mit direktem Vorsatz gehandelt hat.

Bei einem Tötungsdelikt (§§ 211, 212 StGB) wird zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Tatausführung von massiver Gewalt geprägt war und durch heftige Würgen eine besondere Brutalität aufweise.

Wegen Verstoßes gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB unzulässig; ebenso wie der Tötungsvorsatz als solcher darf die Anwendung der zur Tötung erforderlichen Gewalt nicht straferschwerend gewertet werden (st. Rspr.; zuletzt BGH StraFo 2013, 388 = NStZ-RR 2013, 305; Beschl. v. 04.07.2013 – 4 StR 213/13; im Übrigen vgl. u.a. BGH StV 1998, 657 jeweils m.w.N. ).

Bei einer Verurteilung wegen einer Körperverletzung (§§ 223 ff. StGB)  wird zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass er sich dahin eingelassen hat, er habe in Notwehr gehandelt

Unzulässig, wenn sich die Einlassung des Angeklagten auf die wahrheitswidrige Behauptung eines drohenden bzw. eines bereits eingeleiteten Angriffs beschränkt, ohne dass sein Vorbringen darüber hinausgehende Verleumdungen oder Herabwürdigungen enthält. Eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung kann erst dann straferschwerend gewertet werden, wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt (BGH  NStZ-RR 2013, 170 = StV 2013, 507).

Bei einer Verurteilung wegen Raubes (§§ 249, 250 StGB) wird straferschwerend berücksichtigt, dass der Angeklagte "den angestrebten Taterfolg nicht nur durch das bloße Entreißen der Handtasche, sondern unter Einsatz des Pfeffersprays zu erreichen" versuchte.

Unzulässig, Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3 StGB) und führt daher zur Aufhebung des Strafausspruchs (BGH NStZ-RR 2012, 308).

Bei einer schweren räuberischen Erpressung (§§ 253, 255, 250 StGB) wird das Vorliegen des minder schweren Falles damit abgelehnt, dass der Angeklagte ein Butterflymesser verwendet hat.

Unzulässig, Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot, denn das war der Tatumstand, der die Annahme einer besonders schweren räuberischen Erpressung nach §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB begründete (BGH, Beschl. v. 2. 5. 2012 - 2 StR 110/12, JurionRS 2012, 17332; zu einem Sonderfall vgl. BGH NStZ 2003, 29).

Beim Betrug (§ 263 StGB) durch falsche Angaben des Angeklagten gegenüber seiner Sachversicherung wird zu seinen Lasten berücksichtigt, dass er diese gegenüber einem von der Versicherung daraufhin beauftragten Sachverständigen bestätigt hat.

Dieses Nachtatverhalten darf nicht strafschärfend in Ansatz gebracht werden, da andernfalls dem Angeklagten zur Last gelegt würde, nicht strafbefreiend vom Betrugsversuch zurückgetreten zu sein (OLG Stuttgart NStZ 2012, 633

Bei der Strafzumessung im Rahmen eines Betrugs (§ 263 StGB) wird  eine eigennützige Bereicherungsabsicht des Angeklagten zu seinem Nachteil berücksichtigt.

Unzulässig, Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (BGH, Beschl. v. 25.10.2011 - 3 StR 309/11, JurionRS 2011, 28284).

Bei einem gewerbsmäßigen Einschleusen von Ausländern wird das Streben nach wirtschaftlichen Vorteilen strafschärfend berücksichtigt.

Unzulässig. Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot,. Nur wenn das Gewinnstreben das bereits tatbestandlich erforderliche Maß deutlich übersteigt und daher in besonderer Weise verwerflich ist, kann es ausnahmsweise zum Nachteil des Täters gewertet werden (BGH StV 2012, 282).

Bei der Bemessung der Gesamtstrafe wegen einer Verurteilung wegen Einschleusens von Ausländern wird erschwerend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte den Willen hatte, mit den Taten Geld zu verdienen.

