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aus ZAP Heft 14/2015, F 22 R, S. 889

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Verfahrenstipps und Hinweise für Strafverteidiger (II/2015)

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

Inhaltsverzeichnis

I. Hinweise
II. Ermittlungsverfahren
  1. Pflichtverteidigungsfragen
   2. Durchsuchungsanordnung
    a) Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei
    b) Unbestimmtheit der Durchsuchungsanordnung
III. Hauptverhandlung
  1. Sitzungspolizeiliche Maßnahmen und Verfassungsbeschwerde
  2. Mitteilungspflicht im Rahmen von Verständigungsgesprächen
    a) Inhalt der Mitteilung
    b) Negativattest
  3. Vernehmung des Mitangeklagten als Zeugen
  4. Verwertung von Dashcam-Aufnahmen im Strafverfahren
IV. Rechtsmittelverfahren
V. Gebühren-/Kostenfragen
  1. Verjährungsfragen bei der Pauschgebühr
  2. Aktenversendungspauschale

Inhaltsverzeichnis

I. Hinweise

Die Vorratsdatenspeicherung ist seit langem umstritten. Am 15.4.2015 hatte nun (aber) das BMJV „Leitlinien zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ vorgelegt. Diese sind eingemündet in einen Gesetzesentwurf, der sich inzwischen im Gesetzgebungsverfahren befindet (vgl. BT-Drucks. 18/5088). Dieser hat etwa folgenden Inhalt:

  • Gespeichert werden dürfen nur im TKG genau bezeichnete Verkehrsdaten, die bei der Telekommunikation anfallen. Das sind insbesondere die Rufnummern der beteiligten Anschlüsse, Zeitpunkt und Dauer des Anrufs, bei Mobilfunk auch die Standortdaten, sowie IP-Adressen einschließlich Zeitpunkt und Dauer der Vergabe einer IP-Adresse.
  • Nicht gespeichert werden dürfen: Inhalt der Kommunikation, aufgerufene Internetseiten und Daten von Diensten der elektronischen Post:
  • Hinsichtlich der Speicherdauer wird differenziert zwischen den Standortdaten und den weiteren Verkehrsdaten. Für die Standortdaten wird eine Speicherfrist von vier Wochen, im Übrigen eine Speicherfrist von zehn Wochen bestimmt.
  • Die Strafverfolgungsbehörden dürfen die gespeicherten Daten zu engdefinierten Straf­verfolgungszwecken abrufen. Den Ländern wird ermöglicht, einen Abruf der Verkehrs­daten in ihren Polizeigesetzen zu regeln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für bestimm­te konkrete schwerste Gefahren vorliegen.
  • An Schutzmechanismen/-bestimmungen sind u.a. vorgesehen: Schutz von Berufsgeheimnisträgern beim Abruf der Daten durch Verwendungs- und Verwertungsverbote, Datenabruf nur bei schwersten Straftaten, strenger Richtervorbehalt mit Verhältnismäßigkeitsprüfung und ohne Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft, Transparenz und Rechtsschutzmöglichkeiten für diejenigen, deren Daten abgerufen werden, hohe Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit bei den speicherverpflichteten TK-Anbietern, Löschverpflichtung nach Ablauf der Höchstspeicherfrist.

Inhaltsverzeichnis

II. Ermittlungsverfahren

1. Pflichtverteidigungsfragen

Zurückkommen will ich wegen der doch erheblichen praktischen Bedeutung noch einmal auf die Frage der Zulässigkeit der rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers (vgl. dazu zuletzt Burhoff ZAP F 22 R, S. 876). Damit hat sich vor kurzem noch einmal das OLG Stuttgart befasst (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 25. 2. 2015 - 1 ARs 1/15, StRR 2015, 182). Im Verfahren ging es nach Abschluss des Verfahrens um die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG, nachdem die Strafvollstreckungskammer zuvor einen Bestellungsantrag des Rechtsanwalts übersehen hatte. Die Strafvollstreckungskammer hatte den Rechtsanwalt dann „rückwirkend“ bestellt. Das OLG hat in seinem Beschluss (a.a.O.) noch einmal darauf hingewiesen, dass nach h.M., der sich das OLG angeschlossen hat, eine rückwirkende Bestellung nicht möglich sei (vgl. nur BGH StRR 2010, 29; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 141 Rn. 8 m.w.N. [im Folgenden kurz: Meyer-Goßner/Schmitt). Der Ansatzpunkt der Gegenmeinung, dass die Umsetzung der EMRK jedenfalls in Fällen versehentlich unterbliebener Bestellung eine rückwirkende Bestellung gebiete (so etwa OLG Stuttgart StraFo 2010, 465 = StRR 2011, 64; LG Stuttgart Die Justiz 2009, 15 m.w.N.), überzeuge nicht. Das OLG sieht aber einen Ausweg. Diesen sieht es zielführender darin, in den Fällen, in denen das Gericht die Mitwirkung des Verteidigers unter Übergehung seines deutlichen und unübersehbaren und nicht etwa versteckten Beiordnungsantrags für opportun hält, ,entsprechend der Rechtsprechung des BGH (a.a.O.) eine schlüssige Bestellung zum Zeitpunkt der Antragstellung anzunehmen, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalles dies nahelegen. So könne dem Gedanken der unbilligen Vergütung bei vorangegangener Schaffung eines "Vertrauenstatbestands" durch den Tatrichter in angemessener Weise Rechnung getragen werden. Davon ist das OLG dann im entschiedenen Fall ausgegangen, da die Strafvollstreckungskammer den Rechtsanwalt am weiteren Verfahren beteiligt und nie zum Ausdruck gebracht hatte, dass er seine weitere Tätigkeit auf eigenes Kostenrisiko erbringe (zu allem a. mit zahlreichen Nachweisen aus der teilweise abweichenden landgerichtlichen Rechtsprechung Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2013, Rn. 2326 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV [demnächst 7. Aufl.. Rn. 3043); vgl. auch noch BGH NStZ 2008, 117; StraFo 2006, 456; 2015, 37).

Hinweis:

Unabhängig von dem (Aus)Weg über eine konkludente Bestellung: Jeder Rechtsanwalt sollte, wenn er seine Bestellung als Pflichtverteidiger beantragt hat, darauf achten, dass über den Antrag vor Abschluss des Verfahrens – also spätestens in der Hauptverhandlung – entschieden wird. Die bis dahin erbrachten Tätigkeiten gehen nicht verloren. Da hilft § 48 Abs. 6 S. 1 RVG, und zwar ggf. auch bei der Pauschgebühr (vgl. § 51 Abs. 1 S. 4 RVG).

Inhaltsverzeichnis

2. Durchsuchungsanordnung

Im Berichtszeitraum haben sich zwei Entscheidungen des BVerfG mit den Anordnungsvoraussetzungen für eine Durchsuchung befasst.

a) Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei

Der BVerfG, Beschl. v. 29.01.2015 (2 BvR 497/12, StRR 2015, 262) befasst sich nach längerer Zeit mal wieder mit dem sensiblen Bereich der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei (vgl. dazu die Nachw. bei Burhoff, EV, Rn. 1064; demnächst 7. Aufl., Rn. 1379). Im entschiedenen Fall war der Rechtsanwalt selbst Beschuldigter in einem Verfahren wegen der Vorwurfs der Unterhaltspflichtverletzung (§ 170 StGB). Die entsprechende Strafanzeige war von der geschiedenen Ehefrau des Rechtsanwalts erstattet worden. Durchsucht wurden dann die Kanzleiräume der Rechtsanwaltskanzlei, die der Beschuldigte zusammen mit seiner neuen Ehefrau betrieb. Beschlagnahmt worden sind Aktenordner und ein Terminkalender.

