Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Dresden, Beschl. v. 01.12.2017 - OLG Ausl 111/16
Leitsatz: Für die Teilnahme an der Vernehmung des Verfolgten gemäß § 28 IRG kann der Beistand keine Vergütung nach Nr. 6102 RVG-VV beanspruchen.
In pp.
Die Erinnerung des Pflichtbeistandes gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Januar 2017 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
I.
1. Der Senat hatte gegen den Verfolgten am 14. Juli 2017 die Auslieferungshaft angeordnet. Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 4. August 2016 wurde dem Verfolgten Rechtsanwalt K. als Pflichtbeistand bestellt. Der Pflichtbeistand hatte zuvor am 28. Juli 2016 bei der nach Eingang der Auslieferungsunterlagen gemäß § 28 IRG notwendigen Vernehmung des Verfolgten durch den Richter beim Amtsgericht teilgenommen.
2.Mit Beschluss vom 21. November 2017 hatte der Senat die Auslieferung für unzulässig erklärt, den Auslieferungshaftbefehl aufgehoben und die Kosten des Verfahrens sowie die dem Verfolgten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt.
3. Am 22. November 2016 hatte der Pflichtbeistand sodann die Festsetzung der entstandenen Gebühren und Auslagen sowohl als Vergütungsfestsetzung als auch als Kostenfestsetzung beantragt. Dabei hatte er als Pflichtverteidigervergütung eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 6100 VV RVG in Höhe von 156 EUR, eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 6101 VV RVG in Höhe von 316 EUR und eine Terminsgebühr gemäß Nr. 6102 VV RVG in Höhe von 424 EUR geltend gemacht.
4.Mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 7. Januar 2017 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Gebühren nach Nrn. 6100 und 6101 zuerkannt, die geltend gemachte Terminsgebühr unter Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 6. Februar 2007 - OLG 33 Ausl 84/06 - jedoch abgesetzt.
5. Gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss richtet sich der Pflichtbeistand mit der auf diese Absetzung beschränkten sofortigen Beschwerde.
Die Teilnahme an der Anhörung des Verfolgen am 28. Juli 2016 stelle eine Teilnahme an einem gerichtlichen Termin gemäß Absatz 3 der Vorbemerkung 6 zu Teil 6 VV RVG dar. Die Vorbemerkung erfasse nicht nur die Verhandlungen vor dem Oberlandesgericht nach §§ 30 Abs. 3, 31 IRG, sondern auch sämtliche Vernehmungs- und Belehrungstermine vor dem Amtsgericht. Die in der Senatsentscheidung vom 6. Februar 2007 vertretene Rechtsauffassung sei in der Literatur bereits aufgegeben worden. Die Formulierung in Nr. 6102 VV RVG, dass die Terminsgebühr je Verhandlungstag entstehe, stelle keine andere Bestimmung im Sinne der Vorbemerkung dar. Sondern regele lediglich, dass die Gebühr nur einmal pro Tag entstehe. Verhandeln im Sinne des RVG bedeute, dass Anträge gestellt und über diese entschieden werden. Jede weitere Einschränkung, dass es sich um eine Verhandlung vor dem Oberlandesgericht handele, wirke künstlich und werde von dem Gesetzeswortlaut nicht getragen.
6. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der als Erinnerung gewerteten sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.
II.
1. Über die sich gemäß § 56 Abs. 1 RVG als zulässige Erinnerung darstellende sofortige Beschwerde entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Richtern, nachdem der Einzelrichter die Sache wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung dem Senat übertragen hat (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).
2. Die Erinnerung erweist sich als unbegründet.
Der Pflichtbeistand kann für die Teilnahme an der Vernehmung des Verfolgten durch den Richter beim Amtsgericht am 28. Juli 2016 keine Gebühr gemäß Nr. 6102 VV RVG beanspruchen.
Der Senat hält an seiner im Beschluss vom 6. Februar 2007 - OLG 33 Ausl 84/60 - dargestellten Rechtsauffassung fest. Sie entspricht auch weiterhin der nahezu einhelligen Auffassung der Oberlandesgerichte (vgl. zuletzt OLG Hamm, Beschluss vom 25. Oktober 2016 - 1 Ws 241/16 -, juris mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen). Allein das Thüringische Oberlandesgericht vertritt in seiner Entscheidung vom 14. Mai 2007 - 1 Ws 122/07 - (zitiert nach juris) die Rechtsansicht des Erinnerungsführers.
Die Gebühr gemäß Nr. 6102 VV RVG erfasst nur die Verhandlung nach §§ 30 Abs. 3, 31 IRG, nicht jedoch den gerichtlichen Termin zur Vernehmung des Verfolgten nach § 28 IRG.
Die Anhörung gemäß § 28 IRG in einem Auslieferungsverfahren dient der Vernehmung des Verfolgten zu seinen persönlichen Verhältnissen, dem Hinweis auf die Möglichkeit, sich eines Beistandes zu bedienen und der Belehrung über seine Aussagefreiheit. In dem Anhörungstermin wird indes nicht verhandelt. Der Richter beim Amtsgericht ist auch nicht zu einer Entscheidung befugt. Weder darf er einen Auslieferungshaftbefehl aufheben, noch ihn außer Vollzug setzen. Auch die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung ist dem Oberlandesgericht vorbehalten (§ 29 IRG). Selbst an der Bestellung eines Pflichtbeistandes ist der Richter beim Amtsgericht gehindert (§ 40 Abs. 3 IRG, § 141 Abs. 4 StPO), wenn die Bestellung - wie auch im vorliegenden Fall - im Termin nach § 28 IRG beantragt wird.
Schließlich hat auch der Gesetzgeber trotz der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bisher keinen Anlass für eine Klarstellung im Sinne der Auffassung des Erinnerungsführers gesehen.
Insbesondere mit dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen vom 18. Oktober 2010 (BGBl. I, Seite 1408) sind auch die Vorschriften des Teils 6 Abschnitt 1 VV RVG geändert worden. Durch Artikel 4 des Gesetzes wurde zu den Gebühren für gerichtliche Verfahren nach dem IRG und dem IStGH-Gesetz (Nrn. 6100 und 6101 VV RVG a.F.) eine Gebühr für die Tätigkeit in Verfahren nach dem Neunten Teil, Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 des IRG eingefügt und der Abschnitt in zwei Unterabschnitte gegliedert. Die bisherigen Nrn. 6100 VV RVG und 6101 VV RVG wurden in den Unterabschnitt 2 aufgenommen und dort ohne inhaltliche Änderung die Nrn. 6101, 6102 VV RVG.
3. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die noch nicht ergangene Entscheidung über den Kostenfestsetzungsantrag weist der Senat darauf hin, dass dem Pflichtbeistand auch die Verfahrensgebühr nach Nr. 6100 VV RVG nicht hätte gewährt werden dürfen.
Nachdem die Gebühr nur für die Tätigkeit gegenüber der Bewilligungsbehörde in Verfahren nach dem Neunten Teil, Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 des IRG entsteht, werden damit nur eingehende Ersuchen um Vollstreckung von Geldsanktionen nach § 86 ff. IRG, nicht jedoch Auslieferungsverfahren erfasst.
4. Soweit die Vergütung damit nicht zumutbar sein sollte, bleibt es dem Pflichtbeistand unbenommen, die Festsetzung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zu beantragen.
III.
Eine Entscheidung über die Kosten ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG nicht veranlasst.
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