Unzulässig, da ein Umstand als Strafzumessungstatsache herangezogen wurde, der ein Merkmal des inneren Tatbestandes der angewendeten Strafvorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 1a) AufenthG erfüllt (BGH, Beschl. v. 31. 7. 2013 - 4 StR 217/13, JurionRS 2013, 2013, 42850 m.w.N.).

Bei einer Verurteilung wegen unerlaubter Ausfuhr von Betäubungsmitteln wird strafschärfend angelastet, dass der Angeklagte von vorneherein mit dem Ziel gehandelt hat, sich durch eine Vielzahl von Taten in großem Umfang zu bereichern.

Unzulässig (BGH, Beschl. v. v. 15. 5. 2015 - 1 StR 476/12, JurionRS 2013, 38949).

Bei einer Verurteilung wegen unerlaubter Ausfuhr von Betäubungsmitteln wird zugunsten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass es sich bei den ausgeführten ausgenommenen Zubereitungen um Medikamente gehandelt hat, die im therapeutischen Bereich ihren Einsatz finden.

Unzulässig, wenn gerade kein "therapeutischer" Einsatz vorlag, weil die Versendungen auf Scheinrezepten beruhten, die von pflichtwidrig handelnden, in das Geschehen eingebundenen Ärzten für ihnen unbekannte Personen unkontrolliert ausgestellt worden waren (BGH, Beschl. v. v. 15. 5. 2015 - 1 StR 476/12, JurionRS 2013, 38949).

Bei einer Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit BtM wird der Umstand, dass das die Betäubungsmittel sichergestellt worden sind, nicht strafmildernd berücksichtigt.

Rechtsfehler; zwar braucht der Tatrichter im Urteil nur diejenigen Umstände anzuführen, die für die Bemessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Es stellt aber grundsätzlich einen gewichtigen und deshalb erörterungsbedürftigen Strafmilderungsgrund dar, wenn die Betäubungsmittel sichergestellt werden und es deshalb nicht zu einer Gefährdung von Drogenkonsumenten kommen kann (vgl. u.a. BGH, NStZ-RR 2006, 220; 2012, 153; zuletzt Beschl. v. 24.10.2012 -  4 StR 377/12, JurionRS 2012, 26884).

Bei einer Verurteilung wegen eines Betäubungsmitteldelikts wird zu Lasten des Angeklagten angeführt, dass  „keine spontane Tat ohne Anlass“ vorliege, und dass der Angeklagte „ohne Druck oder Beeinflussung Dritter“ und auch dass er auch nicht „aus einer Notsituation heraus“ gehandelt habe.

 

Unzulässig, zwar können nachvollziehbare, verständliche Motive für eine Tatbegehung wie ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse oder auch eine Suchterkrankung ebenso wie die Tatverstrickung durch Dritte strafmildernd zu Buche schlagen; ihr Fehlen berechtigt allerdings nicht, dies zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen (BGH NStZ 2013, 46).

Bei einer Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit BtM wird der Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel nicht angegeben.

Rechtsfehler (zuletzt Beschl. v. 24.10.2012 -  4 StR 377/12, JurionRS 2012, 26884).