Das BVerfG äußert erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung und erinnert: Der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern (§ 53 StPO) gebiete bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGK 17, 550, 556 = BRAK Mitt. 2011, 79). Die Strafverfolgungsbehörden hätten dabei auch das Ausmaß der – mittelbaren – Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen zu berücksichtigen. Richte sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger in der räumlichen Sphäre seiner Berufsausübung, so bringe dies regelmäßig die Gefahr mit sich, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers gerade sicher wähnen durften. Dadurch würden die Grundrechte der Mandanten berührt. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liege darüber hinaus auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangten eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme (vgl. BVerfGE 113, 29, 47 = NJW 20015, 1917).

Hinweis:

Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (BVerfG, Beschl. v. 29.01.2015 (2 BvR 497/12, StRR 2015, 262; vgl. a. BVerfGE 115, 166, 198 = NJW 2006, 976). Für die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat spricht nach der Rechtsprechung des BVerfG , wenn sie nicht von erheblicher Bedeutung ist. Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, können danach nicht mehr ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zugerechnet werden (vgl. BVerfGE 124, 43, 64 = NJW 2009, 2431). Davon ist das BVerfG z.B. bei der Unterhaltspflichtverletzung ausgegangen.

Inhaltsverzeichnis

b) Unbestimmtheit der Durchsuchungsanordnung

Bei der zweiten Entscheidung, auf die ich hinweisen möchte, handelt es sich um den BVerfG, Beschl. v. 16. 4.2015 (2 BvR 440/14, StRR 2015, 202 [Ls.]). In dem Verfahren ging es nicht um die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei, sondern um die einer Steuerberater-/Wirtschaftsprüferkanzlei. Zur Anordnung der Durchsuchung im Beschluss des AG hieß es: “Gegen einen der Geschäftsführer der Beschwerdeführerinnen zu 1. und 2. wurde wegen des Verdachts der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung in besonders schwerem Fall ermittelt. Die Beschwerdeführerin zu 3. und der Beschwerdeführer zu 4. verfügten über Büroräume unter derselben Adresse wie die Beschwerdeführerinnen zu 1. und 2. Die elektronischen Daten der Beschwerdeführer zu 1. bis 4. befinden sich auf einem gemeinsamen Server.“.

Das AG hatte u.a. die Durchsuchung sämtlicher Geschäftsräume der “D. GmbH, A.-str., M.” angeordnet, ohne eine ausdrückliche Eingrenzung auf einen oder mehrere der Beschwerdeführerinnen zu 1. bis 3. vorzunehmen. Das BVerfG hat auf Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG” und der Erstreckung dieses Schutzes “auch auf geschäftlich genutzte Räume, die nicht allgemein zugänglich sind (vgl. BVerfGE 42, 212, 219; 96, 44, 51; BVerfGK 15, 225, 240)”hingewiesen.

Dem wurde der Durchsuchungsbeschluss des AG nach Auffassung des BVerfG nicht gerecht. Der Durchsuchungsbeschluss sei hinsichtlich der Anordnung, die Geschäftsräume der “D. GmbH, A.-str., M.” zu durchsuchen, unbestimmt. Ein Unternehmen mit der ausschließlichen Firma “D. GmbH” nutze unter der angegebenen Adresse keine Räumlichkeiten. Hinsichtlich der Unternehmen, die Büros in der A.-str. unterhalten und deren Firmenbezeichnung aus den Worten “D. GmbH” mit einem daran anknüpfenden Zusatz besteht, sei dem Durchsuchungsbeschluss nicht zu entnehmen, welches dieser Unternehmen gemeint sei. Eine Bestimmung der Gesellschaft, deren Räumlichkeiten durchsucht werden sollen, sei auch anhand der weiteren Angaben in dem Beschluss nicht möglich. Entgegen der Ansicht des AG reiche es nicht, dass sich in den Ermittlungsakten eine Vollmacht der Unternehmensgruppe befinde die beschuldigt werde, Steuern hinterzogen zu haben, aus der sich ergebet, welche Gesellschaft mit der Wahrnehmung der steuerlichen Beratung beauftragt gewesen sei. Denn der Durchsuchungsbeschluss müsse aus sich heraus verständlich und hinreichend bestimmt sein. Eine solche Bestimmtheit ergebe sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Tatverdacht sich aus einer steuerlichen Beratung ergebet, da sowohl Rechtsanwälte als auch Steuerberater zur steuerlichen Beratung befugt seien.

Hinweis:

Sicherlich kein Meilenstein, aber eins der vielen kleinen Mosaiksteinchen zur “Rechtswidrigkeit eine Durchsuchungsmaßnahme” und eine weitere Mahnung an die Instanzgerichte mit der “Unverletzlichkeit der Wohnung” vielleicht doch etwas weniger “unbestimmt” umzugehen (zu den Anforderungen an Durchsuchungsanordnungen eingehend Burhoff, EV, Rn. 1075 ff.; demnächst 7. Aufl. Rn. 1390 ff.).

Inhaltsverzeichnis

III. Hauptverhandlung

1. Sitzungspolizeiliche Maßnahmen und Verfassungsbeschwerde

Im Jahr 2008 war beim LG Oldenburg eine Verfahren wegen eines Tötungsdelikts anhängig. In diesem wurde dem Angeklagten vorgeworfen, einen Holzklotz von einer Autobahnbrücke auf einen Personenkraftwagen geworfen und dadurch die Beifahrerin getötet zu haben. Die Tat und die Strafverfolgung fanden bundesweit ein hohes mediales Interesse. Nachdem im Rahmen der Berichterstattung über den ersten Hauptverhandlungstag mindestens eine Zeitung unverpixelte Bilder des Angeklagten veröffentlicht hatte, erließ der Vorsitzende Richter des Schwurgerichts eine sitzungspolizeiliche Anordnung auf Grundlage des § 176 GVG, nach der vom Angeklagten und dem Nebenkläger nur verpixelte Bilder veröffentlicht werden dürfen. Gegen diese sitzungspolizeiliche Anordnung und mittelbar gegen die Versagung eines fachgerichtlichen Rechtsbehelfs durch den Gesetzgeber hatte der Springer-Verlag Verfassungsbeschwerde erhoben. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschl. v. 17. 4. 2015 – 1 BvR 3276/08, StRR 2015, 223).

Seine Nichtannahmeentscheidung hat das BVerfG (a.a.O.) damit begründet, dass der Rechtsweg gegen die angegriffene Verfügung des Vorsitzenden nicht erschöpft sei (§ 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG). Das BVerfG verweist darauf, dass zwar offensichtlich unzulässige Rechtsmittel nicht zum Rechtsweg gehören, andererseits müsse der Beschwerdeführer aber vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf § 90 Abs. 2 BVerfGG von einem Rechtsmittel grds. auch dann Gebrauch machen, wenn zweifelhaft sei, ob es statthaft sei und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden könne. In derartigen Fällen sei es grds. die Aufgabe der Fachgerichte, über streitige oder noch offene Zulässigkeitsfragen nach einfachem Recht unter Berücksichtigung der hierzu vertretenen Rechtsansichten zu entscheiden. Zum Meinungsstand hinsichtlich der Zulässigkeit der Beschwerde gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen verweist das BVerfG darauf, dass zwar insbesondere die ältere fachgerichtliche Rechtsprechung eine Beschwerde gegen Verfügungen des Vorsitzenden nach § 176 GVG ablehne (vgl. u.a. OLG Hamm NJW 1972, 1246, 1247; OLG Köln NJW 1963, 1508; OLG Nürnberg MDR 1969 600; OLG Zweibrücken NStZ 1987, 477) und ein Teil der Literatur bis heute dieser Auffassung folge (vgl. u.a. Allgayer, in: Graf, StPO, 2. Aufl. 2012, GVG § 181 Rn. 1; Lehr NStZ 2001, 63, 66). Der BGH habe die Frage einer Beschwerde gem. § 304 Abs. 1 StPO gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen bislang ausdrücklich offengelassen (vgl. BGHSt 44, 23, 25). Doch habe sich ein nicht unerheblicher Teil der neueren fachgerichtlichen Rechtsprechung bereits im Zeitpunkt der Einlegung der Verfassungsbeschwerde für die Statthaftigkeit der Beschwerde ausgesprochen (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1977, 309 f. OLG München NJW 2006, 3079; LG Ravensburg NStZ-RR 2007, 348 f.). Voraussetzung sei, dass der sitzungspolizeilichen Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukomme und insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt würden. Auch die Kommentarliteratur habe sich - bezogen auf den Zeitpunkt der Einlegung der Verfassungsbeschwerde - bereits dieser neuen obergerichtlichen Rechtsprechungslinie angeschlossen gehabt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 176 GVG Rn. 16; Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, § 176 GVG Rn. 7; noch weitergehend jetzt Velten, in: Wolter, SK-StPO, 4. Aufl. 2013, Band IX, § 176 GVG Rn. 17). Dieser Ansicht folgen mittlerweile weitere Gerichte (vgl. KG NStZ 2011, 120; OLG Hamm NStZ-RR 2012, 118; OLG Stuttgart NJW 2011, 2899; LG Mannheim NJW 2009, 1094 ff.). Im Zeitpunkt der Einlegung der Verfassungsbeschwerde sei nach der weitgehenden Änderung der Auffassung in fachgerichtlicher Rechtsprechung und Literatur ein Rechtsmittel nach § 304 Abs. 1 StPO also nicht mehr offensichtlich unzulässig gewesen.

Hinweis:

War es schon bisher wohl h.M. der Fachgerichte, dass zumindest dann, wenn eine Anordnung Wirkung über die Hauptverhandlung hinaus hat, das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig ist, dürfte das nach dem Spruch aus Karlsruhe erst Recht gelten. Die angeführte ältere Rechtsprechung und Literatur ist also überholt. In vergleichbaren Fällen muss vor dem Weg nach Karlsruhe ggf. erst der fachgerichtliche Rechtsweg beschritten werden.

Inhaltsverzeichnis

2. Mitteilungspflicht im Rahmen von Verständigungsgesprächen

Die Rechtsprechung zur sich nach Verständigungsgesprächen ergebenden Mitteilungspflicht des Gerichts (§ 243 Abs. 4 StPO) ist inzwischen unüberschaubar. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht auf der Homepage des BGH eine weitere/neue Entscheidung eines der Strafsenate veröffentlicht wird. Diese lassen sich hier auch Platzgründen nicht alle darstellen, das soll einem gesonderten Beitrag vorbehalten bleiben. Hinzuweisen ist allerdings auf:

Hinweis:

Die Fragen sind vor allem deshalb von Bedeutung, weil die Strafsenate des BGH erkennbar teilweise versuchen, die Rechtsprechung des BVerfG im Urt. v. 19. 3. 2013 (NJW 2013, 1058 ff.) zu unterlaufen.

Inhaltsverzeichnis

a) Inhalt der Mitteilung

Fraglich ist zunächst, welche "Erörterungen" überhaupt mitgeteilt werden müssen. § 243 Abs. 4 S. 1 sieht eine Mitteilungspflicht vor für "Erörterungen"/Gespräche, deren "Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist". Gemeint sind damit alle "Erörterungen"/Gespräche, die als Vorbereitung einer in der HV zu erfolgenden Verständigung verstanden werden können (BVerfG NJW 2013, 1058, 1064 ff.; BGH NStZ 2014, 217; 2014, 221, 222 m. Anm. Deutscher StRR 2014, 99; NStZ 2014, 416; Deutscher StRR 2014, 288, 289]). Als Faustregel gilt: Dies ist immer dann der Fall, wenn ausdrücklich oder konkludent Fragen des prozessualen Verhaltens in Verbindung zum Verfahrensergebnis, mithin der Straferwartung, gesetzt werden können/müssen. Jedes - auch nur entfernte - Bemühen um eine Verständigung fällt unter den Begriff der "Erörterung" und ist mitteilungspflichtig (BGH, a.a.O.; NStZ 2017, 217; StV 2014, 657; KK-Schneider, a.a.O., § 243 Rn. 39). Nicht dokumentations- und mitteilungspflichtig sollen demgegenüber Gespräche sein, die ausschließlich organisatorische und verfahrenstechnische Fragen der HV ohne Ergebnisbezug zum Gegenstand haben (BVerfG, a.a.O.; BGH NStZ 2013, 610; H. Schneider, a.a.O., Deutscher, a.a.O.; zusammenfassend BGH, Beschl. v. 11.2.2015 - 1 StR 335/14, NStZ 2015, 416). Ergebnisbezug besteht bzw. liegt m.E. auch nahe, wenn die Frage erörtert wird, ob sich der Angeklagte in der HV einlassen oder schweigen wird (insoweit gegen eine Mitteilungspflicht H. Schneider NStZ 2014, 192, 197), denn jedenfalls begründet die Frage nach einem möglichen Geständnis bereits den Verständigungsbezug (s. wohl BGH NJW 2014, 3385 = StraFo 2014, 460; NStZ 2014, 221; s. Deutscher StRR 2014, 288, 289, der den Fall als "grenzwertig" ansieht).

Hinweis:

Kein Ergebnisbezug liegt vor bei Fragen, die allein die organisatorische Vorbereitung der HV betreffen/betroffen haben (BGHSt 58, 315 m. Anm. Burhoff StRR 2013, 424). Dazu zählen bloße Terminsabsprachen zwischen dem Gericht und dem Angeklagten/Verteidiger ebenso wie Unterredungen über die nähere Planung zur Ladung von Zeugen und SV (H. Schneider NStZ 2012, 192, 197; Meyer-Goßner/Schmitt, § 243 Rn. 18a). Allerdings ist insoweit Vorsicht geboten, da alle Erörterungen, die über die rein organisatorischen Vorgänge hinaus auf eine Abkürzung des Verfahrens gerichtet sind ("Soll der Beweisantrag tatsächlich gestellt werden?") schnell inhaltlichen Bezug zum Stand des Verfahrens bekommen und damit ggf. "ergebnisorientiert" im Hinblick auf eine Verständigung zur Abkürzung des Verfahrens werden (s.a. H. Schneider, a.a.O.).