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V. Bußgeldverfahren

1. Belehrung des Betroffenen über Freiwilligkeit der Teilnahme an einer Atemalkoholkontrolle

Die Frage, ob der Betroffene bei einer Atemalkoholkontrolle über die Freiwilligkeit seiner Mitwirkung belehrt werden muss oder nicht, wird seit einiger Zeit in der Rechtsprechung diskutiert. Obergerichtliche Rechtsprechung hat dazu bislang nicht vorgelegen. Inzwischen hat sich aber das OLG Brandenburg in seinem  Beschl. v. 16. 4. 2013 ([2 B] 53 Ss-OWi 58/13 [55/13], JurionRS 2013, 42008) mit der Frage befasst – und sie verneint. In dem dem OLG, Beschl. zugrunde liegenden Verfahren hatte das AG hat den Betroffenen auf der Grundlage einer Atemalkoholmessung wegen eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 1 StVG verurteilt. Dagegen hatte der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt, mit  der vor allem beanstandet hat, er sei vor der Messung des Atemalkohols nicht darüber belehrt worden, dass seine Mitwirkung daran freiwillig sei, deshalb bestünde ein Beweisverwertungsverbot. Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Das AG habe – so das OLG - offen gelassen, ob der Betroffene vor der Messung des Atemalkohols darüber belehrt worden ist, dass seine Mitwirkung daran freiwillig sei. Es habe angenommen, dass eine solche Belehrung nicht erforderlich sei und deshalb ihr Fehlen auch nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führen könne. Dies treffe zu. Allerdings werde vertreten, dass das Fehlen einer Belehrung über die Freiwilligkeit der Teilnahme an einer Atemalkoholmessung zu deren Unverwertbarkeit führe. Dem liege die Erwägung zugrunde, dass die Teilnahme an dem Test eine aktive Beteiligung des Beschuldigten erfordere, er jedoch nicht verpflichtet werden könne, aktiv an der eigenen Überführung mitzuwirken (LG Freiburg NZV 2009, 614; AG Frankfurt am Main NZV 2010, 266 [Ls.]). Dem hat sich das OLG nicht angeschlossen. Es folgt vielmehr den von Cierniak/Herb nach seiner Auffassung in einem Beitrag in NZV 2012, 409) überzeugend dargelegten Erwägungen (so auch AG Michelstadt NZV 2012, 97). Es sei zwar anerkannt, dass niemand gegen seinen Willen zu seiner Überführung beitragen müsse. Im Strafverfahren sei ein Beschuldigter grundsätzlich nicht verpflichtet, aktiv die Sachaufklärung zu fördern. Das gelte auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren (BVerfG NJW 1981, 1987 = BVerfGE 55, 144; Gürtler in: Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 55 Rn. 8). Davon zu unterscheiden sei aber die Frage, ob über die Freiwilligkeit der Mitwirkung auch belehrt werden müsse. Gesetzlichen Regelungen könne eine solche Pflicht nicht entnommen werden. Der Gesetzgeber habe Belehrungspflichten nur in besonderen Fällen geregelt. So müsse nach § 81h Abs. 4 StPO der Betroffene im Falle einer DNA-Reihenuntersuchung darüber belehrt werden, dass diese Maßnahme nur mit seiner Einwilligung vorgenommen werden darf. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO sehe die Belehrung des Beschuldigten über sein Schweigerecht vor. Letztgenannte Vorschrift gelte ihrem Wortlaut nach allein für Vernehmungen. Eine entsprechende Anwendung auf andere Fälle komme nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber in anderen Fällen eine Belehrungspflicht ausdrücklich geregelt habe, wie etwa in § 81h Abs. 4 StPO, und deshalb eine Regelungslücke nicht bestehe (Cierniak/Herb NZV 2012, 409, 412 f). Die Rechtslage bei Blutentnahmen nach § 81h StPO ergebe nichts anderes. Anerkannt sei zwar, dass die Einwilligung des Beschuldigten eine richterliche Anordnung entbehrlich mache. Diese Einwilligung müsse ausdrücklich und eindeutig sein. Dabei müsse der Beschuldigte in der Regel auch über sein Weigerungsrecht belehrt werden (vgl. OLG Karlsruhe NStZ 2005, 399). Dabei gehe es in den Fällen, in denen eine förmliche richterliche Anordnung rechtmäßig wäre, nicht um die freiwillige Hingabe eines für die Ermittlungsbehörden sonst nicht zur Verfügung stehenden Beweismittels, sondern nur um einen Verzicht auf die Einhaltung einer verfahrensmäßigen Absicherung der Beschuldigtenrechte, der den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit nicht unmittelbar betreffe (Cierniak/Herb NJW 2012, 409, 412).