Die Frage, welche Angaben zum Inhalt der Erörterungen gemacht werden müssen, bestimmt sich nach dem Sinn und Zweck der Regelung, nämlich der Sicherstellung des Transparenzgebotes (vgl. Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 7. Aufl., 2013, Rn. 1826 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, HV); u.a. BVerfG NJW 2013, 1058, 1065 f.; NJW 2014, 3504; 2015, 1235; NStZ 2014, 592; 2015, 172). Dieses soll sicherstellen, dass im Hinblick auf eine Verständigung durchgeführte Erörterungen stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung der strafprozessualen Grundsätze kein Raum verbleibt. Damit erstreckt sich die Pflicht zur Mitteilung über die mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche auch auf die Darlegung, welche „Angebote“ von den Verfahrensbeteiligten gemacht worden und welche Standpunkte ggf. vertreten wurden und auf welche Resonanz dies bei den anderen am Gespräch Beteiligten jeweils gestoßen ist (vgl. BVerfG NJW 2013, 1058, 1065; u.a. BGHSt 58, 210; BGH NStZ 2011, 592; 2013, 722; 2014, 219; 2014, 416, 417, 2014, 601, 602; 2015, 48; 2015, 416; StV 2011, 72 [Verfahren mit mehreren Angeklagten]; 2014, 67; 2014, 657; teilweise offen BGH NStZ-RR 2014, 315). Die von der Staatsanwaltschaft geäußerte Straferwartung muss ebenfalls mitgeteilt werden (BGHSt 59, 252 = StRR 2014, 493).

Ob auch mitgeteilt werden muss, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, von wem also die Initiative ausgegangen ist, ist nicht eindeutig geklärt. Teilweise ist das in der Rspr. des BGH bejaht worden (vgl. die Beschlüsse des 1. Strafsenats in NStZ 2014, 416; 2015, 48; vgl. jetzt aber Beschl. v. 2.12.2014 - 1 StR 422/14, NStZ 2015, 293 m. Anm. Deutscher StRR 2015, 138), teilweise aber auch verneint worden (BGH 58, 310; NJW 2014, 3385; BGH NStZ 2013, 722 m. Anm. Mosbacher; NStZ 2014, 219; 2014, 418; 2014, 529; 2014, 610 m. Anm. Grube; StV 2014, 67; NStZ-RR 2014, 52; 2014, 315; so auch H. Schneider NStZ 2014, 192, 199 ff.). Begründet wird letzteres damit, dass die Frage, von wem die Initiative zu dem Gespräch ausgegangen ist, in dem ein Verständigungsvorschlag unterbreitet oder über die Möglichkeit einer Verständigung gesprochen wurde, nicht zu dem gem. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO mitzuteilenden wesentlichen Inhalt des Gesprächs gehöre, sondern allein den äußeren Ablauf des Verfahrens, nicht aber den Inhalt von Verständigungsgesprächen, betreffe (s. eingehend Beschl. v. 2.12.2014 - 1 StR 422/14, BGH NStZ 2015, 293 m. Anm. Deutscher StRR 2015, 138; vgl. H.Schneider NStZ 2014, 192, 200).

Hinweis:

Ob das tatsächlich der - wie der BGH meint - Rspr. des BVerfG (NJW 2013, 1058, 1064 ff.) entspricht, ist m.E. zweifelhaft Denn zu dem mitzuteilenden Gesprächsinhalt gehört nach Auffassung des BVerfG u.a. auch, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde. Ob man daraus den Schluss ziehen kann, dass eine Mitteilungspflicht hinsichtlich der Frage, wer die Initiative zur Verständigung ergriffen hat, nur insoweit besteht, als gerade dieser Umstand Inhalt des mitzuteilenden Gesprächs war, erscheint mir nicht zwingend.

Da nach § 243 Abs. 4 S. 1 StPO informiert werden muss, wenn der „Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist“, besteht die Informationspflicht auch nicht nur, wenn die Gespräche zu einer für die Hauptverhandlung beabsichtigten Verständigung (§ 257c Abs. 3 StPO) geführt haben. Informiert werden muss auch darüber, dass und ggf., warum es nicht zu der in Aussicht genommenen Verständigung gekommen ist (BVerfG NJW 2013, 1058, 1064 f.; BGH StV 2011, 72), und zwar auch, wenn die Gespräche nur mit einzelnen Verfahrensbeteiligten geführt worden sind (BGH, a.a.O.).

Inhaltsverzeichnis

b) Negativattest

Umstr. war in der Rspr. die Frage, ob nicht nur mitgeteilt werden muss, dass Erörterungen/Gespräche stattgefunden haben, sondern auch, dass das ggf. nicht der Fall gewesen ist (sog. Negativattest). Das Gesetz formuliert ausdrücklich mit „ob“, kombiniert dies aber mit "wenn". Die Frage ist vom BVerfG in seinem Urt. v. 19.3.2013 (NJW 2013, 1058, 1064 f.) nicht ganz eindeutig geklärt gewesen, indem dort der Begriff der "Negativmitteilung verwendet worden ist. Das hatte dazu geführt, dass die Rspr. des BGH (vgl. u.a. BGHSt 58, 315 m. Anm. Burhoff StRR 2013, 424 u. abl. Anm. Schlothauer StV 2013, 678; BGH NStZ 2014, 32) die Frage verneint worden ist. Die Frage ist inzwischen jedoch durch das BVerfG in seinen Beschlüssen vom 26. 8. 2014 klarstellend entschieden worden (vgl. NJW 2014, 3504; NStZ 2014, 592, jew. m. Anm. Deutscher StRR 2014, 411, 412). Danach umfasst der Begriff "Negativmitteilung" nicht nur die Mitteilung über gescheiterte Verständigungsgespräche, sondern umfasst auch die Mitteilung darüber, dass es (überhaupt) keine Verständigungsgespräche gegeben hat (s. schon KG NStZ 2014, 293 m. Anm. Krawczyk StRR 2014, 224; Mosbacher NStZ 2013, 722 f. in der Anm. zu BGH NStZ 2013, 722; zust. Hunsmann NStZ 2014, 592 in der Anm. zu BVerfG NStZ 2014, 592; vgl. a. noch Deutscher StRR 2014, 288, 290 und Allgayer NStZ 2015, 185, 188).

Hinweis:

Im Bußgeldverfahren ist das „Negativattest“ nicht erforderlich. Nach § 78 Abs. 2 OWiG muss die Mitteilung nur erfolgen, wenn eine Erörterung i.S.d. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO stattgefunden hat.

Inhaltsverzeichnis

3. Die Vernehmung des Mitangeklagten als Zeugen

Die Frage, ob die Vernehmung eines Mitangeklagten als Zeugen zulässig ist, will man, wenn man sie liest, schnell verneinen und darauf verweisen, dass insoweit ein Beweiserhebungsverbot besteht. Allerdings wäre das ein wenig vorschnell. Denn es gibt Ausnahmen. Und zwar einmal dann, wenn das Verfahren gegen den Mitangeklagten abgetrennt ist (vgl. dazu Burhoff, HV; Rn. 3104 ff.), und im Berufungsverfahren, wenn die Berufung des (ehemaligen) Mitangeklagten bereits (gem. § 329 Abs. 1 StPO) verworfen worden ist.

Mit der letzteren Ausnahme befasst sich der OLG Bamberg, Beschl. v. 23. 2. 2015 (3 OLG 8 Ss 126/14, StraFo 2015, 155). Da war der Angeklagte vom AG wegen Diebstahls verurteilt worden. Zusammen mit dem Angeklagten hatte das AG die zusammen mit dem Angeklagten beiden Mittäterinnen M. und S. wegen Diebstahls verurteilt. Die gegen das erstinstanzliche Urteil seitens des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, letztere beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, eingelegten Berufungen hat das LG dann als unbegründet verworfen, während es die auch von der ehemals Mitangeklagten M. eingelegte Berufung schon zuvor nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen hatte, weil die Mitangeklagte nicht zur Berufungshauptverhandlung erschienen war. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Verfahrensrüge hat der Angeklagte die Verletzung von § 244 Abs. 3 S. 1 StPO bei der Ablehnung eines Antrags auf Einvernahme der Mitangeklagten M. als Zeugin zur Schuldfrage beanstandet.

Das OLG Bamberg sagt: Zu Recht, denn: Das LG hätte den Antrag des Angeklagten auf Vernehmung der (früheren) Mitangeklagten als Zeugin nicht nach § 244 Abs. 3 S. 1 StPO als unzulässig ablehnen dürfen. Zwar sei das LG zutreffend davon ausgegangen, dass ein auf Vernehmung eines Mitangeklagten als Zeuge gerichteter Beweisantrag deshalb als unzulässig i.S. von § 244 Abs. 3 S. 1 StPO abzulehnen sei, weil ein Mitangeklagter nicht zugleich Zeuge sein könne. Denn der Erhebung des begehrten Zeugenbeweises stehe in diesem Fall ein Beweiserhebungsverbot entgegen (BGH NStZ 2011, 168 = StraFo 2011, 90; KK-Krehl, a.a.O., § 244 Rn. 109; Meyer-Goßner/Schmitt, § 244 Rn. 49; LR/Becker, StPO, 26. Auf. § 244 Rn. 189, jeweils m.w.N.). Allerdings sei hier im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des LG über den Beweisantrag die frühere Mitangeklagte wegen des erlassenen Urteils nach § 329 Abs. 1 StPO bereits aus dem Verfahren ausgeschieden gewesen, so dass sie deshalb als Zeugin vernommen werden konnte. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung und zutreffender Ansicht im Schrifttum kommt es – so das OLG - für die Frage, ob jemand Mitangeklagter ist und deshalb als Zeuge ausscheidet, ausschließlich auf die prozessuale Gemeinsamkeit an (BGHSt 10, 8/11 f.; 10, 186/187 ff; 18, 238/240; 27, 139/141; LR/Ignor/Bertheau, a.a.O., Vor § 48 Rn. 33 f.; KK/Senge, a.a.O., Vor § 48 Rn. 7 ff.). Nur solange diese Klammer bestehe, scheide die Vernehmung eines Mitangeklagten als Zeuge aus (BGHSt 10, 8/11 f.; BGH NJW 1964, 1034; NStZ 1984, 464 = NJW 1985, 76 = StV 1984, 361; KK/Senge, a.a.O., vor § 48 Rn. 7 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, vor § 48 Rn. 21 f.; Alsberg/Dallmeyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Aufl. Rn. 322; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 9. Aufl. Rn. 1005, 927 ff., jeweils m.w.N.).

Hinweis:

Es kommt nicht unbedingt darauf an, ob ein Beschluss über die Abtrennung des Verfahrens erlassen worden ist. Darauf weist das OLG Bamberg (a.a.O.), nachdem das LG darauf abgestellt hatte, hin. Es entspricht zwar der o.a. Rechtsprechung, dass die prozessuale Gemeinsamkeit durch einen Abtrennungsbeschluss aufgehoben wird. Allerdings hat der BGH auch stets explizit betont, dass die Abtrennung des Verfahrens nur ein Beispiel sei, durch welches die prozessuale Gemeinsamkeit aufgelöst werde (vgl. BGH, a.a.O.; ebenso: KK/Senge, a.a.O., vor § 48 Rn. 8). Es versteht sich von selbst, dass ein Abtrennungsbeschluss zur Aufhebung der prozessualen Verbindung dann nicht erforderlich ist, wenn gegen den bisherigen Mitangeklagten ein Urteil ergangen ist. Denn durch diese Entscheidung ist der Mitangeklagte aus dem bis dahin gemeinsam geführten Verfahren ausgeschieden, sodass für einen Abtrennungsbeschluss deshalb schon gar kein Raum mehr bestünde.

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4. Verwertung von Dashcam-Aufnahmen im Strafverfahren

Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Dashcam-Aufzeichnungen in gerichtliche Verfahren zulässig eingeführt und verwertet werden dürfen, wird derzeit in Rspr. und Lit. diskutiert (vgl. z.B. Bachmeier DAR 2014, 15 f.; Balzer/Nugel NJW 2014, 1622 f.; Brenner DAR 2014, 619, 624 f.; Klann DAR 2014, 451 f.; Nugel VRR 2/2015, 4 und aus dem Bereich der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit LG Heilbronn DAR 2015, 211; AG Düsseldorf VRR 2/2015, 11; AG München zfs 2014, 149; 2014, 692; VG Ansbach zfs 2014, 687). Soweit ersichtlich lagen Entscheidungen aus dem Straf-/Bußgeldverfahren bislang noch nicht vor. Die „Lücke“ hat nun das AG Nienburg, Urt. v. 20. 1. 2015 (4 Ds 155/14, DR 2015 280 = StRR 2015, 185) geschlossen. Das AG hat für das Strafverfahren die Zulässigkeit der Verwertung bejaht, wenn anlassbezogen aufgenommen worden ist, also die Dashcam in Bezug auf einen ganz bestimmten Vorgang eingeschaltet wurde. Ergangen ist die Entscheidung in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Nötigung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (§§ 240, 315c StGB). Das AG hat der Verurteilung des Angeklagten die Aufzeichnung einer Dashcam zugrunde gelegt, die der Geschädigte, der ausgebildeter IT-Administrator und im Datenschutzrecht geschult ist, angefertigt hatte. Dem Geschädigten war kurz vor dem vom AG festgestellten Fahrverlauf das Fahrzeug des Angeklagten durch sehr dichtes Auffahren aufgefallen. Daher hatte er zum Zwecke der Beweissicherung für den etwaigen Fall eines Zusammenstoßes eine neben seinem Innenspiegel angebrachte Dashcam aktiviert. Diese filmte sodann den Straßenbereich vor der Kühlerhaube des Fahrzeugs des Zeugen und speicherte die Aufnahmen digital auf einer SD-Speicherkarte.