Das OLG Brandenburg ist – soweit ersichtlich - das erste OLG, das sich mit der Frage befasst hat. Seine Antwort überrascht nicht. Haben doch die Vertreter der Auffassung, die eine Belehrungspflicht verneinen, mit Cierniak einen gewichtigen Vertreter in ihren Reihen. Es ist zwar nicht der BGH, aber immerhin ein Richter am BGH und auch noch Mitglied desjenigen Senates, der, falls es in der Frage mal zu einer Vorlage an den BGH kommen sollte, was m.E. nicht sehr wahrscheinlich ist, die Rechtsfrage zu entscheiden hätte. Man wird davon ausgehen können, dass andere OLG dem OLG Brandenburg folgen werden. Ob ein Beweisverwertungsverbot dann besteht, wenn die Ermittlungsbehörden dem Betroffenen eine Mitwirkungspflicht vorspiegeln oder einen Irrtum über eine solche Pflicht bewusst ausgenutzt haben (vgl. OLG Hamm NJW 1967, 1524; Cierniak/Herb NZV 2012, 409, 413), hat das OLG offen lassen können. Denn für die Annahme einer solchen Fallgestaltung hat der Sachverhalt nichts hergegeben. Der Verteidiger muss solche Fälle aber im Auge haben

Hinweis

Wenn der Verteidiger die Frage der Freiwilligkeit der Mitwirkung und die fehlende Belehrung zur Grundlage eines Beweisverwertungsverbotes machen will, muss er – wenn er das auch noch in der Rechtsbeschwerde geltend machen will – in der Hauptverhandlung der Verwertung des Ergebnisses der Atemalkoholmessung widersprechen. Es gilt die Widerspruchslösung des BGH (vgl. dazu BGHSt 38, 214; Burhoff. (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., 2012, Rn. 3491). In der Rechtsbeschwerde muss das Beweisverwertungsverbot dann mit der Verfahrensrüge erhoben werden (vgl. nur BGH StV 2007, 68; weitere Nachweise bei Burhoff, HV, Rn. 3517). Für die gelten die strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die hatte der Verteidiger hier nicht erfüllt. „Gerettet“ hat ihn bzw. die Rechtsbeschwerde vor der Verwerfung aus dem Grund, dass er zumindest eine ausreichend begründete Sachrüge erhoben hatte, die das OLG zur Überprüfung des Urteils auf seine sachliche Richtigkeit veranlasst hat.

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2. Vereinfachte Beweisaufnahme im Bußgeldverfahren

Für das Bußgeldverfahren ist in § 77a Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 OWiG i.V.m. § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO für die Einführung einer Zeugenaussagen in die Hauptverhandlung eine vereinfachte Form der Beweisaufnahme vorgesehen ist. Zur danach zulässigen Verlesung der Zeugenaussage ist allerdings die Zustimmung der in der Hauptverhandlung anwesenden Verfahrensbeteiligten und ein Gerichtsbeschluss erforderlich. Mit deutlichen Worten hat das KG nun in zwei Beschlüssen (vgl. KG, [Einzelrichter]Beschl. v. 29. 8. 2013 – 3 Ws (B) 438/13 -122 Ss 125/13 und [Senats]Beschl. v. 2. 9. 2013 – (304 OWi) 3042 Js-OWi 11768/12 [6/13])) einem Amtsrichter in einem Verfahren wegen eines Rotlichtverstoßes ins Stammbuch geschrieben, dass es sich bei diesen Vorschriften, um einen elementaren Verfahrensgrundsatz handelt. Dabei könne zwar die Zustimmung zu der Verlesung auch stillschweigend erklärt werden, jedoch müsse sich der Verfahrensbeteiligte der Tragweite seines Schweigens bewusst sein, d. h. ihm muss klar sein, dass die Urkunde in der Entscheidung verwertet werden soll. Dass dem Betroffenen das bekannt war, muss sich aus dem Protokoll ergeben.

Hinweis

Der Verstoß gegen § 77a OWiG muss mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden, für die die strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gelten.