Das AG Nienburg (a.a.O.) hat die Aufzeichnung der Dashcam als verwertbar angesehen. Dem stehe weder ein Beweiserhebungs-, noch ein Beweisverwertungsverbot entgegen. Die Anfertigung der Kameraaufzeichnung durch den Geschädigten sei gem. § 4 Abs. 1 BDSG i.V.m. mit einer entsprechenden Anwendung des § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG zulässig. Fertige ein Zeuge aus aktuellem und konkreten Anlass vorausschauend Beweismittel zum Nachweis der Begründung, Reichweite und Ausschluss einer gesetzlichen Haftung aus einem Unfallereignis und damit im Hinblick auf ein konkret bestimmbares gesetzliches Schuldverhältnis an, so sei dies in jeder Hinsicht mit den im Gesetz genannten Fällen der Erfüllung konkret bestimmter rechtsgeschäftlicher oder rechtsgeschäftsähnlicher Zwecke vergleichbar. Es sei kein Grund ersichtlich, warum in diesem Zusammenhang zwischen rechtsgeschäftlichen bzw. rechtsgeschäftsähnlichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen unterschieden werden sollte. Der Betroffene verfolge jeweils konkret abgegrenzte und bestimmbare vermögensbezogene Rechtsangelegenheiten im Zusammenhang mit dem Betrieb seines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr. Die zulässig angefertigte Kameraaufzeichnung dürfe im Strafverfahren auch verwertet werden. Es seien keine Gründe ersichtlich, die einer Verwertung entgegenstünden. Hierbei könne ohne weiteres auf die allgemeinen Grundsätze zur Verwertbarkeit von Beweismitteln mit Spannungsbezug zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Dritter zurückgegriffen werden (sogenannte Sphärentheorie des BVerfG NJW 1090, 563, 564 - „Tagebuch“; BGH NJW 1996, 2940 „Hörfalle“). Dem wird man im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG (NJW 2009, 3293 = StRR 2009, 356 = VRR 2009, 354) zustimmen können. Ob das allerdings auch gilt, wenn nicht „anlassbezogen“ gefilmt/aufgenommen worden ist, kann man nach der Rechtsprechung des BVerfG (a.a.O.) bezweifeln. Dazu werden sich sicherlich alsbald OLG äußern (müssen).

Hinweis:

Da die mit der Verwertung von Dashcam-Aufzeichnungen zusammenhängenden Fragen obergerichtlich noch nicht geklärt sind, sollte der Verteidiger der Verwertung in der Hauptverhandlung ggf. widersprechen (vgl. zur Widerspruchslösung Burhoff, HV, Rn. 3491 ff.).

Prozessual wird die Aufzeichnung durch Augenscheinseinnahme in Form des Abspielens der Aufnahme oder der Einsichtnahme in ggf. aus der Aufnahme gefertigte Papierbilder in die Hauptverhandlung eingeführt. Ein Verweis auf die Aufzeichnung wegen der Einzelheiten in den Urteilsgründen nach § 267 Abs.1 S. 3 StPO ist nicht zulässig, auf eine Filmaufnahme kann nicht verwiesen werden (BGHSt 57, 53 = StRR 2012, 63 = VRR 2012, 71). Auf ausgedruckte Einzelbilder aus der Aufzeichnung, die sich der Akte befinden, kann allerdings verwiesen werden. Das hatte auch das AG Nienburg getan.

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IV. Rechtsmittelverfahren

Ich habe zuletzt in ZAP F. 22 R, S. 836 ff. über die Begründunganforderungen an die Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO) berichtet. An die dortige Zusammenstellung der Rechtsprechung schließen die nachfolgenden Ausführungen an; zur ausreichenden Begründung der Verfahrensrüge s. auch Junker in: Burhoff/Kotz (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 2013, Teil A Rn. 2783 ff. m.w.N.).

Hinweis:

Der Verteidiger muss darauf achten, dass die Angriffsrichtung seiner Rüge eindeutig bestimmt ist (vgl. BGH NStZ 2014, 221, 222). Ist sie ist widersprüchlich, ist die Rüge unzulässig (vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 9. 12. 2014 - 3 StR 308/14).

In dem Zusammenhang (nochmals): Verteidiger beklagen häufig, dass ihre Revisionen beim BGH oder beim OLG keinen Erfolg haben. Vor allem Verfahrensrügen würden kaum durchdringen. Das ist sicherlich eine berechtigte Klage. Nur: Man muss sich dann sicherlich auch fragen: Warum haben eigentlich so viele Verfahrensrügen keinen Erfolg? Da hilft dann m.E. ein Blick in die obergerichtliche Rechtsprechung, insbesondere in die auf der Homepage des BGH veröffentlichten Urteile und Beschlüsse. Da liest/sieht man nämlich in sehr vielen Entscheidungen den Hinweis, des BGH, dass die Verfahrensrüge unzulässig ist, weil sie nicht den (strengen) Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entspricht. Das ist m.E. i.d.R. der mehr als deutliche Hinweis auf einen “Verteidigerfehler”, das eben zur Begründung des geltend gemachten Verfahrensverstoßes nicht genügend vorgetragen worden ist. An der Stelle kann man sicherlich weiter darüber klagen, dass die Anforderungen an die Begründung der Verfahrensrüge zu hoch sind und die Latte des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO von den Revisionsgerichten zu/so hoch gelegt wird. Das mag richtig sein, wenn es um Besonderes oder neue Hürden geht, die von der Rechtsprechung aufgestellt werden. Nicht aber, wenn es um die Ablehnung ganz einfacher, im Grunde alltäglicher Verfahrensrügen geht.

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Sachverhalt

Begründung

Es wird gerügt, dass der Vorsitzende wegen seiner Vernehmung als Zeuge „in der Sache“ i.S. von § 22 Nr. 5 StPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen war.

Erforderlich ist die Mitteilung des Beweisthemas, zu dem der Vorsitzende in dem (anderen) Verfahren geladen und vernommen wurde (BGH, Urt. v. 22. 5. 2014 – 4 StR 430/14).

Es wird gerügt, dass Ablehnungsgesuche des Angeklagten gegen die erkennenden Richter zu Unrecht abgelehnt worden seien (§§ 24 ff. StPO).

Unzulässig, wenn die Revision die dienstlichen Erklärungen der abgelehnten Richter nicht mitteilt (BGH, Beschl. v. 30. 9. 2014 - 3 StR 351/14, insoweit nicht in StV 2015, 206).

Es wird gerügt, eine Zeugin sei nicht vor jeder Vernehmung in der Hauptverhandlung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt (§ 52 StPO) worden.

Erforderlich ist die Mitteilung, ob die Zeugin nach ihren Vernehmungen jeweils entlassen worden ist, das sonst das Revisionsgericht nicht prüfen kann, ob es sich bei der Folgevernehmung jeweils um eine neue Vernehmung i.S. des § 52 Abs. 3 S. 1 StPO gehandelt hat (vgl. hierzu KK-Senge, a.a.O., § 52 Rn. 35 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 9. 12. 2014 - 3 StR 272/14, insoweit nicht in StV 2015, 206).

Es werden mit der Verfahrensrüge Rechtsfehler in Zusammenhang mit einer Durchsuchung (§§ 102, 105 StPO) behauptet.

Es müssen der Durchsuchungsbeschluss des AG und auch ein Beschluss, durch den die Verlesung eines Sicherstellungsprotokolls in der Hauptverhandlung angeordnet worden ist, vollständig im Wortlaut mitgeteilt werden (BGH, Urt. v. 16. 1. 2014 – 4 StR 370/13).

Es wird gerügt, das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren und auf vollständige Akteneinsicht (§ 147 StPO) seien verletzt worden, weil ihm nicht die Einsicht in die Akten anderer Ermittlungsverfahren gegen ihn gewährt und das Verfahren nicht bis dahin ausgesetzt worden sei.

Die Rüge ist unzulässig, wenn die Revision den zu diesem Antrag gehörenden Ablehnungsbeschluss der Strafkammer nicht mitteilt (BGH, Beschl. v. 30. 9. 2014 - 3 StR 351/14, insoweit nicht in StV 2015, 206).

Mit der Rüge wird geltend gemacht, der Strafkammervorsitzende habe entgegen § 243 Abs. 4 StPO keine Mitteilungen über Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung gemacht und keine entsprechenden Protokollierungen veranlasst. Damit fehle es an der gebotenen Negativmitteilung gem. § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO und dem gem. § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO erforderlichen Negativattest.

Die Rüge ist unzulässig, wenn nicht vorgetragen wird, ob überhaupt Erörterungen im Sinne des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO stattgefunden haben und welchen Inhalt diese gegebenenfalls hatten (u.a. BGHSt 58, 315, 318; BGH NStZ 2014, 419; BGH, Beschl. v. 25. 11. 2014 - 2 StR 171/14, NJW 2015, 266; Allgayer NStZ 2014, 530; offengelassen von BGH NStZ 2013, 724; NStZ-RR 2014, 115; vgl. dazu auch BVerfG NStZ 2014, 592, 594).

Es wird die Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) geltend gemacht.

Unzulässig, wenn die Revision nicht mitteilt, welche Beweiserhebungen die Strafkammer hätte durchführen sollen und zu welchem bestimmten Beweisergebnis diese geführt hätten (BGH, Beschl. v. 30. 9. 2014 - 3 StR 351/14, insoweit nicht in StV 2015, 206).

Mit der Aufklärungsrüge wird geltend gemacht, dass das das Tatgericht durch die Vernehmung des bei einer türkischen Telefongesellschaft bzw. einem türkischen Telefonanbieter zuständigen Zeugen bestimmte Tatsachen hätte aufklären müssen-

Unzulässig, wenn der Name noch die ladungsfähige Anschrift dieses Zeugen mitgeteilt werden (BGH, Beschl. v. 26. 3. 2014 – 4 StR 7/14; vgl. dazu auch BGH NStZ 2014, 172).

Es wird ausdrücklich mit der Aufklärungsrüge (§ 244 StPO) beanstandet, dass ein Antrag auf Vernehmung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft abgelehnt worden ist.

Die Frage, ob der in der Rüge genannte Antrag mit zutreffender Begründung abgelehnt worden ist, bedarf dann keiner Entscheidung, weil die Beanstandung ausdrücklich als Aufklärungsrüge, nicht aber als Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3 S.tz 2 StPO erhoben worden ist (BGH, Beschl. v. 30. 9. 2014 - 3 StR 351/14, insoweit nicht in StV 2015, 206; zum Wahlrecht des Revisionsführers, die Ablehnung eines Beweisantrages mit der Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts oder / und mit der Aufklärungsrüge anzugreifen, vgl. BGH NStZ 2011, 471, 472; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 380).

Gerügt wird die Ablehnung eines Beweisantrages (§ 244 StPO), in dem die schriftliche Erklärung einer anderen Person eine Rolle spielte.

Zur Zulässigkeit der Verfahrensrüge gehört, dass auch der Inhalt dieser schriftlichen Erklärung vorgetragen wird weil sonst das Revisionsgericht nicht beurteilen kann, ob die Ablehnung zu Recht erfolgt ist oder nicht (BGH, Beschl. v. 7. 4. 2015 – 4 StR 97/15).

Es wird geltend gemacht, dass das Tatgericht sich nicht mit allen erhobenen Beweisen auseinander gesetzt habe (§ 261 StPO).

Ggf. muss vorgetragen werden, weshalb das Beweismittel zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung noch beweiserheblich war (vgl. a. BGH, Beschl. v. 12. 12. 2013 - 3 StR 267/13; BGH NJW 2003, 150, 152).

Die Verfahrensrüge macht geltend, dass von der Berufungsverwerfung gem. § 329 Abs. 1 StPO bei unentschuldigtem Ausbleiben des Angeklagten wegen Anwesenheit eines verteidigungsbereiten Verteidigers hätte abgesehen werden müssen.

Zu einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Verfahrensbeschwerde gehört in solchen Fällen auch der Vortrag, dass sich der verteidigungs- und vertretungsbereite Verteidiger auf eine ihm in schriftlicher Form erteilte besondere Vollmacht des abwesenden Angeklagten berufen und diese dem Gericht nachgewiesen hat (KG, Beschl. v. 7. 12. 2014 – (4) 161 Ss 5/14).

Es wird eine Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens (§ 338 Nr. 6 StPO hier i.V.m. § 172 Nr. 1a GVG) dadurch gerügt, dass während der unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgten Vernehmung eines Zeugen ein von diesem übergebener Zettel in Augenschein genommen worden ist.

Die Verfahrensrügen greift nicht durch, wenn es an Tatsachenvortrag zu dem Inhalt des von dem Zeugen Zettels fehlt, da ansonsten die Prüfung nicht möglich ist, ob der Zettel in unmittelbarem Zusammenhang mit der Vernehmung des Zeugen steht und daher die Öffentlichkeit auch während der Augenscheinseinnahme ausgeschlossen bleiben durfte (BGH, Urt. v. 21.10.2014 - 1 StR 78/14; vgl. dazu a. BGH NStZ 1988, 190).

Die Revision meint, es liege ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz vor.

Die Revisionsbegründung darf sich nicht darauf beschränken, einzelne Aktenstücke vorzulegen, ohne den verbindenden Verfahrensgang darzustellen. Auf der Grundlage solch lückenhaften Vorbringens ist es Revisionsgericht nicht möglich, das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu beurteilen (BGH, Urt. v. 16. 1. 2014 - 4 StR 370/13).

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V. Gebühren-/Kostenfragen

1. Verjährungsfragen bei der Pauschgebühr

Wann der Anspruch auf Bewilligung einer Pauschgebühr (§ 51 RVG) entsteht, wenn der Pflichtverteidiger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens tätig war, ist in der Rechtsprechung der OLG umstritten. Die Frage hat jetzt in einem Verfahren eine Rolle gespielt, in dem das KG zur Entscheidung berufen war. Das KG hat im Beschl. v. 15. 4. 2015 (1 ARs 22/14, StRR 2015, 237) seine frühere Rechtsprechung, die für den Verteidiger ungünstige war, aufgegeben. Nach dem Sachverhalt war der Angeklagte am 16. 10. 2009 verurteilt worden. Das Urteil ist mit der Verwerfung der Revision des Angeklagten durch Beschluss des BGH vom 3. 5. 2011 rechtskräftig geworden. Der Rechtsanwalt, der Pflichtverteidiger des Angeklagten war, hat eine Pauschgebühr nach § 51 RVG beantragt. Der Bezirksrevisor hatte für die Staatskasse unter Berufung auf die bisherige Rechtsprechung des KG hinsichtlich der Pauschgebühr für das vorbereitende Verfahren und den ersten Rechtszug die Einrede der Verjährung erhoben. Das KG hat eine Pauschgebühr auch für das vorbereitende Verfahren und den ersten Rechtszug bewilligt.