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VI. Gebührenfragen

Im „Gebührenteil“ ist hinzuweisen auf eine Entscheidung des OLG Köln, in der dieses seine frühere – anders lautende – Rechtsprechung aufgegeben hat (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 4. 1. 2013 - 2 Ws 837/12, NStZ-RR 2013, 127 = StraFo 2013, 173 = VRR 2013, 83 [Ls.] = RVGreport 2013, 190). Umstritten ist nämlich (nach wie vor) die Frage, in welchem Umfang der Anspruch des gerichtlich bestellten Verteidigers gegen den Beschuldigten auf Zahlung der Wahlverteidigergebühren nach teilweisem Freispruch oder sonstigem teilweisen Obsiegens des Beschuldigten entfällt, ob nämlich nur in Höhe des darauf entfallenden Anteils oder ob in Höhe der gesamten gezahlten Pflichtverteidigergebühren. Ein Teil der Rechtsprechung hält die vollständige Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren für ungerechtfertigt, weil so der Erstattungsanspruch eines teilweise freigesprochenen Angeklagten häufig ins Leere gehe, was mit dem sich aus § 465 Abs. 2 StPO ergebenden Grundgedanken unvereinbar sei, dass der Angeklagte kostenmäßig so zu stellen sei, wie er gestanden hätte, wenn allein die zur Verurteilung führende Tat Gegenstand des Verfahrens gewesen wäre (OLG Celle RVGreport 2004, 397 = NJW 2004, 2396 = NStZ 2004, 692 = StV 2006, 33; Oldenburg RVGreport 2007, 489 = StraFo 2007, 127 = StRR 2007, 278 m. zust. Anmerkung Volpert). Demgegenüber hält die wohl h.M. die vollständige Anrechnung für geboten und begründet dies mit dem Wortlaut des § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG, der - ebenso wenig wie die Vorgängerregelung in § 100 BRAGO - nicht danach unterscheide, ob die Landeskasse Pflichtverteidigergebühren gezahlt habe, die auf den Verfahrensteil entfallen, für den dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch zustehe. Es werde lediglich das ansonsten durch Aufrechnung der Staatskasse mit Verfahrenskosten erzielbare Ergebnis vorweggenommen (so OLG Düsseldorf StRR 2010, 276; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008,264; OLG Hamburg, Beschl. v. 3. 9. 2007 - 2 Ws 194/07, JurionRS 2007, 41597; LG Düsseldorf StRR 2010, 118 m. Anm. Volpert; weitere Nachweise bei Volpert in: Burhoff (Hrsg.), Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2012, § 52 RVG Rn. 58). Das OLG Köln hat sich jetzt der letzteren Auffassung angeschlossen und gibt damit ältere Rechtsprechung, in der die andere Ansicht vertreten worden ist (vgl. Beschl. v. 10. 5. 1994 - 2 Ws 84/94 ), auf.

Hinweis

Die wohl h.M. übersieht, dass mit ihrer Auffassung die Kostenentscheidung, durch die der Staatskasse die auf den freigesprochenen Teil entfallenden notwendigen Auslagen des Beschuldigten auferlegt werden, dann ggf. überflüssig ist. Auch wird mit der vollständigen Anrechnung nicht berücksichtigt, dass die Pflichtverteidigergebühren sowohl den verurteilenden als auch den freisprechenden Teil betreffen. Der teilweise freigesprochene Angeklagte muss aber nach dem sich aus § 465 Abs. 2 StPO ergebenden Grundgedanken kostenmäßig so gestellt werden, wie er gestanden hätte, wenn allein die zur Verurteilung führende Tat Gegenstand des Verfahrens gewesen wäre. Er muss daher von allen Mehrkosten und seinen notwendigen Auslagen freigestellt werden, die durch den Anklagevorwurf veranlasst worden sind, von dem er freigesprochen worden ist (zu allem auch Burhoff/Volpert, RVG, a.a.O., § 58 Rn. 56 ff.).

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