Zur Begründung verweist es darauf, dass die Frage, wann der Anspruch auf Bewilligung einer Pauschgebühr (§ 51 RVG) entstehe, wenn der Pflichtverteidiger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens tätig gewesen sei, in der Rechtsprechung der OLG umstritten sei. Teilweise werde in zum alten Recht der BRAGO ergangenen Entscheidungen dabei auf den ersten in § 16 S. 2 BRAGO (jetzt § 8 Abs. 1 S. 2 RVG) genannten Fälligkeitszeitpunkt abgestellt worden, also auf eine ergangene Kostenentscheidung oder auf die Beendigung des Rechtszuges. Danach wäre im entschiedenen Fall nach dem erstinstanzlichen Urteil vom 16. 9. 2009 die dreijährige Verjährungsfrist am 1. 10. 2010 in Gang gesetzt worden und unter Berücksichtigung ihrer Hemmung (§ 8 Abs. 2 S. 1 und 2 RVG) mit der Entscheidung des BGH am 3. 5. 2014 bereits vor Eingang des Pauschgebührenantrages abgelaufen gewesen. Die Gegenansicht gehe davon aus, dass der Anspruch auf Bewilligung einer Pauschgebühr erst mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fällig werde und demgemäß vorher nicht der Lauf der Verjährungsfrist beginnen könne. Das KG hat sich für das RVG nun der letzteren Auffassung angeschlossen und seine bisherige Rechtsprechung zum Verjährungsbeginn (zuletzt KG RVGreport 2011, 176 = JurBüro 2011, 254 = StRR 2011, 162) aufgegeben. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass eine Gebühr, die besondere Schwierigkeiten anwaltlicher Tätigkeit im gesamten Verfahren pauschal honorieren solle, erst nach dessen Abschluss und nicht schon mit Erlass des ersten Urteils oder Beendigung des Rechtszuges bemessen werden kann.

Hinweis:

Ebenso wie das KG haben bereits früher einige OLG zur BRAGO entschieden (so OLG Bamberg JurBüro 1990, 1282; OLG Düsseldorf AGS 2007, 75; OLG Hamm NStZ 1997, 41; OLG Jena AGS 1998, 87; OLG Köln, Beschl. v. 29. 12. 2005 – 2 ARs 229/05; vgl. auch Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2014, § 51 n. 87 ff. m.w.N.). Das ist zutreffend, denn wenn man – wie die Obergerichte - für die Pauschgebühr auf eine Gesamtbetrachtung abstellt, ist allein das der richtige Ansatzpunkt.

Unabhängig von dieser für den Verteidiger günstigen Entscheidung gilt: Der Pflichtverteidiger sollte mit einem Pauschgebührenantrag nicht zu lange warten, sondern ihn zeitnah nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens stellen. Dann kann eine Verjährungsproblematik von vornherein nicht entstehen.

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2. Aktenversendungspauschale (Nr. 9003 KV GKG)

Mehrere Entscheidungen haben sich im Berichtszeitraum mit der Frage des Anfalls der Aktenversendungspauschale Nr. 9003 KV GKG befasst, wenn die Akten auf Ersuchen des Rechtsanwalts durch Inanspruchnahme eines externen Postdienstleisters an das Gerichtsfach des Rechtsanwalts bei einem auswärtigen Gericht übersandt worden sind (vgl. u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 5. 3. 2015 – 1 Ws 87/15, RVGreport 2015, 235; LG Kleve, Beschl. v. 28. 4. 2015 - 171 Ns-102 Js 229/13-6/14, StRR 2015, 203 [Ls.]; AG Saarbrücken, Beschl. v. 17. 4. 2015 - 7 Gs 901/15). In allen entschiedenen Fällen war dem Rechtsanwalt Akteneinsicht jeweils dadurch gewährt worden, dass die Akten jeweils an den Rechtsanwalt durch einen externen Postdienstleister/privaten Kurierdienst versandt und in sein Gerichtsfach eingelegt worden sind. Vom Rechtsanwalt war jeweils die Zahlung der Versendungspauschale in Höhe von 12 EUR (Nr. 9003 KV GKG) gefordert worden. Die dagegen erhobenen Einwände hatten keinen Erfolg.

Alle drei Gerichte weisen in ihren Beschlüssen (a.a.O.) darauf hin, dass nach der Neufassung der Nr. 9003 KV GKG durch das am 1. 8. 2013 in Kraft getretene 2. KostRMoG vom 23. 7. 2013 (BGBl. I, S. 2586) der Auslagentatbestand der Nr. 9003 KV GKG als eine „Pauschale für die bei der Versendung von Akten auf Antrag anfallenden Auslagen an Transport- und Verpackungskosten je Sendung“ erhoben werde. Alle drei Gerichte stellen zudem darauf ab, dass die Akten in den von ihnen entschiedenen Fällen nicht durch Justizmitarbeiter im Dienstwagen befördert wurden, sondern ein externer Postdienstleister bzw. privater Kurierdienst mit der Versendung beauftragt worden ist. Hierfür habe der Postdienstleister/Kurierdienst Kosten erhoben. Entweder sei vom externen Postdienstleister der Justizbehörde jedes Paket gesondert in Rechnung gestellt oder über eine Pauschale abgerechnet worden. Für diese Kosten und baren Auslagen sei die Gerichtskasse in Vorleistung getreten. Das rechtfertigte nach Auffassung des Gerichte den Ansatz der Aktenversendungspauschale.

Die Entscheidungen sind abzugrenzen von zwei anderen obergerichtlichen Entscheidungen, und zwar von OLG Köln (StraFo 2015, 40 = RVGreport 2015, 197 = StRR 2015, 197) und von OLG Koblenz (JurBüro 2014, 379 = AnwBl 2014, 657). Die diesen Entscheidungen zugrunde liegende Sachverhalte sind jedoch mit den hier entschiedenen Fallgestaltungen nicht vergleichbar: Im Fall des OLG Koblenz (a.a.O.) wurden die Akten zur Einsicht an den Verteidiger durch Justizbedienstete vom Bürogebäude der StA mit dem Dienstwagen zum LG-Gebäude verbracht und dort in das Gerichtsfach des Verteidigers eingelegt. Wie genau die Akten im Fall des vom OLG Köln entschiedenen Verfahrens zur Akteneinsicht an den Verteidiger transportiert wurden, erschließt sich aus der Entscheidung nicht eindeutig. Es wird jedoch dort ausgeführt, dass die Akten nicht mittels Einzeltransport, sondern im Rahmen von Sammeltransporten zwischen verschiedenen Justizgebäuden befördert wurden und insoweit (nur) justizinterne Transportkosten angefallen sind. Der Ansatz der Aktenversendungspauschalen dürfte hier gerechtfertigt gewesen sein. Dies insbesondere auch deshalb, weil im Gesetzgebungsverfahren (vgl. BT-Drucks. 17/13537, S. 276 f.) ausgeführt worden ist, dass mit der Pauschale der Ersatz „barer Auslagen“ gemeint ist, womit einerseits der justizinterne Verwaltungsaufwand ausdrücklich ausscheidet. Andererseits werden aber die baren Kosten, die im Rahmen der Aktenversendung auch an das Gerichtsfach des Rechtsanwalt bei einem auswärtigen Gericht durch Beauftragung eines externen Postdienstleisters anfallen, erfasst.

Hinweis:

Weitere Entscheidungen werden sicherlich nicht lange auf sich warten lassen. Denn sowohl das LG Kleve als auch das AG Saarbrücken haben die Beschwerde zum OLG/LG zugelassen.

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